Offener Brief von GOLNAR SHAHYAR an die Musik- und Kulturjournalist*innen des Landes

Die Sängerin, Musikerin und Komponistin GOLNAR SHAHYAR will mit ihrem offenen Brief auf die mediale Nichtbeachtung von Musikschaffenden mit migrantischem Hintergrund in Österreich aufmerksam machen.

Mein Name ist Golnar Shahyar. Ich arbeite als Sängerin, Musikerin und Komponistin in Wien. Im April 2020 hatte ich die Möglichkeit, meine Musik für eine Sendung im Wiener Stadtfernsehen W24 aufzunehmen. Eine gute Möglichkeit für eine Künstlerin, sich in Zeiten wie diesen zu präsentieren, könnte man meinen.

Der Grund meines Schreibens ist jedoch Sie wissen zu lassen, dass dies meine erste TV-Aufnahmesession nach 10 Jahren musikalischer Arbeit, umfangreicher Musikproduktion und zahlreichen Konzerten und Auftritten in Wien und Österreich, aber auch international ist. Ich schreibe Ihnen, um Sie wissen zu lassen, dass in den letzten 10 Jahren kein einziger Journalist, keine einzige Journalistin Konzerte von mir und meiner Band besucht hat, geschweige denn, darüber berichtet hat. Ich persönlich empfinde dies als Armutszeugnis für den österreichischen Musikjournalismus. Vor allem auch deswegen, weil ich nur eine von vielen bin, denen es ähnlich geht.

Es ist erstaunlich, dass es der österreichischen Musikbranche gelungen ist, trotz der Existenz so vieler Künstler*innen unterschiedlichstem, kulturellem Background und so vieler Musikrichtungen in der Freien Szene, diese vorhandene Diversität zu ignorieren. Es ist empörend und tragisch, dass es die österreichischen Musikbranche geschafft hat, keine Räume für diese Künstler*innen entstehen zu lassen, sondern diese Künstler*innen auszuschließen und klein zu halten.

Ich spreche von einer strukturellen Unsichtbarmachung migrantischer, marginalisierter, “fremder“ Stimmen in der österreichischen Musiklandschaft. Und das erschreckende Ergebnis dessen ist, viele von uns wissen gar nicht mehr, dass sie überhaupt eine Stimme haben! Die österreichische Musikindustrie hat es geschafft, das “Wir“ – eine weiße europäische Kulturelite – von dem “Sie“ – das “Fremde“, das “Exotische“, interessant zum kurz Anschauen und Genießen, aber nicht interessant genug, um es wirklich kennenzulernen – zu trennen.

Doch die Aufgabe von Journalismus sollte sein, ein solches System zu kritisieren und zu hinterfragen und nicht, es zu fördern! Ich möchte daher dem Produktionsteam von W24 – Das Stadtfernsehen und dem Rabenhof Theater auch auf diesem Wege danken, dass sie mich endlich als Individuum und Künstlerin porträtiert haben, und nicht als eine “exotische orientalische Frau“ oder Geflüchtete, die “fremde“ Musik“ oder sogenannte “Weltmusik“ spielt.

Bei allem Respekt für meine Freunde, die nach Österreich fliehen mussten, Flucht und Fluchtgeschichten sollten nicht aus einer privilegierten Position erzählt werden und vorallem nicht dafür missbraucht werden, unter dem Label “Weltoffenheit und Vielfalt“ finanziellen Vorteil daraus zu schlagen. Etwas, das ich in der Musik- und Kunstszene immer wieder beobachte und erlebe.

Es ist an der Zeit, die Musik- und Kunstszene in ihrer Diversität zu porträtieren und sichtbar zu machen. Es EXISTIEREN viele von uns! Aber wir werden von Medien und Presse sozial und kulturell ignoriert und isoliert! Wenn über uns berichtet wird, werden wir „exotisiert“ und in eine Opferrolle gedrängt Und ja, es gibt auch verantwortungsbewusste und reflektierte Journalist*innen, die ihr Bestes tun um diese Stereotypen nicht zu wiederholen und diesen danke ich ganz besonders an dieser Stelle. Doch solange wir diese strukturellen Probleme nicht erkennen und nicht über sie sprechen, werden wir uns als Gesellschaft nie weiterentwickeln.

Es ist an der Zeit, Menschen ihre eigene Identität wählen zu lassen, anstatt sie in diskriminierende Muster zu drängen. Es ist an der Zeit, jene Vereinfachung von Lebensgeschichten und Lebensrealitäten aufzugeben und jene Geschichten zu schreiben, die als Privileg gelten. Es ist an der Zeit, Künstler*innen und ihr Schaffen nicht mehr als Undefinierte, diffuse Einheit zu präsentieren, sondern ihre Komplexität, ihre Vielschichtigkeit und ihre Feinheiten in ihrer künstlerischen Praxis und Identität zu beschreiben.

Liebe Musikjournalist*innen, eure Aufgabe ist es, Platz für Menschen zu schaffen, damit sie sagen können, wer sie sind, Raum für die Unsichtbaren, die Diskriminierten und die Ausgegrenzten zu machen, Platz zu schaffen, um die wahre Vielfalt des menschlichen Ausdrucks zu zeigen. Nicht ihr gebt den Menschen eine Stimme, Menschen geben sich ihre Stimme selbst. Man muss ihnen nur den Raum dafür geben, damit sie ihn nutzen können! Das ist eure Aufgabe! Dazu müsst ihr neugierig sein und euch für Dinge begeistern können, die ihr nicht kennt.

Seid diejenigen, die Kunst und Kultur beschreiben, und nicht jene die sie definieren! Gerade in diesen schwierigen Zeiten, in denen die Musik-, Kunst- und Kulturszene unter der Pandemie leidet, war unsicher, diesen Brief zu schreiben. Aber gleichzeitig glaube ich, dass dies wohl der richtige Zeitpunkt sein könnte, solche Themen anzusprechen, da wir uns neu Organisieren müssen, um die diese Musikgemeinschaft zu schützen. Nehmt diesen Brief als eine Einladung zu mehr Solidarität in der österreichischen Musikindustrie. Lasst uns gemeinsam unsere Gesellschaft neu überdenken und umgestalten, um sie inklusive zu machen, um sie stärker zu machen.

Mit lieben Grüßen,
Golnar Shahyar

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Golnar Shahyar
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