„Mit Liebe und Abstand“ – KARL RATZER im mica-Interview

Karl Ratzer wurde unlängst mit dem Amadeus für sein Lebenswerk geehrt. Zurecht. Der Wiener ist eine lebende Jazz-Legende. Er hat mit Leuten wie Eddie Gomez, Joe Chambers und Chet Baker gespielt. Er hat das erste Konzert im Porgy & Bess und auch die meisten Konzerte dort gespielt. Und er ist noch immer nicht müde, sondern besser denn je, was seine jüngsten Alben „Organic Stew” und „Alone together” eindrucksvoll beweisen. Markus Deisenberger verriet er, wie er lernte, in die Tiefe der Melodien vorzudringen, und wie er sein Spiel und sein Leben retten konnte. Ein Gespräch über Drogen, Dankbarkeit und “die, die mit ihm singen und bangen.”

„Wenn Sie mit dem Bernhard zusammen sein wollten, mussten Sie bereit sein, zuzuhören”, hat Regisseur Klaus Peymann einmal über den großen Meister gesagt, und genauso ist es auch bei Karl Ratzer: Der legendäre Jazzgitarrist, Sänger und Komponist empfängt mich in seinem Lieblings-Café um die Ecke seiner Wohnung in Nähe des Wiener Augartens. Dort hängt über einem gemütlichen Ecktisch praktischerweise auch eine Gitarre an der Wand, die der Meister, wenn es ein Thema erfordert, oder wenn ihm schlicht danach ist, einfach runternimmt, um das Gesagte mit dem passenden Groove zu unterlegen oder den Unterschied zwischen einem Samba und einem Mambo zu erklären.
Vielleicht haben das die großen Meister einfach so an sich. Dass sie gerne erzählen, dabei manchmal auf die gestellten Fragen antworten, manchmal aber auch nicht. Dass sie ihren eigenen Text haben. Das kann natürlich so manche journalistische Eitelkeit kränken. Aber lässt man die Eitelkeit zu Hause, und bringt man stattdessen Zeit und gespitzte Ohren mit, wird man bei Karl Ratzer belohnt, reich belohnt mit Anekdoten und Wissen, das er vermittelt, als wären es Naturgesetze, die man am besten auf spielerischem Wege vermittelt, indem man locker erzählt, dazu in die Saiten greift und eine Tasse Tee mit Milch nach der anderen trinkt. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als gebannt zu lauschen, wie er eine Improvisation über eine Disney-Melodie spielt oder erklärt, wie ein Bossa funktioniert. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als sich mit ihm gemeinsam von Note zu Note, Takt zu Takt, von Geschichte zu Geschichte treiben zu lassen. Die Gitarre fungiert dabei als eine Art zweite Stimme, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn ihm die erste versagt, und die Musik ist die Welle, die uns trägt und mitnimmt. Zielort ungewiss.

Die Geschichte von Karl Ratzer und den Medien ist eine von Missverständnissen geprägte, scheint es. Warum war es in der Vergangenheit mit den Journalisten so schwierig? Wurden Ihnen so viele blöde Fragen gestellt?

Karl Ratzer: Es gibt eine Lebensspur, und in die hacken die Leute gerne rein. Ich war abhängig und depressiv, aber habe mich rausgekämpft, stark rausgekämpft, unterstützt von meiner Frau und meinen Leuten, die mir viel geholfen haben.

Und die wiederholte Bezugnahme von der Journaille auf diese schwierige Zeit hat genervt?

Karl Ratzer: Ja, wir leben aber auch in einer Neidgesellschaft. Denunzianten und Rassisten. Es zieht sich bis in die Kultur. Die haben alle eine eigene Vorstellung. Wieso bist du nicht der George Benson geworden? Wieso bist du nicht der Davis? Alle haben eine fixe Vorstellung davon, was man tun soll und wie man es tun soll. Sie sind voller Ratschläge und voller guter Absichten, und das geht einfach nicht. Ich lebe hier, habe hier mein Elternhaus und meine Frau. Meiner Frau gefällt es hier, das ist wichtig für mich. Weißt du, wir leben sehr international, ich habe Österreich ein wenig ausgesperrt. Ich wüsste zum Beispiel gar nicht, in welche TV-Sendung ich hier gehen sollte.

Es gibt ja auch kaum eine Sendung, die Musik im Fernsehen präsentieren würde, zumindest keine erstzunehmende.

Karl Ratzer: Es sind lauter Sendungen, wo sie sie dich aufmachen, in dir herumstierlen wie bei Stermann und Grisseman oder bei der Stöckl. Das sind Plätze, wo ich nicht anschlage. Der ORF hat auch angerufen, aber ich habe abgelehnt. Warum sollte ich das machen? Wenn, dann möchte ich dafür bezahlt werden.

Im Amadeus-Beitrag, der zur Preisverleihung ausgestrahlt wurde, hat man an einer Stelle Ihr Zurückkommen nach Wien thematisiert. Da reagieren Sie auf die die Frage „Warum sind sie zurückgekommen?” beinahe allergisch. Das hat mir gefallen, weil diese Frage ja immer suggeriert, dass es der Gefragte außerhalb nicht geschafft hat und deshalb wieder angekrochen kommt.

Karl Ratzer: Das ist ein Blödsinn. Man kommt einfach heim.

Bild Karl Ratzer
Karl Ratzer (c) Jan Scheffner

Genau, aber das Zurückkommen wird gern als Niederlage verkauft. Warum eigentlich?

Karl Ratzer: Genau. Warum eigentlich? Ich war überall daheim. In den USA zum Beispiel. Dort war aber überall, wohin man kam, Kokain. Und nachdem Khomeini an die Macht kam, kostete das 10-Dollar-Packerl Heroin auf einmal nur noch 5 Dollar. Warum? Weil es Ziel war, den Westen zu ruinieren. Damals waren alle schwer süchtig. Von den Musikern bis zu den Vietnam-Soldaten, die Drogen nahmen, um es durchzustehen.
Aber wenn du der Droge verfällst, hat du nicht viele Optionen. Du hast keinen Blick mehr für einen Business-Plan oder Lifestyle. Du lebst eigentlich nur noch von einem Schuss zum nächsten. Du bist nur noch auf Division. Das konnte ich mir in den USA nicht vorstellen: Dass ich eine Behandlung bekomme, dass ich dem Dreck entsage. Dass ich nicht wie ein Zombie herumrenne, sondern entsage und Hilfe bekomme. Es gab natürlich schon Programme, aber da musstest du ein Veteran gewesen sein dafür oder zumindest amerikanischer Staatsbürger.

Von welcher Zeit reden wir da, den frühen 1980er Jahren?

Karl Ratzer: Ja, Anfang der 1980er bin ich zurückgekommen und habe eine Therapie begonnen. Das kann man so deuten oder so. Aber ich bin heute genauso berühmt wie früher, und ich habe mir so mein Spiel und mein Leben retten können. Und ich habe eine wunderbare Frau, die immer zu mir stand.

Neulich habe ich Wolfgang Puschnig interviewt, der so wie Sie auch lange Zeit in den USA gelebt hat. Den habe ich gefragt, ob ich ihm eine blöde Frage stellen darf. Er hat bejaht, und dann habe ich ihn gefragt, warum er zurückgekommen ist. Er meinte, das sei schwer zu sagen. Aber vielleicht, weil das amerikanische Gesellschaftsmodell nie ganz seines geworden sei. „Vom Gefühl her passte das einfach nicht”, sagte er. Und vielleicht, weil er vom Herzen her immer ein Provinzler geblieben sei. Das fand ich charmant. Obwohl er eine gute und erfolgreiche Zeit hatte in den USA. Auch Sie hatten in den USA ja eine gute Zeit oder?

Karl Ratzer: Ich hatte eine sehr gute Zeit, ja. Super. Ich bin überall super angekommen, habe super Freunde kennengelernt, Jeremy Steig, Eddie Gomez, Joe Chambers. Freunde fürs Leben.

Vielleicht gehen wir zu einem der letzten erschienenen Tonträger. „Organic Stew”. Ein Hammer von einem Album.

Karl Ratzer: Gefällt´s dir?

Gefallen ist kein Ausdruck. Eine Sonntagsplatte ist das, die runter geht wie Öl oder eben wie ein Organic Stew und einen, egal in welcher Laune man vorher war, in guter Laune zurücklässt. Was ich nicht wusste, als ich es kaufte: Es ist eine Compilation. Wie kam es dazu?

Karl Ratzer: Der Trompeter und der Schlagzeuger haben eine Szene in München und Murnau/Garmisch Patenkirchen. Wir kennen uns seit den 1980ern, haben immer wieder Gigs gemeinsam gespielt, und 2010 hat sich das dann ergeben. Auch der Label-Chef und ich kennen uns seit den 1980ern.

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Die Connection geht also lange zurück?

Karl Ratzer: Ja. Irgendwann sprang Peter Herbert ein, mit dem ich schon vorher zusammengespielt hatte. Und seit 2012 steht die Formation und spielt alle paar Jahre eine CD ein. „Organic Stew” ist eine Art Best Of dieser erschienenen CDs.

Das Erstaunliche: Obwohl es unterschiedliche Platten und unterschiedliche Besetzungen sind, wirkt die Platte wie aus einem Guss.

Karl Ratzer: Wenn du das sagst. Ich habe sie noch nie durchgehört. [Nimmt die mitgebrachte Platte in die Hand und schaut sie sich aufmerksam an] Die Nummern kenn ich natürlich, aber die Platte ist leiwand aufgemacht. Wow, der Christoph [Huber, Anm.] hat die Liner Notes geschrieben. Das ist halt Musik, die man heute so nicht mehr hört. Alte Songs, Standards.

Auch das ist erstaunlich, finde ich. Standards und eigene Songs wechseln einander ab, ohne dass man einen Unterschied hören würde. Ist der Zugang ein anderer, ob es ein Standard ist, den Sie sich aneignen, oder ein eigener Song?

Karl Ratzer: Das Ziel ist, dass man sich für Fremdkompositionen so informiert, dass die eigene Interpretation der ursprünglichen in nichts nachsteht. Wenn du eine so tolle Nummer vom Gershwin spielst, darf deine Version nicht abfallen, was Inhalt und Dichte anbelangt. Schon in den USA hieß es immer: „Play Ballads!” Da lernst du am meisten. Klar, alle Gitarristen wollten immer schnell spielen, zeigen, was sie draufhaben. Bei den Balladen aber musst du in die Tiefe der Melodien vordringen, in die Tiefe der Lyrik.

Mir hat das Album der Plattenhändler meines Vertrauens empfohlen. Er hat gesagt: „Die brauchst du!” Und er hat recht behalten. Ich brauchte sie wirklich.

Karl Ratzer: [Schaut sich versonnen die Fotos an] Der Duscher war ein super Trompeter. Wir haben uns Anfang der 1980er kennengelernt, er war ein sympathischer Kerl, wollte mit mir spielen. Ich habe damals mit Chet Baker gespielt. Eines Tages nahmen sie sich nach einem Gastspiel in München ein Taxi, weil sie betrunken waren, und der Taxifahrer baute einen fürchterlichen Umfall, bei dem Bandmitglieder starben. Er brach sich das Gesicht.

„Das ist wie eine Psychotherapie.“

Ähnlich wie Chet Baker.

Karl Ratzer: Genau. Dem haben sie die “Batterie einghaut”. Aber der konnte ohne Zähne spielen. Der hat in Frankreich die Zähne rausgenommen und den französischen Grenzbeamten, als sie nicht glauben wollten, dass er der echte Chet Baker ist, den Zapfenstreich gespielt. Weißt du, ich habe mich immer an die Besten gehalten. Ein Abend mit dem, einer mit dem, und du bist für ein Jahr geheilt. Das ist wie eine Psychotherapie. Diese Ausnahmekönner nehmen dich auseinander und picken dich danach wieder zusammen. Mit Liebe und Abstand.

Die Genres, scheint es, waren ihnen immer wurscht. Ob das Jazz, Blues, Rock oder Soul war, egal, Hauptasche der Groove stimmte.

Karl Ratzer: Am besten ist es, wenn sie alles klassisch montiert sind. Klassisch gebildet, einen Mindestteil zumindest. Wenn du Jazz spielen willst, ist das schon gut, denn Bach hat alles vorbereitet. Im Jazz gilt es aus dem Stand zu improvisieren, aus dem Stand zu komponieren.
[spielt eine längere Improvisation]
Bach ist den ganzen Tag am Spinett gesessen – mit seiner Perücke und einem Latz; die Fliegen sind herumgeschwirrt – und hat den ganzen Tag lang Etüden komponiert, sie aufgeschrieben, und damit sehr vielen Menschen Arbeit beschafft. Ab und an ist jemand vorbeigekommen, der Prälat von Köln etwa, und hat ihm einen größeren Auftrag erteilt, eine Ostermesse oder Ähnliches, und dafür im Voraus mit Goldmünzen bezahlt, die er in einem Sack auf den Tisch legte. Wenn einer für so viel Leute komponieren will, muss er wissen, wie die Instrumente klingen, wie sie mechanisch funktionieren, das Fagott, das Glockenspiel, der Kontrabass, wie hoch die Piccolo-Flöte geht und so weiter und so fort. Ein Arsch voll Arbeit. Das wurde mir leider zu spät nahegebracht.

Hätten sie gern klassisch komponiert?

Karl Ratzer: Jetzt, im Alter, ja. Ich hätte gern die Fähigkeit erlernt. Beim Mahler hörst du die alten Kaffeehäuser und Venedig. Auch beim Bach und beim Händel hörst du die Zeit. Die Musik spiegelt die Welt in den Tönen, in den Kompositionen wider. Genauso im Jazz. Aber dass man Kompositionen aus z.B. Filmen nehmen kann und dann drüber improvisieren und sie verjazzen kann, ist eine der größten Errungenschaften der Musikgeschichte.

Welche Zeit spiegelt das Album „Organic Stew” wider?

Bild Karl Ratzer
Karl Ratzer (c) Jan Scheffner

Karl Ratzer: Meine. Aber es gibt sicher moderneres, vielleicht auch anspruchsvolleres.

Wie war es mit Chet Baker gemeinsam zu spielen?

Karl Ratzer: Einmalig. In New York haben sie damals ja gesagt: „Was, du fährst mit Chet nach Europa? Um Gottes willen. Pass auf deine Gitarren auf!” Er war schwer abhängig, ja. Und solche Leute suchen sich immer Opfer, wo sie etwas stehlen und ergattern können. Wahrscheinlich war er auch zu gewissen Leuten so. Dass er ihre Instrumente genommen und im Pfandhaus versetzt hat. Aber bei mir nie. Zu mir war er immer ein entzückender und liebenswerter Mensch. Wir saßen gemeinsam in Paris, er war auf Ersatztabletten für Heroin. Von einer warst du drei Wochen lang verstopft. Er hat fünf genommen. Das kann man sich gar nicht vorstellen.

[Ich zeige ihm ein altes Plakat, das einen Auftritt in der Aula der Wiener Universität bewirbt.]
Haben sie daran noch Erinnerungen?

Karl Ratzer: Ja, das war Ende der 1960er Jahre.

Was haben Sie da gespielt?

Karl Ratzer: Glam-Rock. Aber wenn wir über Improvisation reden: Die Orgel ist die Königin. Der größte Aufwand für Geist, Seele und Herz. Eine Bach-Kantate in der Kirche. Mit beiden Händen und beiden Füßen gespielt. Samba ist gitarrenfreundlich. Der ganze Samba ist eine gitarrenfreundliche Musik, viertaktig, und die nehmen alle Akkorde vom Jazz.
[spielt wieder] Viele Akkordbewegungen. Es gibt Sambas, die sind tief versteckt, hinter den berühmten Schlagern wie „Girl from Ipanema“. Da gibt es Lieder, die findest du in keinem Buch, auf keiner Platte.
Das zum Beispiel.
[spielt einen Samba] Kennst du das?

Nein, leider nicht.

Karl Ratzer: Wir spielen den Song im Trio und im Quartett. Kuba ist so klein im Vergleich zu diesem riesigen Reich Brasilien. Aber es hat den Mambo.
[wechselt vom Samba in den Mambo].
Beim kubanischen Mambo spielst du nur zwei Akkorde, Ruben Gonzales spielt ganze Rhapsodien über diese zwei Akkorde. Eine der größten Geheimnisse überhaupt: Dass du über ein oder zwei Akkorde kurzweilig improvisierst. Eine unheimliche Herausforderung. Du musst die Leute bei Interesse halten. Wenn du zu viel machst und zu gach, läufst du Gefahr, dass sich die Hörer:innen abwenden.

Sie haben den Geldsack bei Bach ins Spiel gebracht. Wie sieht es mit der Anerkennung aus.

Der Amadeus war eine tolle Anerkennung, oder?

Karl Ratzer: Ich habe den Preis aus Dankbarkeit meiner Frau, meinen Musikern und meinen Verbündeten gegenüber angenommen.

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Ihnen selber wäre es wurscht?

Karl Ratzer: Ich bin dankbar und es freut mich, dass auch ich in die engere Wahl gekommen bin. Ich habe es für alle die angenommen, die mich aushalten müssen. [lacht] Die mit mir singen und bangen. Aber die österreichische Medienlandschaft – ich weiß nicht, was ich dort machen soll. Ich habe es so gemacht: Du lernst von deinen Feinden am besten. Merke dir das! Ich habe den ORF und die Zeitungen nie gebraucht.

Aber ohne Medien wird es schwierig, oder?

Karl Ratzer: Ja, man braucht halt die richtigen Partner dazu. Wenn meine Frau mich fallenlässt, muss ich anders nachdenken. Wir teilen uns das Leben…

Christoph Huber hat in seiner Amadeus-Laudatio davon gesprochen, wie oft Sie schon im Porgy gespielt haben. Sie seien der Musiker, der am öftesten unter eigenem Namen im Porgy aufgetreten ist. Eine dreistellige Zahl sei erreicht. Stimmt das tatsächlich?

Karl Ratzer: Ja, das stimmt, ich hab´ das Porgy auch eröffnet, das allererste Konzert dort gespielt. Christoph hatte damals davon gehört, dass ich mit Scofield und Abercrombie und verschiedenen anderen gespielt hatte. Ich habe eine gute Vereinbarung mit Huber und dem Porgy & Bess. Ich mache meine Arbeit exklusiv an bester Stelle dort zwei Mal im Jahr, im Winter, zu Silvester und im Sommer einen Gig. Das passt. Wie man würdevoll mit einem Publikum sein Arrangement trifft, seine Kontinuität hat und seine Existenz sichert, ist ein Thema.
Joe Chambers boten sie damals 4 Millionen Dollar für die Band, Warner Brothers wollte diese Summe zahlen, er hat abgelehnt. Ähnlich bei Mahavishnu [John Mc Laughlin]: Im ersten Jahr hat Colombia eine Million gezahlt. im zweiten waren sie pari, im dritten Jahr wären sie alle Dollarmillionäre gewesen, aber Mahavishnu hat gesagt: „Mein Guru hat nein gesagt.”  Also war Schluss mit der Band. Billy Cobham hat damals geschworen, dass er ihn, wenn er ihn auf der Straße trifft, erschlägt.
Ich bin viel herumgekommen, hab´ in Indiannapolis, in New Orleans, Chicago, Atlanta, Maine, Newark, Atlantic City, Georgia, Alabama und Florida gespielt, und dann kam die Zeit, in der ich verschluckt wurde von den Drogen…

„Meine Aufgabe ist es, durch die Musik das Licht zu den Menschen zu bringen.“

Wie sind sie überhaupt zu Drogen gekommen

Karl Ratzer: [lacht] Drogen waren damals überall. Das war auf einmal da. Ich hab´ in einem Club in Atlanta gespielt, sieben Mal die Woche ohne Ruhetag, bis drei in der Früh, bummvoll jeden Abend. Da haben wir vom Chef Drogen bekommen, im Packerln. Jede Nacht ein Packerl Kokain, mit den Worten: „Das ist für dich, das ist für die Band.” Und wenn du dich dann zum Herrn wendest, wenn du clean werden willst, musst du dir eine Riesenschande runterwaschen. Seit ich aufgehört habe, bete ich jeden Tag. Meine Aufgabe ist es, durch die Musik das Licht zu den Menschen zu bringen. Du musst nicht ununterbrochen über Gott reden und ihn zitieren, aber du bist im Licht. Alles gelingt, wenn es so ist. Wenn ich wieder anfangen würde, würde ich mir das alles zusammenhauen.

Sie sind heute auch ein entspannterer Mensch als damals oder?

Karl Ratzer: Sicher. Das Ganze mit den Drogen hat ja viel mit Ekstase zu tun. Wenn man sich der Musik so hingibt, wie wir das getan haben, und dann runterkommt von der Bühne, ist man noch immer in einer anderen Welt. Die Landung ist schwer. Man will oben bleiben.

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Auf Youtube gibt es ein Video ihrer damaligen Band New Ice Age. Da wirkt ihr alle ziemlich drauf, um ehrlich zu sein.

Karl Ratzer: Nein, damals hab ich noch nichts genommen. Das war knapp nach meiner Ankunft in den USA. Ich bin damals acht Monate mit einer Band im Kreis gefahren. Mit einer Soul-Band, die hieß High Voltage, Gitarrist und Bassist von den späteren Rufus, Tony Maiden und Bobby Watson. Liebe Freunde. Die sind dann nach L.A. und haben mit Chaka Khan eine Weltkarriere gestartet.
Ich bin nach Atlanta eingeladen worden, von einem Schlagzeuger. Erst später habe ich erfahren, was für eine rassistische Scheiße das damals im Süden war. Ich habe das nur einmal gespürt, als ich mit einem schwarzen Freund unterwegs war und wir in einem “Greasy Spoon” nicht bedient wurden, weil er schwarz war. Du musst wissen: Meine Eltern haben sich im KZ kennengelernt. Die Gesellschaft war auch bei uns in den 1950ern und 1960ern noch sehr rassistisch geprägt.

Viel hat sich nicht geändert, wenn man sich vor Augen führt, dass zwei Urteile die rechtsextreme Zeitschrift Aula darin bestätigten, dass es rechtens sei, Holocaustüberlebende als “Landplage” zu bezeichnen. Erst der OGH sah das anders. Es brauchte also drei Urteile, um das Selbstverständliche festzustellen. In den 2000er Jahren.

Karl Ratzer: [seufzt] Ich weiß. Wenn sich Österreich endlich seiner Bedeutung im heutigen Europa bewusst werden würde, anstatt sich zu zanken und gegenseitig zu diffamieren, wäre das ein Gewinn. Ich will mit meiner Musik Freude bringen

Was mich zum nächsten Thema bringt: Das Buch, auf dem “Karl Ratzer” steht, ist noch nicht vollgeschrieben. Was kommt als nächstes?

Karl Ratzer: Die letzten Porgy-Konzerte, drei Stück, wurden aufgenommen und sollen als Platte rauskommen. Dann schauen wir weiter. Musik hat so eine riesige Kraft. Ich bin dankbar dafür, was mir zuteilwurde. Ich will das Licht, das mich erfasst hat, auf die Leute übertragen. Aber versteh mich nicht falsch: Ich will mich nicht auf die Bibel versteifen, sondern aus meiner persönlichen Beziehung zu Gott Kraft schöpfen und diese Kraft weitergeben. Der ganze Clan, aus dem ich komme, war nach Auschwitz schwer gebeutelt. Ein Onkel kam ins Gas, meine Eltern waren schwer traumatisiert. Ohne Gott hätten die gar nicht überlebt. Klingt das komisch für dich?

Überhaupt nicht. Im Soul war und ist das eigentlich sehr normal, sehr logisch, dass man sich auf eine göttliche Kraft beruft. Das Spirituelle.

Karl Ratzer: Um noch einmal auf Bach zurückzukommen: Der hat die Goldstücke bekommen, und dann hat er komponiert. Als sie das Werk aufführten, für 125 Leute, sahen sie, dass die vorletzte Seite der Partitur so geschrieben war, dass ein weißes Kreuz frei blieb. Alles ist mit schwarzen Noten vollgeschrieben, nur ein weißes Kreuz freigelassen. Sein Bekenntnis zu Gott. „Wie machen sie das, Meister”, hat man ihn damals gefragt. Er hat geantwortet: „Ich versuche nur den richtigen Ton zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle zu treffen.”

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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Karl Ratzer „Organic Stew” (Compilation) ist auf In + Out Records erschienen

Karl Ratzer & Ed Neumeister „Alone Together” ist auf enja erschienen.

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Link:
Karl Ratzer