Neue Oper Wien: Programm 2024/25

Wir leben derzeit in einer noch nie da gewesen turbulenten Epoche. Innere und äußere Bedrohungen machen uns unsicher und orientierungslos. Empathie ist mehr gefragt denn je. Diesen mannigfaltigen Themen widmet sich die Neue Oper Wien in ihrem Spielplan für 2024 und 2025. Vier österreichische Erstaufführungen (davon eine Neubearbeitung) stehen auf dem Plan.

Mit Gottfried von Einems Oper „Der Prozess“ setzt die Neue Oper Wien ihre Serie von Wiederentdeckungen fort. In Koproduktion mit dem Theater an der Wien in der Kammeroper können wir dieses zeitlos aktuelle Stück nun in einer Kammerversion zeigen. Nebenbei ist dies ein gebührender musikalischer Beitrag zum Franz Kafka-Jahr.

Oscar Strasnoy, ein international gefragter Komponist, ist leider in Österreich unterrepräsentiert. Mit seiner 2010 am Théâtre National de Quimper (Frankreich) uraufgeführten Satireoper „Cachafaz“ wird diesem Umstand entgegengewirkt.

Umrahmt werden beide Produktionen von zwei Musiktheatern, die sich einem Uraltthema widmen: „Orpheo und Eurydice“. Während Pascal Dusapin in „Passion“ musikalisch auf Claudio Monteverdi Bezug nimmt, wartet Manfred Trojahn in seiner Version dieser Liebesgeschichte mit einer neuen Lesart auf und beleuchtet sie auch im Hinblick der Genderdebatte. Vorgegebenes auf den Kopf zu stellen, scheinbar Vertrautes zu hinterfragen, kennzeichnet die sechste Oper Manfred Trojahns. Erfreulicherweise ist es mir gelungen die Aufführungsrechte für Trojahns „Eurydice“ unmittelbar nach der fulminanten Uraufführung im Jahr 2022 an der Amsterdamer Oper für Wien zu sichern.

Junge Talente mit erfahrenen Künstler:innen zusammenzubringen, war schon immer ein wesentliches Kennzeichen der Neuen Oper Wien.

Passion

Österreichische Erstaufführung
Musik: Pascal Dusapin
Libretto: Pascal Dusapin und Rita de Letteriis

Pascal Dusapins Oper Passion, 2008 in Aix-en-Provence uraufgeführt, stellt das Zwischenmenschliche in den Fokus: Lui (Er) und Lei (Sie) verstricken sich in das nie verklingende Lied der Liebe und geraten dabei an die Grenze zwischen Leidenschaft und Obsession. Bereichert wird die intime Szene durch Gli altri, die Anderen, die madrigalartig das Geschehen im Zentrum kommentieren, aber auch als Luis innere Stimme fungieren.

In der Regie von Ursula Horner wird Passion zu einem Spiel mit tragischem Ausgang. Gerade die Ursachen der krankhaften Seite einer Liebesbeziehung arbeitet die aus Wien stammende Regisseurin in ihrer Inszenierung heraus: „Passion leitet sich von dem lateinischen Wort ‚passio‘ ab, das so viel wie ‚Leiden‘ oder ‚Krankheit‘ bedeutet. In unserem Sprachgebrauch wird es auch für eine schwierig zu kontrollierende Leidenschaft verwendet.“ Allerdings betont Horner auch: „Jegliche Gewalt innerhalb einer Beziehung kann und darf nicht erklärt werden, dafür gibt es keine Entschuldigung.“

Die Zeitung The Guardian zählte 2019 Dusapins sechste Oper Passion unter die 15 besten musikalischen Kunstwerke des 21. Jahrhunderts. Empfindsame Cembaloklänge untermalen die dissonanthypnotisierenden Texturen in Dusapins Partitur und spielen klanglich subtil auf die französische Barockmusik an. In strenger Schönheit und mit leuchtendem Klang verbindet Dusapin schließlich die seelischen und körperlichen Regungen von Lei und Lui zu einem musikalischen Pas des deux.

Aufführungen
10., 13., 15. und 17. Oktober 2024, jeweils 19:00 Uhr
Das Muth, Am Augartenspitz 1, 1020 Wien

Gastspiel im Juni 2024 bei den Ostrava New Opera Days

Musikalische Leitung Walter Kobéra
Inszenierung Ursula Horner
Bühne Norbert Chmel
Kostüm Melanie Jane Frost
Klangregie und Live Elektronik Christina Bauer
Licht Vasil Lisichov

Lei: Melis Demiray
Lui: Wolfgang Resch

PPCM Vokalensemble aus dem Masterstudiengang „Performance Practice in Contemporary Music” von Holger Falk an der Kunstuniversität Graz

amadeus ensemble-wien

Der Prozess

Musik: Gottfried von Einem
Libretto: Boris Blacher und Heinz von Cramer nach dem Roman von Franz Kafka
Bearbeitung für kleines Orchester von Tobias Leppert
Österreichische Erstaufführung der bearbeiteten, reduzierten Fassung

Koproduktion des MusikTheaters an der Wien in der Kammeroper mit der Neuen Oper Wien
Unterstützt von der Gottfried von Einem Musik-Privatstiftung

Dicht an Franz Kafkas Originalvorlage aus dem Jahr 1925 lässt Gottfried von Einem in seiner zweiten Oper Der Prozess (uraufgeführt bei den Salzburger Festspielen 1953) das Publikum in die Geschichte des Bankangestellten Josef K. eintauchen, der plötzlich und ohne ersichtlichen Grund verhaftet wird. Die Suche nach Antworten führt ihn in ein düsteres Labyrinth von Machtstrukturen und Absurditäten der Bürokratie. Gleichsam als letzten Ausweg sucht Josef K. eine Kirche auf. Aber auch hier: Kein Trost, keine Antwort, kein Schutz. Es sind die essenziellen Fragen nach Schuld, Identität und Macht, die Von Einem mit dissonanten Klängen, komplexen Rhythmen und expressionistischen Texturen zu einer beklemmenden Stimmung formt.

Der österreichische Komponist Gottfried von Einem (1918-1996) prägte die österreichische Musikszene unter anderem durch seine Literaturopern, die häufig die Topoi Manipulation und Despotismus thematisieren, nachhaltig.

Aufführungen
5., 7., 9., 12., 14., 17., 20. und 22. Dezember 2024, jeweils 19:00 Uhr
Kammeroper, Fleischmarkt 24, 1010 Wien

Musikalische Leitung Walter Kobéra
Inszenierung Stefan Herheim
Bühne Silke Bauer
Kostüm Nina Paireder
Licht Franz Tscheck
Dramaturgie Kai Weßler

Josef K.: Robert Murray
Die Frau: Anne-Fleur Werner
Alle Übrigen: Alexander Grassauer
Timothy Connor
Valentino Blasina
Fabian Tobias Huster
Lukas Karzel

Klangforum Wien PPCM Academy

Cachafaz

Österreichische Erstaufführung
Musik: Oscar Strasnoy
Libretto: „Cachafaz“, barbarische Tragödie von Copi

Der renommierte argentinisch-französische Komponist Oscar Strasnoy (*1970) entführt das Publikum mit seinem achten Musiktheater in die düstere und fesselnde Welt des Bösewichts Cachafaz. Basierend auf der gleichnamigen barbarischen Tragödie von Copi (1939-1987) ist Cachafaz ein intensives Erlebnis, das musikalisch traditionelle Tango-Elemente mit zeitgenössischen Klängen vereint und dramatisch auf politische Aspekte, menschliche Beziehungen und existenzielle Fragen eingeht.

Die Oper erzählt die Geschichte des Diebes und Betrügers Cachafaz, der gemeinsam mit seinem Transvestitenfreund Raulito in einer heruntergekommenen Pension lebt. In einer Welt, in der es ihnen stets an Kost und Kohle mangelt, sind beide bereit, grausame Dinge zu tun, um sich aus ihrer pekuniären Notsituation zu befreien. Doch ihre Taten bleiben nicht folgenlos: Bald holt sie ein mysteriöser Fluch ein, der ihren unausweichlichen Untergang prophezeit.

Aufführungen
15., 18., 20. & 22. März 2025, jeweils 19:30 Uhr
Jugendstiltheater, Baumgartner Höhe 1, 1140 Wien

Musikalische Leitung Walter Kobéra
Inszenierung Benedikt Arnold
Ausstattung Monika Biegler
Lichtdesign Norbert Chmel

Cachafaz: Andreas Jankowitsch
Raulito: Felix Heuser

Wiener Kammerchor, Choreinstudierung: Bernhard Jaretz

amadeus ensemble-wien

Eurydice – Die Liebenden, blind

Österreichische Erstaufführung
Musik: Manfred Trojahn
Libretto: Manfred Trojahn unter Verwendung von drei Gedichten von Rainer Maria Rilke aus „Sonette an Orpheus“

In seiner 2021 uraufgeführten Oper Eurydice – Die Liebenden, blind widmet sich Manfred Trojahn einem zeitlosen Thema: der Frage, ob die Liebe den Tod überwinden kann. Das Werk präsentiert sich als psychologisches Drama, das sich musikalisch aus dem breiten Reservoir der zeitgenössischen Tonalität speist, und führt in eine Welt voller Sinnlichkeit, Ausdruckskraft und Formenvielfalt. Eurydice ist hier eine Schauspielerin, die sich auf eine verhängnisvolle Affäre mit dem Unterweltgott Pluton einlässt. Auf ihrer Reise zu ihm begegnet sie dem jungen Musiker Orphée und verliebt sich. Es baut sich eine intensive Beziehung zwischen beiden auf. Pluton allerdings bleibt allgegenwärtig und Eurydices Schicksal scheint besiegelt. Jedoch gelingt ein erneutes Wiedersehen zwischen Eurydice und Orphée – mit ungewissem Ausgang.

Der deutsche Komponist, Dirigent und Essayist Manfred Trojahn (*1949) hat sich mit seinen herausragenden Opern einen festen Platz im zeitgenössischen Musiktheaterbetrieb erobert. Mit raffinierter musikalischer Struktur und dezidiert erzählerischen Elementen wird Trojahns Musik zum lebendigen Sprachrohr der Figuren und ihrer Gefühle.

16., 18., 21. & 22. Oktober 2025, jeweils 19:00 Uhr
Halle E im Wiener MuseumsQuartier, Museumsplatz 1, 1070 Wien

Musikalische Leitung Walter Kobéra
Inszenierung Juana Inés Cano Restrepo
Ausstattung Dietlind Konold
Lichtdesign Norbert Chmel

Eurydice: Laure-Catherine Beyers
Proserpine: Tara Venditti
Orphée: Martin Achrainer
Pluton: Christoph Gerhardus

Madrigalisten des Wiener Kammerchores, Einstudierung: Bernhard Jaretz

Tonkünstler-Orchester Niederösterreich

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Neue Oper Wien