NOBERT SCHNEIDER – „Neuaufnahme“

Seit dem Album „Schau ma mal“ (Telemedia) scheint NORBERT SCHNEIDER die richtige Sprache für seine R-’n’-B-Musik gefunden zu haben: das Prekariats-Wienerische. Für „Neuaufnahme“, die dritte Platte auf Deutsch, bediente er sich exklusiv fremden Stoffes – nämlich der Lieder von GEORG DANZER.

Cover "Neuaufnahme"
Cover “Neuaufnahme”

Wenn dieses Album kein Erfolg wird, muss man von einem Negativ-Wunder sprechen: ein ganze Platte voller Nummern, die vom Nationalhelden Georg Danzer geschrieben und von Norbert Schneider, einem der besten Gitarristen und Sänger Österreichs (einschränkende Präfixe wie „Blues-“ und „R-’n’-B-“ wurden gezielt weggelassen), eingesungen und -gespielt wurden. Okay, wir wissen, das heißt nichts: Gute Songs und gute Interpretinnen und Interpreten stehen einem Erfolg zwar nie im Wege, aber beim schwierigen Thema Cover-Musik ist diese Kombination beileibe kein Garant für etwas Besonderes. Mehr noch: Norbert Schneider ging mit der „Neuaufnahme“ des ikonischen Austropop-Liedguts sogar ein Risiko ein, schließlich sind einige der Danzer-Stücke so tief im kollektiven Gedächtnis der ÖsterreicherInnen verhaftet wie der Kaiserwalzer.

Kein Aufbrühen, sondern neu interpretieren

Beginnen wir gleich mit einer Revision: Norbert Schneider liefert auf diesem Album keine Coverversionen. Die definieren sich als ein originalnahes Nachspielen, und das geschah für „Neuaufnahme“ nicht im Entferntesten. Der 37-Jährige Wiener erklärt, dass er das Werk Danzers bis zum Albumprojekt nicht besonders gut kannte und auch vor den Aufnahmen die „Originale“ gerade so oft anhörte, dass er sie mit der Gitarre nachspielen konnte – um sie dann wie einen eigenen Song zu behandeln. Ist das glaubhaft? Absolut! Als Zugereister, der erst zwei Jahre nach Danzers Tod zum ersten Mal in Österreich Wohnung bezog, kannte der Autor dieser Zeilen keine einzige Nummer von „Neuaufnahme“. Erst im Nachhinein wurden die Urversionen gegengehört. Das Urteil ist eindeutig, aber auch frappierend: Text und Melodie sind ohne Frage identisch, aber die ohne Zweifel genialen Lieder wirken in den ursprünglichen Arrangements wie verschüttet unter stumpfem 80er-Jahre-Gitarren-Einerlei! Norbert Schneider hat den gehaltvollen Kern dieser Stücke präpariert und endlich angemessen, da liebevoll, individuell und handwerklich meisterhaft gebettet. Jetzt muss man die Qualität nicht mehr erahnen, es können sie alle auf Anhieb hören.

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Programmatisch Wien: Derb und zu Tränen rührend

Inhaltlich gibt es einen roten Faden: den Charakter der Heimatstadt von Danzer und Schneider, nämlich Wien. „Neuaufnahme“ hört sich weitgehend wie ein Sammelalbum der Stereotype an, voll vor allem mit Losern wie dem Depressiven, dem vergnügten Denunzianten, dem Häfnbruder und dem chronisch Unbeweibten. Lieder wie „Vorstadtcasanova“ sind so frivol wie unterhaltsam und eigentlich in keinem anderen als dem Wiener Idiom denkbar. In welcher anderen Sprache klänge die Bedeutung hinter Wörtern wie „Futkarli“ und „Puderant“ so schützenswert? Schneider bewegt sich aber nicht nur an der für die Donaumetropole so typischen Kippe zwischen Lachen und Schluchzen. Mit „Lass mi amoi no d’Sunn aufgeh’ segn“ führt der schlaksige Musiker seine HörerInnen in den Bereich der Rührung ganz ohne Doppelbödigkeit. Der Nummer, die Danzer bereits neun Jahre vor seinem Tod veröffentlichte, haftet im Nachhinein betrachtet stets etwas von dunklem Vorzeichen an. Norbert Schneider trägt sie in einer Ernsthaftigkeit und Schönheit vor, die in den Bauch fährt, einem die Tränen in die Augen schießen lässt und Angst macht, der so jugendlich, aber immer auch etwas traurig wirkende Kerl habe selbst eine schlimme Diagnose erhalten. So gut kann das kein Cover-Sänger. So gut konnte das auch kein Danzer.

Peter Mußler

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