Nach dem Eröffnungskonzert mit dem RSO Wien (4. Oktober) können wir hier über den sehr gut besuchten zweiten (Haupt-)Teil des Musikprotokolls (Do., 9.10 – So., 12.10.) berichten. Weiter ging es da mit dem von Susanna Niedermayr betreuten Projekt ECAS (“European Cities of Advanced Sound”), Konzerten der Schwerpunkte “. as seen from the middle of east” und Kammermusik. Am Samstag Franz Hautzingers Trompeten-Ensemble, eine Performance in der Kooperation Gaigg / B. Lang / Zott / Ritsch, schließlich am Sonntag der Abschluss: ein Konzert mit Werken von Studierenden der Kompositionsklassen der KUG und einem weiteren mit Hautzinger / Hinteregger / Kerbaj / Sehnaoui. Guter Jahrgang!
Zur Programmreihe gehörte auch das intermediale Projekt “lost spaces” von Sebastian Meissner und Serhat Karakayli, das man auch untertags im ESC im Labor in der Jakoministraße besuchen konnte. Die Installation bestand aus einem Galerieraum, auf dessen Boden man die Grundrisse der Ferhadija-Moschee (die 1993 von serbischen Nationalisten zerstört wurde) und der Synagoge (1943 von der mit den Nazis kollabierenden kroatischen Regierung zerstört) erkennen konnte, an deren Wänden sah man Bildserien aus Banja Luka. Ansehen konnte man im zweiten (Medien-Raum) interessante audiovisuelle Arbeiten zum Nahost-Konflikt in Israel, was sich lohnte. Intifada-Offspring etwa ist eine Auswahl von kurzen digitalen künstlerischen Filmen (auch als DVD zu haben). Mit einem der Projektbetreuer sprach Kuratorin Niedermayr auch am Freitag im Minoriten-Café.
ECAS – European Cities of Advanced Sound
In der bequem mit Sofa-Gruppen ausgepolsterten Generalmusikdirektion liefen am Donnerstagabend Konzerte aus dem Projekt ECAS. Eröffnet wurde das Programm mit der konzentrierten und intensiven Klangwelt vom Laptop Pål Asle Pettersens, der, ebenso wie die später auftretenden formidablen Improvisateure des Stavanger Kitchen Orchestra vom Numusic Festival in Stavanger entsandt wurde. Ein österreichischer Beitrag zum ECAS-Projekt, frufru mit Maja Osojnik und Angelica Castelló, setzte “geheime Nationalhymnen” auf vielerlei Geräuscherzeugern um. Da durften dann auch kleine Aufzieh-Nemo-Fische von ihrer Welt erzählen. Die spannende musikalische Performance “It’s a small world” brachte auch schöne optische Effekte. Einen starken Abschluss des Donnerstagabends lieferten bonaNza mit ihrer Clubversion von österreichischem Kulturgut wie Schönberg oder Falco, The Opposite of Art/The Art of Opposites.
Konzert im Minoritensaal
Eine gar nicht so “Strenge Kammer” (komischer Titel) gab es im bummvoll besetzen Minoritensaal (Gratulation an die Musikprotokoll-Organisatoren) am Freitagabend. Hervorragend vorbereitet und gut spielte das Trio EIS (mit Ivana Pristasova, einer jungen Geigerin, die in Österreich zur ersten Liga zählen sollte, wenn sie´s nicht bei Insidern eh schon tut, weiters Petra Ackermann, Viola und Roland Schueler, Cello). Beim Ensemble, das diese neue Kammermusik bestritt, war auch Pianistin Hsin-Hue Huang ständig mit dabei (u. a. auch als Solistin frappierend toll, zudem waren Matthias Pintschers “on a clear day” und ein Duo für Violine und Klavier von Rebecca Saunders – “heile” Spieldosenmusik gegen dagegen rabiat rebellierende Geige – sehr, sehr beeindruckende Werke). Weiters Stücke von Enno Poppe (“Trauben”) und Stefano Scodanibbio und schließlich als Schluss- und für viele Höhepunkt: Bernhard Ganders “Schöne Worte”, ein den Solisten gewidmetes Klavierquartett (2007) und vom Komponisten lapidar als “Hommage an Rap Musik und eine Rüge an den Neubau, der meine Aussicht blockiert .” beschrieben. Mehr erfahren interessierte, wenn sie das Stück auch tatsächlich hören. Dazu besteht heute Dienstag um 23.00 Uhr beim Ö1-Zeitton Gelegenheit (Gestalterin der Sendung: Ursula Strubinsky).
Im zweiten Teil ein auch nicht unspannendes Konzert (auch wenn das dann bis ¾ 1 dauerte) im “Middle East”-Schwerpunkt. Zusammen bzw. abwechselnd mit dem hervorragenden, auf Instrumenten des Orients (irakische Kniegeige, Ud und Nai, die Flöte) traditionelle Musik interpretierenden 4-Mann-Ensemble Sidare unter Führung von Saad Thamir (Gesang, Perkussion und Komposition, auch Arrangements) konfrontierte das Ensemble Unitedberlin (ein Solistenorchester aus 13 Musikern) mit hier wohl gänzlich unbekannten Komponisten im Nahen Osten oder aus jenem kommend, deren Werke zwischen Orient und Okzident anzusiedeln wären.
Darunter ein sehr reizvolles Trio für Horn, Klarinette und Violoncello von dem 1972 geborenen Jordanier Saed Haddad – in Europa kein Unbekannter mehr – er wird bei der Universal Edition verlegt. Sein Trio “Le Contredésir”, das wie alle Werke des zweiten Konzertes als ÖE erklang, ist wohl eher der orientalischen Seite des seit 2005 in Deutschland Lebenden zuzurechnen, dessen “andere” die westliche Komposition darstellt: “Als Araber christlichen Glaubens und als Komponist von westlicher, zeitgenössischer Musik betrachte ich mich als Außenseiter innerhalb des westlichen kulturellen Kontextes. Aber ich sehe mich auch innerhalb meines eigenen kulturellen Erbes als Außenseiter, in dem zeitgenössische Musik nicht existiert, weder verstanden wird, noch Gefallen findet.” (Zitat Haddad). Haddads nächste Kompositionen beinhalten einen zweiten Auftrag für das Festival in Donaueschingen (Ensemble Modern, UA 2008) sowie ein Klavierkonzert für Saleem Abboud Ashkar und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (UA beim Morgenland-Festival in Osnabrück 2008 – Ko-Auftrag des Luzerner Sinfonieorchesters). “Innere Ferne”, eine nur 4-minütige Ensembleminiatur des in Beirut (Libanon) geborenen Karim Haddad, der am IRCAM auch Computermusik studierte und an der Sorbonne in Paris lehrt, ist wie ein fragiler Nachklang auf diese Welt.
Von Samir Odeh-Tamimi, 1970 in einem arabischen Dorf bei Tel-Aviv geboren und somit Palästinenser, stammt das Werk “Mahdi” für Ensemble und 4 arabische Instrumente. Mit diesem “Lobgesang” – das heißt der Titel zu deutsch und bezeichnet ein wichtiges religiöses Ritual bei den Sufis – wollte der Komponist ein Gleichnis statuieren: Das Miteinander und Sich-Ergänzen der Kulturkreise sollte nicht nur auf der Bühne eines Konzerthauses möglich sein. Odeh-Tamini lebt und arbeitet in Berlin und wirkt auch in namhaften Ensembles für traditionelle
arabische Musik.
Am Ende noch das Ensemble Sidare. Und aus dem Programmheft des Musikprotokolls kann man etwas über die Musiktradition und den Namen dieser Gruppe erfahren: “Maqamat (Plural von Maqam) sind Tonfolgen, die in den verschiedenen Musikformen fast aller nahöstlichen Länder verwendet werden. Je nach Ausgangston drücken sie einen bestimmten Gefühlsgehalt aus. Im Irak bezeichnet das Wort “Maqam” zusätzlich eine uralte strenge Gesangsform, die durch die Generationen hindurch überliefert wurde. Bagdad ist die einzige Stadt im Irak, in der diese Musikform gepflegt wurde und wird. Es handelt sich also um eine spezifische Bagdader Musiktradition. Aus diesem Grunde suchte sich die Gruppe den Namen Sidare aus, was soviel bedeutet wie Käppi oder Schiffchenmütze. Sidare ist eine typische Kopfbedeckung, die ausschließlich in Bagdad getragen wird und die die Maqam-Rezitatoren bis heute beim Musizieren tragen.” Fest steht, dass ein zweiter Meistergeiger diesen Abend im Minoritensaal prägte: Bassem Hawar, der Djoze (irakische Kniegeige) spielt. Und auch die Stimme des Sängers Saad Thamir war nicht zu verachten.
“Radical Hetero”
war das Motto des Samstagabends im Dom im Berg. Da hörte man zuerst Franz Hautzingers mit viel Raumklang-Verstärkung verstärktes gut einstündiges Trompetenorchesterprojekt. “Gomberg II”. In Nachfolge des wichtigen ersten Gomberg-Projektes wurde es 2007 veröffentlicht und projiziert die erschlossenen Klangmaterialien per Overdub-Verfahren in den orchestralen Raum.
Bernhard Lang (Komposition und Konzept), Christine Gaigg (Choreografie und Live-Trigger-Impulsgeberin für den Mann, der alle Hände voll zu tun hatte an der Computersteuerung von Live-Kamera, Monitor und Visual-Loop Generator), last but not least die Tänzerin Veronika Zott. Sie trug live und in phasenverschobener “Verdoppelung” ihres körperlichen Tuns auf der Leinwand die Bewegungs- und Tanzperformance. Lang & Gaigg lieferten mit der Uraufführung von “V-Trike” ein weiteres komponiertes Statement aus Musik und Tanz zur Loop-Grammatik, das ein spielerisches Mit- und Gegeneinander menschlicher und maschineller Wiederholung augen- und ohrenfällig macht.
Los Glissandinos (Kai Fagaschinski, Klarinette & Klaus Filip, Sinus) trafen auf das nunmehr im Duo (John Tilbury am Klavier, Eddie Prévost am Schlagzeug) arbeitende, ursprünglich seit 1965 bestehende britische Improvisationsensemble mit Vorreiterrolle einer Spielweise der Sparsamkeit, als special guest kam Burkhard Stangl an akustischer Gitarre und Vibraphon hinzu, auch er ein einfühlsamer Spezialist für beharrliche Leisigkeit und Reduktion. Wie die Musiker aufeinander reagierten war ein Traum und oft klang auch die erzeugte Musik wie ein nächtliches Tagträumen der Absichtslosigkeit – als würde ein Einzelner beim ruhigen Vorüberziehenlassen und Sinnieren über die Zeit, den Tag, den Gang der Welt in sein Instrument spielen, ohne sich weiter darüber Gedanken zu machen. Das war sehr fein, gefiel aber nicht allen, manche wollten sich aber nicht ganz auf dieses Sich-Gehen-Lassen-Können einlassen und wurden nach einer Weile ein wenig nervös. Naja, mir hat es jedenfalls sehr gefallen.