Die Austrian Composers Association fordert in ihrem offenen Brief alle ORF-Verantwortlichen dazu auf, sämtliche Pläne einzustellen, die den Weiterbestand wichtiger Sendungen, die wesentlich zur Kulturvermittlung in Österreich und zur internationalen Vernetzung von in Österreich lebenden KomponistInnen und Kunstschaffenden beitragen, gefährden.
Sehr geehrter Herr Generaldirektor Mag. Roland Weißmann!
Sehr geehrte Frau Kaufmännische Direktorin Eva Schindlauer, BSc!
Sehr geehrte Frau Radiodirektorin Ingrid Thurnher!
Sehr geehrter Herr Programmleiter Dr. Martin Bernhofer!
Sehr geehrte Damen und Herren des ORF Stiftungsrates!
Zur Kenntnis an:
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc!
Sehr geehrter Herr Vizekanzler Mag. Werner Kogler!
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin (BMKÖS) Mag.a Andrea Mayer!
Sehr geehrte Frau Abteilungsleiterin (BMKÖS) MMag.a Brigitte Winkler-Komar!
Die geplanten Änderungen im Ö1 Programm lösen Entsetzen in weiten Teilen der österreichischen Kulturlandschaft aus. Die Musik-Magazine „Zeit-Ton“, „Lange Nacht der Neuen Musik“ und die „Jazznacht“, sowie das Klangkunst-Magazin „Kunstradio“ sind Formate, die zeitgenössischen KomponistInnen und Musikschaffenden unersetzbare Plattformen bieten.
Der öffentlich-rechtliche Kulturauftrag des österreichischen Rundfunks ist im ORF Gesetz festgeschrieben und u. a. durch o. g. Programme gewährleistet.
„Zeit-Ton“ und die „Lange Nacht der Neuen Musik“ sind einzigartige Programmschienen für zeitgenössische Musik, Performance-Kunst und Klangkunst in Österreich, für VeranstalterInnen, InterpretInnen und KomponistInnen, die durch internationale Vernetzung die österreichische Kulturlandschaft prägen. Diese Sendungen bieten mit ihren Porträts und Interviews, Berichten über CD-Neuerscheinungen, sowie Sendungen zu besonderen Anlässen und Themen wichtige Plattformen zur Verbreitung des künstlerischen Schaffens von lebenden KomponistInnen.
„Kunstradio“ wurde 1987 von Heidi Grundmann initiiert und ist ein internationales Vorbild. Das Format ist Broadcasting, Galerie und in gewisser Weise auch ein Label. Durch die EBU-Vernetzung werden von Ö1 kommissionierte Werke in ganz Europa ausgestrahlt. Meilensteine wie Streaming-Events und die ersten 5.1 Ausstrahlungen sind sowohl für die Radiokunst als auch für Radiogeschichte und Radiokultur von unermesslicher Signifikanz. Das fortwährende Engagement des Kunstradio-Teams strahlt in die ganze Welt hinaus.
Die „Jazznacht“ bietet mit ihren Sendungen seit Jahren der österreichischen Jazzszene eine Plattform. Neben renommierten KünstlerInnen finden vor allem Nachwuchs-KünstlerInnen der Jazzszene hier eine Bühne für ihre internationale Weiterentwicklung. Auch steht die „Jazznacht“ mit der Einladung „Cross-OverkünstlerInnen“ immer wieder für die Offenheit der Szene, sowie die Verwobenheit der verschiedensten Musikrichtungen und das Innovationspotential im Jazz in diesem Land.
Die Vernichtung der Programme, die im österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zeitgenössische Kunst und Kultur vermitteln, würde nicht nur das Ende eines wesentlichen Kommunikationsmediums für KomponistInnen und Kulturschaffende mit sich bringen, sondern eine Kette an Verlusten für Vereine, VeranstalterInnen, InterpretInnen, Ensembles, Orchester, KuratorInnen, Institutionen, Verlage, Labels und somit für große Teile des Kreativsektors in Österreich mit sich ziehen – ein Kahlschlag für eine ganze wirtschaftliche Wertschöpfungskette, die mit der Produktion der betroffenen Musikstile zu tun hat.
Ö1 muss alljährlich, wie alle ORF-Programme, eine minutengenaue Aufstellung über die Präsenz österreichischer, zeitgenössischer Musikproduktion abliefern. Bisher war Ö1 nicht zuletzt wegen „Zeit-Ton“, „Jazznacht“ und „Kunstradio“ eine verlässliche „Bank“ in dieser Quotenaufstellung. Das wird – für die ORF-Radios – traurige Geschichte sein, wenn die Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden.
Insgesamt würden pro Jahr 630 Stunden zeitgenössischer, größtenteils österreichischer Musik Sendezeit für Jazz, Zeitgenössische Musik und Klangkunst wegfallen.
Das betrifft aber auch – bei „Zeit-Ton“ und „Kunstradio“ beispielsweise – insgesamt rund 5 Millionen HörerInnen pro Jahr, weil laut Radioforschung bei „Zeit-Ton“ und „Kunstradio“ mehr als 15.000 HörerInnen pro Sendung spätabends zuhören.
Ö1 als „größter Konzertsaal“ Österreichs und einer der wichtigsten in Europa, wäre danach nicht wiederzuerkennen. Auch die EBU als internationaler Multiplikator für das österreichische Musikschaffen fällt weg. Jazz, Klangkunst und zeitgenössische Musik aus Österreich – KomponistInnen UND InterpretInnen – sind international überproportional erfolgreich und all das korreliert mit und hängt unter anderem ab von der reichhaltigen Arbeit in den jetzt gefährdeten Musikprogrammen von Ö1.
Der Tagesminutenwert (2021) betreffend Urheberrechtsvergütung seitens der AKM für Ö1 liegt bei EUR 11,02 netto. D. h. bei 630 Stunden im Jahr wären das EUR 416.556 p.a., die den UrheberInnen entgingen. Allerdings muss hier zur „Jazznacht” noch berücksichtigt werden, dass ein Teil vor Mitternacht und einer danach gesendet wird. Das ist deswegen relevant, weil alle Sendungen zwischen 0 und 6 Uhr in der Früh mit 10 % des Tageswertes abgerechnet werden. Der Wertschöpfungsverlust durch den Wegfall dieser Ö1 Programmschienen für KomponistInnen und Kunstschaffende ist somit enorm! Entgangene Senderechtsvergütung (für die verwendeten Tonträger) durch die LSG sind noch gar nicht einberechnet. Diese Verluste für die UrheberInnen müssten wiederum von anderer Seite – wie z. B. Förderstellen seitens des Bundes, der Länder und Gemeinden – kompensiert werden.
Die nun angekündigten „Reformen“ ab 1. 1. 2023 widersprechen diametral den Interessen der österreichischen Musikszene. Insbesondere der Kahlschlag von Ö1 („Zeit-Ton“, „Jazznacht“, „Kunstradio“) verletzt ein wesentliches Recht von Musikschaffenden: Musikschaffende haben das Recht, sich als KünstlerInnen zu entwickeln und das Recht auf Kommunikation in allen Medien, in denen ihnen angemessene Einrichtungen zur Verfügung stehen. (International Music Council, Five Music Rights).
Ebenso bedeutend für die österreichische Kreativ-Szene ist FM4. Der Sender hat in seiner über 25jährigen Geschichte nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Popkultur geleistet, FM4 war und ist Talenteschmiede und Ausgangspunkt für zahlreiche Kunst,- und Kulturschaffenden des Landes, die durch ihre Arbeit bedeutungsvolle Werke schaffen und damit ein großes Publikum, weit über Österreichs Grenzen hinweg erreichen.
Wir fordern alle ORF-Verantwortlichen dazu auf, sämtliche Pläne einzustellen, die den Weiterbestand der o. g. Sendungen, die wesentlich zur Kulturvermittlung in Österreich und zur internationalen Vernetzung von in Österreich lebenden KomponistInnen und Kunstschaffenden beitragen, gefährden. Wir erwarten uns zudem von allen Kunst-, Kultur-, Bildungs- und Medienverantwortlichen in der Regierung und im Parlament ein entschiedenes Eintreten gegen diese Versuche, wichtige Musiksendungen auf Ö1 einzustellen oder Programme bzw. Inhalte zu kürzen und somit den öffentlichrechtlichen Programmauftrag nachhaltig zu gefährden bzw. zu zerstören. Die Forderungen sind als Einladung zum Dialog zu verstehen.
Mit freundlichen Grüßen
Austrian Composers Association
Prof. Harald Hanisch, Präsident; Mag. Mia Zabelka, Vize-Präsidentin E-Musik
ECSA – The European Composer and Songwriter Alliance
Helienne Lindvall, President; Zahra Mani, Vice President
ÖGZM – Österreichische Gesellschaft für zeitgenössische Musik
Dr. Morgana Petrik, Präsidentin
IGNM – Internationale Gesellschaft für Neue Musik
Mag. Sonja Leipold, Präsidentin
INÖK – Interessengemeinschaft Niederösterreichische KomponistInnen
Prof. Mag. Ursula Erhart-Schwertmann, M.A., Präsidentin
SFIEMA – Society for Sound Art, Free Improvisation and Experimental Music Austria
Mag. Mia Zabelka, Präsidentin
ÖMR – Österreichischer Musikrat
Ao.Univ.-Prof. Dr. Harald Huber, Präsident
V:NM – Verein zur Förderung und Verbreitung Neuer Musik
Josef Klammer, Obmann
mica – music austria
Mag. Sabine Reiter, Geschäftsführende Direktorin
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