Man kommt in den letzten Jahren nicht umhin, erfreut festzustellen, dass sich in der österreichischen Jazz- und Global-Szene wirklich viel, viel Spannendes tut, und das auf einem wirklich hohen musikalischen Niveau, in einer ausgesprochen großen stilistischen Vielfalt und auch in der Summe an neuen Projekten und Veröffentlichungen. Will man das musikalische Geschehen in Österreich mit einem Wort beschreiben, so ist es bunt, knallbunt besser gesagt. Es gibt nicht einen österreichischen Sound, sondern viele Sounds, die aus all den verschiedenen musikalischen Strömungen, den unterschiedlichen musikalischen Backrounds und kulturellen Wurzeln sowie dem steten Weiterentwicklungsdrang der experimentierfreudigen Protagonist:innen in mannigfaltiger Weise erwachsen.
Ein Gesamtüberblick über die gesamte Szene würde Seiten füllen und auch vermutlich auch dann immer noch nicht alles abbilden. Daher wurden für die Erstellung dieser Playlist jene gefragt, die tagtäglich mit Musik aus Österreich zu tun haben. Und zwar einerseits die Veranstalter:innen des legendären Jazzclubs Porgy & Bess sowie des Weltmusik-Festivals Salam Orient, und andererseits die Radiomacher:innen des Senders Ö1, die mit ihrem Tun und in ihren Sendungen den Fokus auf die österreichischen Musikschaffenden richten und für die Steigerung deren Bekanntheitsgrads mitverantwortlich sind. Unter den zehn ausgewählten Acts finden sich genauso bereits etablierte Acts, die schon international auf sich aufmerksam machen konnten, wie auch noch als Geheimtipp gehandelte Newcomer:innen.
Eine Künstlerin, die in dieser Playlist nicht fehlen darf, ist Julia Lacherstorfer, eine der aktuell prominentesten Vertreterinnen der Global Szene. Die Geigerin, Sängerin und Komponistin, die mit der traditionellen alpenländischen Volkmusik aufgewachsen ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, genau diese auf kunstvolle Weise in den Klang der Gegenwart zu übersetzen, was ihr in ihren Projekten (u.a. Alma) auf wirklich eindrucksvolle Art und Weise auch gelungen ist. Die im oberösterreichischen Bad Hall geborene Künstlerin hat sich in den vergangenen Jahren zudem als Intendantin des Festivals wellenklaenge in Lunz am See auch als große Fördererin österreichsicher Musikschaffender hervorgetan.
Musikalisch aus einer ganz anderen, aber nicht weniger aufregenden Ecke kommt die in Wien ansässige Gruppe Kurdophone. Die Band rund um den im Iran geborenen Musiker Omid Darvish weiß sich auf innovative Art zwischen verschiedenen musikalischen Welten zu bewegen. In der Musik von Kurdophone vermischen sich die traditionelle Musik Kurdistans und Jazz europäischer Prägung zu etwas wirklich neuartig Klingendem, zu einem Sound, der die Fantasie hochgradig anregt.
Dass jiddische Musik nicht immer nur im Kontext von Klezmer und Folklore stattfinden muss, sondern sehr wohl auch außerhalb dieser authentisch sein kann, beweist die jüdische Sängerin und Musikerin Isabel Frey mit ihrem Duo Soveles. Gemeinsam mit ihrer musikalischen Partnerin Esther Wratschko belebt sie sie Tradition der jiddischen Revolutions- und Widerstandslieder neu und stellt sie in Bezug zu politischen Geschehnissen und Entwicklungen der Gegenwart.
Und das sind nur ein paar erste Teaser für die 10 Songs in dieser Playlist – alle anderen gerne selbst entdecken.
Özlem Bulut
„Die Tradition großer orientalischer Stimmen fortsetzend, schickt sich Özlem Bulut an, ihre klassische Ausbildung mit Jazz und traditioneller Musik zu verbinden. Die virtuos geführte Stimme der türkisch-kurdischen Musikerin, die seit langem in Wien lebt, findet sich in den brillanten Arrangements gut aufgehoben, zu vernehmen etwa auf der im Mai 2023 veröffentlichten CD „Ayna“ („Spiegel“). Özlem Bulut und ihre Band lassen Erinnerungen an legendäre Stimmen wie Asmahan wachwerden, freilich ohne jegliches Epigonentum aufkommen zu lassen.“
Redakteur Albert Hosp, ORF / Radio Ö1 / Spielräume
Felix Kramer
„Der Wiener Singer/Songwriter Felix Kramer umarmt die bittersüßen Niederlagen des Lebens. Seine Lieder handeln von menschlichen Schwächen. Kramer spricht Dinge aus, vor denen andere zurückschrecken – oder sie schlicht und einfach verdrängen. So sehr Kramers Texte das kunstvolle Scheitern besingen, so perfekt ist seine Musik konzipiert. Mit seinem dritten Album “Oh wie schön das Leben is” hat Kramer den Band-Sound weiterentwickelt. Felix Kramer ist deshalb nicht mehr nur eine Solo-Unternehmung, sondern ein klanglich ausgetüfteltes Band-Projekt.“
Redakteur Rainer Elstner, ORF / Radio Ö1 / Spielräume
Edna Million
„Edna Million hat eine Stimme, die sofort auffällt: Ihre dunkle, tiefe, im besten Sinne reife Stimme wird man sich merken müssen. Vorerst gibt es eine selbstbetitelte EP im Eigenverlag, ein Album ist in Arbeit, und sie hat es auf die aktuelle “Artists To Watch”-Liste des Bayerischen Rundfunks gebracht. Ihre englischsprachigen Songtexte sind ausgefeilt. Dabei geht sie nicht von eigenen Befindlichkeiten aus, sondern möchte Charaktere zeichnen und Geschichten erzählen.“
Redakteur Rainer Elstner, ORF / Radio Ö1 / Spielräume
Isabel Frey im Duo „Soveles“
„Mit Klezmer und Folklore hat sie nichts am – nicht vorhandenen – Hut. Die jüdische Sängerin und Musikerin Isabel Frey beeindruckte mich schon mit ihrem Album „Millenial Bundist“. Aktuell singt sie im Duo „Soveles“ mit Esther Wratschko jüdische und jiddische Lieder, darunter auch Wiegen- und Liebeslieder, die Feminismus, soziale Gerechtigkeit und Klassenkampf thematisieren. Frey aktualisiert, gibt Historischem einen aktuellen Twist. Das ist eindringlich, klug, reduziert, aber in aller Reduktion kunstvoll und kurzweilig.“
Redakteurin Mirjam Jessa, ORF / Radio Ö1 / Spielräume
Violetta Parisini
„Die Beziehung zu sich selbst und zu anderen verhandelt Wiener Sängerin und Songschreiberin Violetta Parisini in ihrer Musik. Sie scheut sich nicht die Dinge beim Namen zu nennen, beackert Abgründe, spürt ihnen nach, um sie dann ganz präzise in Worte zu fassen und sie sparsam zu instrumentieren. Im Mittelpunkt steht immer das Klavier und drüber segelt ihre Stimme eindringlich und sanft. Nach zwei international erfolgreichen englischsprachigen Alben ist Violetta Parisini 2020 mit ihrem Album „Alles bleibt“ nicht nur in ihrer Muttersprache angekommen, sondern so richtig auch bei sich selbst. Ganz nah lässt sie die Zuhörenden heran, ohne dabei jemandem zu nahe zu treten. Eine Einladung zum Hinhören.“
Redakteurin Astrid Schwarz, ORF / Radio Ö1 / Spielräume
Julia Lacherstorfer
„Ein seltener Glücksfall: die rar gewordene, „echte“ traditionelle Musik aus Österreich hat die Geigerin, Sängerin und Komponistin Julia Lacherstorfer von Kind auf erlebt. Und ein zweiter Glücksfall: Es gelingt ihr, authentische Volksmusik mit aktueller Musik anderer Genres zu konfrontieren und zu verbinden – auf Augenhöhe, ohne Klischees, ohne Verwässerung. Die Debüt-CD ihrer Formation Alma erhält 2013 den Preis der deutschen Schallplattenkritik, sie ist außerdem im Duo Ramsch und Rosen und als Solo-Künstlerin international erfolgreich und als künstlerische Co-Leiterin des Festivals Wellenklaenge aktiv.“
Redakteur Johann Kneihs, ORF / Radio Ö1 / Spielräume
Ralph Mothwurf Orchester
„22 Köpfe zählt das Orchester von Ralph Mothwurf und keiner ist zuviel. Mothwurf, der gebürtiger Linzer, schöpft gerne aus dem Vollen, er bedient sich einer reichen Palette an Klängen. Und bringt diese punktgenau und wohldosiert auf der Leinwand seiner Kompositionen an. Wie einer Klangmaler, der keine Töne verschenkt, der auch bei komplexer, wuchtiger Dichte der Partitur auf Transparenz und Ökonomie achtet. Dabei aus dem tönenden Rohstoff plastische, groovig animierten Gestalten modelliert, die mannigfaltige rhythmische und farbliche Aggregatzustände durchwandern. Mothwurf überblickt souverän ein reiches Vokabular an kompositorischen Mitteln, von der klassischen Moderne über zeitgenössische Tonsetzer:innen bis hin zur üppigen Geschichte des Jazz. Steve Reich steht neben Gil Evans. Dieser Mann verfügt trotz seiner jungen Jahre schon heute über eine genuin eigene, originelle Handschrift! In der kommenden Saison 2023/24 wird das Ralph Mothwurf Orchestra Stageband im Porgy & Bess sein, wo es 2019 sein fulminantes Debüt feierte und mit acht Uraufführungen ihres Bandleaders begeisterte.“
Redakteur Andreas Felber, ORF / Radio Ö1 / Spielräume
Kurdophone
„Das von Sänger, Tambur-Spieler und Komponist Omid Darvish gegründete junge Ensemble Kurdophone erweckt mit seiner kreativen Herangehensweise die kurdisch-iranischen Traditionen mit zeitgenössischen Elementen zu neuem Leben. Eine Band, die man definitiv im Auge behalten sollte.“
Katrin Pröll, Intendantin des Festivals Salam Orient
Sofia Labropoulou
„Sofia Labropoulou ist eine virtuose Kanun-Spielerin, die das Instrument mit ihrem innovativen Stil neu definiert. In ihren Kompositionen verbindet sie die Welten griechischer und mediterraner Volksmusik, klassisch osmanischer, westlicher experimenteller und zeitgenössischer Musik. Als Solistin arbeitet sie weltweit mit renommierten Musiker:innen und Orchestern zusammen. Seit kurzem lebt sie in Wien und hat hier ein bemerkenswertes 7-köpfiges Ensemble gegründet, das sicher noch viel von sich hören lässt.“
Katrin Pröll, Intendantin des Festivals Salam Orient
Orwa Saleh Ensemble
„In seinen Kompositionen verwebt Orwa Saleh alte syrische Geschichtenerzählungen mit Elementen aus Jazz und Rock zu mitreißenden Melodien. Das Ensemble rund um den Oud-Spieler muss man live erlebt haben. Die entfesselte Energie und der progressive Ansatz seines Oud-Spiels, die leidenschaftliche Spielfreude der Musiker:innen und die ausdruckstarke Stimme von Basma Jabr sorgen für unvergessliche Konzerterlebnisse.“
Katrin Pröll, Intendantin des Festivals Salam Orient