Georg Friedrich Haas hat den Sprung in die internationale Musikszene längst geschafft und ist mit seinen Werken auf sämtlichen wichtigen Festivals präsent. Bei den Donaueschinger Musiktagen, bei den Schwetzinger Festspielen, an der Pariser Oper und vielen weiteren prominenten Adressen werden die Werke von Georg Friedrich Haas zur Aufführung gebracht. Bei den Wiener Festwochen wird heuer seine Oper “Bluthaus” gegeben. mica – music austria verlost 5 x 2 Karten für den Freitag, 13. Juni 2014. Schicken Sie einfach ein E-Mail mit dem Betreff “Bluthaus” an office@musicaustria.at.
Den Salzburger Musikpreis haben bisher drei sehr renommierte Komponisten erhalten. Nun reiht sich dein Name zu Salvatore Sciarrino, Klaus Huber und Friedrich Cerha ein. Besonders mit Cerha verbindet dich eine langjährige Freundschaft. Was hast du bei ihm für deine eigene künstlerische Arbeit gelernt?
Er war ein sehr wichtiger Lehrer für mich, denn er hat mich gelehrt niemals einem Konstruktionsprinzip zu vertrauen, sondern immer die Verantwortung für das Klangliche wahrzunehmen. Ein zweiter Punkt war, sich in stilistischer Hinsicht nicht einengen zu lassen und konsequent das zu tun, was ich tun möchte.
– Aktuelles thematisieren –
Im vergangenen Jahr hast du mit der Oper „Bluthaus“ das schwierige und oft tabuisierte Thema sexueller Missbrauch aufgegriffen und musikalisch verarbeitet. In der aktuellen Oper „Thomas“ thematisierst du den Sterbeprozess und das Sterben im Krankenhaus. Ist es dein besonderes Interesse, gesellschaftspolitisch so brisante Themen für die Oper aufzubereiten?
Früher habe ich in einem stärkeren Ausmaß als heute geglaubt, dass es für einen Komponisten notwendig ist, ganz bewusst politische Aktivitäten zu setzen. Deshalb gibt es auch Stücke von mir, die eine politische Funktion oder einen politischen Ursprung haben. Beispielsweise ist das Schlagzeugkonzert „Wer, wenn ich schrie hörte mich…“ eine Reaktion auf den Kosovo-Krieg. „in vain“ ist die Antwort auf die Regierungsbildung in Österreich im Jahr 2000. Beide Stücke haben die politischen Ereignisse, aus deren Betroffenheit sie entstanden sind, überlebt. Das macht mich optimistisch, dass Kunst letztlich stärker ist als die politischen Rahmenbedingungen und der Aufschrei gegen diese.
Für die künstlerische Tätigkeit sind natürlich Themen interessant, die noch nicht viele Leute beschrieben haben. Bei „Bluthaus“ geht es nur am Rande um die Frage, ob es ein tabuisiertes Thema ist.
Die Oper „Thomas“ handelt vom Tod im Krankenhaus und Vorkehrungen, die danach am Leichnam vorgenommen werden. Der Librettist Händl Klaus liebt realistische Beschreibungen. Doch im Verlauf des Werkes findet eine gewisse Überhöhung statt und der Tod wird gewissermaßen aufgehoben. Die Oper ist textlich so gearbeitet, dass bis zum Ende offen bleibt, ob die Handlung der Realität entspricht oder ein Traumbild ist. Jedenfalls endet die Oper mit einer Ode an das Leben.
– Ein besonderes Instrumentarium –
Wie ist „Thomas“ musikalisch angelegt?
Es ist das – wenn man das so sagen kann – „mikrotonalste“ Stück, das ich je komponiert habe. Technisch ist dies deshalb möglich, weil ich ausschließlich für umgestimmte Saiteninstrumente komponiert habe. Er erklingen zwei Gitarren, Cembalo, Zither in Diskant-, Alt- und Basslage, Harfe und Mandoline. Alle Instrumente sind in genau definierten, feinst abschattierten Tonhöhen gestimmt und so steht mir ein sehr komplex klingender, künstlich geschaffener Organismus von Klängen zur Verfügung.
– Ein Lernprozess –
Die zeitgenössische Musik und das Regietheater treten mitunter in ein Spannungsfeld zueinander, weil das Regietheater die Musik interpretiert, obwohl diese bereits ein Produkt einer Reflexion ist. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die beiden Opern „Nacht“ und „Die schöne Wunde“, die bei den Bregenzer Festspielen aufgeführt worden sind. Wie gehst du mit diesem Dilemma um und wie war das in der letzten Produktion „Bluthaus“?
Das ist ein sehr langsamer Lernprozess. In den früheren Opern „Nacht“ und „Die schöne Wunde“ war ich selbst auch Librettist. Diese Werke sind deshalb der Regie gegenüber sehr empfindlich. Die Musik ist in so vielen Facetten bereits gebrochen, dass es ein weiteres Brechen nicht geben darf.
Ich hoffe – und erwarte -, dass das bei „Thomas“ nicht geschehen wird.
– Eine Beschäftigung, die eine tiefe Verbindung schafft –
Du hast aufgrund von vielen Kompositionsaufträgen ein enormes Arbeitspensum zu bewältigen. Wie haushaltest du mit deinen Kräften?
Das Wort „Haushalten“ gefällt mir in diesem Zusammenhang, ich haushalte nämlich sehr schlecht. Ich gehe einfach an die Grenzen des Möglichen. Der Grund ist sehr einfach, ich fühle mich dann am wohlsten, wenn ich komponiere. Das Komponieren bereitet mir sehr viel Freude. Deshalb ist es für mich keine Arbeit. Mein Komponieren ist vergleichbar mit der einer Mutter, die ihre Kinder erzieht, oder mit der Arbeit eines Priesters. Es ist eine Beschäftigung, die eine sehr tiefe Verbindung schafft, mit dem was man tut.
– In frühere Geisteswelten eintauchen –
Viele Kompositionen von dir nehmen direkt oder indirekt Bezug auf die tradierte Musik, besonders Schubert, Mozart, Mendelssohn auch Liszt. Begegnen dir Stücke, die dir Inspiration für eine kompositorische Auseinandersetzung bieten oder suchst du nach ihnen?
Das ist unterschiedlich. Vielfach werden Erinnerungen an Stücke, die mich seit langer Zeit in meinem Leben begleiten, wirksam. Beispielsweise basiert der Bezug zu Franz Liszt in den „chants oubliés“ auf der Begegnung mit seinen Spätwerken, die ich während meiner Studienzeit schon kennen gelernt habe. Ihr fragmentarischer Charakter, die Fortschreitung in radikal aneinander gereihten Blöcken sind mir wichtig. Viele späte Werke von Liszt bergen eine große emphatische romantische Geste in sich, aber sie wird dann gebrochen und diese Brechung bildet einen Kontrapunkt zur Emotion. In diese Geisteswelt versuche ich, einzutauchen.
– Musikalische Sozialisation –
Dein kompositorisches Ausdrucksmittel sind die sogenannten Mikrointervalle. Diese verwenden wir ganz selbstverständlich auch in unserer Sprache und wir sind in der Alltagswelt sowie in der Natur umgeben von ihnen. Oft wird in der Literatur beschrieben, dass dir die zwölf Halbtöne des Klaviers zu wenig differenziert erschienen sind und du diese weiter aufgespaltet hast und eben auf diesem Weg zur Mikrotonalität gekommen bist. Ich meine, dass hinter deiner Kompositionsart eher deine Sensibilität gegenüber der Klangwelt, die uns umgibt, steht. Kannst du die ersten Beobachtungen in diese Richtung kurz Revue passieren lassen?
Es sind sicher mehrere Dinge, die zusammen spielen. Ich bin in Latschau aufgewachsen, dort gibt es ein Kraftwerk und ein Umspannwerk und diese haben Obertonakkorde produziert. Darüber hinaus erinnere ich mich an den Musikunterricht bei Gerold Amann. Er hat von einem altgriechischen Aulos-Virtuosen erzählt, der mit zwei um einen 1/8 Ton verstimmten Auloi gleichzeitig gespielt hat, das hat mich sehr beeindruckt. Er hat uns seine Transkription einer quietschenden Türe und von Vogelstimmen gezeigt. Da stellt sich die Frage, wie die „Mikrotöne“ der Türe bzw. der Vögel in das traditionelle Stimmungssystem übertragen werden kann. Auch im Kompositionsunterricht von Gösta Neuwirth haben Vierteltöne immer eine große Rolle gespielt. Diese Erfahrungen und vieles Andere waren prägende Erlebnisse.
Danke für das Gespräch.
Dieses Interview ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft im April 2013 erschienen.
Foto Georg Friedrich Haas: Eric Marinitsch
Foto 2: Bei der Preisverleihung in Salzburg. Mozarteum am 2.3.2013 – Gabi Burgstaller überreicht G.F. Haas den internationalen Kompositionspreis des Landes Salzburg.
Foto 3: Georg Friedrich Haas im Gespräch mit einem seiner ersten Lehrer, Gerold Amann. Gaschurn, im September 2012.