Kulturen.Vermitteln.Musik – Tagungsbericht

Der in Istanbul geborene und in Wien lebende Musiker Alp Bora wurde einmal aufgrund seines Akzents in einer Bar gefragt, von wo er denn komme. „Aus der Türkei!“, antwortete Bora. Darauf der Österreicher: „Macht ja nix!“. Alp Bora war mit seinem Quartett auch Teil der Tagung Kulturen.Vermitteln.Musik, die am 21. und 22. Juni in Linz Interkultur und Integration als Querschnittthemen der Musikvermittlung in den Fokus gestellt hat. Veranstalterin war die „Plattform Musikvermittlung Österreich“ in Kooperation mit mica – music austria, der Anton Bruckner Privatuniversität und dem Musiktheater Linz, die auch Austragungsorte waren. Weitere Kooperationspartner waren das Bruckner Orchester, ASSITEJ Austria und das Schäxpir Festival, das eben in Linz im Gange ist.

Die Rektorin der Bruckneruni Ursula Brandstätter merkte in ihren Eröffnungsworten an, dass der Begriff „Interkulturalität“ erst Anfang der 90er Jahre aufgetaucht ist und damit „Multikulturalität“ abgelöst hat. Das Differente, Verschiedenartige ist mehr in den Blick gerückt: „Mit dem Widersprüchlichen (in einem) leben lernen“, sei unsere Herausforderung. In ihrem Eröffnungsvortrag stellte sich Hande Sağlam vom Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie der Wiener Musikuniversität die Frage: „Ist Musik eine Fremdsprache?“ Ihre Forschungen untersuchen Bi-Musikalität als interkulturelle Musikvermittlungsmöglichkeit. Das Erlernen einer fremden Musiksprache ist dem Aneignen einer Fremdsprache nicht unähnlich. Sağlam zeigte die unterschiedlichen Voraussetzungen und Potenziale für Bi-Musikalität auf. Letztlich kommt der Bereitschaft, in den kulturellen Kontext einer neuen Sprache einzutauchen, eine unabdingbare Rolle zu.

Die Tänzerin und Tanzpädagogin Canan Erek machte ihre Arbeitsweise ganz unmittelbar und körperlich erfahrbar, indem nach einem Warmup einfache Formationen zu türkischer Musik getanzt wurden. Ihr Film über ein Tanzprojekt mit dem Education Programme der Berliner Philharmoniker, das nicht nur Oberschülerinnen  und -schüler auf philharmonische Musiker stoßen ließ, sondern diese auch auf türkische Musiker. Susanne Keuchel vom Bonner Zentrum für Kulturforschung stellt die Ergebnisse des „1. InterKulturBarometer für Deutschland“ aus dem Jahre 2011 vor, das die Frage untersucht, wie Migration bis hin zur dritten Generation das kulturelle Leben in Deutschland verändert hat. Feststellbar ist, dass die Definition des Kulturbergriffs eine deutliche Erweiterung in die Bereiche der Freizeitgestaltung, Religion und Bildung hin erfährt. „Weder noch sind wir“, hat es ein Migrant auf den Punkt gebracht.  Im „Sowohl als auch“ sieht Keuchel den Beitrag von Kunst und Kultur zur Integration: „Das Land ist farbiger geworden.“ Als Inter-Mezzo gab das Alp Bora Quartett ein Konzert. Das Quartett besteht aus den türkischen Musikern Alp Bora (Gesang & Gitarre) und Soner Tezcan (Percussion) sowie den österreichischen Streichern Julia Pichler (Geige) und Lukas Lauermann (Violoncello). Traditionelle türkische Musik wird hier zum Ausgangspunkt einer umwerfend intensiven und feinsinnigen Klanglandschaft, die man nicht nach ihrer Herkunft befragt. Daran ändert auch ein Siebenachteltakt nichts. Bora bekennt in der anschließenden Diskussion, dass er beim Formieren seines Quartetts nicht an Integration gedacht hat. Diese sei in Europa viel zu thematisiert. Wenn er auch zuerst geglaubt hat, dass es ein Kompromiss sei, türkische Musik mit Europäern zu musizieren. Es ist ein Genuss, eben weil die „das anders hören“. Es gehe um „Leben und leben lassen“, nicht nur im gemeinsamen Musizieren. Cellist Lauermann hatte vorerst keine Ahnung von türkischer Musik. Es geht einfach ums gemeinsame Musikmachen, über das Spüren, dann passiere auch der Austausch. Dabei stellt sich keine „interkulturelle Erleuchtung“ ein. In diese Kerbe schlägt auch Canan Erek: „Betonung auf das Anderssein führt zu Separatismus.“ Sie verstehe es als Learning by Doing und erlebe es als Bereicherung. Wobei es nicht Ziel sein muss, am Ende ein wunderbares Kunstprodukt zu erreichen, sondern der Prozess das Wesentliche ist. Es soll auch nicht um die Institution gehen, sondern um die Teilnehmenden, unterstreicht Morena Piro vom Center of World Music der Universität Hildesheim. Praxis und Forschung sei wichtig, auch um Grundlagen für die Politik bereitstellen zu können. Hande Sağlam meint, dass Grundlagenforschung auch in Österreich ein erster Schritt wäre, um einen Überblick zu bekommen. „Machen wir es einfach!“, fällt als Schlussplädoyer am Ende der Diskussion.

Am Samstagvormittag wurden vier sehr unterschiedlich angelegte Projekte vorgestellt. Albert Landertinger berichtete von „Short Cuts“, dem Migrationsprojekt von Move.on der Orchesterwerkstatt des Bruckner Orchesters. Er gab einen Einblick in die Planung des Projekts, das Schülerinnen und Schüler der Neuen Mittelschule 5 in Linz und der Musikhauptschule Neuhofen an der Krems zusammenführte. „Short Cuts“ ist ein Musiktanzprojekt (mit im Team auch eine Tänzerin und ein Tänzer der Linzer Tanzcompagnie), das sich aus einer Geschichte der Jugendlichen generiert hat und direkt an die Lebenswelt der Jugendlichen andockt. Diese wurden daher auch nach ihrer Musik befragt, die sie selber spielen und singen. Aufführungen fanden im Neuen Musiktheater statt.

Sofia Weissenegger vom Österreichischen Volksliedwerk stellte mit „Inter_Folk“ (2012), ein musikalisches Vermittlungsprojekt im interkulturellen Kontext vor.  22 Einzelprojekte fanden in ganz Österreich statt. Volkskultur besitzt ein hohes Potenzial zur Integration, Begegnungen herzustellen und zu erleichtern: „Miteinander feiern, voneinander lernen.“ Mit „Let’s go dance“ stellte Weissenegger ein interkulturelles Tanzprojekt für 25 Jugendliche von 18 bis 25 Jahren vor. Es war dies ein Kooperationsprojekt zwischen Interface, dem Tanzquartier und dem Volksliedwerk, das die Jugendlichen auf unterschiedliche Tanzböden bewegte: „Wir haben Spaß, tanzen und wir reden“, brachte es eine junge Rumänin auf den Punkt. Am Ende von „Inter-Folk“ stand ein reflektierendes Seminar, das unter anderem resümierte, die teilnehmenden nicht als RespräsentantInnen von Volksgruppen wahrzunehmen, sondern einfach als Individuen.

Erhard Mann und Renald Deppe stellten die „Große Landkarte“ vor: Improvisation in musikalischen und musikübergreifenden Gestaltungsprozessen – ein Versuch mit Improvisation zum Thema alternative Lernformen. Dazu wurden an zwölf Schulstandorten im ganzen Land große Künstlerpersönlichkeiten wie eben Renald Deppe eingeladen, um mit insgesamt 244 Schülerinnen und Schülern zu improvisieren. Improvisation habe kein Referenzwerk im Außen und findet daher neue Impulse im Innen, auch in der Stille. Deppe habe das Projekt als Entschleunigungsprojekt erlebt, in dem auch das Staunen wieder seinen Platz findet: Denn „Staunen ist eine Sehnsucht nach Wissen“, zitiert Renald Deppe Thomas von Aquin. Die „Große Landkarte“ ist ein interdisziplinäres Projekt, eine kollektive Schlussaufführung fand Mitte Juni in der voestalpine Stahlwelt Linz statt.

Bettina Büttner-Krammer, seit 2011 für die Konzeption und Abwicklung sämtlicher Kinder- und Jugendprojekte bei den Wiener Symphonikern zuständig, berichtete vom „Peer Gynt Projekt“, das die Wiener Symphoniker in ihrer Partnerschule NMS G.W.-Pabstgasse anzündeten und dabei die ganze Schule mit diesem Stück und der Thematik erfassten, von selbst gebastelten Trollen bis hin zu Nebelmaschinen, die der Chemielehrer baute. An das Thema wurde von vielen Seiten herangegangen, in einer intensiven Workshop- und Probenphase im November und Dezember 2012 wurde probiert, bevor es zu einer Performance kam. Marie-Therese Rudolph gab dabei auch Einblick in die Unterstützungsmöglichkeiten seitens KulturKontakt.

Der abschließende Nachmittag stand in Kooperation mit Assitej Austria und dem Schäxpir Festival im Neuen Linzer Musiktheater im Zeichen von „Musiktheater und Vermittlung“. Anne-Kathrin Ostrop, Musiktheaterpädagogin an der Komischen Oper Berlin, berichtete über „Selam Opera!“ – ein vielfältiges Vermittlungsprojekt, das speziell das Publikum mit türkischen Wurzeln ansprechen will, wobei die Beteiligten auch aus dem Haus direkt zu den Menschen gehen, wie zum Beispiel mit dem „Operndolmuş“. Der mit zwei Sängern, drei Musikern und einem Dramaturgen der Komischen Oper Berlin voll besetzte Bus (türkisch: dolmuş) fährt Begegnungsstätten, Seniorenheime, Migrantenorganisationen oder auch Bildungseinrichtungen in Stadtteilen mit einem besonders hohen Anteil an Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen an und will damit Brücken schlagen.

Am Schluss der Tagung stellte Constanze Wimmer in einer Podiumsdiskussion die Frage: „Ist Musik eine Sprache, die jeder versteht?“ Rafael Neira Wolf (superar) meinte: „Selbstverständlich ist sie das, man kann aber niemanden zwingen zuzuhören!“ Lydia Grün (Netzwerke junge Ohren, Deutschland) unterstrich, dass nicht jeder jede Musik versteht und umgekehrt. Sie wehrte sich gegen Verheißung, dass Musik als Problemlöser fungiere und habe „keinen Bock, Teil einer politischen Mode zu sein“. Ursula Sternberger (Südwind, Linz) sagte, dass aber Musik eine Sprache sei, die in jedem veranlagt ist. „Musik kann auch Abgrenzung sein“, konstatiert Komponist Helmut Schmidinger, wie er es an seinen beiden erwachsenen Söhnen erlebt, was dennoch ein respektvolles Miteinander nicht ausschließt. Seine Kinderoper „Lynx, der Luchs“ wurde eben im Neuen Musiktheater uraufgeführt: Kinder haben keine vorgefasste Meinung und sind daher für unterschiedliche Sprachen offen, so Schmidinger.

„Macht ja nichts“, möchte man mit einem Augenzwinkern sagen: „Machen wir es!“ Die Tagung Kulturen.Vermitteln.Musik gab viele anregende Impulse zum Tun und auch zum und zu Denken.

Norbert Trawöger

Foto Alp Bora: Hans Jürgen Miggl

 

Tagungsdokumentation

Dieser Band ist als Broschüre 2013 erschienen.
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Weiterführende Links

http://www.bruckneruni.at
http://www.assitej.at
http://www.schaexpir.at
http://www.landestheater-linz.at
http://www.wienersymphoniker.at
http://www.volksliedwerk.at
http://www.bruckner-orchester.at