„Man muss erkennen, dass sich das Berufsbild sehr gewandelt hat“ – PETER TSCHMUCK im mica-Interview

Vom 27. bis zum 29. September 2016 finden an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) die siebenten WIENER TAGE DER MUSIKFORSCHUNG statt. Einmal mehr kommen Expertinnen und Experten aus aller Welt in Wien zusammen, um die aktuellen Themen der Musikwirtschaft und Forschung ausgiebig zu diskutieren. Dieses Mal soll den Fragen nachgegangen werden, wie erfolgreiches Selbstmanagement von Musikschaffenden im digitalen Umfeld funktioniert und welche Kenntnisse und Fähigkeiten dafür nötig sind. Der Initiator und Veranstalter der dreitägigen Konferenz, der Musikwirtschaftsforscher PETER TSCHMUCK, sprach mit Michael Ternai.

Wir leben im digitalen Zeitalter. Und in diesem haben sich die Mechanismen in der Musikwelt grundlegend verändert. Welche Fragen stellen sich heute?

Peter Tschmuck:  Durch die Digitalisierung sind große Veränderungen im Wertschöpfungsprozess eingetreten. Früher war alles sehr stark auf die CD, den Tonträger und das Plattenlabel konzentriert. Die gesamte Wertschöpfung hat sich jetzt aber in Richtung der Künstlerinnen und Künstler verschoben, beziehungsweise hin zu deren Management. Es stellen sich jetzt einfach die Fragen, welche Auswirkung diese Verschiebung hat, wie dieser Prozess abgelaufen ist und welche Folgen dieser hat. Es geht um eine wissenschaftliche Annäherung an dieses Phänomen. Die Folgen sind ja immer noch nicht klar absehbar.

„Man muss sich von den Modellen verabschieden, dass es lediglich darum geht, technisch hochversierte Künstlerinnen und Künstler auszubilden.“

Kann man sagen, dass die Musikwirtschaft in gewisser Weise neu gedacht werden muss? Inwieweit haben sich die Strukturen verändert?

Peter Tschmuck: Diese Veränderung hat natürlich die Strukturen verändert. Es ist aber jetzt nicht so, dass die Akteurinnen und Akteure zwangsweise weniger an Relevanz haben. Es hat sich einfach das Verhältnis zu den Künstlerinnen und Künstlern entsprechend verändert. Wir können beobachten, dass „Artist and Repertoire“ nicht mehr eine ausschließliche Funktion der Plattenfirma ist, sondern dass es mittlerweile an vielen Stellen stattfindet. Die Künstlerinnen und Künstler, die heutzutage einen bestimmten Erfolg haben, mussten sich bis zu einem bestimmten Grad selbst aufbauen. Das war vorher nicht notwendig. Das Modell sah früher so aus, dass man die Künstlerinnen und Künstler mittels A&R gefunden, in sie investiert, sie aufgebaut und ihnen auch die Chance gegeben hat, sich zu entwickeln. Das ist mittlerweile nicht mehr so. Die Künstlerinnen und Künstler müssen sich erst einmal auf dieses Niveau bringen, damit sie für die Akteurinnen und Akteure des Musikbusiness überhaupt interessant werden.

Daher ist es heutzutage wichtig, den Künstlerinnen und Künstlern auch die Instrumente in die Hand zu geben, mit denen sie sich leichter auf dieses Niveau bringen können. Diese sind unter anderem der zielführende Umgang mit den sozialen Medien, die Kenntnis von Urheberrecht und Verträgen sowie die Kenntnis von Marketingmechanismen, also der Mechanismen des Musikbusiness insgesamt. Und genau in diesem Punkt müssen die Bildungseinrichtungen, wie etwa die Musikuniversitäten, ansetzen. Man muss sich von den Modellen verabschieden, dass es lediglich darum geht, technisch hochversierte Künstlerinnen und Künstler auszubilden. Man muss erkennen, dass sich das Berufsbild sehr gewandelt hat. Im Klassikbereich genauso wie im Popbusiness.

Und genau hier kommt auch die Idee von „Career Centres“ an den Universitäten ins Spiel.

Peter Tschmuck: Genau. Wir wollen im Rahmen der Vienna Music Research Business Days die Rolle, Funktion und Wichtigkeit von „Career Centres“ an Musikuniversitäten näher beleuchten. Denn genau dort sollen den Musikschaffenden diese notwendigen und heute unverzichtbaren Skills auch gelehrt werden. Unter anderem zu dem Thema sprechen werden die beiden Expertinnen Angela Myles Beeching, die Autorin des Standardwerks „Beyond Talent“, und Gretchen Amussen von der Association Européenne des Conservatoires, Académies de Musique et Musikhochschulen, die in der Vergangenheit zu diesem Thema schon entsprechende Workshops geleitet hat.

Einen weiteren Schwerpunkt der Vienna Music Business Research Days bildet der Themenkomplex „Selbstmanagement“.

Peter Tschmuck: Wir wollen im Rahmen der Vienna Music Business Research Days auch verschiedene Konzepte des Selbstmanagements und der Künstlerentwicklung im digitalen Zeitalter vorstellen, diskutieren und aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Unter anderem jenes des „Organic Artist Management“. Und auch hier ist das Podium sehr prominent besetzt. Zu Gast ist unter anderem der britische Musikproduzent Stephen Power, der über die Jahre hinweg mit einer Vielzahl von Superstars wie etwa Robbie Williams, Kylie Minogue und Blur zusammengearbeitet hat. Ebenfalls zur Veranstaltung kommen der Manager von Stevie Wonder, Keith Harris, und die aufstrebende deutsch-britische Künstlerin Roxanne de Bastion, die selbst auch im Artist Management tätig ist.

„Es gilt, den Leuten klarzumachen, dass sie heute im Vergleich zu früher einfach viel selbstverantwortlicher agieren müssen.“

Wie sieht es Ihrer Meinung nach mit den österreichischen Musikschaffenden aus? Inwieweit haben sich diese den gewandelten Gegebenheiten angepasst? Wie kommen sie mit den Anforderungen zurecht?

Bild Peter Tschmuck
Bild (c) Peter Tschmuck

Peter Tschmuck: Ich glaube schon, dass die Musikschaffenden mittlerweile eine gewisse Sensibilität für dieses Thema entwickelt haben. Das kann man auch an manchen internationalen Karrieren von manchen österreichischen Musikerinnen und Musikern ganz gut beobachten. Trotzdem ist noch immer ein großes Defizit vorhanden. Viele beherrschen die grundlegenden Dinge einfach noch nicht zur Genüge, weil eben in der Ausbildung noch zu wenig Wert auf diese Aspekte gelegt wird. Das heißt, es kommen immer noch sehr viele aus dem künstlerischen Ausbildungsbereich, ohne mit dem entsprechenden Vorwissen behaftet zu sein. Viele haben wenig Ahnung davon, was ein Urheberrecht oder eine Verwertungsgesellschaft ist. Manche haben noch nie die Möglichkeit gehabt, einen Vertrag zu lesen. Daher ist es wichtig, dass man in gewissem Sinne auch aufklärerisch wirkt. Es gilt, den Leuten klarzumachen, dass sie heute im Vergleich zu früher einfach viel selbstverantwortlicher agieren müssen.

Denn erst wenn man in der Lage ist, alle diese Prozesse irgendwie selbst zu lenken, ist es möglich, eine Karriere erfolgreich zu gestalten. Wobei damit jetzt nicht gemeint ist, dass man alles nach dem DIY-Prinzip auch selbst macht. Man kann dieses „DIY“ auch als „Drive it yourself“ übersetzen. Sprich: Man hat die Kenntnis darüber, wie die Dinge laufen, wer einem wo und wie helfen kann und an welche kompetenten Partnerinnen und Partner, die für einen bestimmte Tätigkeiten umsetzen, man sich wenden kann. Das erspart natürlich viel Zeit. Zeit, die man für die künstlerischen Aktivitäten braucht.

Sie haben die Vienna Musik Business Research Days einst gegründet und begleiten sie bis heute. Was ist für Sie das besonders Spannende an dieser Veranstaltung?

Peter Tschmuck: Der spannende Aspekt an den Vienna Music Business Research Days ist, dass in deren Rahmen die akademische Forschung und die Praxiserfahrung zusammenkommen und aktuelle Forschungsergebnisse mit der Praxis im Musikbusiness konfrontiert werden. Man reflektiert die aktuellen Entwicklungen und Tendenzen gemeinsam. Es gibt zwar den „Invited Conference Day“, an dem fast ausschließlich Expertinnen und Experten zusammenkommen und ein bestimmtes Thema diskutieren, jedoch findet am Vortag die Präsentation von von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt eingereichten Papers zu unterschiedlichsten aktuellen Themen statt. Es sind sehr praxisnahe Themenfelder, die in diesem Rahmen abgehandelt und diskutiert werden. In diesem Jahr geht es unter anderem um die Themen „Streaming“, „Artist Management“ und „Musikpsychologie“.
Darüber hinaus gibt es auch einen „Young Scholar Workshop“, in dem Studierende auf Master- und PhD-Ebene ihre Projekte präsentieren und von Mentorinnen und Mentoren, die aus dem wissenschaftlichen Bereich kommen, Feedback bekommen.

Die Veranstaltung genießt mittlerweile auch international einen guten Ruf. Auf jeden Fall lassen die Namen der Expertinnen und Experten darauf schließen.

Peter Tschmuck: Ich denke auch, dass die Konferenz in der Scientific Community mittlerweile auf größeres Interesse stößt. Es kommen ja Leute extra aus Australien und USA angereist, um Vorträge zu halten und auch um ein Konferenzentgelt zu bezahlen. Das spricht eigentlich schon für das Standing der Veranstaltung. Aber dieses Community-Building ist auch genau das, was mir immer vorgeschwebt ist. Dieses ist mir ganz, ganz wichtig, weil es so etwas in der Art bislang ja gar nicht gegeben hat.

Es findet jetzt auch die erste Generalversammlung der IMBRA – so heißt die International Music Business Research Association abgekürzt – statt. Gedacht ist die IMBRA als Plattform für die Vernetzung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus diesem Bereich. Und entstanden ist sie eben aus der Konferenz.

Welche Themen, glauben Sie, werden die Musikwirtschaft in Zukunft beschäftigen?

Peter Tschmuck: Ich glaube, ein ganz wichtiges Thema wird das Rechtemanagement sein. Daten, Datenbanken und wie diese genutzt werden können. Der Streaming-Boom hat natürlich dazu geführt, dass heute unglaubliche Datenmengen generiert werden. Und das stellt die Betroffenen vor extreme Herausforderungen. Es geht um das Rechte-Clearing, das Reporting und die Analyse dieser Daten. In diesem Bereich gibt es eigentlich noch keine wirklich brauchbaren Ansätze. Das hat einfach damit zu tun, dass die Metadaten unglaublich fragmentiert und auf verschiedenste Player verteilt sind.

Dann gibt es mit der neuen Technologie „Blockchain“ auch wieder einen ganz interessanten Ansatz. Diese ist meiner Meinung nach etwas wirklich Neues. Natürlich muss einmal getestet werden, ob sie überhaupt eine Zukunft hat. Im Moment auf jeden Fall ist um diese „Blockchain“ ein ziemlicher Hype ausgebrochen. So zumindest meinem Eindruck nach. Dieses Thema eröffnet für die Zukunft viele Fragen. Da geht es eben um die Fragen, wie es mit dem Datenmanagement ausschaut, wie mit dem Rechtemanagement und der Transparenz der Datenflüsse. Das Besondere an der „Blockchain“ ist ja, dass man auf der einen Seite anonym ist und die eigene Persönlichkeit nicht offenlegen muss, auf der anderen Seite aber die Transaktionen für alle sichtbar sind, was heute im Musikbusiness ja immer noch nicht so der Fall ist. Das wird sehr spannend. Auf der einen Seite bringt die „Blockchain“ riesige Vorteile, denn man kann die Transaktionskosten senken und wirklich neue Geschäftsmodelle etablieren, auf der anderen Seite aber handelt es sich um eine Technologie, mit der die Musikindustrie noch nicht wirklich umgehen kann oder auf die sie wahrscheinlich wieder sehr vorsichtig reagieren wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

Michael Ternai


Vom Do-It-Yourself zum Drive-It-Yourself – Selbstmanagement in der digitalen Musikwirtschaft

Die 7. Wiener Tage der Musikwirtschaftsforschung, die vom 27.-29. September 2016 an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) stattfinden, gehen der Frage nach, wie erfolgreiches Selbstmanagement von Musikschaffenden im digitalen Umfeld funktioniert und welche Kenntnisse und Fähigkeiten dafür nötig sind.

Ihr Kommen zugesagt haben:

  • Gretchen Amussen, Dachverband der europäischen Musikuniversitäten und Konservatorien, Paris
  • Roxanne de Bastion, Musikerin, London
  • Keith Harris, Manager von Stevie Wonder, London
  • Martin Lücke, Macromedia Hochschule, Berlin
  • Angela Myles-Beeching, Manhattan School of Music/New York und Autorin von “Beyond Talent”
  • Stephen Power, Musikproduzent (Robbie Williams, Blur, Joe Cocker, Diana Ross uvm., London
  • Johannes Ripken, Musikwirtschaftsberater, Kiel und Autor von “Organic Artist Development”
  • Stefan Simon, Leiter des Career Centers an der Hochschule für Musik Detmold

Wann: 27.-29. September 2016

Wo: Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Anton-von-Webern-Platz 1, 1030 Wien

Programm: https://musicbusinessresearch.wordpress.com/vienna-music-business-research-days-2/

Tickets um EUR 49.- für passive Teilnahme: https://www.ticketgarden.com/en-at/tickets/vienna-music-business-research-days-2016-vmbrdays-2016-conference/

Rückfragen: music.business.research@gmail.com

Link:
Vienna Music Business Research Days