„ERWEITERN, NICHT VEREINFACHEN!“ – NIMIKRY IM MICA-PORTRÄT

Nimikry sind Preisträger des Erste Bank Kompositionspreis 2023. Das Konzert mit dem Klangforum Wien findet im Rahmen von Wien Modern im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses am 28. November 2023 statt. Ein Porträt von Christoph Benkeser.

Sie komponieren, so die Jury des Erste Bank Kompositionspreises, „mit einem Interpretenblick das Schöpferische, als Interpreten nähern sie sich mit nachschöpferischem Geist dem Komponierten – und als technikaffine Zeitgenossen verschränken sie interpretatorisch-kompositorische Ziele mit der Entwicklung neuer Technologien für Spieltechniken und Klangerzeugung.“ Auf Normalsterblich übersetzt: Rafał Zalech und Alessandro Baticci können sehr viel, vor allem an, mit und wegen ihren Instrumenten. Deswegen haben sie als erstes Duo einen der wichtigsten Preise für Neue Musik gewonnen.

Nimikry nennt sich der Doppler, mit dem Baticci flötend und Zalech streichend an ihre Instrumente treten. Um sie in einem ersten Schritt außerordentlich gut zu beherrschen. Und in einem zweiten zu erweitern. „Augmented“ heißt das in der Fachsprache und nicht nur unter coolen Komponisten, die sie ja sind, weil an Bratsche wie Flöte ein elektronisches Kasterl hängt, das man erklären kann, aber nicht muss, denn: Spätestens da wird’s kompliziert.

Gezupft, geblasen, gestrichen

„Es war eine kompositorische Notwendigkeit, sich auf neue Weise mit dem Instrument auseinanderzusetzen“, sagt Baticci bei unserem Gespräch im Oktober über derlei düsentriebigen Erfindungsgeist. Ihre elektronische Erweiterung des Instruments ermögliche die Entwicklung neuer Klänge wie auch die Möglichkeit, „den Ausdruck akustischer Instrumente in die digitale Welt zu überführen“, so Baticci. Das lässt sich nur verstehen, sofern man sein Instrument in Perfektion beherrscht oder weiß, dass in den letzten 200 Jahren kaum große Veränderungen in der gezupften, geblasenen oder gestrichenen Instrumentenwelt geschehen sind.

Nimikry
Nimikry (c) Piotr Koscik

Auf Baticci und Zalech trifft beides zu. Also sorgen sie für die Veränderung. Dafür verbinden, verknüpfen oder vernetzen sie – das Analoge mit dem Digitalen, die Vergangenheit mit der Zukunft, Klassik mit Noise und Tradition mit Innovation. Schließlich gehe es mit Nimikry weder um zeitgenössische, klassische noch elektronische Musik. „Unsere Entwicklung ist viel eher ein notwendiger Schritt in der Musik, im Instrumentenbau, in der Kunst überhaupt“, so Baticci.

Das Wording klingt nach Unternehmerlust, die nicht überrascht: Baticci und Zalech sind zwar weitreisende Komponisten und kompromisslose Klangkomplizen in Ensembles wie dem Black Page Orchestra. Mittlerweile treten sie aber auch als Produzenten auf – in „neohumanistischer Mission“, wie Baticci bereits 2020 sagte.

Gemeinsam Wurzeln schlagen

Ziellos in die Zukunft steuere man bei allen technischen Finessen dennoch nicht. Man wolle eine „höhere Auflösung des eigenen Spiels”, ohne das „altmodische Handwerk am Instrument“ zu verlieren. Schließlich mache es auch in der Erweiterung des Instruments einen Unterschied, ob man auf einer Stradivari oder einer Hofer-Geige spiele. „Die Musikalität muss, ähnlich wie bei Furrer oder Sciarrino, im Notentext stehen“, so Baticci. „Deshalb führt unser Weg nicht über die Vereinfachung unserer Instrumente, sondern eben: über ihre Erweiterung.“

„Eigentlich machen manche Teile gar keinen Sinn – und dann doch.“

Das habe auch das Klangforum Wien verstanden. Mit dem Solistenensemble verbindet Baticci wie Zalech längere Zusammenarbeit. 2021 uraufführte man „Birds of Paradise“, bei dem erweiterte Streicher für die elektronische Verarbeitung des Klanges verantwortlich waren. Im Rahmen von Wien Modern werde es hingegen schizophren – „Rhizomatic Studies“ nennen Nimikry das Stück. Das Werk schlage immer neue Wurzeln, beginne wie eine Etüde und breche irgendwann, um von einem Teil in den nächsten zu wandeln, so Battici.

Manche dieser Teile sollen nur widersprüchlich zusammengehen, andere machen – Baticci grinst – „gar keinen Sinn“. Außerdem stehe das erweiterte Streichorchester neben dem klassischen Ensemble und nähere sich so lange an, bis es nach vorne rutsche. Eigentlich sei das ein billiges Spiel, aber weil erst das Gehirn die Teile zusammensetzt, eröffne dieser Trick einen großen Raum. 

Wie weit sich der Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses dabei ausdehnt, bestimmen Baticci wie Zalech instrumentenlos vom Mischpult: „Wir stehen an den Reglern, aber spielen nicht.“

Nimikry sind Preisträger des Erste Bank Kompositionspreis 2023. Das Konzert mit dem Klangforum Wien findet im Rahmen von Wien Modern im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses am 28. November 2023 statt.

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Nimikry
Nimikry (Musikdatenbank)
„UNSERE TECHNOLOGIE ERWEITERT DAS AKUSTISCHE INSTRUMENT UND ERMÖGLICHT DESSEN FORTBESTEHEN IN DER ZUKUNFT“ – ALESSANDRO BATICCI (NIMIKRY) IM MICA-INTERVIEW