Neuproduktion von Friedrich Cerhas Oper „Baal“ nach Bertolt Brecht in der Ankerbrotfabrik

30 Jahre nach der Salzburger Uraufführung wagt sich die Neue Oper Wien an eine Neu- Realisierung der – nach „Netzwerk“ – ersten Oper, die Cerha schuf.  In Wien war sie zuletzt  1992 in der Wiener Staatsoper zu hören. Der nunmehrige musikalische Leiter Walter Kobéra hat mit seinen Musikern, Sängern und Ausstattern erst  kürzlich bei „Gramma“ im Semperdepot wieder gezeigt, dass seine „Neue Oper Wien“ zeitgenössische Aufführungen sehr gut gestaltet. Am Donnerstag, 29.9. ist die „Baal“-Premiere in der einstigen Expedithalle der Ankerbrotfabrik.

Um den anarchistischen und gewalttätigen Kerl und das umfangreiche Personal bilden sich komplexe Klanggeflechte des Mythischen und Naturhaften, Melodisches für den individuellen Ausdruck, ja Gesanghaft-Balladeskes für den Titelhelden. Der Regisseur der Neuproduktion Leo Krischke liefert zum „Baal“ folgende Stichworte: Baal – 25 Stationen in die Freiheit, in den Tod,  Baal – der Berserker, der Anarchist, das Tier – der Dichter. Es gehe um „die Utopie vom Glücklichsein, absolut“ und um das „Scheitern des Absoluten“, um „den Einzelnen und den Anderen“. Leicht zu realisieren ist dieses „Welttheater“-Bühnenwerk auf keinen Fall. Sicher ist: Baal bildet den Mittelpunkt der Szenenfolge, er agiert in allen Stationen als die Hauptfigur.

Leo Krischke inszenierte seit 1992 Opern auch in Ur- und Erstaufführungen,  u. a. von Kurt Schwertsik, Olga Neuwirth, Marc-Anthony Turnage, Gerd Kühr, Wolfgang Sauseng. Er war in den Neunzigern künstlerischer Leiter der Wiener Taschenoper, und inszenierte auch für die Neue Oper Wien oder die Wiener Festwochen. Seit 2005 arbeitet er als künstlerischer Produktionsleiter bei der RuhrTriennale. Aber worum geht es im „Baal“. Bei Brecht, bei Cerha? –  20 Jahre lang hat Friedrich Cerha sich mit dem (ersten) Stück von Bertolt Brecht beschäftigt: Jahre der kompositorischen Entwicklung und der Auseinandersetzung auch mit den gesellschaftlichen Problemen seiner Zeit. „Für mich war ‚Baal’ kein Opernstoff, den ich gewählt habe; ich mußte ihn machen“, notierte er einmal. Und schon 1962: „Baal sucht (oder schafft) keinen Ausgleich. (Als) Inbegriff des Vitalen ist er in des Wortes Grundbedeutung ‚a-sozial’. Baal muß in Gegensatz zur Gesellschaft geraten, und er muß untergehen. (…) Baals eigentlicher Antrieb ist das vitale, unausrottbare menschliche Glücksverlangen, die Suche `nach dem Land, wo es besser zu leben ist`, wie es in seinem letzten Lied heißt. Er sucht es hier, denn er ist `aufs Irdische angewiesen` und er stößt dabei an Grenzen aller Art.”

1981 war für Friedrich Cerha, der mit seinem „Spiegel“-Zyklus vor allem international  aufhorchen ließ, ein Jahr des auch österreichischen „Durchbruchs“. Als Gründer und Dirigent des Ensembles „die reihe“ hatte er in Wien nicht in erster Linie seine eigenen Werke, sondern die gesamte relevante Musik und Neue Musik des 20. Jahrhunderts realisiert. Bei den Wiener Festwochen wurde dann im Mai 1981 sein „Netzwerk“ für Bariton, 6 Sprecher, großes Kammerensemble, Bewegungsgruppe und „Mimen“ im Theater an der Wien uraufgeführt, am 7. August folgte bei den Salzburger Festspielen die Uraufführung der Oper „Baal“, die dann im September auch an die Wiener Staatsoper übersiedelte. Inszeniert hatte Otto Schenk, Dirigent war Christoph von Dohnanyi und das gesamte erste Ensemble der Staatsoper war aufgeboten. Unvergesslich bleibt der erste Sänger in der Rolle des Baal, der Bassbariton „Theo Adam“. Der neue Baal ist der 1973 in Orléans geborene Bariton Sébastien Soulès, der in Paris und Berlin Musik studierte und 2002 am Tiroler Landestheater debütierte – zuvor hatte er auch bei Brigitte Fassbaender Gesang studiert. Man kann also gespannt sein.

Anders als „Lulu“ von Wedekind und Alban Berg, die Friedrich Cerha ja vollendete, ist „Baal“ abstoßend in seiner Gewalttätigkeit. Das wusste auch Brecht, der allein zu Lebzeiten vier Fassungen des Stückes herstellte. Cerha hat sich vor allem an die frühen Fassungen gehalten – und gleich einmal den ersten „Gesang“ des Stückes, den „Choral vom großen Baal“ nicht „vertont“, mit Varianten des Didaktisch-Dialektischen des späteren Brecht konnte er sich nicht anfreunden, der „mythisierende“ Monolog störe die Beziehung zur Realität der Szenen. Dennoch: Wenn man Cerhas „Baal“ heute wieder anhört (es gibt bei „amadeo“ Live-CD- bzw. LP-Aufnahmen der Salzburger Uraufführung), fällt einem ein sehr elegischer Grundton – vor allem in den Gesängen und Lied-Kompositionen auf. Sie stellen vielleicht das Grundgerüst für ein Verständnis dieser reichen und komplexen Komposition dar.

Aber vorweg noch eine wichtige Cerha-Notiz zum Kompositionsverfahren und zum Umgang mit den Stück-Orginaltexten, in denen der (erst 20 jährige) Brecht die dramatische Sprache revolutionierte, indem er wie Luther „dem Volk aufs Maul geschaut“ hat. Es ist eine Mischung aus Volkstümlichkeit, gesellschaftlichem Jargon, balladesker Poesie und einer Sprache der Einsamkeit, schrieb Friedrich C. Heller im Programmheft der Uraufführung. Und Cerha notierte bereits 1978: „Meine Ehrfurcht vor dem organisch Gewachsenen einer Sprache (ist) grundsätzlich groß, es ist mir ein Bedürfnis, ihre Gesetzmäßigkeiten, ihre Gewichtungen, ihre Artikulation zu respektieren. Das Wort soll im Baal  wirklich im Vordergrund stehen – tragen. Formen stilisierenden Überhöhens aus dem letzten 70 Jahren sind für meine Intentionen nicht brauchbar, hingegen dienen ihnen alle Differenzierungsmöglichkeiten im Übergang vom Sprechen zum Singen. Melodisches von expressivem und formalem Eigenwert wächst an ganz bestimmten Stellen aus der Deklamation hervor. Baals Gesänge haben darüber hinaus eine besondere Funktion.“

Diese Sätze erklären den Gehalt und den Stellenwert der Baal-Oper eigentlich am besten. Und in den quasi geschlossenen Formen der Baal-Gesänge finden sich auch melodische Grundgestalten der gesamten Oper. Vor allem in der wunderbaren „Ballade der Dirne Evelyn Roe“, aber auch im „Lied vom ertrunkenen Mädchen“ und dem vom „Tod im Wald“. Gerettet hat Friedrich Cerha auch die wichtige, in späteren Ausgaben gestrichene Ballade vom Ichthyosaurus, in der Baal seine Haltung zur Gesellschaft darlegt: Der „allgemein unbeliebte“ Ichthyosaurus mied Noahs Arche, weil er an die Flut nicht glaubte – und ersoff. Auch Baal ist am Ende – sogar unter den Holzfällern – der Unbeliebte. Neben diesen Gesängen sind natürlich auch andere Szenen und Verfahren wichtig: Passacaglia, Reggae, Foxtrott, Geräusch-Fuge werden verarbeitet und ganz besonders beeindruckend ist die Szene in der Diele mit Bettler, Gougou und Bollebol.

Aber zuvor singt Baal noch in einer Branntweinschenke, wovon er vergeblich träumt: „Oh, die ihr aus Himmel und Hölle vertrieben / Ihr Mörder, denen viel Leides geschah! / Warum seid ihr nicht im Schoß eurer Mütter geblieben? / Wo es stille war und man schlief und man war da …// Er aber sucht noch in absynthenen Meeren / Wenn ihn schon seine Mutter vergisst / Grinsend und fluchend und zuweilen nicht ohne Zähren / Immer das Land, wo es besser zu leben ist. // Schlendernd durch Höllen und gepeitscht durch Paradiese / Still und grinsend, vergehenden Gesichts / Träumt er gelegentlich von einer kleinen Wiese / Mit blauem Himmel drüber und sonst nichts.“ (Bertolt Brecht, Baal, genial vertont). Friedrich Cerha: „Im Baal steht ein extrem vitaler, sein Glück ohne Rücksicht auf die Gesellschaft suchender Einzelmensch provokant im Zentrum des Geschehens – und geht zugrunde.”

Heinz Rögl

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