Im Zentrum des letzten Konzerts des aktuellen OENM-Zyklus am 9. Juni 2018 steht die Uraufführung von „Series Six: Game One [S.O.S. Self-Organizing Systems]“ des Wiener Komponisten BERNHARD LANG. Dem Stück zugrunde liegt die Spieltheorie, die JOHN VON NEUMANN und OSKAR MORGENSTERN 1944 erstmals formulierten.
Die Spieltheorie beschreibt das Zusammenwirken vernunftgesteuerter Akteure im Rahmen eines festgelegten Regelwerks. Innerhalb dessen ist jeder auf seinen Vorteil aus, bei Bedarf und Gelegenheit auch auf Kosten der Anderen. Die Spieltheorie zeigt auf, wie aus prinzipiell vernünftigen Entscheidungen der einzelnen Spieler auch nachteilige, also unvernünftige Folgen für alle entstehen können. Ebenso belegt sie, dass der persönliche Vorteil in vielen Fällen nur in Kooperation mit den Mitspielern erreichbar ist. Das machte sie schnell unverzichtbar, vor allem für die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften.
Es ist nur folgerichtig, dass Lang, der unbestrittene Meister des Loops, auf die Spieltheorie zurückgreift. Denn Grundlage der meisten theoretischen Modelle ist die Wiederholung ihrer Spielzüge. Und bei aller mathematischen Komplexität, die beherrschen muss, wer den möglichen Ausgang eines Spieles berechnen will: Die Regeln aufzustellen und damit den Spielverlauf zu modellieren, ist oftmals ein subjektiver, künstlerischer Vorgang. Lang behandelt das Ensemble in diesem Sinne als Gruppe selbständiger Individuen. Er setzt für jeden Durchgang des musikalischen Spiels die Regeln der Interaktion fest und stellt das musikalische Ausgangsmaterial bereit. Was dann konkret erklingt, bleibt innerhalb dieser Bahnen offen. Allerdings ist Vorteilssuche auf Kosten anderer von den Mitgliedern des œnm nicht zu erwarten.
So brauchbar, wie die Spieltheorie als Fundament für neoliberale Gesellschaftsentwürfe offenkundig ist, dürfen Gegenbewegungen nicht überraschen. So eröffnen wir das Konzert auch gleich mit brachialem musikalischem Widerstand. Louis Andriessens Workers Union ist zwar meistens einstimmig, nur selten zweistimmig notiert. Die Musiker folgen den Bewegungen der Tonhöhe allerdings ohne Rücksicht auf den Zusammenklang und nur soweit es der individuelle Rahmen ihres Instruments ermöglicht. Hierarchische Ordnungsprinzipien wie Skalen und Tonleitern sind also kategorisch ausgeschlossen. Wiederholung als musikalisches Prinzip erzeugt die körperliche Wucht der emanzipierten Masse. Die Anzahl der Musiker ist prinzipiell unbegrenzt – je mehr desto besser. Das Protestkollektiv verlangt vom einzelnen Musiker vor allem eines: Disziplin.
Franz Schubert wird vielfach als Urahn der loopbasierten Kompositionstechnik angesehen. Die Motorik seiner Musik bildet in ihrer Zartheit zwar den größtmöglichen Gegensatz zu Andriessen, sie verdankt sich jedoch um nichts weniger Schuberts Kunst der Wiederholung. Ein vielgerühmter Aspekt seiner Musik, das gedehnte Zeitempfinden, findet bei Morton Feldman schließlich eine explizite Fortsetzung. Zwar haben wir mit The Viola in My Life bewusst ein Stück ausgewählt, dessen Methode weniger in Wiederholung und schier unmerklicher Veränderung besteht. Die Schubertsche Linie wird damit dennoch traumwandlerisch fortgeschrieben.
oenm Zyklus 4: Selbstorganisation
Sam, 09.06. 2018 – 19.30 Uhr
Programm:
Louis Andriessen: Workers Union for any loud sounding group of instruments
Franz Schubert: Symphonie C-Dur D 944 “Große”: 4. Satz (in der Fassung für Klavier zu 4 Händen)
Morton Feldman: The Viola in My Life 1 für Viola und Ensemble
*Pause*
Bernhard Lang: Game One. Self Organizing Systems [S.O.S.] – Series Six: Theory of Games für Ensemble (UA, Auftragswerk des œnm)
Mitwirkende:
œnm . österreichisches ensemble für neue musik
Jutas Jávorka, Viola
Universität Mozarteum / Solitär
Mozartplatz 1
5020 Salzburg
Links:
œnm . österreichisches ensemble für neue musik
œnm . österreichisches ensemble für neue musik (mica-Datenbank)
Bernhard Lang (mica-Datenbank)