„Natürlich sind wir alle Kreative, aber was einige vergessen, ist, dass wir auch Dienstleister sind.“ – CHRISTIAN HESCHL im mica-Interview

Die Liebe zum Film und vor allem zur Filmmusik wurde bei dem Komponisten CHRISTIAN HESCHL schon früh geweckt. Er hörte in seiner Jugend Soundtracks rauf und runter, bis er beschloss, selbst welche zu komponieren. Aus dem Hobby entwickelte sich schnell ein konkreter Berufswunsch, den der gebürtige Niederösterreicher in einem beachtlichen Tempo realisierte. Von seinen ersten kleinen, aber professionellen Arbeiten bis hin zu großen internationalen Filmkompositionsaufträgen vergingen nur wenige Jahre. Seine aktuelle Arbeit, die Vertonung der National Geographic / Disney+ Serie „Lost Cities Revealed with Albert Lin“, ist seit wenigen Wochen auf Disney+ zu sehen. Im Interview mit Michael Ternai erzählt CHRISTIAN HESCHL von seinem beeindruckend schnellen Werdegang, den Herausforderungen für Komponistinnen und Komponisten in der Filmmusikbranche und der Bedeutung von Credits für die Karriere.

Bei meiner Recherche zu diesem Interview bin ich auf einen Kurier-Artikel aus dem Jahr 2018 gestoßen, in dem stand, dass du damals neben deiner Tätigkeit als Komponist auch als Bankberater gearbeitet hast. Ich nehme einmal an, dass dies mittlerweile nicht mehr der Fall ist?

Christian Heschl: Nein, das ist nicht mehr so. Als der Artikel erschien, war ich 22 Jahre alt, und ich glaube, ich habe den Job dann noch etwa anderthalb Jahre weitergemacht. Irgendwann war es jedoch soweit, dass ich den Job komplett an den Nagel gehängt und mich voll auf die Musik konzentriert habe. Natürlich war ich anfangs eher skeptisch, ob das überhaupt etwas werden würde. Damals lebte ich noch auf dem Land und war weit, weit weg von jeglicher Industrie, ohne wirkliche Kontakte. Überraschenderweise hat es dann jedoch viel schneller geklappt, als ich es mir vorgestellt hatte. Dass dem so war, hatte sicher auch mit etwas Glück zu tun. Ich habe intensiv darauf hingearbeitet, damit die Dinge ins Rollen kommen, aber in dieser Branche ist es schon so, dass du letztlich, neben harter Arbeit, Disziplin etc., auch immer ein klein wenig Glück brauchst, um irgendwo reinzurutschen.

Interessant an dir ist ja, dass du eigentlich kein Kompositionsstudium oder dergleichen absolviert hast.

Christian Heschl: Stimmt. Ich habe nicht studiert. Ich habe mir alles selbst beigebracht. Kurz nach der Matura habe ich zwar darüber nachgedacht, ob ich Musik studieren sollte, mich dann aber dagegen entschieden. Ich hatte einfach keine Lust darauf. Und es gibt in der Branche genügend Beispiele von Leuten, die nicht studiert haben und trotzdem erfolgreiche Komponisten sind.

War für dich von Beginn an klar, dass du in Richtung Filmmusik gehen willst?

Christian Heschl: Ja, das war für mich völlig klar. Ich habe schon immer Soundtracks rauf und runter gehört. Das war mein Ding. Klassische Musik kenne ich und höre ich auch, aber nicht so oft. Filmmusik spricht mich einfach mehr an. Natürlich ist klassische Musik dennoch ein Einfluss. Ich wurde letztens gefragt, ob ich ein Cellokonzert schreiben möchte. Ich würde sagen, schauen wir mal. Ich werde es auf jeden Fall ausprobieren.

Wie und wann hast du die Liebe zur Filmmusik entdeckt? Wer sind in der Filmmusik deine Helden? Ein Hans Zimmer vielleicht?

Christian Heschl: Natürlich sind Leute wie Hans Zimmer und John Williams für mich, genauso wie für die meisten, eine große Inspiration. Speziell hat mich jedoch James Newton Howard stark beeinflusst. Er ist unter anderem für seine Arbeiten an Filmen wie “Auf der Flucht”, “Blood Diamond”, “Das Dorf” oder “Die Tribute von Panem” bekannt und so etwas wie ein Idol für mich. Es ist vor allem seine Art, wie er Musik komponiert und mit Klängen arbeitet, die mich begeistert. Egal in welchem Genre er tätig ist – und er hat mittlerweile alle Genres durch –, es gelingt ihm immer, den passenden Klang und Sound zu finden. Aber natürlich gibt es noch eine Reihe anderer Komponisten, die mich begeistern. Zum Beispiel der leider bereits verstorbene James Horner (“Aliens – Die Rückkehr”, “Braveheart”, “Titanic”, “Avatar”, “Apollo 13”). Und ganz aktuell die isländische Komponistin Hildur Guðnadóttir, die für die Musik zum Film “Joker” einen Oscar erhalten und auch die Musik zur HBO-Serie “Chernobyl” gemacht hat. Sie hat schlicht einen Sound und Stil, der unglaublich einzigartig ist.

Du bist Jahrgang 1996, also einer der Jüngeren in der Filmmusik-Branche. Es ist bei dir wirklich sehr schnell gegangen. Zwischen deinen ersten Arbeiten und deinen jetzigen Projekten für National Geographic oder die internationale AppleTV+ Serie “Liaison” liegen nur wenige Jahre.

Bild Christian Heschl
Christian Herschl (c) Pressefoto

Christian Heschl: Bei der Apple TV+ Serie “Liaison” war ich als “Score Producer” tätig. Da habe ich mit dem Komponisten Walter Mair zusammengearbeitet, der zufälligerweise auch aus Österreich stammt. Wir arbeiten seit etwa viereinhalb Jahren zusammen. Man kann sagen, dass er so etwas wie ein Mentor für mich ist, weil ich von ihm unglaublich viel lerne. Da er schon viele Jahre in der Branche ist, weiß er genau, was man tun muss, wie die Großprojekte ablaufen, und er versteht, wie die “politics” funktionieren, die vor allem bei internationalen Großproduktionen eine sehr große Rolle spielen. Die Zusammenarbeit mit ihm hilft mir auch dahingehend, dass ich über die Projekte mit ihm Credits/Referenzen sammeln kann, was auch nicht ganz unwichtig ist.

„Der erste Meilenstein ist bei jeder und jedem immer der, wenn jemand überhaupt einmal antwortet und dir eine Chance gibt.“

Wenn du deine bisherige Karriere Revue passieren lässt, welche waren die Meilensteine, die dich entscheidend nach vorne gebracht und dich auf die nächsthöhere Ebene katapultiert haben?

Christian Heschl: Der erste Meilenstein ist bei jeder und jedem immer der, wenn jemand überhaupt einmal antwortet und dir eine Chance gibt. Das war bei mir der Schweizer Regisseur Chris Schmid. Er ist ein unfassbar kreativer Kameramann und Regisseur, mit dem ich mittlerweile schon einiges gemeinsam gemacht habe. Ich bin ein sehr ästhetischer Mensch, der sehr darauf achtet, wie schön etwas gefilmt ist und wie die Kameraarbeit aussieht, Lichtsetzung, Color Grading etc. Chris hatte einen Stil, der irgendwie anders war, sehr cineastisch, so wie es mir gefällt. Ich schrieb ihn damals einfach an, ohne mir aber allzu große Hoffnungen zu machen. Überraschenderweise antwortete er mir gleich und schlug vor, es gemeinsam einmal zu probieren. Unser erstes Projekt war ein kleiner Film, der im Rahmen des damals existierenden National Geographic Kurzfilm-Programms lief. Obwohl das Programm kurz darauf eingestellt wurde, gab uns die Tatsache, dass unser Film noch gezeigt wurde, einen richtigen Schub. Ich hatte zum ersten Mal wirklich etwas Vorzeigbares. Damit bin ich dann hausieren gegangen, bis sich ein nächster Kurzfilm ergab. Irgendwann habe ich dann ein Produktionshaus in Deutschland angeschrieben, über das ich dann für Arte, ARD, WDR und SWR arbeiten konnte. Je mehr Projekte und Credits man hat, desto besser sieht auch der Lebenslauf aus.

Daneben habe ich immer viel Netzwerkarbeit betrieben, unter anderem in den USA, wo ich einige Leute, darunter auch einige Produzenten, kennenlernen konnte. Über einen von ihnen bin ich dann an ein Filmprojekt über den amerikanischen Comiczeichner Todd McFarlane gelangt (“Like Hell I Won’t”). Was ich damals noch nicht wusste, war, dass es sich bei ihm um eine der ganz großen amerikanischen Comiczeichner-Legenden handelt, der unter anderem die Comic-Charaktere Spiderman und Venom entworfen hat. Der Produzent hat mich dem Regisseur des Projekts empfohlen. Man fragte mich, ob ich nicht die Signation für die Doku übernehmen wollte, die damals sowohl für NBC als auch für den SYFY lief. Selbstverständlich habe ich dieses Angebot angenommen, und der Regisseur war so beeindruckt, dass er mir daraufhin sagte, ich könne auch den Rest übernehmen. Dadurch erhielt ich sofort einen Credit von NBC/SYFY. So entwickelte sich alles Schritt für Schritt weiter.

Später habe ich dann eben Walter Mair in London kennengelernt, wo er seit vielen Jahren lebt. Auch er bot mir die Möglichkeit, ihn bei Projekten zu unterstützen, was zu weiteren neuen Credits führte. Das waren alles Meilensteine. Walter Mair habe ich wahnsinnig viel zu verdanken. Ich habe von ihm viel gelernt und lerne immer noch.

Mit all diesen Credits wird man dann auch Stück für Stück mehr wahrgenommen. International gesehen, geht es natürlich schon darum, was du draufhast. Aber ebenso wichtig ist, welche Credits du vorweisen kannst. „Hast du bereits bei größeren Projekten bewiesen, dass du damit umgehen kannst?“ Am Anfang musste ich zeigen, dass ich mit einem Kurzfilm fertig werde, dann, dass ich mit einer Doku umgehen kann, und danach mit einer Serie … so geht es immer weiter, und es baut sich auf.

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Der nächste Meilenstein war, als ich erstmals mit einem großen Orchester aufnehmen konnte, was keine alltägliche Geschichte ist, da so etwas oft eine Budgetfrage ist. Mein aktuellster und zugleich größter Meilenstein ist die National Geographic Serie „Lost Cities Revealed“, weil ich hier zum ersten Mal bei einer großen Natgeo/Disney+ Serie als Main-Composer angeführt werde. Ich war daher für die gesamte Musik der Serie mit 6 Folgen zuständig. Das ist für mich ein wirklich sehr bedeutender Schritt, einer, der hoffentlich in Zukunft helfen wird, weitere Serienprojekte zu bekommen.

Das klingt schon einmal sehr beeindruckend. Wie kann man sich die Arbeit einer Filmmusikkomponistin bzw. eines Filmmusikkomponisten konkret vorstellen?

Christian Heschl: Entweder kommen die Regisseure/Produzenten direkt mit einem Projekt auf mich zu, oder es wird einem angeboten, für ein Projekt zu ‘pitchen’, denn natürlich wollen alle ein Stück vom Kuchen, ganz klar. Wenn man den Pitch auf den Tisch bekommt, heißt es also immer, 250 % geben und hoffen, dass man überzeugt und die Zusage für das Projekt bekommt. Man muss zeigen, dass man in der Lage ist, das umzusetzen, was im Briefing steht und den Vorstellungen der Regisseure und Produzenten entspricht. Und es ist eigentlich fast immer so, dass alle eine andere Meinung haben und etwas anderes wollen. Man muss also versuchen, so gut wie möglich die goldene Mitte zu finden, mit der alle irgendwie zufrieden sind.

„Erst im Gespräch wird klar, was der Regisseur bei einem Projekt konkret möchte […]“

Die Herangehensweise an ein Projekt hängt natürlich stark vom Genre ab. Dieses gibt schon ein wenig die Richtung vor. Und dann heißt es einfach reden, reden, reden – mit dem Regisseur und dem Produzenten. Man schickt sich erste Sachen hin und her, gibt Input und spricht darüber, wo man wie etwas verändern könnte. So konkretisiert sich die Idee dann immer mehr, besonders wenn man mit jemandem zusammenarbeitet, mit dem man zuvor noch nichts gemeinsam gemacht hat. Erst im Gespräch wird klar, was der Regisseur bei einem Projekt konkret möchte – eher groß oder eher klein, eher orchestral oder mehr mit Synthesizern. Diese Informationen erhält man nur durch eine regelmäßige Kommunikation.

Ein wenig anders verhält es sich, wenn man sich bereits länger kennt. Chris Schmid und ich sind mittlerweile extrem gut befreundet. Ich weiß bereits ziemlich genau, was er möchte, und er kennt auch meine Vorstellungen genau. Ich denke, dass es auch bei solch bekannten Kollaborationen wie Chris Nolan und Hans Zimmer, Tim Burton und Danny Elfman oder Steven Spielberg und John Williams nicht anders ist.

Wie begreifst du deine Rolle bei den Projekten? Geht es einfach um die Erfüllung von Vorstellungen anderer oder kannst du dich mit deiner eigenen Kreativität auch einbringen? 

Christian Heschl: Das hängt immer vom jeweiligen Projekt ab. Jede Regisseurin bzw. jeder Regisseur ist ganz unterschiedlich, und jede Produktion erfordert etwas anderes. Ich habe mit Regisseuren zusammengearbeitet, die sagten: ‘Es soll ungefähr in diese Richtung gehen, mach einfach.’ Dann gibt es andere, die sehr genau wissen, was sie wollen. Das hat auch seine Vorteile, da man sich bei der Suche nach der kreativen Richtung viel Zeit spart. Als Komponist ist man natürlich in solchen Fällen wiederum etwas mehr eingeschränkt, sich etwas vom Briefing wegzubewegen. Es ist jedoch keineswegs negativ, wenn eine Regisseurin oder ein Regisseur eine klare Vision hat – im Gegenteil, es ist etwas Positives, vor allem zeitlich. Alles hat sein Für und Wider.

Als Filmkomponist:in muss man eine Art Chamäleon sein. Gerade hat man eine Abenteuer-Serie gemacht, und jetzt steht ein Thriller an – man muss sich anpassen können. Natürlich habe ich meinen eigenen Stil, und ich möchte bestimmte Elemente einbringen. Aber letztendlich hängt es von der jeweiligen Produktion ab, ob diese Elemente in die Produktion aufgenommen werden oder nicht.

Bild Christian Heschl
Christian Heschl (c) Pressefoto

Natürlich sind wir alle Kreative, aber was einige vergessen, ist, dass wir auch Dienstleister sind. Wir befinden uns in einem klassischen Dienstleistungsverhältnis. Eine Regisseurin oder ein Regisseur wählt dich aus, weil du einen bestimmten Stil hast. Sie möchten mit dem Film IHRE Geschichten erzählen und nicht meine. Natürlich kann man Vorschläge machen und über bestimmte Dinge diskutieren, letztendlich liegt die finale Entscheidung jedoch bei den Regisseur:innen und Produzent:innen.

Wenn man die letzten Jahre betrachtet, hat man das Gefühl das Filmmusik-Komponist:innen heute viel mehr Respekt entgegengebracht wird, als es noch vor einiger Zeit der Fall war. Man hat das Gefühl, es wird viel mehr über die Leute dieses Fach gesprochen.

Christian Heschl: Gott sei Dank hat sich in dieser Hinsicht viel getan, besonders in Europa, und das in einer überraschend kurzen Zeit. Dass vermehrt Filmmusik bei Konzerten gespielt wird, hat sicherlich zu dieser positiven Entwicklung beigetragen. Wenn man zum Beispiel Hans Zimmer betrachtet und seine weltweit ausverkauften Touren sieht, wird deutlich, dass Filmmusik in der breiten Masse mittlerweile ‘salonfähiger’ geworden ist. In klassischen Konzerthäusern durfte lange Zeit eigentlich nur klassische Musik gespielt werden, bis man sich schließlich dazu entschieden hat, zu akzeptieren, dass auch Komponisten wie John Williams und Hans Zimmer ihre Berechtigung haben, in einem Konzerthaus aufzutreten. Ich glaube auch, dass Festivals wie ‘Hollywood in Vienna’, das ‘Filmmusik Festival Krakau’ oder das ‘Film Fest Gent’ erheblich zu dieser positiven Entwicklung beigetragen haben. Wenn man sich zudem noch ansieht, wie viele Millionen Streams einzelne Tracks von Filmen auf manchen Plattformen haben, ist das beeindruckend. Das sagt schon einiges aus.

Wie sieht es mit deinen Zielen aus? Ich nehme einmal an, eine große Hollywood-Produktion wäre so eines.

Christian Heschl: Ein Ziel ist es definitiv, an einer großen kommerziellen Produktion zu arbeiten, die ein wirklich großes Publikum anspricht – ein echter klassischer Kinoblockbuster, über den die Menschen sprechen. Die letzte Serie, an der ich gearbeitet habe (‘Lost Cities Revealed‘), hat bereits eine beträchtliche Anzahl von Zuschauer:innen erreicht, aber das wäre nochmal eine andere Dimension. Aber da ist, so ehrlich muss man sein, noch Luft nach oben. Es gibt wirklich noch einen weiten Weg zu gehen, denn je größer die Projekte werden und je höher sie in den Sphären angesiedelt sind, desto härter wird die Angelegenheit. Es gibt ja einen Grund, warum relativ wenige Komponist:innen in der A-List Liga ganz oben mitspielen. Aber natürlich wäre es ein Traum, in diese Sphären vorzustoßen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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