Vom 3.bis 12. Juli findet im burgenländischen Lockenhaus das 33. Kammermusikfest statt, das der Cellist Nicolas Altstaedt als Nachfolger von Gidon Kremer bereits zum dritten Mal leiten wird. Der vielseitige deutsch-französische Cellist gehörte zu den zu den letzten Schülern Boris Pergamenschikows. Sein künstlerischer Bogen spannt sich von der historischen Aufführungspraxis über das klassische Cello-Repertoire bis zur Auftragsvergabe und Uraufführung von Werken der Neuen Musik. Erst kürzlich beeindruckte Nicolas Altstaedt bei den Wiener Festwochen im Konzerthaus mit einer Aufführung des Duetts für Violoncello und Klavier von Galina Ustwolskaja. Heinz Rögl führte mit ihm in einem Café in der Wiener Innenstadt ein Gespräch zum Programm des Festivals, das heuer unter dem Motto „Fiction“ steht.
Für Proben im Rahmen seiner umfangreichen Gastspielverpflichtungen weilte Altstaedt erneut in Wien und war gerne bereit, über seine Bestrebungen in Lockenhaus mit mica – music austria zu reden. Das Besondere an diesem Festival ist ja seit seiner Begründung im Jahr 1981 die durch seine starke und kompromisslose Programmatik entstandene Alternative zum herkömmlichen Konzert- und Festivalbetrieb geworden. Abseits des Mainstreams wird dort Kammermusik in immer neuen Zusammensetzungen auf Spitzeniveau auch öffentlich geprobt und aufgeführt. Die detaillierten Programme werden erst bei den Proben von den beteiligten Künstlern erarbeitet und normalerweise erst etwa 48 Stunden vor Konzertbeginn bekanntgegeben.
Natürlich sind einige Programmschwerpunkte bereits festgelegt worden. So wird das Festival. bei dem außer Musik immer auch andere Kunstgenres eine Rolle spielen sollen, mit einer musiktheatralischen „An- und Zuordnung“ eröffnet: Franz Schuberts sechssätziges Oktett (D 803) wird zum kammerphilharmonischen Gerüst eines monologischen Spiels für zwei Schauspieler, in dessen Verlauf der Persönlichkeit des Komponisten nachgespürt und nachgehorcht wird. Es zeigt Schubert bei einem Treffen mit seinem Freund Schober in dessen Wohnung. „Ein fiktives Spiel mit Eigenschaften wie Ironie, Humor, Verfolgungswahn und Depression, die wir mit dem Ich und dem Er des Komponisten verbinden“, ist in einer Programmnotiz von Peter Cossé darüber zu lesen. So ist also Schubert zu einer „Brücke“ des heurigen Festivals geworden, auch Robert Schumann wird unter anderem mit „Carnaval“ eine Rolle spielen, weiters etwa Karol Szymanowski oder Erik Satie. Dies alles aber immer in Verbindung mit Neuer Musik, die teils erstmals aufgeführt wird.
Auch heuer wurde eine Gastkomponistin eingeladen: Helena Winkelman, hierzulande weitgehend unbekannt, ist eine Schweizer Komponistin, die in Basel bei Georg Friedrich Haas studiert(e). Das jüngst vielfach ausgezeichnete Schumann Quartett wird in Lockenhaus an ihrem Stück “Quadriga” arbeiten. Auch das bereits berühmte Quatuor Ébène wird die letzten drei Tage des Festivals in Lockenhaus sein, Nicolas Altstaedt wird mit dem Quartett das zweite Cello („das macht in dem Werk auch mehr Spaß“) im Schubert-Streichquintett spielen, außerdem wird vom Quatuor Ébène die „Maske des roten Todes“ von André Caplet aufgeführt.
Herr Altstaedt, was proben Sie jetzt gerade in Wien?
Nicolas Altstaedt: Wir machen in Graz ein ganzes Programm mit der Österreichisch-Ungarischen Haydn-Philharmonie: Das Schumann-Konzert in einer Streicherversion, die f-moll-Symphonie Hob I/49 „Passione“ von Haydn, das G-Dur-Quintett op. 111 von Johannes Brahms in Orchesterfassung und 4 Transsylvanische Tänze von Sándor Veress.
Wie sind Sie, eigentlich nach Lockenhaus gekommen? Wie fing das an bei Ihnen?
Nicolas Altstaedt: Ich habe Gidon Kremer persönlich in Berlin in der Hochschule kennengelernt, das war 2003. Er hatte eine Art Gastprofessur, er kam einfach einmal im Jahr einmal vorbei, hat sich ein paar Leute angehört und ein bisschen was dazu gesagt. Es gab eine Liste, auf der sich jeder eintragen konnte und das spielen konnte, was er wollte. Ich habe ihm damals vorgespielt; seitdem haben wir uns angefreundet und er hat mich gefragt, ob ich nach Kronberg zu „Chamber Music Connects the world“ kommen wolle, dort haben wir zusammen gespielt, das war 2004.
[Anmerkung] Das gibt es auch heute noch: Chamber Music Connects the World, 20. bis 30. Juni 2014, mit Gidon Kremer, Christian Tetzlaff, Kim Kashkashian und Steven Isserlis. Über viele Jahre hat sich Kronberg als „Welthauptstadt des Cellos“ (die Bezeichnung stammt von Mstislav Rostropovich) einen Namen gemacht.
2005 bin ich nach Lockenhaus gekommen und war mit Ausnahme von 2008 jeden Sommer da. Mit Gidon habe ich mich sehr gut verstanden, er ist für mich Vorbild und Integrationsfigur, wir sind einander sehr verbunden und 2011 hat er mich gefragt, ob ich Lockenhaus nicht machen will. Ich denke, daß er nach 30 Jahre sehr stressiger, kraftraubender Arbeit die künstlerische Leitung abgeben wollte. Er hat ja auch so wie ich jetzt wahnsinnig viel gespielt und dazu noch die Organisation gemacht.
Gidon Kremer zu Nicolas Altstaedt: “Es ist deins. „Carte blanche“, mach was du willst.”
Machten Sie etwas neu oder wollten Sie die Tradition weiterführen?
Nicolas Altstaedt: Gidon Kremer hat gesagt: Es ist deins. „Carte blanche“, mach was du willst. Dadurch, dass wir eine andere Generation sind, teils andere Freundes- und Musikerkreise haben, wurde es sowieso ein bisschen anders. Aber ich wollte den Grundgedanken komplett beibehalten.
Und die Vorlieben Gidon Kremers, etwa für baltische oder russische Musik?
Nicolas Altstaedt: Das hat sich geändert. Aber die Idee und das Konzept, dass man dort zusammenkommt und Ablauf und Programm mitbestimmt, wurden beibehalten. Es gibt kein Honorar, weil wir einfach nicht das Budget dafür haben und das auch nicht zahlen könnten. Aber dass man das Programm erst einen Tag vorher bekanntgibt, dass die „Familie“ gleich bleibt, war schon wahnsinnig wichtig. Es hat wohl unbewusste Veränderungen gegeben, die ich selber vielleicht gar nicht bemerkte. Aber der Gedanke ist geblieben: man trifft sich, ist per du, probt und die Proben sind grundsätzlich offen, man spielt neue Werke und möglichst breites Repertoire, es gibt nicht nur Musik, sondern auch andere Künste. Heuer etwa den Autor Juha Siltanen, der versucht, die Person Schubert in das „Oktett“ am Abend vor einer wichtigen Aufführung einzufangen.
Schubert wird in der Lockenhaus-Ankündigung etwa als „Brücke“ des heurigen Festivals mit dem Titel „Fiction“ genannt.
Nicolas Altstaedt: Schubert wird nur mit drei, vier Werken vertreten sein, gar nicht mehr. Wir machen das Oktett, das Streichquintett und das Klaviertrio Es-Dur, und das Oktett wird beim Eröffnungsabend im Rahmen des Theaterstücks sein. Der finnische Autor hat sich Schubert bei einem Treffen mit seinem Freund Schober vorgestellt, der ihn überredet am nächsten Tag zur Aufführung seines Oktetts zu kommen. Schubert sitzt in Schobers Wohnung und weiß nicht so recht, ob er zu der Aufführung am nächsten Tag gehen soll oder nicht. (…….)
“Ich finde es wichtig, neue Komponisten einzuladen.”
Es gibt eine Schweizerin als Gastkomponistin, das ist ein noch relativ unbekannter Name: Helena Winkelman. Sie schreiben in Ihrem Begleitwort: „Ihre Musik ist hierzulande noch Fiktion; im Juli werden wir die Komponistin aus der Schweiz auch als illustrierende Künstlerin erleben, die ihren Tönen in Zeichnungen Begleitung schenkt.“ Das Schumann Quartett wird an ihrem Werk “Quadriga” arbeiten. Unbekannte Werke anzusetzen war immer ein Bestandteil von Lockenhaus.
Nicolas Altstaedt: Helena war Schülerin von Georg Friedrich Haas in Basel, ist eine tolle Geigerin und hat immer auch sehr viel komponiert. Ich habe ein paar Stücke von ihr gehört und fand, dass sie viel Substanz haben. Ich finde es wichtig, neue Komponisten einzuladen. Von Helena spielen wir als Premieren lauter Stücke, die in Österreich noch nie aufgeführt worden sind, es gibt ein Quartett von ihr und ein Streichorchesterwerk, für das wir am Ende alle zusammenkommen. Wir freuen uns sehr, daß Salvatore Sciarrino für Lockenhaus ein Stück für zwei Celli komponiert. Das mache ich mit Sebastian Klinger, einem Freund von mir: Er ist Solocellist beim Bayerischen Rundfunk und wir waren beide bei Boris Pergamenschikow. Er hatte bei Heinrich Schiff in Wien und dann bei Pergamenschikow in Berlin studiert, er war vor mir da, wir haben uns zeitlich „überlappt“.
Bei den eingeladenen Künstlern gibt es auch heuer wieder interessante Namen wie Benjamin Schmid, Clemens Hagen, Georg Breinschmid, Alexander Lonquich …
Nicolas Altstaedt: Clemens Hagen war ca. fünfzehn Jahre nicht mehr in Lockenhaus und ich fand es wichtig, Leute, die bei der Geburtsstunde vom Festival dabei waren, wieder dabei zu haben. Oder Leute, auch aus Österreich, die zum ersten Mal kommen. Alexander Lonquich, mit dem ich auch sonst viel spiele, kommt ohnehin jedes Jahr und ist auch die komplette Zeit da, worüber ich mich sehr freue. Mit einigen Künstlern gehen wir im Herbst jeden Jahres auf “Lockenhaus on tour”, etwa ins Wiener Konzerthaus, nach Graz oder ins Mozarteum Salzburg, auch nach Amsterdam, Bilbao.
Vorgesehen als Gast ist beim „Meisterkurs“ ist auch Eberhard Feltz.
Nicolas Altstaedt: Ja, Professor Feltz! Das ist mein Lehrer, der an der Eisler-Hochschule in Berlin seit Jahren der bekannte und wichtigste Quartettlehrer war und ist. Ich habe in meinen letzten Berliner Jahren bei ihm studiert, sein Unterricht war eine Offenbarung, er ist so ein „Vater“ und Mentor für mich geworden. Er wird hier im Kurs das Schumann-Quartett unterrichten und Werk „Quadriga“ von Helena Winkelman erarbeiten.
Die Kunst der Improvisation zum Stummfilmkino wiederbeleben
Es gibt auch eine „Jam-Session“ …
Nicolas Altstaedt: … mit Benjamin Schmid und Georg Breinschmid, die ja da sind und auch gerne Jazz spielen. Auch der Geiger Pekka Kuusisto, der sehr viel improvisiert, etwa auch über finnische Volksmusik, moderne Improvisationen und Elektro-Jazz, alles Mögliche. Die werden da etwas zusammenstellen. Ich fand es wichtig, dass wir zum Thema „Fiction“ auch Sachen spielen, die nicht gedruckt, nicht in Noten aufgeschrieben sind. Also Improvisation, ein Abend, wo die Bühne mal frei ist und die Leute sich austoben.
Was bedeutet die „Destination Hollywood“ im Programm?
Nicolas Altstaedt: Bei „Destination Hollywood” wird keine Filmmusik gespielt. Es gibt um die Verbindung zum Lebens- und Arbeitsplatz LA (Korngold) und Fred Astaire und Ginger Rogers, welche Koechlin zu Kompositionen angeregt haben. Des weiteren ist es mir wichtig, die Kunst der Improvisation zum Stummfilmkino, so wie Shostakovich einmal sein Brot verdient hat, wiederzubeleben. Letztes Jahr gab es eine eindrückliche Liveimprovisation zu Panzerkreuzer Potemkin, dieses Jahr zu einem weiteren Klassiker des Stummfilms.
Viele Musik ist durch Literatur inspiriert worden und das englische Motto „Fiction“ heißt ja auch „Dichtung“. Caplet wurde durch Edgar Allen Poe, Britten durch Arthur Rimbaud zu Kompositionen angeregt.
De Kooning war einer der bedeutendsten Vertreter des abstrakten Expressionismus und gilt neben Jackson Pollock als Wegbereiter des Action Painting.
Nicolas Altstaedt: Mir ist es wichtig, daß in Lockenhaus sich Künstler verschiedener Genres begegnen und austauschen. Peter Pakesch, Leiter des Joanneums in Graz wird und der Komponist Johannes Fischer werden anhand des Werkes “De Kooning” von Morton Feldman über die Verbindung von Malerei und Musik sprechen.
Das ist alles also vollgepackt mit Ereignissen, Leuten und Themen. Die Programmansagen sind teils nicht gedruckt, man weiß nur die Termine.
Nicolas Altstaedt: Ich habe alles bereits programmiert und wollte mir nur die Freiheit behalten, das Genaue erst im letzten Moment anzusagen, damit und weil man immer noch etwas ändern kann. Auch später kommen oft Einfälle. Etwa habe ich vor zwei Wochen die Uraufführung eines neuen Werks eines israelischen Komponisten und Pianisten, der in Berlin lebt, noch mit hineingenommen, weil es mir so sehr gefallen hat.
Letzte Frage: Wie setzt sich denn Ihrer Erfahrung nach das Publikum, das nach Lockenhaus kommt, zusammen? Aus Wien kommen gar nicht so viele Leute. Jetzt soll es ja Shuttlebusse geben?
Nicolas Altstaedt: Ja, an drei Terminen kann man von Wien, Graz und vielen anderen Zustiegsstellen zum Festival kommen und nach den Konzerten wieder zurückfahren …. Es gibt einen deutschen Freundeskreis, der Jahr für Jahr kommt, aus Heidelberg, aus München, wirklich von überall aus Deutschland Leute mitbringt. Es gibt aber auch viel Zuwachs. Wir haben Musikstudenten aus Salzburg, die bei den Streichorchesterwerken an den jeweiligen Wochenenden hinzukommen. So sitzen arrivierte Künstler und junge Studenten zusammen an einem Pult und werden gemeinsam Teil einer Familie.
Heinz Rögl
Foto Nicolas Altstaedt © Lockenhaus Festival
Foto Nicolas Altstaedt mit Gidon Kremer © Marco Borggreve
http://www.kammermusikfest.at