Noch (mindestens) eine Oper – Heinz Karl Gruber zum 75. Geburtstag

Der Welterfolg seines Pandämoniums „Frankenstein!!“ lässt nicht unbeachtet, dass er auch Opern und große Orchesterwerke komponiert hat. Und wenn er nicht gerade am Schreibbord arbeitet, dann ist er sowieso in Sachen Musik unterwegs – eigener wie auch jener von geschätzten Kollegen aller Generationen. Am 3. Jänner 2018 feiert Heinz Karl „Nali“ Gruber seinen 75. Geburtstag.

Monster-Dompteur als Sänger und am Pult

Während ein anderer es vielleicht gar als Fluch ansehen mag, dass ein frühes Werk alle seine späteren in den Schatten stellt, so merkt man Gruber nicht zuletzt bei seinen zahlreichen Auftritten als Chansonnier des Stücks an, dass er auch nach rund vier Jahrzehnten vor allem Dankbarkeit für seinen 1976/77 entstandenen „Frankenstein!!“ (Untertitel „ Ein Pandämonium“) für Bariton und Orchester oder Kammerensemble und alle seine Geburtshelfer wie David Drew, seinen Mentor und engen Freund beim Verlag Boosey & Hawkes, und Simon Rattle, den Dirigenten der Uraufführung hegt. Der darauf folgende internationale Durchbruch und bislang dem Vernehmen nach über 2.000 registrierte „Frankenstein!!“-Aufführungen in allerlei Sprachen – das klingt doch ziemlich einzigartig im Bereich zeitgenössischer österreichischer Musik.

Selbst heute, wo Gruber mit einer Vielzahl an mehrfach nachgespielten Orchesterwerken und seinen abendfüllenden Opern („Gomorra“, „Gloria von Jaxtberg oder Das Gegenteil von Wurst ist Liebe“, „Der Herr Nordwind“, „Geschichten aus dem Wienerwald“) seinen Erfolg bestätigt sieht, gibt er gerne dem Drängen von Veranstaltern nach und stellt sich selbst ans Pult, wenn wieder einmal der „Frankenstein!!“ gewünscht wird. Und bei den in den letzten Jahren gehäuften Composer-in-Residence-Verpflichtungen steht diese so originelle wie subtil ausgearbeitete Monsteranhäufung nach Texten H. C. Artmanns denn auch immer und immer wieder auf den Programmen; zuletzt etwa gerade erst im November beim Stockholm International Composer Festival.

Kriminaloberinspektorssohn am Kontrabass

Beachtung erregt Heinz Karl Gruber schon, wenn es um seinen Namen und seine Abkunft geht: Anfänglich von seinen Freunden, heute de facto von jedermann „Nali“ genannt, wurde Gruber am 3. Jänner 1943 in Wien als Sohn eines echten Kriminaloberinspektors geboren, welcher der  Überlieferung nach sogar Verwandtschaft mit dem „Stille Nacht“-Komponisten Franz Xaver Gruber aufweist. Seine erste musikalische Ausbildung erhielt Nali Gruber 1953 bis 1957 bei den Wiener Sängerknaben, mit denen er zahlreiche Tourneen in aller Welt bestritt. 1957 bis 1963 studierte er an der Wiener Musikhochschule u. a. Kontrabass, Horn und Klavier, Tanztechnik, Filmmusik und elektronische Musik sowie Komposition bei Alfred Uhl, Hanns Jelinek, Erwin Ratz und vor allem Gottfried von Einem, bei dem er eine Meisterklasse besuchte und ein weiteres Jahr Privatunterricht nahm und mit dem er auch in der Folge engen Kontakt pflegte.

Als Kontrabassist spielte Gruber zunächst beim von seinen Freunden Friedrich Cerha und Kurt Schwertsik ins Leben gerufenen Ensemble die reihe, 1963 bis 1969 beim Niederösterreichischen Tonkünstlerorchester sowie 1969 bis 1997 als Mitglied des ORF RSO-Symphonieorchesters. Als Dirigent arbeitete er etwa mit dem ORF RSO-Symphonieorchester, RSO Berlin, Scottish Chamber Orchestra, Ensemble Modern und der London Sinfonietta. 1983 übernahm er die künstlerische Leitung des Ensembles die reihe, die er bis 2009 innehatte. Ab 2010 war er für mehrere Jahre Composer/Conductor in Residence beim BBC Philharmonic Orchestra Manchester, und damit sind aus all seinen Funktionen nur einzelne wahllos herausgegriffen. Hinzufügen sollte man vielleicht noch, dass er 1968 mit Schwertsik und Otto M. Zykan das Ensemble MOB art & tone ART gründete, das damaligen Tendenzen folgend neue Formen der musikalisch-szenischen Darstellung suchte und u. a. durch Aufführungen der Werke Mauricio Kagels hervortrat. Gleichzeitig zielten die Komponisten dieser Gruppe als Gegenposition zu verschiedenen experimentellen Strömungen in der Neuen Musik auf eine bewusste Vereinfachung der Tonsprache ab, was für Grubers weiteres Schaffen bestimmend blieb.

Chansonnier auf Eislers und Weills Spuren

Wie schon im Zusammenhang mit „Frankenstein!!“ erwähnt, ist Gruber seit Jahrzehnten auch als gefragter Chansonnier tätig. Lieblingskomponisten in diesem Bereich sind etwa Hanns Eisler und Kurt Weill. Mehrere Komponisten schrieben seiner Ernst Busch, dem Mitglied des Brecht-Eisler-Kreises vergleichbaren, ausdrucksstarken Art des Sprechgesangs eignende Stücke auf den Leib. Dazu zählen etwa Friedrich Cerhas zwei „Keintaten“ (nach Ernst Kein, 1982/84) sowie „eine art chansons“ (Friedrich Achleitner, Ernst Jandl, Gerhard Rühm u. a., 1985) und Kurt Schwertsiks „Starckdeutsche Lieder und Tänze“ (Matthias Koepel, 1980–82).

Von der Avantgarde zum tonalen Idiom

Bei aller Leidenschaft, mit der Nali Gruber seine jeweiligen Positionen ausübt, wird man ihm doch am gerechtesten, wenn man ihn zuallererst als Komponisten klassifiziert. Anfangs noch an Techniken der Avantgarde orientiert, wandte er in seiner Musik bald allgemein verständlichere Mittel an. Ausschlaggebend war 1966 der von ihm oft zitierte Rat Kurt Schwertsiks „Schreibe die Musik, die Du hören möchtest“, den Gruber als „die einfachste und zugleich wichtigste Antwort auf eine Frage meines Lebens“ bezeichnet. Als erste Arbeit im tonalen Idiom entstanden „6 Episoden aus einer unterbrochenen Chronik“ für Klavier (1967). Das unterhaltende Element spielt in vielen Werken eine wesentliche Rolle, sei es im Nachvollzug von Jazz- und Blues-Elementen in den „Manhattan Broadcasts“ („Tammany Hall“ und „Radio City“, 1962–64), in den poppigen „3 MOB-Pieces“ (1968) oder als Karikatur österreichischer Wesensart in dem Orchesterstück „Charivari“ op. 10 (1981), dem die Begleitfigur aus Johann Strauß’ „Perpetuum mobile“ zugrunde liegt. Der Höhepunkt des satirisch-unterhaltenden Elements war dann freilich „Frankenstein!!“ mit dem damit Hand in Hand gehenden Durchbruch als Komponist.

In der Folge entstanden mehrere Instrumentalkonzerte, wie das 1. Violinkonzert „…aus schatten duft gewebt“ (1977/78, Neufassung 1991/92), das Schlagzeugkonzert „Rough Music“ (1982) und das 2. Violinkonzert „Nebelsteinmusik“ (1988), das durch die Arbeit mit den Motiven der Zwölftonreihe aus Alban Bergs „Lyrischer Suite“ und der Sechstonreihe aus dem Anagramm des Namens seines Lehrers Gottfried von Einem die Gegensätzlichkeit von Chromatik und Diatonik verbindet. Aus jüngerer Zeit datieren das Trompetenkonzert „aerial“ und das 2. Schlagzeugkonzert „into the open…“.

„Zehn Orchesterwerke und eine Oper“

2014 wurde bei den Bregenzer Festspielen Grubers bislang letzte Oper „Geschichten aus dem Wienerwald“ nach Ödön von Horváths Bühnenstück uraufgeführt, 2015 war die erfolgreiche Produktion auch im Theater an der Wien zu sehen. Ganz aktuell ist das Klavierkonzert (2014–2016) zu nennen, das Anfang Jänner 2017 in New York mit Emanuel Ax als Solisten aus der Taufe gehoben wurde und nach weiteren Aufführungen und einer Erweiterung des Werks um eine lyrische Episode nun am 13. März 2018 im Wiener Konzerthaus gleichzeitig die österreichische Erstaufführung und die Uraufführung der Neufassung erleben wird.

Ein Muss-Termin für Nali-Fans im Jänner: das Geburtstagskonzert mit dem ORF Radio-Symphonieorchester, für das er alleine das Programm zusammengestellt hat, welches das „Capriccio“ seines Lehrers Von Einem, Werke seiner Freunde und Weggefährten Cerha und Schwertsik, sein eigenes Trompetenkonzert sowie „subliminal“ von Bernd Richard Deutsch enthalten wird, womit er auch seiner vielfach erfolgten Förderung vielversprechender jüngerer Komponisten nachkommt. – Und was danach kommt? – Gegenüber dem Verfasser meinte Gruber vor einigen Wochen in nicht anzuzweifelnder Selbstsicherheit, dass er vorhabe, in den nächsten Jahren noch (mindestens) eine Oper und zehn größere Orchesterwerke zu schreiben. Man darf ihrer in gespannter Erwartung harren …

Christian Heindl

Links:
Heinz Karl Gruber bei Boosey & Hawkes
Heinz Karl Gruber in der music austria Datenbank