Anfang Oktober fand im Grazer FORUM STADTPARK die Präsentation des Sammelbands „Ein Handbuch für Morgen“ statt, der die zehnjährige Geschichte des Grazer Festivals ELEVATE darstellt. Ebenfalls Anfang Oktober erschien die aktuelle Ausgabe des Wiener SKUG – JOURNAL FÜR MUSIK, das anlässlich seines 25-Jahr-Jubiläums einen Schwerpunkt zu Popkultur und Musikökonomie bringt. Für einen Diskussionsabend machten ELEVATE und SKUG gemeinsame Sache und man beschäftigte sich mit Live-Business, Arbeitsbedingungen von VeranstalterInnen, Community Building, neuen Szene-Konzepten und (Nicht-)Verschränkungen von Politik und Party.
Das Elevate geht dieser Tage in seine elfte Ausgabe. Die Diskursprogramme des Festivals hatten bereits am 3. Oktober ihren Auftakt, als der vom Verein Elevate herausgegebene und vom Falter Verlag vertriebene Sammelband „Ein Handbuch für Morgen/A Manual for Change“, der mehr als 460 Seiten umfasst, präsentiert wurde. Gemeinsam mit AutorInnen von skug wurde anschließend darüber diskutiert, welche Aufgaben und Funktionen Festivals und Musikevents aktuell einnehmen können. Veranstalter- und Kulturvermittlerpraxis traf auf popkulturelle und kulturwissenschaftliche Verortungen.
Die Dringlichkeit der in diesem Round Table diskutierten Fragen ergab sich aus der immer heftiger werdenden Diskrepanz zwischen einer „Eventisierung“ politischer, sozialer sowie kultureller Inhalte und den immer prekärer werdenden Arbeitsbedingungen von Event-VeranstalterInnen und Kulturträgern. Einerseits tragen Festivals vielerorts mittlerweile zur Corporate Identity im City Branding bei. Andererseits ist durch den Zusammenbruch der Tonträgerindustrie die Musikökonomie einem tief greifenden Wandel unterzogen. Festivals scheinen dabei eine der letzten verbliebenen Möglichkeiten zu sein, Popkultur aktiv zu gestalten. Beide Gesprächsrunden unterstrichen die Wichtigkeit eines organischen Wachstums von Liveveranstaltungen und der Investitionen in infrastrukturelle Maßnahmen im Gegensatz zu anlassorientierten Großevents mit Gratiseintritt.
Die Grazer Kulturwissenschaftlerin, Aktivistin und Mitherausgeberin des Elevate-Handbuchs Brigitte Kratzwald fungierte als Moderatorin des ersten Panels des Abends. Wortbeiträge kamen von Daniel Erlacher (verantwortlich für den Diskurs- und Film-Part des Elevate), Bernhard Steirer (zuständig für Musik & Arts) und der Berliner Kulturethnologin Bianca Ludewig, die für das Buch einen Artikel über aktuelle Szene- und Subkulturdebatten anhand von Festivals geschrieben hatte. Im Anschluss saßen Shilla Strelka (Kuratorin der DIY-Veranstaltungsserie Struma+Iodine), Simon Hafner (Vorstandsmitglied der IG Kultur Steiermark), Christian König (Organisator des skug-Popkulturschwerpunkts) und Bianca Ludewig für den skug-Round-Table am Podium, der von Heinrich Deisl (skug-Chefredakteur) moderiert wurde. Nach gut zweieinhalb Stunden anregender Gespräche gab es Party mit dem skug-Soundsystem featuring Inou Ki Endo und Dent.
Creative Response
Das Motto des diesjährigen Elevate ist „Creative Response“. Wie Daniel Erlacher an einigen Beispielen demonstrierte, war dieser soziopolitische Zugang von Anfang an ein integraler Bestandteil des Festivals. So fand etwa bereits im ersten Jahr eine Diskussion mit Jimmy Wales (Mitgründer von Wikipedia) statt und Falter-Chefredakteur Florian Klenk hielt einen Journalisten-Workshop ab. Im Elevate-Buch sind sämtliche Eröffnungsreden abgedruckt, wodurch sich Veränderungen in den Fragestellungen zu Gesellschaft, Technologie, Kunst, Popkultur und Bewusstseinsbildung im Laufe dieser zehn Jahre gut nachvollziehen lassen. Und schließlich ist „Ein Handbuch für Morgen“ unter einer Creative-Commons-Lizenz erschienen.
Wie lassen sich allerdings die von Festivals wie dem Elevate geschaffenen Mehrwerte vor dem Hintergrund immer weiter um sich greifender Gratisfestivals und der Ausdünnung von finanziellen und räumlichen Möglichkeiten deuten oder einordnen? Denn, so konstatierte der fünfte Teilnehmer am ersten Panel, der Grazer Historiker Leo Kühberger, es sei trotz vielfältiger Proteste – etwa die Occupy-Bewegung – nicht gelungen, diese zu verstetigen und aus den sogenannten „temporären autonomen Zonen“ konstitutive Strukturen abzuleiten.
Im Verlauf der letzten zwanzig Jahre wurden in Europa eine Vielzahl von Festivals an den Schnittstellen von Diskurs, Kunst, Technologie und Musik gegründet. Sie sind heute oft gut ins kulturelle und touristische Stadtbild integriert, siehe etwa das Sónar in Barcelona, den Berliner Club Transmediale oder – als einer der Vorreiter dieser Art von Festivals – die Linzer Ars Electronica. Gleichzeitig haben sich um diese Festivals herum komplexe gesellschaftliche Formationen gebildet, die sich durch ihre heterogene und flexible Zusammensetzung auszeichnen. Der traditionellen Subkulturen oder Szenen zugeschriebene Gestus des DIY (do it yourself) finde noch am ehesten in den an externe OrganisatorInnen und BookerInnen ausgelagerten Veranstaltungen statt, die allerdings oft das ganze finanzielle Risiko trügen. Diese Praktiken würden, so Christian König, der seit den frühen 2000ern Mitveranstalter des Wiener Soundkollektivs commandyoursoul ist, immer mehr zum Standard. Simon Hafner und Shilla Strelka betonten, dass sowohl szenenintern wie -extern für die Kommunikation, die Vernetzung und das Entdecken neuer Talente niederschwellige Locations essenziell seien. Festivals und Live-Events hätten von Veranstalterseite neben der Präsentation von Musik- oder Kunst-Acts besonders die Absicht, neue räumliche Konzepte zu erschließen. Bianca Ludewig sprach in diesem Zusammenhang von der „Vergrößerung von Möglichkeitsräumen“.
Förderungen und Wahrnehmung
Wenn man sich die Print- oder Onlineseiten mit Veranstaltungshinweisen in beispielsweise Wien oder Graz ansieht, könnte man meinen, es mit einem so reichhaltigen Angebot wie noch nie zu tun zu haben. Die DiskutantInnen beider Sessions wiesen indes darauf hin, dass politische Konsequenzen entstünden, sobald man es mit geförderten oder sonst wie unterstützten Veranstaltungen zu tun habe. Einerseits seien VeranstalterInnen vor einer Indienstnahme durch parteipolitische Absichten nicht gefeit, andererseits verhinderten selbstausbeuterische oder zumindest prekäre Verhältnisse längerfristige Planungen.
Bianca Ludewig sprach sich dafür aus, dass sich Festivals ihrem sozialpolitischen Auftrag hinsichtlich öffentlicher Wahrnehmung stärker bewusst sein sollten. Denn auch wenn die an diesem Abend angesprochenen Events mehr oder weniger Nischensparten bespielten, würden sie im Laufe ihrer Veranstaltungsdauer von vielen Menschen besucht und erzeugten so praktisch zwangsläufig einen bestimmten Diskurs.
Laut Simon Hafner fehlt auch eine adäquate Wahrnehmung seitens öffentlicher Stellen, die Veranstaltungen für spezifische Publikumsinteressen oft als „Hobbykunst“ ansehen und deshalb als nicht förderwürdig erachten. Festivals seien in den letzten Jahren insofern immer mehr zu einem Politikum geworden, als dass Gratisevents die Angebots-, Arbeits- und Rezeptionssituationen verzerrten, weil sie notwendigerweise nach marktkonformen anstatt nach kuratorischen Prämissen programmiert würden. Die eigentliche Aufgabe von Live-Events und Festivals bestehe jedoch darin, Plattformen für kulturelle, künstlerische und kommunikative Grundbedürfnisse und eine generationenübergreifende Weitergabe von organisatorischem und kuratorischem Know-how zu ermöglichen.
In seinem 2013 erschienenen Buch „Das Geschäft mit der Musik“ beschäftigt sich Berthold Seliger mit Musikökonomie vor allem aus der Perspektive des Live-Business und konstatiert: „Was die Zeitkultur wirklich braucht, ist eine systematische Spielstättenförderung. […] Durch eine solche strukturelle Förderung könnten soziokulturelle Zentren vernünftig ausgestattet werden (Ton- und Lichtanlagen, Übungsräume für Bands, Anbindungen an örtliche Musikschulen), und wenn man die Bedingungen verbessert, unter denen Popkultur entstehen kann, dann kann man die Popkultur getrost sich selber überlassen.“ (Berthold Seliger: Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht. Berlin: Edition Tiamat, 2013, 319)
Im Sinne des Diskussionsabends im Forum Stadtpark heißt das: Für eine nachhaltige Musikevent- und Festivallandschaft ist es nötig, vermehrt Konzepte zu Infrastrukturen, lokalen AnbieterInnen und breiter gestreuten Fördermaßnahmen zu implementieren, anstatt auf punktuelle Investitionen zu setzen.
Heinrich Deisl