PARENTHOOD IN MUSIC –  Die Waves Vienna ConfErENCe 2022 im Rückblick

Das Panel „Parenthood in Music“ knüpft gedanklich an eine frühere Ausgabe der Waves Conference an. 2018 stellte die Conference die Frage, ob eine Karriere im Musikbusiness mit einem Familienleben vereinbar ist. Eine eindeutige Antwort gibt es darauf bislang nicht, aber es gibt Menschen, die sich aktiv um Veränderungen bemühen. Was sind deren persönliche Erfahrungen und Lösungsvorschläge? Welche Initiativen und Best Practices sollte man stärker ins Rampenlicht rücken? Wie kann man innerhalb der Musikbranche generell ein größeres Bewusstsein für das Thema schaffen? Das Panel wurde von MEWEM – Mentoring Programme for Women and FLINA in the Music Industry gehostet.

Unter der Moderation von ARIANNA FLEUR ALFREDS – selbst Mutter mit Job im Musikbusiness und Partnerin eines Musikers – diskutierten JAN CLAUSEN, Managing Partner bei Factory 92, OLE FELTES von Ticketmaster, die Singer-Songwriterin VIOLETTA PARISINI und MARIT POSCH, General Manager Germany für den Digitalvertrieb IDOL und Mitbegründerin der Initiative Parenthood in Music am ersten Tag der Waves Conference 2022.

Glaubt man dem YouTube-Video, das zum Auftakt der Diskussion gezeigt wurde, gehören die Jobanforderungen einer „Mutter“ oder eines „Vaters“ zu den härtesten – und das ohne Bezahlung! Arianna Alfreds verweist auf Parallelen zwischen den Anforderungen in der Musikindustrie und die eines Elternteils: Beide „Jobs“ erfordern ein hohes Maß an Verfügbarkeit, es gibt wenig Distanz zwischen Arbeit und Privatleben während man gleichzeitig in verschiedenen Rollen schlüpft. Was passiert, wenn man zwei herausfordernde Jobs zugleich hat?

Als ihr erstes Kind kam, hatte Violetta Parisini vor, ihre Musikkarriere wie bisher zu verfolgen und nahm es – unterstützt durch ihren Partner – auch mit auf Tour. Als ihr zweites Kind drei Monate alt war, hatte sie während einem ihrer Konzerte ein Schüsselerlebnis: Violetta hatte das Gefühl, nichts mehr geben zu können. Als Konsequenz strich sie alle Termine der kommenden zwei Jahre. „Karrieremäßig war das ein Fehler, musikalisch betrachtet nicht“, sagt sie rückblickend. Auf diese Weise konnte sie sich Raum schaffen, um sich künstlerisch neu zu erfinden. In dem Zusammenhang sei es wichtig, über Privilegien zu sprechen, denn sie konnte es sich leisten, sich viel Zeit bis zu ihrem nächsten Album zu geben. Zudem sie lebe in einer Partnerschaft, in der 50:50 selbstverständlich ist.

Bild parenthood panel
Parenthood Panel Waves Vienna 2022 (c) Alexander Galler

„Es kommt darauf an, wie die Unternehmenskultur tatsächlich gelebt wird. Auch die Einstellung deines direkten Vorgesetzten ist maßgeblich.

Für Firmen im Musiksektor sind die Lebensumstände von Mitarbeiter*innen mit Kindern und deren Bedürfnisse teilweise noch Neuland. Vor allem der Wunsch eine Zeit lang weniger zu arbeiten, oder im Rahmen einer Väterkarenz zu pausieren, kann auch auf Unverständnis stoßen. Ole Feltes hat als Familienvater unterschiedliche Erfahrungen bei Unternehmen in der Musikbranche gemacht, positive wie negative. Gefragt nach den Ursachen, verweist er auf die Unternehmenskultur: „Es kommt darauf an, wie die Unternehmenskultur tatsächlich gelebt wird. Auch die Einstellung deines direkten Vorgesetzten ist maßgeblich.“ Wichtig sei es, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die für beide Seiten passen.

Mitarbeiter*innen ein großes Maß an Flexibilität hinsichtlich Arbeitszeiten und -tätigkeiten zu schenken ist für Jan Clausen ein wichtiger Punkt. „Einen Laptop bereit zu stellen, mit einem Cloud-system zu arbeiten sind die Voraussetzungen für ortsunabhängiges Arbeiten“, lässt er uns wissen. Durch Corona habe seine Agentur viel gelernt; auch die Tagesstrukturen von Kolleg*innen mit Kindern zu kennen, helfe insgesamt. Außerdem sei es im Musikbusiness üblich, sich nach einer intensiveren Arbeitsphase auch ein paar Tage frei zu nehmen. Für den Fall, dass Kolleg*innen längere Zeit pausieren müssten, würden das Team von Factory 92 sie klarerweise vermissen – weil alle sehr gute und wichtige Arbeit leisten. Es soll aber möglich gemacht werden, denn für Jan Clausen ist es völlig normal, sich gegenseitig zu unterstützen – egal worum es sich handelt: „Wenn dein Team gesund und happy ist, ist es ein gutes Team. Work is finding solutions.“

Würden Chefs, die selbst keine Erfahrung mit Kindern zu Hause gemacht haben, ebenso handeln? Hier braucht es eben auch Role-Models, denn wer selbst keine Kinder hat, denkt eher nicht an die Bedürfnisse, die damit einher gehen können. Marit Posch bestätigt, dass Empathie und Verständnis die ersten Schritte sind: „Sobald man miteinander spricht, verstehen die Leute das Ringen, kommen vielleicht darauf, dass man ähnliche Bedürfnisse hat – auch wenn es um ein anderes Thema geht.“ Sie unterstreicht, dass Maßnahmen, wie Meetings so anzusetzen, dass sie mit einem Familienleben vereinbar sind, gut in bestehenden Strukturen umzusetzen sind – und letztendlich das gesamte Team davon profitiert.

„Größere Unternehmen müssen sich mittlerweile damit auseinandersetzen, denn jeder braucht gute Fachkräfte, speziell in der Liveindustrie, wo ein großer Mangel Herrscht.”

Marit Posch gründete die Initiative “Parenthood in Music” und arbeitet daran, Eltern in der Musikindustrie sichtbar zu machen, indem sie u.a. Zahlen und Fakten präsentiert. Marit nennt einige, wie den Gender-Pay-Gap, der in ganz Deutschland bei 19% liegt, innerhalb der deutschen Musikindustrie aber bei 25% und folgert: „Wenn du als Frau weniger verdienst, als dein Partner macht es finanziell einen Unterschied, wer zu Hause bleibt.“ Hier müsse man auf politischer Ebene ansetzen, ebenso wie innerhalb der Strukturen der Unternehmen und der Musikindustrie selbst. „Frauen werden gefragt, wer sich um die Kinder kümmert, männliche Kollegen nie! In unseren Köpfen ist die klassische Rollenaufteilung noch immer verankert. Größere Unternehmen müssen sich mittlerweile damit auseinandersetzen, denn jeder braucht gute Fachkräfte, speziell in der Liveindustrie, wo ein großer Mangel herrscht.“

Innerhalb einzelner Unternehmen gibt es vermehrt Initiativen auf der, wie Marit Posch es nennt, Empathie-Ebene. Die Initiative Musik, eine Förderstelle für Musiker*innen in Deutschland, erhöht wiederum Stipendien, die von Eltern genommen werden, um einen gewissen Betrag. Zudem fragen mittlerweile einzelne Festivals im Zuge ihre Bookings bei den Artists an, ob sie ihre Kinder dabeihaben, ein extra Bett im Hotel, Kinderbetreuung oder Backstage ein ruhiges Zimmer brauchen, weil gestillt wird. Je mehr man darüber spricht, desto stärker gerät das Thema ins Bewusstsein – man müsse proaktiv nach solchen Angeboten fragen. Im Wissen, dass es speziell für Newcomer-Artists schwer ist, Dinge einzufordern, rät Marit aktiv nach Support für Musiker*innen mit Kindern einzufordern. Violetta Parisini, die als Musikerin einen hohen Bekanntheitsgrad hat, kontert, dass auch sie sich nicht in dieser fordernden Position sieht, obwohl viele in der Szene wissen, dass sie Kinder hat. Das Problem sei größer als die Musikindustrie; auch das Geschlecht spiele eine große Rolle: „Wir sprechen über Mütter,“ denn die meisten Schwierigkeiten beträfen Frauen. Sie schlägt eigene Stipendien für Künstler*innen, die gerade Mutter geworden sind, vor. In jedem Fall sollte es in den ersten Jahren finanziellen Support für Musiker*innen mit Kindern geben „denn wir ziehen die nächste Generation groß“.

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„Als ich über Musikvideos nachdachte, kamen wir – marketingtechnisch betrachtet – zu dem Punkt, dass es auch ein Vorteil ist, dass ich Mutter bin!

Angesprochen auf Best-Practices nennt Ole Feltes auch die nachkommende Generation. Er lege sehr viel Wert auf unterschiedlich zusammengesetzte Teams, die einander den Rücken stärken. Er habe beispielsweise zwei Teilzeitkräfte (anstelle einer Vollzeitkraft), die exzellente Arbeit leisten. Jan Clausen verweist auf den Stellenwert eines Team-Kalenders, in den jede*r seine Auszeiten eintragen kann.

In wie weit zeigt man sich als Musiker*in überhaupt in der Elternrolle? Hier lassen wir nochmals Violetta Parisini, die einzige Musikerin auf dem Panel, zu Wort kommen: „Als ich über Musikvideos nachdachte, kamen wir – marketingtechnisch betrachtet – zu dem Punkt, dass es auch ein Vorteil ist, dass ich Mutter bin!“ Für Violetta ist es wichtig, das gesamte Bild einer Künstlerin, eines Künstlers, zu zeigen, sie habe aber größten Respekt und volles Verständnis für alle, die sich entscheiden, ihre Elternschaft nicht zu thematisieren. 2020 startete Parisini einen Blog, in dem sie über Mutterschaft, Elternrollen und Musik schrieb und erhielt enormes Feedback. Spätestens hier realisierte sie, wie wichtig es ist mit dem Thema nach außen zu treten: „Ich bin keine unnahbare Künstlerin, es ist nicht fancy, es ist unverblümter Alltag. Für mich war das die richtige Entscheidung!

Zum Abschluss des Panels blendet Arianna ein Foto ihres Sohnes, wie er zu Beginn eines Konzertes im Stadion steht. Dazu der Slogan: It‘s not all bad!

Bild Kind hinter Bühne
Bild (c) Arianna Alfreds

Alle Teilnehmer*innen wurden angeregt auch den Workshop „How to improve the conditions for parents in the music business?“ zu besuchen. Begleitet von anschaulichem Datenmaterial wurde am zweiten Konferenztag in einer kleinen Runde diskutiert, persönliche Erfahrung ausgetauscht und an einem Paper für Zukunft gearbeitet. Und, wer weiß, vielleicht gibt es bei der nächsten Ausgabe von Waves Vienna Festival & Conference schon etwas davon zu bemerken…

Liste der Ressourcen aus dem Panel:

Matricalis: https://www.matricalis.com/about
Parenthood in Music: www.parenthoodinmusic.com
Swedish “Checklist for Gender Equality in Your Everday Life”
shesaid.so Parenthood Committee
PiPA: Parents & Carers in Performing Arts
Mamas in Music: www.mamasinmusic.com
Serie: „Musikleben mit Kindern” mica – music austria / Austrian Music Export)

Ruth Ranacher

Links:
Parenthood im music hosted by MEWEM (YouTube Live-Stream URL)
MEWEM – Mentoring Programme for Women and FLINA in the Music Industry
Waves Vienna Festival & Conference
Initiative Musik
Factory 92Ticketmaster
Violetta Parisini