Es ist einer dieser ersten Frühlingstage, an denen plötzlich alles möglich scheint. Wir sitzen im Schanigarten des Café Rüdigerhof, die Sonne knallt uns ins Gesicht, der Kaffee wird warm statt kalt, und die Gespräche gehen schneller in die Tiefe, als man denkt. Im Gespräch mit Ania Gleich erzählen INGRID SCHMOLINER und ALEX KRANABETTER dabei von Zwischenräumen – zwischen Tönen, Zuständen, Menschen, Wahrnehmungen. Von Live-Experimenten, Klavierkompromissen und der Frage, wie viel Freiheit Musik aushält, ohne ihre Form zu verlieren. Am 4. April erscheint ihr gemeinsames Album „breath in definition“ unter dem Namen DRANK – ein Werk, das genau dort ansetzt: im Unscharfen, im Offenen, im Dazwischen.
Wie habt ihr zusammengefunden und seit wann arbeitet ihr gemeinsam?
Ingrid Schmoliner: Wir kennen uns eigentlich schon sehr lange aus der Wiener Impro- und Experimentalszene. Wir wollten immer mal Musik miteinander machen, aber es hat dann eine Weile gedauert, bis es wirklich passiert ist.
Alex Kranabetter: Es war immer so: „Wir müssten mal was zusammen machen!“ Aber es hat dann doch erst mit der Einladung vom Grazer V:NM Festival geklappt.
Wann war das?
Ingrid Schmoliner: 2021. Oder war es sogar schon 2020?
Alex Kranabetter: Ja, da waren wir noch ein Trio mit Franz Hautzinger.
Ingrid Schmoliner: Wir haben damals zu dritt beim V:NM Festival gespielt. Das war ein schönes Konzert, eine feine Zusammenarbeit.
Und danach habt ihr als Duo weitergemacht?
Alex Kranabetter: Ja, wir haben wirklich schon länger darüber geredet, mal etwas zu zweit zu starten. Es hat einfach ein paar Jahre gebraucht, aber gute Dinge brauchen Zeit.
Wie sahen dann die ersten Schritte eurer Zusammenarbeit aus?
Ingrid Schmoliner: Wir haben im echoraum in Wien begonnen. Da gibt es einen kleinen, aber feinen Flügel, den ich gut kenne, und dort konnten wir arbeiten und komponieren.
Alex Kranabetter: Dort haben wir an der Musik und an Ideen, die wir für das Duo hatten, gearbeitet. Es war schon von Anfang an sehr klar strukturiert.
Gibt es feste Kompositionen oder basiert eure Musik eher auf Improvisation?
Ingrid Schmoliner: Es ist schon alles auf einer sehr improvisatorischen Basis. Aber für jeden Track gibt es eine Art Grundkomposition.
Alex Kranabetter: Die Texturen stehen fest, die Instrumentierung auch – also wie das Klavier aufgebaut wird oder welche Effekte ich verwende.
Ingrid Schmoliner: Unser Prozess ist meistens so: Wir improvisieren zuerst, dann hören wir es uns an oder erinnern uns an bestimmte Passagen. Meistens nehmen wir alles auf. Danach entscheiden wir, was funktioniert, und sortieren aus.
Habt ihr von Anfang an eine gemeinsame musikalische Sprache gefunden? Oder war das ein längerer Prozess?
Alex Kranabetter: Ich würde schon sagen, dass wir eine Vorstellung davon hatten, was wir machen wollten. Es gab eine Art Konzept.
Ingrid Schmoliner: Es sind fast zehn Stücke bzw. Fragmente entstanden, von denen am Ende nur vier für das Album übriggeblieben sind.
Alex Kranabetter: Die haben wir dann live gespielt und gemerkt, dass sie gut funktionieren. Es hat aber relativ lange gedauert, bis wir die endgültigen Entscheidungen für das Album getroffen haben.
„WIR WOLLEN EINEN RAHMEN ERZEUGEN, DER EINE ANDERE ART DER WAHRNEHMUNG ERMÖGLICHT.“
Gab es viel aufgenommenes Material?
Ingrid Schmoliner: Wir haben viel aufgenommen. Von jeder Komposition gab es mehrere Versionen.
Wie lief die Produktion ab?
Ingrid Schmoliner: Wir haben verschiedene Sessions gemacht. Erst mit Martin Siewert – aber danach haben wir dann entschieden, nochmal eine Aufnahmesession zu machen und sind mit Markus Wallner in die Westbahnstudios gegangen.
Alex Kranabetter: Genau. Die Aufnahmen mit Markus sind es dann geworden, aber zum Mastern sind wir wieder zurück zu Martin.
Warum diese Entscheidung?
Ingrid Schmoliner: Die ganze Vorarbeit war wirklich notwendig, um eine klare kompositorische Struktur zu finden.
Alex Kranabetter: Wir beide hören sehr viel unterschiedliche Musik und wollten uns nicht auf ein Genre festlegen. Es war uns wichtig, offen zu bleiben.
Welche Musik beeinflusst euch denn? Gibt es Überschneidungen?
Ingrid Schmoliner: Ich höre eigentlich alles – außer volkstümlichen Schlager.
Alex Kranabetter: Ich höre sogar volkstümliche Schlager! Es gibt ja auch Unterschiede. Schlager aus den 70ern oder 80ern ist ja was ganz anderes als das, was heute unter Schlagern läuft.
Ihr habt gerade über musikalische Einflüsse gesprochen. Was war eure Intention hinter dem Projektnamen drank? Oder spreche ich das überhaupt richtig aus?
Alex Kranabetter: Ja, „drank“ passt schon. Ich finde das Wort einfach lustig. Es ist lautmalerisch, hat eigentlich keine Bedeutung, aber man denkt natürlich sofort an „betrunken“.
Ingrid Schmoliner: Ja, vor allem, wenn man es liest, denkt man automatisch daran. Man kann damit spielen … Gleichzeitig passt es auch zu unserer Musik. Wir wollen einen Rahmen erzeugen, der eine andere Art der Wahrnehmung ermöglicht. Da geht es schon um einen Trance-artigen Charakter, um Minimalismus, um eine gewisse Atmosphäre. Ich würde sagen, es hat fast etwas Ambient-Artiges.
Alex Kranabetter: Es ist einerseits ein bisschen Drone-artig, aber dann auch wieder ziemlich lyrisch-programmatisch oder auch industrial tough. Es vereint viele Elemente.
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Alex Kranabetter: Und letztlich geht es schon auch um diesen rauschartigen Zustand, in den Musik versetzen kann. Musik ist einfach unglaublich mächtig.
Ingrid Schmoliner: Ja, genau deswegen bin ich Musikerin geworden. Musik ist nicht einfach nur Klang – sie beeinflusst uns stark auf körperlicher und emotionaler Ebene. Wenn man sich bewusst macht, dass der Mensch nie die absolute Stille erlebt, dass alles – selbst Organe einen – Klang, ein Geräusch hat, dann sieht man, wie tief das alles geht. Musik kann beruhigen, verstärken oder sogar foltern. Es ist auf jeden Fall klar, dass Musik Dimensionen verbindet, aber auch durchdringt
Alex Kranabetter: Vor allem, weil sie so intuitiv funktioniert. Sie geht direkt in den Körper, bevor man sie überhaupt bewusst verarbeitet. Das ist das Spannende daran – es ist egal, aus welchem Genre sie kommt.
Ingrid Schmoliner: Klar, sie kann völlig nonverbal funktionieren. Und trotzdem öffnet sie Assoziationsräume. Jeder Mensch hat andere Verknüpfungspunkte, je nach Tagesverfassung.
Alex Kranabetter: Und dann kommt noch die Dynamik zwischen Musiker:innen dazu – besonders im Duo. Das ist eine ganz eigene Herausforderung, weil man sich da auf einer anderen Diskursebene begegnet als in einem Trio oder einer größeren Besetzung.
Inwiefern spielt das „Dazwischen“ eine Rolle für euer Projekt und speziell für das Album?
Ingrid Schmoliner: Sobald zwei Menschen gemeinsam an einer Sache arbeiten, gibt es zwei Perspektiven. Und das, wo man sich trifft – oder auch nicht trifft –, ist das „Dazwischen“. Letztendlich ist alles darin verhandelbar.
Alex Kranabetter: Gerade im Duo ist das sehr spürbar. Wenn eine Person eine bestimmte Vorstellung hat und die andere eine andere, muss man sich einigen. Da entstehen Reibungspunkte, die es in größeren Formationen oft nicht in der gleichen Intensität gibt.
Ingrid Schmoliner: Für mich geht das aber noch weiter. Ich habe mir Alex bewusst als Kollaborationspartner gewünscht, weil er als Person eine bestimmte Ausstrahlung hat, die für mich in der Musik wichtig ist. Ich überlege immer wieder genau, mit wem ich wie arbeiten möchte. Da spielt viel Nonverbales mit, auch auf einer menschlich-seelischen Ebene.
Alex Kranabetter: Das finde ich ein schönes Bild – dass es um Ausstrahlung geht. Das ist ja auch einer der Hauptgründe, warum man überhaupt gerne zusammen Musik macht.
„ES ENTSTEHEN VERBINDUNGEN, ABER AUCH BRÜCHE, UND BEIDES IST WICHTIG.“
Ich sehe das „Dazwischen“ auch als eine Art Kompromiss. Jede künstlerische Zusammenarbeit ist ja immer ein Versuch, eine Brücke zwischen den eigenen Vorstellungen und denen des Gegenübers zu schlagen. Und letztlich kann man sich immer nur annähern, aber nie die andere Person sein. Seht ihr das ähnlich?
Alex Kranabetter: Ja, total. Es gibt eine Annäherung, aber manchmal erlebt man dann auch diesen magischen Moment, wo es sich wirklich nach einem gemeinsamen Empfinden anfühlt.
Ingrid Schmoliner: Das ist dann der Punkt, wo Musik wirklich funktioniert. Ich hatte schon Konzerte, nach denen die Mitmusiker:innen und ich völlig unterschiedlicher Meinung waren und das Publikum wieder eine ganz andere Wahrnehmung hatte. Diese unterschiedlichen Perspektiven finde ich spannend.
Gemeinschaft wird oft als etwas Gegebenes verstanden, aber eigentlich entsteht sie erst durch Differenz. Das heißt, wir müssen uns über unsere Unterschiede austauschen, damit ein gemeinsames Erleben möglich wird. Und genau das passiert ja auch in der Musik. Seht ihr das als politischen Aspekt eurer Arbeit?
Ingrid Schmoliner: Absolut. Gerade wenn man improvisiert, wird diese Aushandlung immer wieder aufs Neue durchgespielt. Da entstehen Verbindungen oder eben auch Brüche, und beides ist wichtig.
Alex Kranabetter: Vor allem, weil wir unsere Stücke ja auch bewusst offen halten. Sie verändern sich von Ort zu Ort, von Konzert zu Konzert. Das ist nicht nur eine künstlerische Entscheidung, sondern auch eine Haltung – das Lebendige bewahren.
Das heißt, ihr bewegt euch in einem Spannungsfeld zwischen Ungewissheit und Möglichkeit?
Ingrid Schmoliner: Genau. Und genau das macht es für uns interessant.
Wie seid ihr denn im improvisatorischen Zusammenspiel? Habt ihr eine feste Arbeitsweise miteinander gefunden? Oder ist das ein ständiges Ausloten?
Alex Kranabetter: Ich würde sagen, wir fangen einfach von vorne an und schauen, was passiert.
Ingrid Schmoliner: Ja, wir unterstützen einander, aber wir reflektieren auch viel. Wenn etwas gut funktioniert, probieren wir es das nächste Mal vielleicht wieder – aber in einer leicht veränderten Form. Wir analysieren Längen, Strukturen und diskutieren auch über praktische Dinge, wie es sich auf der Tour umsetzen lässt.
Alex Kranabetter: Gerade, weil Ingrid ja nicht immer das gleiche Klavier zur Verfügung hat, bringt das eine gewisse Herausforderung mit sich. Das heißt, wir müssen flexibel bleiben.
Ingrid Schmoliner: Aber ehrlich gesagt, manchmal habe ich keine Lust, immer wieder diesen Kompromiss einzugehen. Es wäre schön, wenn Veranstalter zumindest einen Flügel zwischen 180 und 220 cm Länge mit funktionierenden Pedalen bereitstellen würden, um die Instrumentierung so umzusetzen, wie sie halbwegs geplant ist. Ich arbeite sehr genau und detailorientiert. Es gibt selbst dann noch größere Unterschiede, wie meine Präparationen in den jeweiligen Instrumenten stattfinden können. Natürlich bringt das dann wieder ein lebendiges Element mit, macht aber ganz fixe Tonalitäten unmöglicher.
Alex Kranabetter: Wenn wir jedes Mal sagen würden, „Sorry, dann spielen wir nicht“, dann gibt es am Ende halt kaum Konzerte.
Ingrid Schmoliner: Oft sind es einfach finanzielle Fragen, die entscheiden, was möglich ist. In unserer Art von Musik sind Kompromisse ständig notwendig.
Wie viele Konzerte habt ihr bisher miteinander gespielt?
Ingrid Schmoliner: Ich würde sagen, so um die zehn.
Alex Kranabetter: Ja, ungefähr. Wir haben aber auch in verschiedenen Kontexten miteinander zu tun. Manchmal spielen wir solo hintereinander auf Festivals, was dann auch spannend ist, weil man das Zusammenspiel danach vielleicht noch anders wahrnimmt. Ich habe mal eine halbe Stunde solo gespielt, dann Ingrid ihr Solo „MNEEM“. Das ist dann für Zuhörende vielleicht interessant, weil sie dadurch die Verbindung zwischen unseren musikalischen Ansätzen anders wahrnehmen.
Ingrid Schmoliner: Klar, man hört sich ja auch gegenseitig zu, wenn man miteinander arbeitet. Und selbst wenn man nicht bewusst kategorisiert, nimmt man automatisch auf, was der oder die andere macht.
Wie viel Raum für Experimente lasst ihr euch innerhalb eurer Improvisation? Oder gibt es Strukturen, die sich festsetzen?
Alex Kranabetter: Ich würde sagen, wir erlauben uns fast jedes Mal ein neues Element. Natürlich haben wir Ideen, die wir in einem Rahmen behalten, aber wir versuchen immer, etwas weiterzuentwickeln.
Ingrid Schmoliner: Ja, es ergibt sich automatisch, weil die Rahmenbedingungen jedes Mal anders sind – sei es das Klavier, der Raumklang oder die Cues. Das beeinflusst unsere tonalen Entscheidungen.
Alex Kranabetter: Und oft haben wir sehr wenig Zeit für den Aufbau. Wenn wir unseren eigenen Tontechniker oder unsere eigene Tontechnikerin dabeihaben, ist das super, weil es dann wirklich so klingen kann, wie wir uns das vorstellen.
„ICH HABE FÜR MICH AKZEPTIERT, DASS MAN NIE AUF DEN PUNKT KOMMEN KANN, AN DEM ALLE DASSELBE EMPFINDEN.“
Wie sehr beeinflussen der Raum und das Publikum eure Musik? Habt ihr Konzerte in Erinnerung, bei denen das besonders herausfordernd oder besonders magisch war?
Alex Kranabetter: Jedes Mal ist es eine Überraschung. Beim Soundcheck merkt man oft, dass man tonal etwas anpassen muss, weil Ingrid das Klavier nicht genau so pitchen kann, wie es ursprünglich gedacht war.
Ingrid Schmoliner: Und dann sagt Alex meistens: „Ok, ich passe mich an in Richtung dieser Tonalität“.
Alex Kranabetter: Ja, weil wir beide Profis sind und uns schnell anpassen können. Aber natürlich spielt auch die Tagesverfassung eine Rolle – wie wir Dinge wahrnehmen, wie wir sie nachher reflektieren.
Ingrid Schmoliner: Ja, es kann sein, dass ich nach einem Konzert euphorisch bin und Alex eher nüchtern bleibt – oder umgekehrt.
Alex Kranabetter: Aber das gehört dazu. Ich glaube, man kann nie erwarten, dass alle immer exakt das gleiche Gefühl teilen.
Also gibt es auch manchmal Differenzen in eurer Wahrnehmung nach einem Konzert?
Ingrid Schmoliner: Klar, nicht das ganze Konzert über, aber gewisse Teile. Ich habe für mich akzeptiert, dass man nie auf den Punkt kommen wird, an dem alle dasselbe empfinden.
Alex Kranabetter: Genau, und das ist ja eigentlich schön – dass man unterschiedliche Level von Energie, Zufriedenheit oder auch Ausstrahlung hat. Das macht es spannend.
Ingrid Schmoliner: Es gibt einfach Tage, an denen Dinge weniger gut funktionieren oder anders wirken als erwartet. Damit muss man dann sowieso klar kommen.
Alex Kranabetter: Ich sehe das grundsätzlich optimistisch. Ich finde, es ist besser, eine positive Haltung zu bewahren. Sonst wird alles immer weniger, weniger, weniger. Negative Gedanken haben eine unglaubliche Multiplikationskraft – das merkt man in allen Bereichen.
Ingrid Schmoliner: Absolut. Und das betrifft auch das „Dazwischen“. In der heutigen Welt werden diese Zwischenräume immer kleiner. Es gibt kaum noch Platz für Offenheit, für Uneindeutigkeit, für das Ungewisse.
Kommen wir noch kurz zum Albumtitel: warum „Breath in Definition“?
Ingrid Schmoliner: Das habe ich mir während eines Fluges überlegt. Atem ist für mich essenziell, und Alex arbeitet ja als Trompeter sowieso ständig damit.
Alex Kranabetter: Genau.
Ingrid Schmoliner: Für mich geht es um diese Atmosphäre, um das, was Luft mit Klang macht. Und „Breath in Definition“ ist eine paradoxe Kombination – weil Atem eigentlich nicht exakt definierbar ist.
Alex Kranabetter: Jeder Atemzug ist einzigartig, selbst wenn du dich bemühst, ihn gleich zu gestalten.
Ingrid Schmoliner: Genau das finde ich spannend. Es geht um diesen Dualismus: Dinge, die einander bedingen, aber nie ganz festgelegt werden können.
Atmen ist ja spannend, weil es automatisch passiert, aber gleichzeitig etwas ist, das man kontrollieren kann – zum Beispiel im Atemyoga oder beim Trompete-Spielen, oder beim Gehen … Was bedeutet Atmen für euch in diesem Kontext?
Ingrid Schmoliner: Das ist das Faszinierende daran. Es ist ein ständiges Wechselspiel zwischen Kontrolle und Automatismus. Aber für mich geht es auch um mehr – um das Menschsein an sich. Wie fragil das ganze Konzept des Menschseins ist, insbesondere wenn in unseren Räumen das Dazwischen verschwindet, während Transpersonalität ein Gefühl von sich in Begegnung mit dem Gegenüber und noch weiter zum selben Zeitpunkt immer relevanter werden lässt: Menschsein im Kontext von naturgegebener Synergie zwischen allen Lebewesen und Ressourcen auf diesem Planeten.
Alex Kranabetter: Das findet sich auch im Text von „Breath in Definition“. Es geht darum, wie wir mit Ressourcen umgehen, miteinander umgehen …
Ingrid Schmoliner: Schau dir mal ein Gesicht genau an: Die rechte und die linke Hälfte sind energetisch unterschiedlich. Die Wahrnehmung verändert sich je nach Seite. Und genau so ist es in der zwischenmenschlichen Interaktion – es gibt Spektren zwischen Nähe und Distanz, zwischen Sensibilität und Abschottung, rechter und linker Gehirnhälfte, Polarität und alles dazwischen. Also viele Details, die in unserer digitalisierten Welt völlig untergehen. Das Unkontrollierbare Unbändige macht den Menschen immer mehr Angst, weil es eben nicht greifbar, kontrollierbar ist, aber vermehrt fühlbar. Deshalb wird noch mehr versucht, alles zu normen und zu vereinheitlichen, zu dominieren.
Alex Kranabetter: Und momentan ist die Welt generell sehr zehrend. Deshalb ist für mich „Breath in Definition“ so ein vielschichtiger Begriff. Er verweist auf viele Themen gleichzeitig, aber hat natürlich auch direkt mit dem Atmen und der berührbaren Menschlichkeit zu tun.
Das Stück „Breath in Definition“ ist der letzte Track auf dem Album. Warum habt ihr euch entschieden, es ans Ende zu stellen?
Ingrid Schmoliner: Der Gedanke war, einen Epilog zu setzen. Unsere Musik ist ja großteils instrumental und dieses Stück bringt am Ende noch eine gesprochene Dimension mit rein.
Alex Kranabetter: Genau, wir wollten auf keinen Fall, dass es irgendwo in der Mitte stattfindet. Wenn es am Anfang gestanden wäre, hätte es eine ganz andere Wirkung gehabt – als würde es etwas eröffnen, das dann gar nicht passiert.
Ingrid Schmoliner: So funktioniert es eher als Schlusspunkt. Wer sich wirklich in meinen Text hineinfühlt und die Mehrdeutigkeit der Zeilen aufnimmt, wird sich vielleicht auch der Komplexität der eigenen Lebensbilder etwas annähern, und unsere Musik bei weiterem Anhören nochmal anders begreifen.
Alex Kranabetter: Es ist vielleicht auch eine Art Teaser für das, was als Nächstes kommen mag.
„ES IST OFT SO, DASS SICH EINE TÜR SCHLIEßT UND DADURCH EINE ANDERE ÖFFNET.“
Ihr habt am Anfang schon darüber gesprochen, dass ihr sehr viele Aufnahmen gemacht habt. Wie habt ihr dann die finalen Tracks ausgewählt? Waren das von Anfang an klar definierte Stücke oder eher Versatzstücke, die später ineinandergegriffen haben?
Alex Kranabetter: In der letzten Aufnahmesession war alles schon sehr konstruiert. Wir haben viel ausprobiert, viel mitgeschnitten und dann aus diesen Sessions die finalen Stücke herausgefiltert.
Ingrid Schmoliner: Bei „MIN“ und „Iridescent“ wollten wir diese Stimmung, diese Länge, diesen Aufbau.
Alex Kranabetter: „Breath in Definition“ und „Gitta“ haben wir dann im Nachhinein noch weiter produziert, sodass gewisse Elemente hinzugekommen sind.
Wie habt ihr eure Gäste für das Album ausgewählt?
Ingrid Schmoliner: Bei Lukas [König, Anm.] war das recht klar – wir schätzen ihn als Künstler sehr und wussten, dass er mit seinen Elementen das Ganze bereichern kann.
Alex Kranabetter: Ja, er hat einfach eine unglaubliche Vielseitigkeit. Mit Anja [Plaschg (Soap&Skin), Anm.] war es dann etwas organischer. Sie hatte bereits etwas von unserer Musik gehört und war interessiert. Und dann kam die Idee auf, dass sie einen Part übernehmen könnte.
Ingrid Schmoliner: Das war echt ein glücklicher Zufall. Es ist oft so, dass sich eine Tür schließt und dadurch eine andere öffnet.
Alex Kranabetter: Ursprünglich war auch eine Kollaboration mit Maja Osojnik geplant. Wir sind sogar ins Studio gegangen mit dem Gedanken: Was könnte Maja dazu machen? Deshalb war das Stück erst einmal sehr reduziert. Aber dann ist es sich zeitlich nicht mehr ausgegangen, weil wir so lange an dem Album gearbeitet haben und Maja in ein Sabbatical gegangen ist. Dann kam Anja ins Spiel. Sie hat sich das Material angehört und gesagt: Da könnte ich noch etwas einbringen. Und so ist das entstanden.
Wo würdet ihr euch als drank verorten – sei es in der Wiener Szene oder darüber hinaus?
Alex Kranabetter: Meinst du das jetzt Genre-mäßig?
Ja, aber im Sinne von: Wie bereitet man Leute darauf vor, was sie bei einem Konzert erwartet – besonders wenn sie nicht aus dieser Szene kommen?
Ingrid Schmoliner: Man kann auch über Musik schreiben, ohne zu viel vorwegzunehmen.
Alex Kranabetter: Ich würde sagen, dass drank aus unseren musikalischen Möglichkeiten heraus entsteht. Wir bringen viele Einflüsse mit, sowohl als Komponisten als auch als Improvisatoren.
Ingrid Schmoliner: drank arbeitet mit Einflüssen aus: Ambient-Drone-Minimal Music wie auch Poesie, Trance, Kreisläufen, Belebung, Tiefe, Stille. Und ja, natürlich ist es experimentell und narrativ und manchmal massiv …
Alex Kranabetter: Es lässt sich nicht so einfach in eine Schublade stecken. Und das macht es für uns spannend.
Ingrid Schmoliner: Ja.
Alex Kranabetter: Wenn du unser Konzert siehst, dann weißt du es.
Ingrid Schmoliner: In der letzten Ankündigung wurden wir als ein „Stellar Duo“ angekündigt
Alex Kranabetter: Auch fein, und irgendwie passend!
Man möchte mit Musik ja nicht immer nur in der gleichen Suppe schwimmen. Wie wichtig sind euch Konzertankündigungen und Pressetexte, um Menschen zu erreichen, die vielleicht sonst nicht mit eurer Musik in Berührung kommen?
Ingrid Schmoliner: Sehr wichtig! Ich finde, dass Pressetexte und Konzertankündigungen oft viel zu flapsig behandelt werden. Manchmal steht da gar nichts drin, was wirklich etwas über die Musik aussagt.
Alex Kranabetter: Ja, das sind oft nur leere Phrasen. Und wenn es dann um experimentelle Musik geht, wäre es doch umso wichtiger, den Leuten einen gewissen Zugang zu ermöglichen.
Seid ihr mit eurem Pressetext zufrieden?
Ingrid Schmoliner: Ja, sehr! Peter Margasak hat wirklich recherchiert, sich mehrfach erkundigt und nachgefragt, wie unsere Musik funktioniert. Es ist oft so, dass Leute denken, dass bei mir viel elektronisch manipuliert wird, aber es ist ein rein akustischer Sound – nur gut gemischt und in den Raum projiziert. Es war mir wichtig, dass das auch im Pressetext klar wird.
Alex Kranabetter: Außerdem ist es schön, wenn ein Pressetext nicht nur generisch daherkommt, sondern wirklich auf uns zugeschnitten ist.
„ICH ARBEITE GERNE MIT LEUTEN, DIE SICH WIRKLICH TIEF IN DIE WIEDERHOLUNG HINEINBEGEBEN KÖNNEN.“
Eure Musik ist sehr prozesshaft. Wie schwierig ist es für euch, sie in Worte zu fassen?
Alex Kranabetter: Extrem schwierig!
Ingrid Schmoliner: Ja, ich glaube, das Wichtigste ist, dass Leute sich die Musik einfach anhören. drank kann vieles sein. Und es hängt auch sehr von der eigenen Stimmung ab, welche Stücke einen gerade ansprechen.
Alex Kranabetter: Es verändert sich ständig. Mal gefällt mir dieses Stück besser, mal jenes.
Gibt es Experimente, die ihr in Zukunft mit drank ausloten wollt?
Alex Kranabetter: Das größte Experiment ist für uns das Live-Spielen.
Ingrid Schmoliner: Ja! Besonders, weil wir jetzt zwei Termine haben, bei denen wir akustisch spielen müssen. Das bedeutet, dass Alex ohne Elektronik arbeiten wird. Da müssen wir neue Lösungen finden.
Gibt es noch etwas, das euch wichtig wäre – konzeptuell über das Album?
Ingrid Schmoliner: Hm, gute Frage …
Alex Kranabetter: Ich glaube, wir haben alles gesagt.
Ingrid Schmoliner: Was mir wichtig ist: Dass es lebendig bleibt. Ich will nicht auf einer Bühne stehen und mich tot fühlen.
Alex Kranabetter: Ja, das wäre schlecht.
Ingrid Schmoliner: Ich finde starre Musik schwierig. Aber auch Ungenauigkeit. Ich arbeite gerne mit Leuten, die sich wirklich tief in die Wiederholung hineinbegeben können, sich in die Musik öffnen – sodass ein tranceartiger Charakter entsteht. Das ist für mich essentiell.
Alex Kranabetter: Daher auch die langen Stücke. Unsere Tracks dauern oft zehn bis zwanzig Minuten, weil man die Zeit braucht, um wirklich in diesen Zustand zu kippen.
Ingrid Schmoliner: Genau, es ist eine Art Kontemplation.
Danke euch für das Gespräch!
Ania Gleich
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drank – Live:
Donnerstag, 03. April2025
Substance Recordstore (Album-Präsentation)
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