Eine zentrale Einrichtung in der österreichischen Musikausbildung sind die seit 1995 existierenden Wettbewerbe von MUSIK DER JUGEND. Seit Februar 2015 ist BIRGIT HINTERHOLZER Geschäftsführerin der in Linz ansässigen Bundesgeschäftsstelle. Mit Christian Heindl sprach sie über ihre Aufgaben und ihre künftigen Vorhaben.
Frau Hinterholzer, Sie sind seit einem Jahr Bundesgeschäftsführerin bei MUSIK DER JUGEND. Darf ich gleich überfallsartig fragen, wie es Ihnen persönlich in diesem Jahr ergangen ist? Ein Himmelfahrtskommando oder die harmonische Übernahme und Weiterführung perfekt organisierter Strukturen?
Birgit Hinterholzer: Von allem etwas, würde ich spontan sagen. Ich habe Ende Februar 2015 bei MUSIK DER JUGEND begonnen und ab März liefen alle Landeswettbewerbe von prima la musica – ich hatte also kaum Zeit, um mich einzufinden, es war ein Sprung ins kalte Wasser. Im Nachhinein gesehen ist dieser Sprung weitgehend geglückt – vor allem mithilfe des gesamten Teams.
MUSIK DER JUGEND wirkt als zentrale Stelle für die österreichweiten Jugendmusikwettbewerbe prima la musica und , bis 2011 auch für GRADUS AD PARNASSUM. Könnten Sie bitte den Unterschied zwischen den beiden Hauptwettbewerben skizzieren?
Birgit Hinterholzer: Beide Wettbewerbe richten sich an die musikalische Jugend Österreichs und Südtirols und werden auf Landes- und Bundesebene durchgeführt. Für prima la musica wird in jedem Bundesland ein Landeswettbewerb mit insgesamt ca. 5.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer pro Jahr durchgeführt. PODIUM.JAZZ.POP.ROCK… findet in biennalem Rhythmus statt und hat wesentlich weniger Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Beide Wettbewerbe richten sich an Kinder und Jugendliche, die etwas Besonderes in der Musik leisten wollen und Freude am Musizieren und am musikalischen Wettstreit haben. Es sollen musikalische Talente gefunden und gefördert werden.
Angeboten wird prima la musica für solistische Instrumente und Kammermusikensembles in verschiedensten Besetzungen in allen musikalischen Stilrichtungen von Barockmusik bis zur zeitgenössischen Musik. Der Wettbewerb richtet sich an Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre, in den Kammermusikkategorien bis 21. Ab 2016 findet der Wettbewerb nach einem neuen Konzept statt. Erstmals werden in den solistischen Kategorien eigene Gruppen für Jugendliche ab 14 Jahren angeboten, die sich nach universitären Maßstäben messen wollen und sich auf ein Musikstudium vorbereiten. Das werden die sogenannten „PLUSGruppen“ sein.
Der Wettbewerb PODIUM.JAZZ.POP.ROCK… versteht sich als Ergänzung zu prima la musica und will vor allem jene Kinder und Jugendlichen ansprechen, die in den Genres Jazz, Pop, Rock und so weiteru. a. unterrichtet werden und die sich mit ihrer Musik in eine vergleichende Gegenüberstellung begeben wollen – frei vom Business und von den Idealen der Popindustrie. Musiziert wird ausschließlich in Ensembles.
Welche Aufgabe hat MUSIK DER JUGEND dabei konkret bzw. welche Vorgaben werden den Bundesländern bei der Ausrichtung der regionalen Wettbewerbe gemacht?
Birgit Hinterholzer: Die Bundesgeschäftsstelle MUSIK DER JUGEND gibt mit der jährlichen Ausschreibung prima la musica und der zweijährigen Ausschreibung PODIUM.JAZZ.POP.ROCK… den inhaltlichen Rahmen für alle Wettbewerbe vor. In welcher organisatorischen Form die Landesgeschäftsstellen „ihre“ Wettbewerbe ausrichten, entscheiden sie selbst. Die Ausschreibung bleibt jedoch dabei Mindeststandard. Instrumente und Normen, die zusätzlich angeboten werden, können dann beim Bundeswettbewerb nicht berücksichtigt werden.
Es ist heute international üblich, dass Kinder, die ein Instrument lernen, schon in sehr frühem Alter – etwa mit Schulbeginn – in Wettbewerbsstrukturen eingebunden werden. Wer entscheidet, welche Kinder für die Wettbewerbe zugelassen werden?
Birgit Hinterholzer: Eigene Zulassungskriterien gibt es bei prima la musica nicht. Die Entscheidung, welches Kind teilnimmt, liegt in erster Linie bei den Schülerinnen und Schülern, den Eltern sowie den Lehrerinnen und Lehrern – vorausgesetzt, die grundsätzlichen Teilnahmebedingungen laut Ausschreibung sind erfüllt.
Die Programmanforderungen sind für alle Gruppen mit Ausnahme der oben angesprochenen „PLUSGruppen“ gleich. Die Jüngsten treten in den Altersgruppen A (unter 8 Jahre) und B (8 bis 9 Jahre) an, haben eine Vorspielzeit von sechs bis zehn Minuten und werden nicht zum Bundeswettbewerb weitergeleitet.
Lässt sich feststellen, inwieweit durch die Teilnahme an einem Jugendmusikwettbewerb für die Kinder ein erhöhter Leistungsdruck entsteht? Musizieren ist plötzlich kein Spaß mehr, sondern wird zur Pflicht, bei der man sich in einem harten Konkurrenzfeld bewähren muss?
Birgit Hinterholzer: Ein Wettbewerb kann Anlass zu erhöhtem Leistungsdruck und Konkurrenzdenken sein, muss es aber nicht. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Erwartungshaltung, die oftmals durch die Lehrerinnen und Lehrer beziehungsweise die Eltern aufgebaut wird. Erfahrungsgemäß ruhen die jüngeren Kinder in sich, haben eine kindliche Vorfreude auf den Wettbewerb und können ihre Leistungen prompt abliefern. Mit dem Alter steigt auch die Nervosität. Im Zentrum sollte jedoch die Freude am Musizieren und am musikalischen Wettstreit stehen.
Um beim Thema Leistungsdruck zu bleiben: Ist dieser für die Ausrichter der Jugendmusikwettbewerbe überhaupt ein Thema und steuert man etwa durch gezielte Maßnahmen der Gefahr entgegen, dass Wettbewerbsteilnahmen die Kinder letztlich sogar krank machen können?
Birgit Hinterholzer: Dem Leistungsdruck wird bei MUSIK DER JUGEND durch verschiedenste Maßnahmen entgegengewirkt. Ein fixer Bestandteil unserer Wettbewerbe sind die anschließenden Beratungsgespräche. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten wertvolle Tipps von Experten der Jury. Dabei bemühen sich alle um eine kindgerechte und wertschätzende Vermittlung.
Zusätzlich sieht es der Wettbewerb vor, dass die Preise nach der erreichten Punktezahl vergeben werden, demnach gibt es mehrere erste, zweite und dritte Preise – die genaue Anzahl der Punkte wird nicht veröffentlicht – auch da sind die „PLUSGruppen“ ausgenommen.
Aber die von Ihnen angesprochene Gefahr besteht natürlich. Der Ursprung dafür liegt wiederum in der vielfach falschen Erwartungshaltung. Ich sehe da die Verpflichtung der Ausbildungsstätten, dem gezielt entgegenzuwirken. Und grundsätzlich muss ich sagen: Der Wettbewerb ist keine Verpflichtung, alle kommen freiwillig.
Wettbewerbe dienten in der Vergangenheit grundsätzlich dazu, „die „Beste“ oder „den Besten“ zu küren. Inwieweit hat sich dieser Anspruch durch die inflationär aus dem Boden gewachsenen Castingshows geändert? Wird dort nicht vielfach der Unterhaltungsfaktor vor den Qualitätsanspruch gesetzt, was als Folgewirkung einen starken Einfluss auf die Jugendlichen und die Jugendmusikwettbewerbe ausübt?
Birgit Hinterholzer: Die Wettbewerbe von MUSIK DER JUGEND dienen nicht dazu, eine Beste oder einen Besten zu küren. Besondere Talente sollen gefunden und gefördert werden, das kann nicht auf Einzelne beschränkt sein. Die Konkurrenz der medial gepushten Castingshows ist nicht bedrohlich. Seit Jahren sind unsere Wettbewerbe auf Erfolgskurs und erfreuen sich ständig wachsender Teilnehmerzahlen. Unser wesentlicher Faktor liegt in den Fachjurys und in der Beratung, damit unterscheiden wir uns grundsätzlich von Castingshows.
Gibt es in den Programmrichtlinien Vorgaben im Hinblick auf den Anteil zeitgenössischer Musik? Vermögen die Wettbewerbe dadurch allenfalls sogar junge Menschen zur Auseinandersetzung mit der Musik der Gegenwart zu animieren?
Birgit Hinterholzer: Es gibt die Empfehlung und die Diskussion, dass zeitgenössische Musik als fixer Bestandteil der Wettbewerbsprogramme gilt, jedoch ist die Verpflichtung dazu schwierig. Durch die angebotenen Wertungskategorien „Ensemble für Neue Musik“ und „Kammermusik in offenen Besetzungen“ wird die zeitgenössische Musik besonders gefördert. Zusätzlich sollen Jugendliche durch den integrierten Wettbewerb Jugend komponiert des Österreichischen Komponistenbundes zum Schreiben eigener Musik animiert werden.
Nach der persönlichen Einstiegsfrage die persönliche Schlussfrage: Was sind Ihre konkreten Pläne für die nähere und mittlere Zukunft beziehungsweise haben Sie allenfalls auch Langzeitvorhaben?
Birgit Hinterholzer: Für die nahe Zukunft beschäftigen mich in erster Linie organisatorische Fragen – allen voran die kommende Anmeldephase für prima la musica, die in den nächsten Tagen startet. Bis zum Anmeldeschluss am 15. Dezember werden wir mit Anfragen verschiedenster Art überhäuft. Danach geht es in die konkrete Wettbewerbsorganisation. Bis zum Abschlusskonzert des Bundeswettbewerbes am 4. Juni 2016 in Linz gibt es kaum eine Verschnaufpause. Parallel dazu starten die Landeswettbewerbe PODIUM.JAZZ.POP.ROCK… mit dem Bundeswettbewerb Mitte November in St. Pölten. Damit ist auch die mittlere Zukunft ausgelastet.
Als Langzeitvorhaben wünsche ich mir, dass ich die Zeit habe, den Einladungen zu ausländischen Wettbewerben nachzukommen. Überall in Europa finden Jugendwettbewerbe statt – ich würde gerne die Strukturen vergleichen, Erfahrungen austauschen, Wettbewerbsorganismen verbessern und in der Praxis sehen, wo wir im internationalen Vergleich stehen. Das „Musikland Österreich“ muss an seinem vorauseilenden Ruf arbeiten. MUSIK DER JUGEND kann vor allem mit dem ab 2016 neuen Wettbewerbskonzept dazu beitragen, den Anschluss österreichischer Talente an die österreichischen Musikuniversitäten zu fördern.
Vielen Dank für das Gespräch!
Christian Heindl
Die Diskussions- und Vortragsreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.
http://www.musikderjugend.at