Das Ensemble „Kontrapunkte“, gegründet 1965 von Peter Keuschnig, der Dirigierstudien bei Ferenc Fricsay und Bruno Maderna absolviert hatte, gehört zu Wiens ältesten Ensembles für Neue Musik und ist aus Musikern führender Orchester zusammengesetzt. Seit den siebziger Jahren ist es im Musikverein Fixpunkt in einem ständigen Abonnement -Zyklus, das mit Musik des 20. Jahrhunderts und vielen Uraufführungen immer wieder auch ganz Neues, Ungewöhnliches und Unbekanntes zur Aufführung bringt. Unvergesslich bleibt die grandiose Erstaufführung der wichtigen Oper „Kehraus um St. Stephan“ von Ernst Krenek im Ronacher.
Im Brahmssaal standen am Montag neben Gerald Resch („Knoten“ für Fagott und Kammerorchester war die „Ausgangskomposition“ für sein Schülerprojekt, das zuvor im Konzerthaus präsentiert wurde) vor allem Werke für Bläser von Friedrich Cerha auf dem Programm. Gleich zu Anfang eines, das der Komponist 1947/48 mit zweiundzwanzig Jahren für Bläser komponierte und das man schlicht bestaunen musste, war es doch noch vor seinen Darmstädter Begegnungen mit der damaligen Serialismus.Avantgarde in Darmstadt entstanden. Cerha schrieb es zunächst für vier Bläser und arbeitete es kurz darauf für acht Bläser und Schlagzeug um. Es erklang nach einer Prämierung in einem Kompositionswettbewerb der Akademie erst 1955 erstmals, auch in einem Arkadenhof-Konzert unter Hans Swarovsky wurde es der Öffentlichkeit vorgestellt. Cerha erinnert sich: „Die Taktwechsel im letzten Satz haben damals erhebliche Schwierigkeiten verursacht – im Arkadenhof wurden sie zusätzlich vom Wind verweht“.
Es sollte eine Huldigung an Igor Strawinsky werden, ist aber mehr als das. Das „Divertimento“ ist ein solches, es ist „musikantisch“ und orientiert sich in moderner Form auch an frühbarockem melodischen Material, an Quartfall und Bassfundamenten, wie sie in der Musik von 1600 bis zu Zeiten Mozarts zum Handwerk gehörten. Ein Hymnentypus bildet das Thema des langsamen Satzes der dreisätzigen Musik, die wunderschön mit Hörnern, Posaunen grundiert auch auszitierte Dialoge von Klarinette und Trompete birgt (eine Allusion auf die „Geschichte vom Soldaten“). Das Stück erhielt verdienten großen Applaus und einmal mehr musste sich Cerha verbeugen. In der Notenbibliothek von Wien Modern im Cafe Heumarkt kann man neben anderen Stücken Cerhas (auch die „Spiegel“ und das „Curriculum“ sind auszugsweise dort) die „Divertimento“-Partitur ansehen, auch gut lesen: Sie ist „klingend“ notiert, bis auf die in b notierten Klarinetten.
„Knoten“ für Fagott und Kammerorchester ist eigentlich ein Fagottkonzert, Solist war ein Mitglied der Kontrapunkte (vermutlich David Seidel). Es ist über weite Linien immer wieder wunderbar melodisch, ja „melodiös“ und Gerald Resch sorgte in seiner Komposition dafür (das Fagott verfügt ja auch über die Fähigkeit, sich weich mit anderen Instrumenten mischen zu können), dass das Soloinstrument in seiner Hauptlinie durch das Orchester teils durch Mitspielen in anderen Intervallabständen, teil unisono eingefärbt wird. Über das ganze Stück hinweg gibt es „Verknotungen“ zwischen Fagott und Orchesterinstrumenten, die Musik ist auch durch Verkettungen formal verknotet.
Die Uraufführung des Stückes „FESTUM“ mit Thomas Heinisch nahm über eine halbe Stunde in Anspruch. Wie schon bei Emily Howard („Calculus for the Nervous Sytem“ wurde tags zuvor vom ORF-Radio-Symphonieorchester uraufgeführt) konnten die diesjährigen Wien Modern-Kompositionsaufträge (ausgenommen der Erste-Bank-Auftrag von Lothar Knessl an Gerhard Resch!) heuer nicht ganz glücklich machen. Heinisch, mit Roland Freisitzer Begründer des ensemble reconsil, überzeugte schon oft mit sehr guten Stücken (siehe auch mica-Porträt). Auch er setzte sich (etwa in einem sechssätzigen Violakonzert für Julia Purgina) mit der der Idee des Solistischen auseinander. Werke von ihm beschäftigten sich mit den Satztechniken der niederländischen Vokalpolyphonie, mit der Kunst des strengen Satzes im Kontrapunkt, mit der „Klangrede“ seit Carl Philipp Emanuel Bach, viel mit Robert Schumann, auch Chopin. Und: Der studierte Hornist konnte durch seine Tätigkeit als Lektor beim Wiener Musikverlag Universal Edition wesentliche Erfahrungen sammeln und kam dadurch ganz selbstverständlich etwa mit den Partituren eines Pierre Boulez, eines György Ligeti oder Karlheinz Stockhausen in Berührung.
Nun also sein „FESTUM“ – eine versuchte Annäherung an die Darstellungsform der Art brut. Was wollte Heinisch? – „Eine dunkle Klanglandschaft aus Trommeln“ mit etlichen Schlagzeugern im ersten Satz, der sich nach (sehr) langer Zeit die tiefen Blechbläser hinzugesellen („mit einem einzigen repetierten Akkord“) und weiter Trommeln („die Große Trommel fungiert als Impulsgeber für Bongos und Congas, die sich nervös und drängend in wilde Klangkaskaden steigern“. Das wirkt vor allem plakativ und wird manchmal langweilig.
Der zweite Satz „eine Fanfare“, im dritten Satz „erstmals auch Holzbläser und die beiden Streicher als Impulsgeber“ über einem „steten Orgelpunkt auf dem Ton d“, der „enigmatischste“ 4. Satz „schnarrend“ und mit einem „wilden, atemlos rituellen Tanz“ der Altflöte als Mittelteil. Der fünfte Satz greift auch noch „auf das Material des ersten Satzes“ zurück. Viele empfanden das Geschehen als eigentlich vorhersehbar. Okay: Gegen Emily Howard siegte Thomas Heinisch hier nach Punkten 1:0.
„Grounds“, als zweites Stück von Gerald Resch bezieht sich auf die englische Renaissance-Musik und zitiert am Ende sehr schön wörtlich motivische Wendungen von Henry Purcell. Dessen „In Nomine“ als Cantus firmus ist auch der Leitfaden für die Komposition von Resch, aus der aus er seine freie Musiksprache abzuleiten suchte.
Aus 1971/72, einer weiteren Station im Gesamtwerk Friedrich Cerhas stammt sein „Curriculum“ für 13 Bläser, in dem Stück versuchte er „wieder thematische Bezüge auszuarbeiten, die unter dem Prinzip der Variabilität von entscheidender Bedeutung für die ganze Form sind“. Zusammenhänge im vermeintlich Unzusammenhängenden, Möglichkeiten der Collage, Heterogenes wird in Prozesse geformt und zusammengeschweißt. So, dass auch Pianist Rainer Keuschnig, an einer Stelle extra als Sub-Dirigent eingesetzt, einen kurzen Abschnitt lang einen anderen Rhythmus taktschlagen musste. Das Auftragswerk der Koussevitzky-Fondation wurde im Lincoln-Center in New York uraufgeführt und enthält auch Bezüge zu bestimmten Floskeln aus Charles Ives’ „Three Places in New England“. Man hörte gebannt zu. Bei Cerha hat man das Gefühl, dass nie ein Takt zu viel komponiert wurde.
Und eins steht fest: Bester Komponist des Festivals Wien Modern 2011 war Friedrich Cerha. Auch am Dienstag: Da hörte man den großartigen Georg Nigl mit „Malinconia“ für Bariton und Posaune (nach Gedichten von Emil Breisach). Heute, Mittwoch, folgt mit dem Klangforum Wien unter Emilio Pomárico „Les Adieux“, „Für K.“ und „Bruchstück, geträumt“. Das Finale am Donnerstag, 25.11. trommelt Martin Grubinger mit Cerhas Schlagzeugkonzert.
Heinz Rögl
Wien Modern