„Musik aktuell“-Geschäftsführer Gottfried Zawichowski im Gespräch

Musik der Gegenwart hat in Niederösterreich gegenüber den meisten anderen Bundesländern schon lange einen relativ guten Stand. War es über viele Jahre der „ZeitgeNÖssische Herbst“, der lebende Komponisten – mit unterschiedlicher Publikumsresonanz – selbst in die kleinsten Gemeinden brachte, so fand 1997 mit der Gründung von „Musik aktuell“ eine grundlegende Neustrukturierung statt, die nun erfolgreich in ihrem 16. Jahr steht. Federführend hinter diesen Aktivitäten: Gottfried Zawichowski.

– „Ich will nicht kanalisieren“ –


Von einigen bedauert, von vielen begrüßt – Wie kam es seinerzeit zur Umgestaltung der niederösterreichischen Musiklandschaft mit der Abschaffung des „ZeitgeNÖssischen Herbstes“ und der Neugründung von „Musik aktuell“?

Im Rahmen meiner damaligen Aktivitäten im Bereich der Musikfabrik Edelhof ging ich Mitte der 1990er-Jahre wegen einer Subvention zum Kulturamt der Niederösterreichischen Landesregierung und wurde eingeladen, Ideen zu der damals aktuellen „Baustelle“ im Musikbereich vorzulegen. Ich hatte da im Hinterkopf ein Konzept und so ist wirklich quasi von heute auf morgen „Musik aktuell“ entwickelt worden, so wie es heute dasteht.

Bis dahin war der Schwerpunkt sehr deutlich auf die Präsentation des Schaffens niederösterreichischer Komponisten ausgerichtet. Gab es keinen Aufstand, als davon abgegangen wurde?

Es gab nur einen „kleinen Aufstand“, aber in der Folge hatten wir mit Werner Schulze von der INÖK [Interessengemeinschaft Niederösterreichischer Komponisten, Anm.] eine sehr gute Kooperation. So sehr ich niederösterreichische Komponisten schätze, aber das Programm wäre einfach zu dünn, viele wunderbare Musik könnte nicht erklingen. Die Idee ist sehr einfach: Es geht nicht um neue Musik AUS Niederösterreich, sondern IN Niederösterreich. Dazu muss man sagen, dass ich von der Grundaufgabe her ja nicht zeitgenössische Musik fördere, sondern Veranstalter, die zeitgenössische Musik aufführen möchten. Oft ist die Bereitschaft da, aber zu wenig Geld um den Interpreten eine seriöse, ihrer Arbeit angemessene Gage zu zahlen. Da trägt dann „Musik aktuell“ bei.

Welche Auflagen seitens des Landes Niederösterreich haben Sie zu berücksichtigen?

Wir haben einen Fördervertrag des Landes und darin steht, dass wir uns „strukturell um die Förderung der zeitgenössischen Musik zu bemühen“ haben.

Wie teilen sich die Aufgaben zwischen dem Verein Musikfabrik und „Musik aktuell“?  

„Musik aktuell – Neue Musik in Niederösterreich“ ist eine Initiative des Vereins Musikfabrik Niederösterreich. Der Verein macht auch andere Dinge, wie Workshops, Chorleiterkurse etc., was wiederum ein Drittel des Budgets bringt. „Musik aktuell“ ist eine „Marke“ des Vereins – so wie auch der internationale Kompositionswettbewerb „ZEITklang“ und die „NÖ Jazzakademie“.

Wie setzt sich das Budget von „Musik aktuell“ zusammen, kommt das ausschließlich seitens der öffentlichen Hand oder wird etwa auch mit Sponsoren gearbeitet?

Die Hälfte des Budgets trägt das Land Niederrösterreich, ein Viertel kommt vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, der Rest von diversen Sponsoren, aber auch in hohem Maß durch die Eigenveranstaltungen.

Wie hat sich diese Aufgabe in den Anfängen gestaltet, wie war die Ausgangssituation bezüglich der entsprechenden Kontakte?

Zu Beginn war wirklich noch beinahe jeder einzelne in Frage kommende Veranstalter mittels Telefonbuch zu suchen. Heute habe ich eine Datenbank mit rund 400 Adressen, auf die ich jederzeit zugreifen kann.

Welche künstlerische Einflussnahme kommt von Ihrer Seite als Geschäftsführer von „Musik aktuell“?

Bei so etwas wird immer kanalisiert. Ich als Geschäftsführer will das aber nicht, und daher wird für jedes Jahr ein Artist in residence berufen und eine Ausschreibung für die einzelnen Projekte gemacht.

Die Ausschreibungen sprechen vermutlich in erster Linie Einzelkünstler bzw. Ensembles an. Inwieweit erhalten dadurch auch zeitgenössische Komponisten die Möglichkeit, sich unmittelbar einzubringen?

Komponisten können ihre Werke einreichen. Hier zeigt sich aber leider oftmals eine doppelte Hürde: um die Werke umzusetzen braucht es nicht nur einen Veranstalter sondern auch Interpreten.  Was wir daher dringend bräuchten, wäre ein niederösterreichisches Ensemble, das bereit ist  Programme umzusetzen, die wir vorschlagen.

Neben dem Thema mögen auch die Fristen problematisch sein, wenn es darum geht ein zum Thema passendes Stück zu komponieren?

Natürlich kann ein Komponist etwas zu einem Thema schreiben, aber es kann auch sein, dass wenn es in einem Jahr nichts passt, er vielleicht im nächsten Jahr etwas hat. Auf die Situation hinsichtlich der Fristen haben wir jetzt insofern Rücksicht genommen, als es sowohl Möglichkeiten für das erste bzw. das zweite Halbjahr im Kalenderjahr gibt.

Der jeweilige Artist in residence wird durch Sie bestimmt. Wie treffen Sie die Auswahl?

Ich lasse mich durchaus auch beraten. Es gibt einen künstlerischen Beirat. Zweitens gibt es den Vorstand mit Gustav Danzinger an der Spitze, den ich seit Jahrzehnten kenne und schätze. Und dann gibt es noch den so genannten „Weisenrat“, das sind die ehemaligen Artists in residence.

Wie kommt es zur Verknüpfung von Artist in residence mit dem jeweiligen Jahresthema?

Manches liegt einfach in der Luft, wie z. B. heuer die Thematisierung Volksmusik – Kunstmusik. Oskar Aichinger, unser diesjähriger Artist in residence, hat das sehr markant formuliert. Das Thema selbst wählt sich der Artist in residence, aber es wird durchaus im Dialog entwickelt. Meist ist es etwas, das auch speziell zum Artist in residence passt: bei Heinz Karl Gruber war es das Wort, bei Elfi Aichinger die Stimme, bei Karlheinz Essl die Elektronik.

Wenn man nun in Folge der Vorarbeit mit dem Artist in residence und der auf die Ausschreibung folgenden Projekteinreichungen ein entsprechendes Angebot hat: Wie bringt man diese Veranstaltungen nun an die Veranstalter heran, damit es auch zu einer praktischen Realisierung des theoretisch Erdachten kommen kann?

Da ist zunächst einmal der sehr gute Pool an Veranstaltern in der Datenband die wichtigste Basis. Wenn wir das am Beispiel für 2013 konkretisieren: Artist in residence wird Richard Graf sein, der das Thema „Im Ernst?! – Esprit und Witz (in) der Musik oder: Darf Neue Musik unterhaltsam sein?“ gewählt hat. Obwohl das ein wunderbares Thema ist, war ich anfangs durchaus skeptisch, wie das angenommen wird. Schließlich wurden aber über 100 Projekte eingereicht! Richard Graf wählt nun etwa 40–50 aus. Diese werden in einem erläuternden Büchlein zusammengefasst, und das wird dann an die in Frage kommenden Veranstalter geschickt.

– die Ihnen die Projekte dann aus der Hand reißen?

Da zittere ich jedes Mal wieder. Es passiert einmal einen Monat lang gar nichts. Die „Fleißigen“ melden sich dann im Oktober, und zum Ende der Frist setzt dann das große Rennen ein.  Nach dem 31. November ist es zu spät.

In welchem Rahmen bewegt sich das „Musik aktuell“-Budget in konkreten Zahlen?

Das operative Jahresbudget sind 70.000 Euro. Demgegenüber steht eine Besucherstatistik mit rund 8.000 Besuchern pro Jahr bzw. durchschnittlich 80–100 Besuchern pro Veranstaltung. Wenn man das weiter rechnet, kommt man auf eine Subventionierung von 10 Euro pro Sitzplatz. Wenn Sie das mit anderen Bereichen vergleichen: Das ist nicht viel! Geschweige denn für zeitgenössische Musik!

Wenn man „Musik aktuell“ über die Jahre verfolgt, so bemerkt man eine Tendenz, die ich vereinfacht gesagt unter dem Begriff Crossover subsumiere.

Das mag stimmen. Man muss die Themen so definieren, dass sich möglichst viele Künstler und Veranstalter angesprochen fühlen. Dazu kommt aber auch mein Wunsch, die zeitgenössische Musik aus dem viel zitierten elfenbeinernen Turm zu führen. Teilweise besteht ja da schon eine sehr geschlossene Szene: Die Elektroniker reden nicht mit den Zwölftönern, die Neutöner nicht mit den Freitönern usw. – Aber darüber setze ich mich bewusst hinweg. Freilich, nicht zuletzt gibt es auch ein Marktargument. Dazu stehe ich.

Was lässt sich für das laufende Jahr noch an Highlights anpreisen?

Ich halte mich da zurück. Ich gehe davon aus, dass das alles großartig ist. Natürlich habe ich meinen persönlichen Geschmack, aber es wäre ungerecht, wenn ich etwas hervorheben würde.

Größere Projekte, die in nächster Zeit anstehen?

Da sind mir zwei Themen ganz wichtig. Zum einen die Workshops. Nächste Woche beginnt die Niederösterreichische Jazzakademie [29. Juli – 4. August 2012, Anm.], die wir schon bevor es „Musik aktuell“ gab mit dem im Vorjahr verstorbenen Albert Kreuzer aus der Taufe gehoben haben. Das ist dann auch in „Musik aktuell“ hineingekommen. – Das muss man einfach vor Ort erleben, ein Achterl Wein genießen und rundherum spielt sich’s ab. Auf diesem Sektor ist Christoph [Cech , Anm.] für mich einer der Wichtigsten. Er ist durch und durch ein brennender Musikant geblieben, der fantastisch mit den Musikern arbeitet. Zum anderen wird es im Herbst die „Tage der Neuen Musik in NÖ 2012“ geben, vom 19.–21. Oktober in Krems, und dabei wird es am Sonntagvormittag das Finale eines – auch eine Initiative von Christoph Cech – Kompositionswettbewerbs für Blasmusik geben, bei dem eine Jury drei Stücke prämieren wird. Das wird natürlich eine spannende Sache.
Das Interview führte Christian Heindl.

http://www.musikfabrik.at