„MUSIK HAT FÜR MICH KEINE GRENZEN“ – HAMIDREZA OJAGHI IM MICA-INTERVIEW

Der kurdische Musiker HAMIDREZA OJAGHI lebt seit vielen Jahren in Wien, sein Instrument ist die kurdische Rahmentrommel Daf. Längst unterrichtet er das Daf-Spiel an der Musikuniversität Wien, Jürgen Plank hat mit ihm darüber genauso gesprochen wie über seine eigene Entwicklung als Musiker, die mit Gesang begonnen hat. Besondere Auftritte – etwa im Teatro Colón in Buenos Aires – sind ebenfalls Thema des Interviews wie Crossover-Kollaborationen, die HAMIDREZA OJAGHI mit Musiker:innen aus unterschiedlichen Genres zusammenführen. Wie sich Traditionen verändern, zeigt sich daran, dass die Daf erst seit ein paar Jahrzehnten in Orchestern gespielt wird, davor wurde sie nur im Zusammenhang mit Sufi-Traditionen eingesetzt. Diese Trommel ist sowohl in Zentralasien, Indien als auch im arabischen Raum, im Maghreb und in Südost-Europa bekannt.

Du spielst die Rahmentrommel Daf, wie hat dein Musikmachen begonnen?

Hamidreza Ojaghi: Ich habe mit dem Musikmachen als Kind begonnen. Damals habe ich nicht gewusst, dass das mein Beruf wird. Wir haben zu Hause mit Freunden gesungen und immer wieder wurde mir gesagt: du hast eine gute Stimme. Ich habe also als Sänger begonnen. Bei einem Festival in Kurdistan war es dann so, dass ein Daf-Spieler krank war und ich eingesprungen bin. Der Leiter des Festivals hat zu mir gesagt: Hamid, ab jetzt singst du und du spielst Daf.

Vor wie vielen Jahren war das?

Hamidreza Ojaghi: Das war vor rund 40 Jahre, damals war ich etwa 8 oder 9 Jahre alt. Jetzt bin ich 49 Jahre alt.

„ERST SEIT ETWA 40 ODER 50 JAHREN WIRD DIE DAF AUCH IN ORCHESTERN GESPIELT“

Erzähle bitte von deinem Instrument, der Rahmentrommel Daf. Was macht dieses Instrument für dich aus?

Hamidreza Ojaghi: Die Daf ist ein Instrument, das aus Holz hergestellt wird und mit beiden Händen gespielt wird. Früher durfte die Daf nur im Zusammenhang mit Sufi-Traditionen benutzt werden, nicht in einem Orchester. Erst seit etwa 40 oder 50 Jahren wird die Daf auch in Orchestern gespielt. Die Daf, die ich spiele, kommt aus dem West-Iran. Viele der Instrumentenbauer sind im Iran, von dort aus wird die Daf verkauft. Ein Profi-Instrumentenbauer baut die ganze Daf mit nur einem Messer. Die Daf wird aus Holz gemacht, bespannt ist die Daf mit Ziege- Schaf- oder Lammhaut. Mit Ziege ist die Bespannung besser als mit Schaf oder Lammhaut.

Bild Hamidreza Ojaghi & Band
Hamidreza Ojaghi & Band (c) Jürgen Plank

Wie würdest du die Spieltechnik beschreiben?

Hamidreza Ojaghi: Als Kind habe ich mir zunächst selbst beigebracht, Daf zu spielen. Auch jetzt an der Universität Wien verwende ich als Daf-Lehrer mein eigenes Vokabular im Unterricht. Keine akademischen Begriffe. Ich spreche in Zusammenhang mit der Daf zum Beispiel vom „Atem“. Der Atem spielt eine große Rolle beim Spielen, ohne Atmung ist das Instrument gleichsam tot. Atmen und Rhythmus gehen Hand in Hand.

Machst du im Daf-Unterricht mit den Schülern und Schülerinnen tatsächlich Atemübungen vor dem Spiel?

Hamidreza Ojaghi: Am Anfang lernen wir Rhythmus, Gehen und Atmen. Mit der rechten Hand spielt man zwei Töne, mit der linken Hand den dritten Ton. Die Atmung hat auch etwas mit dem Gefühl zu tun, manchmal braucht es mehr Atmung, manchmal weniger. Das hat weniger mit Technik zu tun.

Bitte erzähle noch mehr über diesen Zusammenhang zwischen Rhythmus und Atem.

Hamidreza Ojaghi: In der kurdischen Musik gibt es einen 7/8-Takt, der ist zum Aufwärmen für den Tanz, mit viel Atmung. Der Tanz beginnt immer mit dem 7/8-Takt und dann steigen wir langsam auf einen 2/4-Takt um. Dieser Rhythmus heißt Hal Gerten.Der ist ein bisschen schneller, wenn jemand schnell läuft, braucht er auch mehr Atmung. Deswegen braucht der Hal Gerten-Rhythmus auch mehr Übung als der 7/8-Takt.

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Du unterrichtest das Daf-Spiel an der Musikuniversität Wien und deine Schüler:innen sind international, von Österreich bis Asien und Lateinamerika. Inwiefern dürfen sie ihre eigene Spielweise entwickeln?

Hamidreza Ojaghi: Ich gebe einfach meine Erfahrung weiter, die ich seit meiner Kindheit mit der Daf gesammelt habe. Das kann ich leichter weitergeben, wenn jemand ohne Vorwissen zu mir kommt. Vor kurzem haben wir mit Schüler:innenin Göttweig gespielt, mit Schüler:innen aus Belgien, aus Japan, Hongkong und den U.S.A., von überall. Das Lernen läuft sehr schnell und gut. Wenn man etwas lernt und die Festplatte dazu ist noch leer, dann läuft der Lernprozess sehr schnell. Manchmal nutze ich im Unterricht auch Noten, von kurdischen und persischen Melodien. Auch von arabischen und türkischen Melodien.

Abgesehen von diesen Einflüssen, spielst du auch mit europäischen Musiker:innen, die wiederum ihren musikalischen Hintergrund einbringen. Wie laufen diese Kooperationen?

Bild Hamidreza Ojaghi & Band
Hamidreza Ojaghi & Band (c) Jürgen Plank

Hamidreza Ojaghi: Im Jahr 2004 habe ich zum ersten Mal im Mozartsaal, im Wiener Konzerthaus, gespielt. Mit einem Ensemble für Mittelalter-Musik. Denn ich habe mir schon gedacht, dass ich für das Publikum hier nicht immer nur kurdische Musik spielen kann.

Ich habe mir gedacht: warum nutze ich neben der kurdischen Musik nicht Musik anderer Länder? Musik hat für mich keine Grenzen. Ich kann mit allen Musiker:innen überall spielen, denn Musik ist die Tür und mein Herz ist für alle offen.

Im Jahr 2015 habe ich zum Beispiel gemeinsam mit der Gruppe Diwan mit Daniel Barenboim gespielt. Mit dem Cellisten Kian Soltani habe ich gespielt, auch mit einem Pianisten aus New York und so weiter. Wir haben auch mit Solist:innen von Barenboim im Teatro Colón in Buenos Aires gespielt.

Ich könnte mir vorstellen, dass der Auftritt im Teatro Colón für dich ein Highlight deiner Karriere war.

Hamidreza Ojaghi: Das Konzert war für mich eine sehr gute Erfahrung. Barenboim hat mich dort gefragt: Hamid, hast du Angst? Es könnten 3500 Leute im Publikum sein. Meine Antwort war: Ich habe keine Angst und spiele auch gerne vor 10.000 Leuten. Immer wenn viele Leute da sind, spielt für mich viel Gefühl mit. Viele Musiker:innen haben Lampenfieber, aber das habe ich nicht.

Mit wem hast du noch gespielt?

Hamidreza Ojaghi: Ungefähr im Jahr 2007 oder 2008 habe ich mit dem Jazz-Musiker Lorenz Raab gespielt. Er ist auch der erste Trompeter der Volksoper. Auch mit Oliver Steger habe ich gespielt. Danach, etwa im Jahr 2008, habe ich begonnen mit dem Institut für Volksmusik und Ethnomusikologie der Musikuniversität Wien zu arbeiten. Das mache ich bis heute. Und ich habe das Ensemble von Rudi Pietsch gehört, Rudi ist im Jahr 2020 gestorben. Von ihm habe ich viel gelernt, auch darüber, wie man sich auf der Bühne präsentiert und wie man miteinander spielt. Wir haben viel miteinander gemacht.

Ich war bei deinem Konzertabend in der Sargfabrik dabei, beim Programm „Vom Zagros bis in die Alpen“ von Hamid & Friends.

Hamidreza Ojaghi: In der Sargfabrik gab es einen Abend, der den musikalischen Bogen von Persien bis zu den Alpen gespannt hat. Unter dem Titel „Vom Zagros bis in die Alpen“. Es gibt mein eigenes Projekt Hamid & Friends und es gibt auch ein Trio mit guten ungarischen Musikern, die an diesem Abend zu Gast waren. Im Hintergrund ist für mich immer kurdische Musik. Dazu kommt ein wenig Musik aus Mazedonien, aus Ungarn, aus Kroatien oder aus Österreich.

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Du spielst die Daf auch für die Gruppe Diwan, die alevitische Musik spielt. Dabei gibt es auch eine poetische Ebene, weil insbesondere Gedichte vertont werden. Wie wichtig ist denn diese Verbindung zwischen Musik und Poesie für dein Musikmachen?

Hamidreza Ojaghi: Diwan spielen alevitische Musik, mir ist diese Musik nicht fremd. Viele Jahre lang habe ich ähnliche Musik mit einem Tambourin-Spieler gespielt. Diwan singt Texte auf Türkisch, manchmal auf Kurdisch, ich spiele da mit Herz mit.

Wie erlebst du die Musikszene in Österreich, gibt es hier eine kurdische Musiker:innen-Community?

Hamidreza Ojaghi: Ich habe viel mit österreichischen und europäischen Musiker:innen gespielt, das ist oft leicht zu organisieren, Wenn du mit österreichischen Musiker:innen spielst, trifft man sich meistens pünktlich, macht eine Probe und ist bereit für den Auftritt. Fertig. Iranische Musiker:innen gibt es zum Beispiel nicht so viele in Wien, die machen nicht so viel miteinander. Ich weiß nicht, wieso. Das ist eine gute Frage. Ich habe schon mit Perser:innen gespielt, in der Schweiz, in Deutschland, in Wien. Am Anfang habe ich viel mit iranischen Musiker:innen gespielt, danach mehr mit europäischen Musiker:innen.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Live:

17.9.2024, Sechsschimmelgalerie, 19h, 1090 Wien, Sechsschimmelgasse 17

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Links:
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