Am 14. Juni 2017 fand zum ersten Mal der Aktionstag „Orchester für alle“ statt. An diesem Tag gab es in ganz Österreich Veranstaltungen von Berufsorchestern, die sich diesem Motto widmeten. Das RSO WIEN lud im RADIOKULTURHAUS zu einem Präsentationskonzert des Projekts RAUM MACHT MUSIK, BEWEGLICHE ZUGEHÖRIGKEITEN. EIN KREATIVES MUSIKPROJEKT ÜBER ZUGEHÖRIGKEIT, VERÄNDERUNG, GRENZEN, AUFBRUCH UND NEUORDNUNG, so der volle Titel. ANNEMARIE MITTERBÄCK, Musikvermittlerin, konzipierte dieses Projekt für das RSO WIEN und holte neben Musikerinnen und Musikern des Orchesters musikalische Laien, Musikschaffende (u. a. MONA MATBOU RIAHI, SALAH AMMO) und Komponisten (GERALD RESCH, MAIAS ALYAMANI) mit ins Boot. Katrin Hauk sprach mit ANNEMARIE MITTERBÄCK über den Ablauf des Projekts und die verschiedenen künstlerischen Zugänge, die hier aufeinandertrafen und den Teilnehmenden Raum für einen transkulturellen Austausch eröffneten.
Wie ist kam Projekt RAUM MACHT MUSIK ins Laufen?
Annemarie Mitterbäck: Das Projekt bestand aus zwei Phasen. Die erste Phase setzte sich aus zwei unterschiedlichen Workshop-Phasen zusammen. Eine Workshopreihe fand in einer sozialen Institution statt, im Jugendtreff J.at am Volkertplatz, und eine weitere im Gymnasium Marchettigasse. Das waren an die sechszehn Schülerinnen und Schüler, also ein Teil des dortigen Schulchors. In der Gruppe im J.at waren es an die zehn teils geflüchtete minderjährige Jugendliche. Es gibt dort eine freie Jugendarbeit und dementsprechend haben wir auf die Situation reagiert. Die Gruppierung vor Ort war immer unterschiedlich. Im J.at und auch im Gymnasium Marchettigasse haben wir zuerst mit kreativen Textentwicklungsmethoden gearbeitet und die dabei entstandenen Texte verrappt.
Die Projektthemen Grenze, Aufbruch, Veränderung, Zugehörigkeit waren die Ausgangsbasis für die Textentwicklung an beiden Orten. Angeleitet wurden diese Workshops durch den Rapper Yousuffu, der aufgrund seiner Texte in Afghanistan politisch verfolgt wurde, und durch Rainer Huss, dem Tubisten des RSO Wien. Er machte mit seiner Tuba den Beat. Zugleich wurde die Musik des Orchesters vermittelt und auch Spieltechniken der Tuba. Was passiert im Orchester? Was macht die Tuba? Wie funktioniert das Instrument? Wir haben auch mit Schläuchen gearbeitet, um das ein bisschen zu veranschaulichen. Da waren recht lustige Elemente dabei. Yousuffu nahm dann auch einige der entstandenen Texte in die zweite Phase des Projektes mit. Diese wurden auch aufgenommen und in einem Videoclip verarbeitet, der im Rahmen des Konzerts am 14. Juni gezeigt wurde. Das war die erste Phase, die über den ganzen Monat Mai stattfand. An jedem Ort gab es vier Termine. Die zweite Phase, das eigentlich Kernstück des Projekts, war das transkulturelle Musikprojekt. In der Konzeption ging es mir hier vor allem darum, einen Raum zu schaffen, in dem transkultureller Austausch möglich ist, und die Musik des Orchesters erfahrbar zu machen.
Wie lief die sprachliche Kommunikation in den beiden Projektensembles ab?
Annemarie Mitterbäck: Da Menschen mit ganz unterschiedliche Zugehörigkeiten am Projekt teilnahmen, gab es auch unterschiedliche Sprachen, wobei die verbindenden Sprachen Deutsch und Englisch waren. Mona Matbou Riahi, die das Projektensemble rmm*1 anleitete, spricht ja auch Persisch und konnte daher sehr gut übersetzen, wenn es um Details ging. Zusammen mit Marianna Oczkowska, Geigerin im RSO Wien, griff sie immer wieder musikalische Ideen der einzelnen Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer auf und half dabei, diese zu verflechten, weiterzuverarbeiten und zu verfeinern. Im zweiten Projektensemble – rmm*2 – wurde der Workshop von den Komponisten Gerald Resch und Maias Alyamani angeleitet. Die Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer arbeiteten dort viel mit Maqamen und verflochten diese mit Elementen bestimmter Orchesterwerke.
Was sind Maqamen?
Annemarie Mitterbäck: Maqamen sind Skalen. Skalen, die sich in der Musik des größeren Mittleren Ostens wiederfinden. Maias Alyamani, ein Komponist aus Syrien mit transnationalen Verbindungen, der unter anderem in Wien studierte und mittlerweile im Symphonieorchester in Doha spielt, schrieb das „One Way Ticket To Damaskus“. In diesem werden auf Basis eines Maqam Jazzelemente miteinander verflochten. Das RSO Wien spielte dieses Stück beim Konzert und das Projektensemble rmm*2 arbeitete zu diesem Stück mit genau diesen Elementen, um eigene Miniaturen zu entwickeln. So wurde auch mit dem Stück „Bossa Nova Arabica“ von Gerhard Resch verfahren, in das er seine Erfahrungen in Damaskus einfließen ließ. Es findet sich etwa ein arabischer Poprhythmus wieder, der ihn an einen Bossa-nova-Rhythmus erinnerte, und das hat er in dem Werk „Bossa Nova Arabica“ verflochten. Das Projektensemble rmm*2 entwickelte basierend darauf auch ein eigenes Stück, das es „Noisy Bossa“ nannte, quasi das Einleitungsstück zum eigentlichen Orchesterwerk.
Beim Präsentationskonzert im RadioKulturhaus trafen dann also verschiedene Zugänge aufeinander: einerseits der „kreative“ Zugang von rmm*1 und andererseits die mehr kompositionsgebundene Arbeit von rmm*2.
Annemarie Mitterbäck: Genau. Bei rmm*1 wurde kreativ gearbeitet. Da war der Ausgangspunkt eine visuelle Inspiration, eine Druckgrafik der Künstlerin Zhanina Marinova, die sie eigens für das Projekt entwickelte. In dieser Grafik gibt es viele Elemente, die sich auch im Projekt wiederfinden. Einige meinten, die Grafik erinnere sie an diese Brille, mit der im Vorfeld auch schon in einem anderen Stück gearbeitet wurde. Diese ethnische Brille, die man immer abzulegen versucht, aber natürlich aufgrund der Sozialisation immer trägt.
Diese Brille hat das Ensemble auch bei der Probe verwendet.
Annemarie Mitterbäck: Genau. Wie betrachten wir bestimmte Gruppierungen oder auch andere Kulturen? Aufgrund unserer Hintergrundfolie passieren immer wieder gewisse Zuschreibungen – und damit haben wir im Prozess auch gearbeitet. Musikalisch gearbeitet insofern, weil wir das Konzept des Verlernens eingebaut haben, Instrumente dekonstruiert und auseinandergenommen, auf unterschiedlichste Klänge untersucht haben.
Dieser kreative Zugang ist eine Sache, die Ihnen scheinbar am Herzen liegt. Wieso ist Ihnen das so wichtig?
Annemarie Mitterbäck: Mir ist es deswegen so wichtig, weil ich glaube, dass ganz andere Anteile in einem geöffnet werden und zum Ausdruck kommen, wenn man die Möglichkeit bekommt, sich selbst kreativ auszudrücken. Wie es so schön heißt, wird dieser intrinsische Moment stark geöffnet. Gleichzeitig ist mir diese Öffnung eines transkulturellen Raums so wichtig, dass man dadurch das Eigene mitnimmt und das Neue aufnimmt und alles so in einer beweglichen Verbindung verschmilzt.
Es bleibt beweglich. Diese bewegliche Zugehörigkeit steckt auch im Untertitel des Projekts RAUM MACHT MUSIK. Das Voneinanderlernen ist einfach ein Teil davon, und das wurde auf allen Ebenen ins Projekt mit eingeflochten, und zwar vonseiten der Musikerinnen und Musiker, vonseiten des Orchesters und, und, und.
Woher kamen die Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer? Welche musikalischen Hintergründe hatten sie?
Annemarie Mitterbäck: Sie kamen aus beinahe allen Ländern des größeren Mittleren Ostens und aus Europa, geflüchtete Menschen ebenso wie Studierende. Es gab einen Sozialarbeiter, es gab den Rapper Yousuffu. Es gab die Musikerinnen und Musiker des RSO Wien, Musikstudentinnen und -studenten, Studierende der Kultur- und Sozialanthropologie, einen Lehrling von Billa.
Sehr bunt gemischt also.
Annemarie Mitterbäck: Ja. Ich finde diesen Ansatz sehr wichtig, weil wir uns als Menschen begegneten und miteinander Musik machten. Daher wählten wir auch den offenen Begriff „Projektensemble“, weil diese einfach allumfassend war und die Leute nicht in Schubladen steckte.
Das Projekt RAUM MACHT MUSIK fand rund um den Aktionstag „Orchester für alle“ statt. Wie war für Sie die Zusammenarbeit mit dem RSO Wien?
Annemarie Mitterbäck: Das Orchester hat mich beauftragt, worüber ich mich sehr freue, denn das RSO Wien zeichnet sich für seine Offenheit aus. Neue Musik hat im Orchester einen großen Stellenwert und wird von ihm auch weitergetragen. Die Konzeption beinhaltete auch die Einbindung unterschiedlicher Musikerinnen und Musiker des Orchesters in die Workshop-Gruppenkonzeption. Ich entwickelte zum Beispiel für das Projektensemble rmm*1 verschiedene Tools und Vorschläge, die teilweise auch auf anthropologische, kulturwissenschaftliche Konzepte zurückgingen. Gemeinsam mit der Klarinettistin und Komponistin Mona Matbou Riahi und mit Marianna Oczkowska, Geigerin im RSO Wien, habe ich diese dann musikalisch übersetzt und für das Projektensemble rmm*1 adaptiert. Wir haben wirklich gemeinsam gearbeitet und uns überlegt, was wir wie umsetzen wollen und können. Beim Projektensemble rmm*2 war das Besondere für die Musikerinnen und Musiker, dass sie sich dieser Tonsprache bzw. diesen Skalen der Maqamen annähern konnten, mal probieren konnten, wie Vierteltöne funktionieren. Mit Maias Alyamani konnte ich einen sehr versierten und erfahrenen Geiger in diesem Bereich ins Projekt holen, der den Musikerinnen und Musikern fachkundige Anleitungen gab und ihnen vor allem diese Tonsprache näherbrachte, die in den musikalischen Miniaturen im Konzert präsentiert wurde.
Vielen Dank für das Gespräch.
Katrin Hauk
Weiterführende Infos zum Projekt:
Ausschnitte des Präsentationskonzertes vom 14. Juni 2017 und weitere Interviews mit Teilnehmenden des Projektes gibt es im Rahmen der Radiosendung „music across“ (Gestaltung: Gernot Friedbacher) zum Nachhören: https://cba.fro.at/344428