Die Musikerin, Komponistin und Produzentin Zahra Mani ersucht in einem offenen Brief die ORF-Verantwortlichen dringend, auf die Bedürfnisse der HörerInnen, GestalterInnen und Kulturschaffenden zu hören und die wertvollen Formate im Ö1 aufrecht zu erhalten.
Sehr geehrte Frau Hörfunkdirektorin Thurnher!
Sehr geehrter Herr Generalsekretär Weissman!
Sehr geehrter Herr Programmchef Bernhofer!
To whom it may concern!
Ich schreibe Ihnen im Zusammenhang mit den geplanten Änderungen und Streichungen im ORF Radioprogramm.
Ich weiß, dass Sie aus breiten Teilen der österreichischen und internationalen Kulturlandschaft Briefe erhalten, ich habe an einigen mitgewirkt und einige unterschrieben, empfinde aber ein tiefes Bedürfnis, Ihnen aus meiner persönlichen Perspektive als Komponistin, Kuratorin und Cultural Advocate zu schreiben.
Der Kulturauftrag vom Ö1 ist inhärent und die Idee, Formate wie Kunstradio oder Zeit-Ton zu streichen birgt eine weitreichende Gefahr für den Kulturstandort Österreich in sich. Da Sie sich zum “Auftrag und Anspruch, […] der heimischen Kreativszene als Auftraggeber, Plattform und Multiplikator zu dienen” (Der Standard, 2.10.2022) bekennen, müssen ganz einfach Kunstradio und Zeit-Ton bleiben.
Ich lebe und arbeite seit über 20 Jahren in Österreich – als Komponistin, Musikerin, Kuratorin und in den letzten Jahren auch in der erweiterten Kulturvermittlung und Advocacy auf nationaler und europäischer Ebene.
Die Kunstradio-Stücke, die ich alleine oder kollaborativ seit 2003 geschaffen habe, dokumentieren einerseits meine künstlerische Sprache und kompositorischen Weg, andererseits zeigen sie auch viele wesentliche vernetzende Aspekte der Plattform Kunstradio-Radiokunst auf.
Das Programm, von Heidi Grundmann ins Leben gerufen und seit vielen Jahren von Elisabeth Zimmermann vorbildhaft geleitet, ist internationaler Impulsgeber.
Radiokunst ist ein Genre, das ohne das Format ORF Ö1 Kunstradio nicht in der heutigen Form existieren würde. Monumentale Klangausstellungen wie “Audiosfera” (Museo Nacional de Arte Reina Sofia Madrid, Spanien Oktober 2020 – Januar 2021) wären genauso wenig zustande gekommen wie die gelebte Welt der Radiokunst, die von Europa bis nach Australien, Nord- und Südamerika reicht.
Meine Musik, meine Klangsprache, und meine internationale Vernetzung und die von unzähligen Kolleginnen und Kollegen wären ohne Kunstradio ganz anders. Eine junge Generation von “NachwuchskünstlerInnen” zeigt, wie relevant Kunstradio als Plattform und Bühne in der heutigen Welt ist.
Wenn Sie das Programm als “Randzone” abtun, nehmen Sie gleichzeitig einer vielleicht aus Ihrer Sicht kleinen, niederschwelligen, aber einer extrem kreativen und ausdrucksstarken KünstlerInnen-Gemeinschaft ihren Nährboden, ihre Plattform, Galerie und Ausstellungsfläche weg.
Es wäre auch ein sehr großer Verlust, sollte die Möglichkeit der Radioproduktionen und Studiozeit für KünstlerInnen reduziert werden. Ö1 ist für viele von uns auch ein Ort für Kunstproduktion, sowohl in Prozessen von kollaborativen Aufnahmen und Produktionen als auch für Live-Sendungen, wo KünstlerInnen, RedakteurInnen und TechnikerInnen gemeinsam gestalten.
Österreich wird international als Vorreiter in diesem Bereich hochgehalten – der drohende Verlust dieser Plattform ist erschreckend und nicht tragbar.
Die Vernetzug der zeitgenössischen MusikerInnen, KomponistInnen und KlangkünstlerInnen in Österreich ist so eng mit Zeit-Ton, Kunstradio und mit der Jazz Nacht verbunden, dass der Wegfall dieser Formate ohne jegliche Übertreibung den Verlust einer kulturellen Identität bedingen würde.
Als Obfrau vom Verein Klanghaus und Mitglied meherer Konsortien, die EU Creative Europe Projekte durchgeführt haben, verweise ich auch gerne auf die Signifikanz von Ö1 als Partner, Vermittler, Kommunikator und Vernetzer über Grenzen hinweg. Wir haben in den letzten 10 Jahren komplexe simultane Netzwerkprojekte mit Kunstradio realisieren können, die von den Projektpartnern und der EU als Best Practice Projekte gelobt wurden. Nur über Kunstradio war es möglich, Wien in Echtzeit mit Studios in Pula, Belgrad, Ljubljana, Prag und San Marino zu verbinden und das Schaffen von KünstlerInnen, die im Äther verbunden waren, in die Privathaushälter und Autos von HörerInnen in ganz Europa gleichzeitig zu übertragen.
Die “Randzone” hat massive Ausstrahlungskraft. In meiner Konzerttätigkeit treffe ich in ganz Österreich BesucherInnen aller Altersgruppen und Demografien, die mir wiederholt erzählen, dass sie Kunstradio bzw. den Kunstsonntag regelmäßig hören.
Als Kulturvermittlerin bin ich Mitglied des österreichischen UNESCO Fachbeirates und der ARGE kulturelle Vielfalt, sowie Vizepräsidentin der European Composers & Songwriters Alliance ECSA. Alle dieser Organisationen kümmern sich um die Rechte und faire Repräsentation von Kunstschaffenden und kulturellen AktuerInnen. Wir sind der Überzeugung, dass die kulturelle Vielfalt der Gesellschaft und der Kunst in den öffentlich-rechtlichen Medien Platz braucht. Die zeitgenössische Musik, Klangkunst und der gelebte Kulturbetrieb in Österreich haben unter Covid gelitten und sind jetzt mit der Teuerung und der Energiekrise konfrontiert. Die Vernetzung und Kommunikationsplattform, die wir im und mit Ö1 haben, ist eine Grundlage unseres Berufslebens und Schaffens.
Ihnen wird sicherlich die anhaltende Thematik der Fairness im Kunst- und Kulturbereich bekannt sein. Fairness bedarf Dialog, Gesprächskultur und Solidarität. Die Umbrüche der letzten Jahre werden sicherlich für die ORF MitarbeiterInnen, die aus der Argentinierstraße ausziehen mussten, ganz besonders spürbar sein. Auch in diesem Zusammenhang finde ich das Timing und den Umgang mit den postulierten Programmkürzungen zutiefst unglücklich und bin der festen Überzeugung, dass es eine offene Diskussion unter Einbeziehung aller Betroffen bedarf.
Ich ersuche Sie, dringend auf die Bedürfnisse der HörerInnen, GestalterInnen und Kulturschaffenden zu hören und die wertvollen Formate im Ö1 aufrecht zu erhalten.
Mit freundlichen Grüßen,
Zahra Mani
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