In der Serie „Musikleben mit Kindern“ geht mica – music austria der Frage nach, wie es professionellen Musiker*innen geht, wenn sie Kinder haben. VIOLETTA PARISINI gibt uns im zweiten Teil der Serie Einblick in ihren Berufsalltag mit Kind: Was tun, wenn das Netzwerken erst einmal eine Weile auf der Strecke bleiben muss? Was sind die politischen Dimensionen des Mutter-Seins? Und wo würde VIOLETTA PARISINI ansetzen, um die Situation für Eltern in der Musikszene zu verbessern?
Was hat sich für dich verändert, seitdem du Mutter geworden bist?
Violetta Parisini: Gedanklich so ziemlich alles: das, worüber ich schreibe, mein Verständnis für Gesellschaftspolitik, mein Feminismus und auch mein Selbstbild. Konkret hat sich die verfügbare Zeit auf einen Bruchteil reduziert, das wurde im Laufe der Jahre wieder ein bisschen besser. Anfangs hatte ich gar keine Zeit oder Ressourcen für irgendwas anderes als das Dringlichste – und damit meine ich schlafen, essen, stillen, wickeln und Konzerte spielen. Was lange auf der Strecke blieb, war, etwas längerfristig zu planen, zu schreiben, zu komponieren. Wofür die Zeit bis heute noch nicht reicht, ist Netzwerken und Austausch, um in der Szene präsent zu sein.
Musikalisch gab es auch Veränderungen, nämlich die Sprache meiner Texte und das Verständnis für den Zusammenhang zwischen Politischem und Persönlichem. Das gilt für jeden einzelnen Song. Meine Texte sind jetzt auf Deutsch. Die Dinge, die ich beschreiben will, fühlen sich heikler an als früher, und ich will sie ganz genau treffen, inklusive Implikationen und Assoziationen. Das fällt mir in meiner Muttersprache leichter.
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Werden Mütter in der Musikszene anders behandelt als Väter?
Violetta Parisini: Natürlich, bei Interviews werden Mütter zu Vereinbarkeit befragt, es wird angenommen, dass man sowieso keine Zeit mehr hat, und es gibt sehr wenig Verständnis dafür, dass das, was Mütter zu sagen haben, politisch relevant ist. Mutterthemen werden als Frauenthemen, werden als Nischenthemen empfunden. Väterthemen sind immer auch Männerthemen und damit allgemein. Das entspricht natürlich nicht der Realität, aber der öffentlichen Wahrnehmung. Wie sexistisch die Welt ist, in der wir uns bewegen, lässt sich an Eltern-Wahrnehmung schön beobachten.
„Es sollte eine vernünftige Absicherung für Künstler*innen geben, die Kinder bekommen. Das ist meiner Meinung nach das Wichtigste.“
Auf Tour mit (kleinen) Kindern? Abends im Konzert und Kinderbetreuung? Welche Netzwerke nützen Musiker*innen?
Violetta Parisini: Unser stabilstes Netzwerk ist die Familie. Glücklicherweise führe ich außerdem eine Partnerschaft, die auf dem Wunsch nach einer 50:50 Kinderbetreuung beruht, von beiden Seiten. Kinder zu Konzerten mitzunehmen geht manchmal, nimmt aber sehr viel Aufmerksamkeit in Anspruch, die man dann von irgendetwas anderem abziehen muss, vor allem von der Zeit vor und nach einem Gig, in der man für das Publikum da sein kann oder die Veranstalter*innen besser kennenlernt. (Da ist es wieder, das leider wichtige Netzwerken, das auf der Strecke bleibt …)
Was würdest du dir von Veranstalter*innen wünschen und wo muss man dringend etwas verändern?
Violetta Parisini: Veranstalter*innen könnten sich um kindertaugliche Backstage-Räume und Kinderbetreuungsmöglichkeiten kümmern, aber das eigentliche Problem lässt sich nicht von Veranstalter*innen lösen, sondern geht tiefer: Es sollte eine vernünftige Absicherung für Künstler*innen geben, die Kinder bekommen. Das ist meiner Meinung nach das Wichtigste. Wenn sie, so wie es im Musikbusiness oft der Fall ist, EPUs sind, müssen sie eigentlich während der Karenz schon das nächste Projekt vorbereiten, weil sie sonst danach erst wieder vieles aufbauen müssen, bis sich der Verdienst wieder einstellt. Die Zyklen – investierte Zeit und investiertes Geld führen zu einem Album, und dann vergehen Monate, bis das Album veröffentlicht wird und langsam wieder Einnahmen kommen – sind ja lange, und wenn man schon mal ein oder mehr Jahre ganz weg war, ist es schwieriger, den neuen Zyklus von vorn zu beginnen. Absicherung für Künstler*innen-EPUs, die Eltern geworden sind, z. B. in Form von Stipendien, Förderung von Kinderbetreuung auf Tour, Marketing-Förderungen, wenn eine neue Veröffentlichung da ist, wären sehr hilfreich. Oder, größer gedacht, ein bedingungsloses Grundeinkommen für Künstler*innen in den ersten Jahren ihrer Elternschaft.
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Braucht es allgemein mehr Sensibilität in der Szene? Was fehlt? Wird auf Special Needs eingegangen?
Violetta Parisini: Auch hier ist das Problem größer als die österreichische Musikszene. Und das beginnt mit der eigenartigen Bewertung von Alter: jung=fresh=gut, alt=fad. Wenn man Kinder kriegt, gehen ein paar Jahre Leben drauf, in denen man eben auch älter wird. Dass man, je mehr man erlebt hat – und Kinder zu kriegen ist ein ziemlich tiefgreifendes und andauerndes Erlebnis –, auch desto mehr zu sagen hat, wird in der Musik-Rezeption oft nicht mitgedacht.
Dieser Jugendwahn und die Oberflächlichkeit der (Pop-)Musik-Szene ist natürlich ein globales Problem. Als Einzelne*r ist das schwer zu lösen. Was einzelne Redakteur*innen und Journalist*innen und Veranstalter*innen aber machen könnten, ist, sich des Problems bewusst zu sein und ihr eigenes Mindset zu hinterfragen. Erfolgreich werden Künstler*innen eben auch durch die Hilfe der oben genannten Vorschläge, diese Macht darf man nicht unterschätzen.
„Ich thematisiere vor allem die politische Seite des Mutter-Seins immer mehr, weil mir das ein großes Anliegen ist.“
Die Zeiten haben sich geändert, Social Media bedient das Privatleben als auch das professionelle Umfeld. Wie gehst du damit in Hinblick auf deine Doppelrolle als Mama und Musiker*in um?
Violetta Parisini: Alles, was für meine Lieder und für meine Rolle als Künstlerin relevant ist, fließt in meine Social-Media-Kommunikation ein, d. h. natürlich auch die Elternschaft. Ich thematisiere vor allem die politische Seite des Mutter-Seins immer mehr, weil mir das ein großes Anliegen ist. Aber auch das Glück, das daraus entsteht, dass man die Welt manchmal mit Kinderaugen sehen darf. Fotos, auf denen man meine Kinder erkennen könnte, sind aber tabu, genauso wie detailliertere Beschreibungen unseres Alltags. Das würde ich als Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte empfinden, weil sie darüber ja selbst noch nicht entscheiden können. Der Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein erfordert klare Grenzen, die selbst als Erwachsene nicht immer leicht zu ziehen sind. Diese für jemand Anderen zu ziehen ist unmöglich.
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Gibt es sonst noch etwas, das du mit uns teilen möchtet?
Violetta Parisini: Ja! Eltern sein ist kompliziert, schön und schrecklich zugleich! Diese Gleichzeitigkeit ist schwer zu vermitteln, aber eben Realität. Oft rede und schreibe ich über die Probleme, weil sie öffentlich weniger wahrgenommen werden. Dass diesen Probleme aber große Freude und Lebendigkeit gegenübersteht, will ich hier der Ordnung halber noch gesagt haben.
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