ANTONIA XM ist nicht Taylor Swift, das ist eine gute Nachricht, wenn man nicht so auf Happy-Go-Lucky-Songs steht. Die Halb-Wienerin-Halb-Berlinerin (wortverbindende Kreationen werden mit dem Fegefeuer bestraft) schmiert sich lieber Kunstblut ins Gesicht und gießt Blumen generell mit Weltschmerz. Muss man mögen. Sollte man vermutlich! Und kann man jedenfalls mit der neuen EP von ANTONIA XM ganz leicht: „blurry” (VÖ: 12.1.24) ist auf dem Label ASHIDA PARK erschienen, das ANTONIA MATSCHNIG, wie XM eigentlich heißt, seit 2016 mit Markus Blahuš betreibt. Ein Talk zum Thema, über das Theater – und auch über Taylor.
Du wohnst mittlerweile in Berlin, oder?
Antonia XM: Ja, die Hälfte meiner Zeit verbringe ich dort. Ich spüre aber schon: Der Vibe in Berlin ist, na ja … Kaum jemand hat mehr Lust, sich den Struggle anzutun. Ich frage mich manchmal selbst, warum ich nach Berlin gezogen bin, dabei wollte ich immer hin, weil ich nicht nur in Wien leben will.
Warum?
Antonia XM: Du hast hier schnell alles erreicht. Außerdem kommst du schwer aus der eigenen Bubble raus. Das geht in Berlin einfacher, auch wenn ich manche Dinge in Wien erst mit der Distanz zu schätzen gelernt habe. Gerade die Party Culture in Wien hat schon was – eben weil die Stadt nicht der Hub dafür ist. Wenn die Leute hier eine Veranstaltung machen, steckt ihr Herz drin. Spielt endlich mal ein Act, auf den du zwei Jahre gewartet hast, merkst du die Energie. Das ist in Berlin anders, es passiert dauernd was.
Also: zu viel?
Antonia XM: Es fühlt sich ein bisschen übersättigt an, dazu kommt der Vibe – wobei die Stimmung gefühlt gerade überall nicht so toll ist. Das war direkt nach Corona anders. Die Kids kamen plötzlich zum Feiern. Alle legten Pop-Edits auf. Das passt jetzt nicht mehr in die Zeit, oder? Jedenfalls bewege ich mich in Berlin nicht so sehr in dieser kommerziellen Club-Szene. Ich bin ja nicht wegen Techno hingezogen.
Sondern?
Antonia XM: Ich mag, dass du so viele internationale Leute triffst und alle ein bisschen insane sind. Man hat jedenfalls das Gefühl, dass man machen kann, was man will und sich für nichts rechtfertigen muss, weil man sich nicht anpassen muss. In Wien schauen dich die Leute schon an, wenn du eine auffällige Jacke trägst. Deshalb ziehen viele weg, was schade ist, weil man auch hier in einer Szene arbeiten könnte – auch wenn man schneller als in Berlin an Grenzen stößt.
Ja?
Antonia XM: Oft habe ich das Gefühl, dass sich Leute hier einem Ding unterordnen – zum Beispiel schnelle, harte Edits von Pop-Songs. Mit Ashida Park und in meiner Musik möchte ich aber nie nur einer Richtung folgen. Ich verwende interessante Elemente davon, die mich berühren. Gleichzeitig will ich aber nach mir klingen. Das führt dazu, dass uns viele Leute nicht einordnen können, weil wir eben nicht nur dieses eine Ding machen. Dabei ist meine Musik gar nicht so experimentell, sondern sogar recht zugänglich. Trotzdem lässt sie sich nicht in ein Playlist-Genre einordnen.
Weil sie sich nicht auf so etwas wie Genre reduziert?
Antonia XM: Ich habe eine Zeitlang viel Gabber und Trance aufgelegt. Das war vor Covid, damals war die Musik noch nicht trendy. Die Leute haben das nicht verstanden, sie fanden es too much. Irgendwie habe ich aber gespürt, dass das kommen wird. Also habe ich mir versprochen, nicht dann damit aufzuhören, wenn es trendy ist. Plötzlich haben alle Trance aufgelegt und ich nur so: Oh Gott, ich muss damit aufhören!
Und, hast du?
Antonia XM: Ich würde mir wünschen, dass ich mir dafür nicht zu fad wäre und endlich mal den Hype mitnehmen könnte. Ich habe es aber nicht geschafft. Mir ist einfach zu langweilig geworden. Plötzlich war ich mittendrin in einer DJ-Krise.
Wie bist du damit umgegangen?
Antonia XM: Ich hatte einige kommerzielle Bookings. Es kam mir aber so seelenlos vor, dass ich gar keine Lust mehr aufs Auflegen hatte. Also habe ich an meinem eigenen Live-Projekt gearbeitet und bin draufgekommen, dass ich einfach das spielen muss, was ich spielen will. Damit habe ich zwar Bookings verloren, aber den Spaß zurückgewonnen.
Hast du nach deinem HÖR-Set mehr Bookings bekommen?
Antonia XM: Ja, schon! Mich nervt es aber mittlerweile, weil das Set einen Zeitpunkt abbildet, der für meinen jetzigen Geschmack viel zu technoid ist. Die Leute hören das Set und reduzieren mich darauf. Das mag ich nicht, weil ich sehr picky bin, was ich spiele. Das heißt: Ich spiele nie lange dasselbe, weil mir schnell fad wird.
„TAYLOR SWIFT, ABER GOTH AS FUCK.”
Hast du deshalb angefangen zu singen?
Antonia XM: Ich habe früher immer gesungen. Am Anfang war es trotzdem stressig, die eigenen Songs zu performen.
Du meinst, so richtig mit Akustikgitarre und Taylor-Swift-Vibes?
Antonia XM: Lustig, man hat mich in der letzten Zeit immer wieder mal mit ihr verglichen. Die Leute sagen dann zu mir: Taylor Swift, aber goth as fuck!
Ja, genau.
Antonia XM: Dass ich mit der Akustikgitarre auftrete, führt mich in meine Jugend. Ich war ein Indie-Girl, habe Pete Doherty gehört. Mit 16 habe ich UK Bass entdeckt und danach alles an elektronischer Musik durchgemacht – bis ich gemerkt habe, dass ich das Akustische mit dem Elektronischen verbinden kann. Das ist auch der Kerngedanke von Ashida Park. Es geht nicht um einen bestimmten Stil, sondern um ein konkretes Gefühl, das sich nicht auf ein Genre beschränkt.
Ist das eher ein trauriges Gefühl, ein …
Antonia XM: Weltschmerz, ja! In meiner Musik kann ich mich auskotzen und ein bisschen Frieden finden. Das mag sad klingen. Ich mag aber sowieso keine happy Musik.
Weil sie vorgibt, was du zu fühlen hast?
Antonia XM: Ist das nicht bei sad Musik auch so?
Die Melancholie lässt das Vorgegebene eher verschwimmen, nicht?
Antonia XM: Vielleicht lässt sie mehr Raum, ja. Trotzdem kommen traurige Songs grundsätzlich schlechter an als positive. Das heißt: Wenn sie in die Charts sollen, müssen die Songs happy oder zumindest verdeckt traurig sein.
Du willst nicht in die Charts.
Antonia XM: Ohne jetzt edgy klingen zu wollen: Die meiste Musik, die ich mir anhöre, hat ein paar Hundert Klicks auf Soundcloud. Gleichzeitig kann ich nicht verstehen, wie mancher Bullshit so viele Klicks bekommen kann. Mit Ashida haben wir jedenfalls keinen einzigen Song auf einer Playlist bei Spotify gelistet.
Obwohl nischigere Musik längst in den Pop überschwappt.
Antonia XM: Viele Produzierende aus Underground-Circles sind in Pop-Projekte involviert, stimmt. Hör dir Sega Bodega, Arca, SOPHIE an. Die kamen alle aus einer Subszene und sind im Pop gelandet. Ich hab sogar mal vor SOPHIE aufgelegt – eines meiner ersten DJ-Sets im Club, ich war so nervös!
Mittlerweile produzierst du auch fürs Theater, hattest Stücke in Wien oder Stuttgart.
Antonia XM: Ich habe bisher nur mit Matthias Köhler zusammengearbeitet, ein Regisseur, der offen für meinen Ansatz ist. Meine Musik fürs Theater ist nämlich ähnlich zu der meines Soloprojekts. Ich produziere viele darke Soundscapes. Im Theater habe ich aber die Freiheit, dass sie nicht so catchy sein müssen wie in einem Song, weil die Musik nie das einzige Medium ist.
Das heißt, zukünftig mehr Theater?
Antonia XM: Es interessiert mich jedenfalls. Das Theater gibt mehr Struktur vor als ein Solo-Musiker:innen-Life. Außerdem finde ich es nice, nicht andauernd im Mittelpunkt zu stehen. Ich arbeite im Hintergrund. Die meisten Leute achten nicht mal auf die Musik – oder lassen sie aus, wenn sie namentlich auf dem Plakat stehen sollte. Trotzdem: Der Sound in den Theatern ist immer gut, du kannst deine Musik laut spielen und es klingt crazy.
Das ist in Clubs …
Antonia XM: Eher nicht so. Zumindest in Wien stört es mich extrem, weil oft nur das Minimum an Equipment und Sound zur Verfügung gestellt wird. In vielen anderen europäischen Städten würde das nie durchgehen! Hier kämpfst du darum, dass du einen CDJ bekommst, der nicht vor 15 Jahren aktuell war. Gerade am Anfang, als ich noch nicht so viel Selbstbewusstsein hatte, war es mir trotzdem unangenehm, nach Technik zu fragen. Es hieß dann gerne: Warum brauchst du das? Inzwischen weiß ich, dass ich darauf bestehen darf. Das Ding ist: In Berlin muss ich nie danach fragen, weil dort ein anderer Standard gegeben ist. Wahrscheinlich bin ich deshalb dorthin gezogen!
„INZWISCHEN WEISS ICH, DASS ICH DARAUF BESTEHEN DARF.”
Zwei Fragen zum Ende, die erste: Was kotzt dich gerade an?
Antonia XM: Dass mir als Frau oft abgesprochen wird, dass ich alles selbst produziere. Ein Beispiel: Bei meinen letzten zwei Live-Gigs hat Ybsole für mich aufgelegt. Nach den Gigs sind mehr Leute zu ihm als zu mir, weil sie geglaubt haben, dass er die Musik macht. Er hat ihnen dann erklärt, dass er nur Play drückt. Trotzdem meinten die Leute dann: good job! Dabei mache ich während den Songs extra Shoutouts an Produzierende, mit denen ich kollaboriere. Übrigens: Bei Ashida Park war das gerade am Anfang ähnlich: Ist es ums Business gegangen, hat man Markus angeschrieben. Sollte es eine Representation für irgendein Festival geben, wollte man mich. Das war auch für ihn frustrierend, weil er nicht als Artist wahrgenommen wurde.
Zweite letzte Frage: Was schätzt du an dir?
Antonia XM: Gute Frage … Hm … Es ist schwierig, über sich etwas zu sagen, das man an sich mag … Na ja, vielleicht … Also … Ich schätze mich dafür und ich hasse mich manchmal auch dafür, aber … Ich mag, dass ich mir von Leuten nichts vorbestimmen lasse. Das heißt: Ich ziehe mein eigenes Ding durch und lass mich nicht mitreißen. Das ist meistens schwierig. Vielleicht mag ich es deshalb so sehr.
Danke für deine Zeit!
Christoph Benkeser
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Links:
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