Wien Modern: „Das Märchen vom alten Mann“ für Kinder

War es wirklich „einmal vor langer, langer Zeit“, dieses „Märchen vom alten Mann“ oder ist es eine Parabel, die zeitlos jederzeit Gültigkeit beanspruchen kann? Cornelia Rainers und Thomas Wallys gleichnamiges neues Musiktheaterstück läuft noch bis 31. Oktober 2013 im Dschungel Wien und empfiehlt sich für den Besuch durch Kinder mit erwachsener Begleitung.

Kindertheater nach Motiven von Andersen und Büchner

Die Handlung, die Cornelia Rainer (Konzept, Regie, Libretto) nach Motiven von Hans Christian Andersen und Georg Büchner gestaltete, ist für den Erwachsenen relativ leicht nachvollziehbar: Im Haus einer jungen Familie taucht ein alter Mann auf und bringt den Alltag der Bewohner gehörig durcheinander. Aus dem Programmheft: „Während sich der alte Mann auf die unsichtbare Spur längst vergangener Tage begibt, wird der Ort zunehmend zu einem Raum, in dem Wirklichkeit, Erinnerung und Fantasie ineinanderlaufen und sich vermischen. Schon bald wird klar: Die Reise des alten Mannes hat nicht zufällig an diesen Ort geführt.“ – Einst wohnte der alte Mann selbst mit seinen Eltern an diesem Ort, ehe ein Bombentreffer im Krieg alle und alles auslöschte, was ihm wichtig war. – „Und weil niemand mehr da war, ging das Kind in die Welt hinaus, und mit der Zeit wurde das Kind dann älter und älter und immer älter.”– Dort, wo einst sein Haus stand, steht nun ein hübscher Neubau, den Kostümen nach irgendwann in den 1950er-Jahren, doch Fantasie und Wirklichkeit verschmelzen: Der alte Mann spiegelt sich im Kind der Familie. Jahrzehnte später, in unseren Tagen, wird es selbst als alter Mann an diesen Ort zurückkehren.

Die Botschaft erreicht das Zielpublikum

Die doppelte Botschaft – Kriegsschrecken und seine Folgen für das Individuum, Armut und Einsamkeit im Alter – überfrachtet das Stück etwas. Lustig ist dieser Stoff nicht, es gibt keine frohe Botschaft und kein Happy End. Und doch und das ist das Entscheidende: Die kleinen Besucher, durchwegs zwischen etwa fünf und zwölf Jahre alt, sind während der 50-minütigen Dauer mit anhaltender Spannung dabei. Sie interessieren sich weniger für die großen Zusammenhänge als für die Details der Darstellung und die Requisiten. Und nach dem Schlussapplaus tönt eine Vielfalt an Fragen durch den sich leerenden Raum, die zeigen, dass jeder sich so seine eigenen Gedanken gemacht hat und durchaus die verschiedensten, wohl so intendierten Zusammenhänge hergestellt hat.

Musik, die nicht erschreckt

Mit dem ensemble LUX integriert Thomas Wally in das Stück eine Musik, die sich durchgehend einfachster diatonischer oder chromatisch durchsetzter Melodien bedient: eingängig, beim ersten Hören erfassbar und vielfach bewusst Motive aus der Musikgeschichte einsetzend – am Prägnantesten wohl die „Carmen“-Habanera. Als kleiner Trick, junge Hörern auf diese Weise auf eine kommende erste Begegnung mit diesen und anderen Klassikern vertraut zu machen, ist das recht hübsch; eine Art angewandte Musikvermittlung gewissermaßen. Dass der Musikanteil im Schauspielgeschehen nicht dominiert, sondern eher im Hintergrund steht, scheint nicht restlos zwingend: Wenn man ein „Märchen“ nach traditioneller Weise mit Musik ausstattet, dann sollte ihr vermutlich doch eine weiter hervorgehobene Rolle zukommen. Da fehlt der große „Schlager“, den die Kinder noch stundenlang nach der Vorstellung zum Leidwesen ihrer Eltern voll Inbrunst vor sich hin trällern.

Gewinnende Schauspiel-Sänger

Erstklassig alle Darsteller, die uneingeschränkt wortdeutlich agieren, in keinem Moment zu dick auftragen und im Fall der Familie (Anna-Sophie Kostal, Tom Kofler, Florian Stanek) die kurzen Gesänge mit ausnehmend hübschen Stimmen vorzutragen wissen. Fast durchgehend pantomimisch agiert der „alte Mann“ Klaus Huhle teils so berührend und intensiv, dass man sich entsprechender Betretenheit schwer erwehren kann.

Weitere Vorstellungen bis 31. Oktober 2013

„Das Märchen vom alten Mann“ setzt sich laut Produktionsteam zum Ziel, Kinder (und Erwachsene) mit der Lebens- und Erinnerungswelt alter Menschen vertraut zu machen und an existenzielle Themen wie Vergänglichkeit, Verlust und Einsamkeit heranzuführen. In diesem Sinn ist der Besuch einer der noch folgenden Vorstellungen zu empfehlen. Gespielt wird am Dienstag, 29. Oktober (10:30 und 14:30), Mittwoch, 30. Oktober (10:30 und 15:00), sowie am Donnerstag, 31. Oktober (10:30 und 14:30). Kartenreservierung unter (01) 522 07 20 20(01) 522 07 20 20.

Christian Heindl

Foto: Ani Antonova

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