„Mythos von Regeln bei der Wahrnehmung von klassischer Musik“ – KATJA FREI (geb. SEIDEL) im mica-Interview

Katja Frei leitet die Education-Abteilung am Wiener Konzerthaus und ist Mitglied des Beirats der Plattform Musikvermittlung Österreich. Als langjährige Musikvermittlerin in Deutschland kennt sie Herausforderungen, die auch in Österreich ähnlich gelebt werden, wie beispielsweise der Mythos, dass eine angemessene Wahrnehmung von klassischer Musik bestimmten Einstellungen und Regeln folgen würde.

Liebe Frau Frei, warum vermitteln Sie Musik?

Katja Frei (geb. Seidel): Die Beschäftigung mit Musik ist für mich eng verknüpft mit der Vermittlung von sozialen Kompetenzen und hat daher einen hohen gesellschaftlichen Wert – vor allem, wenn man selbst aktiv Musik macht. Ich konnte schon als Kind durch das Spielen im Orchester und Singen im Chor meine Fähigkeit zuzuhören schulen, habe es außerdem gelernt, gemeinsam Grenzen zu überwinden oder auch im Team neue Ideen zu entwickeln und allem voran entdeckte ich meine Leidenschaft für Musik. Diese kann ich nun in Form verschiedenster Musikvermittlungsprojekte weitergeben. Die abwechslungsreiche Arbeit mit unterschiedlichen Menschen und Altersgruppen und die unzähligen Möglichkeiten, Musik auf moderne Art und Weise zu vermitteln, schätze ich sehr.

Was sind Eckpunkte Ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn?

Katja Frei: Nach dem Abitur an einem musischen Gymnasium habe ich Geige studiert und im Anschluss sieben Jahre im Orchester gearbeitet. 2009 konnte ich meine Leidenschaft für Musikvermittlung in einem berufsbegleitenden Masterstudium an der Hochschule für Musik Detmold und damit verbunden in Kinder- und Schulkonzerten z.B. mit der Jenaer Philharmonie verwirklichen. Fast zeitgleich folgte meine Anstellung bei „The Young ClassX“, einem CSR-Projekt für Kinder und Jugendliche der Otto Group, wo ich vielfältige berufliche Erfahrungen als Projektleiterin im Dreieck zwischen Kultur, Wirtschaft und Politik sammeln konnte.

Vor einem Jahr führte mich mein Weg ans Wiener Konzerthaus. Mit der Unterstützung unseres Intendanten, Matthias Naske, betreue und entwickle ich Formate für Kinder und Jugendliche bzw. ebenso Musikvermittlungsangebote für Erwachsene. Der berufliche Wechsel ermöglicht mir intensive Einblicke in die österreichische Kulturlandschaft und Lebensart. Am meisten schätze ich an Wien die für mich spürbare Verankerung und den hohen Wert von Kultur im Alltag der Menschen hier.

Mit welchen Herausforderungen sind Sie als Musikvermittlerin in der österreichischen Kulturlandschaft konfrontiert?

Katja Frei: Da ich erst relativ kurz in Österreich lebe und arbeite, gibt es immer noch bezüglich der Einbettung der Musikvermittlung in der österreichischen Kulturlandschaft sehr viel für mich neu zu entdecken und zu lernen. Allerdings treffe ich auch auf Herausforderungen, die ich aus Deutschland bereits kenne. Ein Beispiel dafür ist der noch vielfach gelebte Mythos von Einstellung und Regeln, die es braucht, um klassische Musik angemessen wahrzunehmen. Diesem Punkt würde ich gern im Dialog mit dem Publikum etwas entgegensetzen. Das kann das Konzertsetting ganz allgemein, aber auch die Reaktion von regelmäßigen Konzert-BesucherInnen auf ErsthörerInnen betreffen.

Ich finde es in jungen Jahren immens wichtig, persönliche Erfahrungen zu sammeln, um sich eine eigene Meinung über etwas zu bilden. Dafür müssen wir unsere Angebote offen und einladend gestalten. Dass die jungen HörerInnen schon heute MultiplikatorInnen sein können, die aber auch neue Ansprüche an eine Veranstaltung stellen, bestätigen aktuelle Studien wie die „concerti Klassikstudie 2016“.

Eingeladen sein KünstlerInnen hautnah zu erleben

In der nächsten Saison erweitern wir unser Musikvermittlungsangebot und wollen verstärkt Jugendliche und junge Erwachsene mit unserem Angebot ansprechen. In mehreren Projekten u.a. in Zusammenarbeit mit unserer Patenschule der „G 11“ in Simmering werden SchülerInnen mit ihren Ideen und Wünschen zu Wort kommen, die sich zuvor mit dem Thema Konzert und jungen KünstlerInnen in neuen Präsentationsformen auseinandergesetzt haben. Die Jugendmitglieder des Wiener Konzerthauses sind im „You(th) Lab“ wieder eingeladen, hinter die Kulissen zu schauen und MitarbeiterInnen wie KünstlerInnen hautnah zu erleben. Im Matineen-Zyklus der Wiener Symphoniker starten wir zudem ein neues Angebot: „Vorhören! Symphonie – wie geht das?“ für Jugendabonnenten ab 12 Jahren ist eine interaktive Einstimmung und kreative Auseinandersetzung mit der Symphonie, die im zweiten Konzertteil auf dem Programm steht.

Als weitere gesellschaftliche Herausforderung für Kulturinstitutionen sehe ich in den nächsten Jahren die Integration von Schutzsuchenden. Vor allem für diese Arbeit braucht es institutionelle Strukturen, um den Kontakt zwischen den verschiedenen Kulturen kreativ und wertungsfrei herzustellen.

Wenn Sie einen Wunsch an die Fee, die für Kulturpolitik zuständig ist, frei hätten, was würden Sie sich wünschen?

Katja Frei: Im Sinne einer zeitgemäßen Arbeitsweise schätze ich Netzwerke und Kooperationen, um Synergien zu nutzen. Ich fände es wünschenswert, wenn für eine fundierte kulturelle Bildung in Kindergärten, Schulen und weiteren Ausbildungsstätten eine engere Zusammenarbeit zwischen Kulturpolitik und Bildungspolitik gelebt werden könnte. Die Kulturinstitutionen sollten dabei eine wichtige Rolle spielen, denn unsere Vermittlungsarbeit findet genau an der Schnittstelle zwischen Kultur- und Bildungspolitik statt.

Welchen besonderen Möglichkeiten und Herausforderungen begegnen Sie in Ihrer Tätigkeit als Leiterin der Education-Abteilung im Wiener Konzerthaus?

Katja Frei: Die Räumlichkeiten im Wiener Konzerthaus sind großartig – historisch und modern! Dass gleichzeitig eine große Offenheit da ist, Neues gemeinsam auszuprobieren und andere Aspekte von Musik in den Fokus zu stellen, zeigt z.B. das Geigenbauexperiment „Quartett gebaut gehört“ vom 19. bis 22. Oktober 2016. Sechzehn GeigenbauerInnen aus sieben Ländern werden gemeinsam innerhalb von vier Tagen, begleitet von verschiedenen Musikvermittlungsaktionen für alle Altersgruppen, mitten im Konzerthaustrubel – im Großen Foyer – ein Streichquartett bauen. Die fertigen Instrumente werden am Samstagabend zugunsten der Initiative Superar versteigert und von namhaften KünstlerInnen in einer Jam-Session live zu Gehör gebracht.

Ein Dialog auf Augenhöhe

Ich sehe unsere größtmögliche Entwicklung darüber hinaus nicht ausschließlich in der Art der Projekte, sondern ebenso in einer neuen Art der Kommunikation (grafisch wie inhaltlich) mit dem Publikum. Ob jung oder älter, analog oder digital stelle ich mir einen Dialog vor, der auf Augenhöhe stattfindet und in beide Richtungen funktioniert.

Haben Sie ein “Lieblingsprojekt”, das Sie gerne erneut durchführen möchten? Was zeichnet es aus und was wären optimale Voraussetzungen, um das Projekt wieder aus der Schublade zu holen?

Katja Frei: In Hamburg konnte ich vier Saisonen eine Abonnentenpatenschaft zwischen jugendlichen ErsthörerInnen und AbonnentInnen der Hamburger Symphonikern umsetzen. Es gab neben den Besuchen von klassischen Konzerten gemeinsame Einführungen und Künstlergespräche sowie einen spannenden Austausch der Generationen über Musikgeschmack, Zeitgeist, Zukunftsvision und mehr. Was mich dabei am meisten überrascht hat, war der Effekt und der Austausch in beide Richtungen.

Diese Idee würde ich zukünftig gern in Wien wieder aufgreifen. Aufgrund unserer Struktur mit ca. 10.000 Mitgliedern der Wiener Konzerthausgesellschaft wären die Vorbedingungen, um musikinteressierte Erwachsene anzusprechen, nahezu optimal. Durch die Aufgabe, eine Patenschaft zu übernehmen, würde man es idealerweise anregen, sich als Mitglied stärker in die Vision und Verantwortung unserer Institution einzubringen und diese dadurch mitzugestalten. Für die Patenschaft würde ich als zweite Gruppe Jugendliche aus benachteiligten Familien oder junge Flüchtlinge auswählen. Im Verlauf des Projektes könnte man neben klassischer Musik die ganze Bandbreite der Musikstile, die im Wiener Konzerthaus zu hören sind, aufzeigen.

Gibt es etwas, das Sie jungen MusikvermittlerInnen, die gerade eine Ausbildung in diesem Bereich absolvieren oder am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn stehen, mit auf den Weg geben könnten?

Katja Frei: Drei Tipps, die mir geholfen haben, würde ich gern weitergeben.

Aus meiner Erfahrung als Dozentin an verschiedenen deutschen Musikhochschulen gibt es einen sehr wichtigen Punkt: Selbstsicher auftreten und fest an seine Projekte glauben! Alte Pfade zu verlassen und neue Wege zu gehen, braucht eine starke Überzeugungskraft und ein gutes Durchhaltevermögen gegen manche Widerstände.

Zweitens: In den eigenen oder auch anderen Institutionen Verbündete und MitstreiterInnen suchen! Das enge Netzwerk und der institutionsübergreifende Austausch unter den MusikvermittlerInnen in Österreich gefallen mir besonders gut. Auf europäischer Ebene gibt es diese Zusammenarbeit in der European Concert Hall Organisation (ECHO), was nicht nur inspiriert, sondern auch die Musikvermittlungsarbeit in der eigenen Institution stärkt.

Einen dritten Punkt möchte ich noch besonders betonen: Bei aller Leidenschaft für die Musik, die Vermittlung und Pädagogik müssen auch wirtschaftliche Faktoren zur Umsetzung einer guten Idee bedacht werden! Meine Erfahrung vor allem in der Zusammenarbeit mit dem Vorstand der Otto Group hat mich gelehrt, dass erfolgreiche Projekte professionell vorbereitet und dokumentiert sein sollten.

Und zum Schluss eine persönliche Frage: Welches Stück/Song begeistert/berührt Sie gerade?

Katja Frei: Durch die enge Zusammenarbeit mit unserer Portraitkünstlerin Hilary Hahn habe ich in dieser Saison einmal mehr gespürt, wie tief berührend Bachs „Partiten und Sonaten für Violine solo“ sind. In verschiedensten Settings und mit unterschiedlichen Zielgruppen war die Wirkung und die Auseinandersetzung mit der Musik in einem ungewöhnlichen Umfeld trotzdem immer intensiv.

Vielen Dank!

Das Interview führte Barbara Semmler

Zur Person Katja Frei:

Nach Diplomabschlüssen als Orchestermusikerin und Instrumentalpädagogin arbeitete Katja Frei (geb. Seidel) sieben Jahre u.a. bei den Hamburger Symphonikern als Geigerin. Seit 2010 wirkte sie in dem Hamburger Musikprojekt “The Young ClassX”, das von der Otto Group initiiert und in enger Kooperation mit der Behörde für Schule und Berufsbildung aufgebaut wurde, mit und übernahm 2011 die Projektleitung für den gemeinnützigen Verein. 2012 schloss Katja Seidel zudem ein Masterstudium für Musikmanagement und Musikvermittlung an der Hochschule für Musik Detmold ab und hält in diesem Bereich seitdem Gastvorträge auf Kongressen und Vorlesungen an Musikhochschulen wie z.B. der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, der Hochschule für Künste Bremen oder der Anton Bruckner Privatuniversität Linz. Seit September 2015 leitet Katja Seidel als Senior Manager Education die Musikvermittlungsarbeit am Wiener Konzerthaus.

 

Musikvermittlung am Wiener Konzerthaus: https://konzerthaus.at/musikvermittlung