Dieses Porträt von Lukas Brunner entstand im Zuge der Lehrveranstaltung „Ästhetischer Diskurs, Reflexion, Kritik: Schreiben und Sprechen über Neue Musik“ von Monika Voithofer im Wintersemester 2022/23 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und wird als Teil einer Kooperation mit mica – music austria hier im Magazin veröffentlicht. Für diese Aufgabenstellung konnten die Studierenden frei eine aufstrebende Persönlichkeit aus dem Bereich der neuen Musik wählen.
Vor einer Videoleinwand positioniert sich die Tänzerin und Choreografin Ola Krzekotowska. Der Raum ist in stimmungsvolles Licht getaucht. Mit dem Anschlag des ersten Tons beginnt die Tänzerin, sich zu den eingespielten („utopischen“) Klängen zu bewegen. Das audiovisuelle Konzept und die Musik entstammen der Feder der Komponistin Ivana Radovanovic. Der Videoinhalt, ein dynamisch gefilmter, leerer Raum, verleiht der gesamten Performance eine zusätzliche Dimension. „Duality“(2022) ist der Titel des Werks, entstanden in einer Zeit, in der die Polarisierung und Darlegung von Konflikten und politischen Ansichten in sozialen Medien ein besonderes Hoch erlebt. „Dualität findet man heutzutage in vielen Aspekten”, sagt Radovanovic. Einen wichtigen Faktor in ihrer kompositorischen Vorgehensweise bei Bühnenwerken stellt das Ausgehen von einer Beobachtung oder eines Kommentars auf aktuelle Erlebnisse der Künstlerin selbst dar. Speziell im Fall von „Duality“ist dies eine politische Beobachtung, nämlich jener von Polarisierung in der Gesellschaft. Was jedoch nicht immer zwingend im Vordergrund stehen muss. Es geht bei Ivana Radovanovic nämlich noch um etwas anderes, das einen wesentlichen Ausgangspunkt in ihrem Schaffen darstellt:
„In jeder Komposition ist der Ursprung eine Emotion.“
Bei der Künstlerin, die nebenbei auch Russisch und Slawistik an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck studiert und sich dabei mittels Medienanalyse kritisch mit Sachverhalten auseinandergesetzt hat, schwingt also neben einer rationalen Meinung auch immer eine emotionale Komponente mit. Genau darum geht es, wie schon der Titel nahelegt, bei „VII Emotions“ (2016), ihrem bislang meistaufgeführten und mit dem Preis MusicaFemina Budapest ausgezeichneten Werk. Im Zuge ihrer Aufnahmeprüfung zum Masterstudium an der Anton Bruckner Privatuniversität entstanden, sieht Radovanovic die zweiminütigen Sätze als Studien, um einerseits Atmosphäre und Emotionen in ihren Arbeitsprozess einzubinden, andererseits neue Spieltechniken an klassischen Instrumenten in ihre Stücke zu inkorporieren. Jeder der sieben Sätze („Fear”, „Anger”, „Sadness”, „Hope”, „Peace”, „Excitement” und „Love”) zeichnet sich durch eine spezielle Technik aus, etwa besonders zarte „atemhafte“ Striche oder Flageolett-Gliassandi.
Steht der Name des Werkes repräsentativ für ihren kompositorischen Ansatz, so markiert es auch gleichzeitig einen Wendepunkt in ihrem Schaffen. Wobei zunächst noch etwas zurückgeblickt wird.
Wo alles begann
Geboren 1994 und aufgewachsen in der serbischen Kleinstadt Valjevo, früh von der Musik fasziniert und erprobt an den Klängen des häuslichen Klaviers, zieht sie 17-jährig, noch vor Abschluss der Matura, mit ihrer Familie nach Tirol, wo sie in die Kompositionsklasse von Franz Baur aufgenommen wird. Er erkennt ihr Charakteristikum des emotionalen Ansatzes zum Kunstschaffen und regt sie nicht nur dazu an, auch von einem anderen Blickwinkel eine musikalische Idee zu entwickeln, sondern gibt ihr auch das handwerkliche Rüstzeug zum zielführenden Umgang mit Material mit auf den Weg: „Material, das nicht gut bearbeitet ist, bleibt Material; Worte ohne Satz, ohne Aussage, bleiben nur Wörter“, so lautet ein Lehrsatz, der ihr in Erinnerung blieb. Drei Jahre später, im Jahr 2013, besucht Radovanovic erstmals einen Workshop für elektronische Live-Musik bei Johannes Kretz, woraus die Komposition für Flöte und Live-Elektronik „In Johnny’s head“ (2013) entspringt, die im Tiroler ORF-Studio zur Uraufführung kam.
Das Kompositionsstudium bei Franz Baur findet seinen Abschluss mit dem instrumentalen Stück „Rock ’n’ Moll“ (2015), einem überwiegend tonalen Werk für Streichquintett, Marimba und Klangschalen, das jedoch bereits moderne Spieltechniken einbezieht.
Bis dahin hat sie vorzugsweise rein medienspezifische und ohne außermusikalische Einflüsse entstandene Musik komponiert und überwiegend mit tonalen und klassischen Stilmitteln gearbeitet.
Kompositorische Entwicklung und Offenbarung neuer Möglichkeiten
Radovanovic genoss also bereits in ihrer Jugend eine grundlegende Ausbildung in Tonsatz und Kompositionslehre – ein Wissen, auf das sie fortwährend baut. Von 2017 bis 2020 belegte sie ein Masterstudium in Komposition an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz bei Erland Maria Freudenthaler sowie Andreas Weixler in Elektronik mit dem Schwerpunkt Computermusik. Hierbei entdeckt sie, neben dem Experimentieren mit elektronischer Musik, erstmals die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit Künstler:innen unterschiedlicher Disziplinen für sich. Der dadurch begonnene Austausch mit Tänzer:innen und Schauspieler:innen gab ihr die Option, sich noch besser auszudrücken und ihre Gestaltungsmöglichkeiten in künstlerischen Projekten zu erweitern.
Das Studium hat Radovanovic in ihrer Entwicklung geholfen, die neu erlernten Techniken der elektronischen Musik, den Umgang mit Material und den Einbezug von Performance miteinander zu verbinden und mit ihren eigenen musikalischen Ideen zielgerichteter in Einklang zu bringen.
Inspiration aus vielen Richtungen
Ivana Radovanovic ist gegenwärtig eine vielfältige und anpassungsfähige Komponistin, deren Stilistik stellenweise an Richtungen der Spätromantik und der Zweiten Wiener Schule erinnert, jedoch auch typische Elemente der traditionellen Volksmusik, des Modern Jazz, der Neuen Musik und Popmusik enthalten. Indizien dafür finden sich beispielsweise in einem eingereichten kompositorischen Beitrag für den Eurovision Song Contest 2016 sowie im wiederholten Einsatz der E-Gitarre, die unter anderem im „Nostalgia“(2019) zum Tragen kommt, einem Orchesterwerk mit Playback-Track und Live-Elektronik.
Radovanovic stellt sich auch immer wieder neuen Herausforderungen: „Es ist nicht leicht, nach der experimentellen Musik wieder tonale Musik zu komponieren. Wenn man sich nicht täglich mit dem Material beschäftigt, verliert man den Zugang.“
In „Song for my Father“(2019), einem Stück mit jazziger Harmonik, 11/8-Takt, volksliedhafter Rhythmik und Balkankolorit, kehrt sie gewissermaßen zu ihren musikalischen Wurzeln zurück. Sie sieht die eigene Arbeit auch immer wieder kritisch und setzt gute Qualität gleich mit einem Werk, das „handwerklich gut gemacht“ ist und die ursprüngliche Idee gut an Ausübende vermittelt. Radovanovic kommt in diesem Zusammenhang gern auf ihren früheren Kompositionslehrer Franz Baur zu sprechen.
In „Sorry, I Don’t know that one“ (2020) ist das nach der Idee von Seraphim Schuchter durchgeführte Interview mit „Alexa“, der vom Unternehmen Amazon ins Leben gerufenen KI, die Grundlage des Werks elektronischer Musik. Auf gleichfalls sprachlicher Ebene, den Naturbeschreibungen und den Wortklängen in Anja Utlers Prosawerk „ausgeübt“ (2011) basiert die Komposition „fast eine antwort“ (2021), in welcher Auszüge aus dem Text mit Musik aufgeführt werden.
Erweiterter kompositorischer Gedanke
Radovanovic schwört auf Teamarbeit und wünscht sich fortlaufend mehr Zusammenarbeit und Austausch mit Künstlerkolleg:innen. Zusätzlich bekommt Musik für sie spürbar auch eine neue visuelle Dimension: „Immer mehr Komponistinnen und Komponisten beschäftigen sich damit, habe ich bemerkt“, sagt sie und nennt hier als Beispiel das instrumentale Theater. Reine Musik sei nicht mehr genug im Bereich des kompositorisch Neuen. Das Schlagwort „audiovisuelle Komposition“, mit dem sie sich bereits wissenschaftlich im Zuge ihrer Masterarbeit mit dem Titel „Das Wechselspiel von Sehen und Hören in zeitgenössischer Musik – Wie verändern visuelle Aspekte die Wahrnehmung von Musik“ auseinandergesetzt hat, spielt in ihrem Schaffen eine weitere zentrale Rolle: „Das ist die Richtung, in der ich einige Zeit bleiben werde.“
Den laufenden Arbeitsprozess offenzulegen und sich nicht in den Elfenbeinturm zurückzuziehen, lautet ihre Prämisse. Sie lässt sich auch gerne beraten, befindet sich stets im Austausch und trifft sich häufig mit Tänzer:innen, Choreograf:innen und auch Maler:innen: „Das bringt mich einen Schritt weiter zur nächsten Idee. Es ist interessant, deren Ansichtspunkte wahrzunehmen. Das beeinflusst mein Werk total.“
Was die Zukunft bringt
Radovanovic vertritt eine spürbar positive Einstellung zur Musik im Allgemeinen und zur neuen Musik im Speziellen: „Es ist nicht noch nicht alles ‚erfunden‘ worden. Reine experimentelle Musik ist nicht mehr genug. Was Cage gemacht hat, war ein Ereignis und damals neu.“ Heute sei es das nicht mehr und nur interessant, wenn man visuelle Aspekte inkorporiert, um eigene Kompositionen daraus entstehen zu lassen. Jede Kunst betrachtet sie als einen wichtigen Teil einer Komposition. „Ich glaube, das ist die Zukunft von neuer Musik.“
Ivana Radovanovic befindet sich zurzeit als Composer in Residence in Brest. Danach folgt Dresden, wo sie im Rahmen des „RES URBANAE“-Projekts Musik als Teil einer Ausstellung komponiert und dabei auch eine für sie neue Technik, nämlich jene der Field-Recordings, zur Anwendung bringt. Das Projekt wird für fünf Jahre lang in Brest und in Dresden zu sehen sein. Zudem ist ein Orchesterwerk in Arbeit, das als Teil einer Suite von vier Sätzen mit dem Titel „amouse-bouche“ voraussichtlich diesen März im Rahmen eines Jubiliäumskonzerts des Kammerorchesters InnStrumenti im Haus der Musik in Innsbruck uraufgeführt wird.
Lukas Brunner
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Termin:
Samstag, 4. März 2023, 20:00 Uhr
Musikulinarisches Jubelkonzert:
25 Jahre InnStrumenti, Abokonzert 4
Haus der Musik Innstuck, 20 Uhr
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Links:
Ivana Radovanovic
Ivana Radovanovic (YouTube)
Ivana Radovanovic (music austria Datenbank)