Mit Franz Schubert an einem Tisch – THOMAS THURNHER im Interview

Drei höchst lebendige Buben hat er, zwei leistungsstarke Chöre und eine verständnisvolle Frau. Dazu unterrichtet er tagsüber als AHS-Lehrer am Gymnasium Lustenau. Erst abends kommt THOMAS THURNHER dazu, sich zurückzuziehen und das zu tun, was er am liebsten macht: komponieren. Das ist für ihn zum Muss, fast zum Zwang geworden: „Wenn ich längere Zeit nicht dazu komme, kriege ich so üble Laune und bin so unruhig, dass meine Frau sagt: ‚Geh wieder komponieren, man hält dich sonst kaum mehr aus‘.“

Dabei scheint dieser Musiker eigentlich ein ganz Bodenständiger zu sein, ein Realist, mit beiden Beinen am Boden und im Leben. Vielleicht deswegen verstehen die Menschen in diesem Land seine Tonsprache auch weit besser als manch anderes seiner Neutöner-Kollegen. Weil man in Thomas Thurnhers Werken eine Nähe zur Romantik entdecken kann, wie das auch der Dornbirner Kulturamtsleiter Roland Jörg kürzlich in einem KULTUR-Interview messerscharf diagnostiziert hat. Dabei hört Thurnher beim Komponieren ganz auf seine innere Stimme und nimmt Rücksicht nur auf die Möglichkeiten der Ausführenden, ohne sich beim Zuhörer anzubiedern: „Wichtig ist mir auch, dass meine Gedanken klar formuliert sind, und das hängt nicht von der Tonalität ab. Diese Gretchenfrage von einst – tonal oder atonal – ist heute in der Szene längst überholt. Man ist befreit von Stilfragen und muss kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn die Musik auch von einem breiteren Publikum verstanden wird.“

Der geschwärzte Schubert

Da entstehen dann in der Zurückgezogenheit des Arbeitszimmers im obersten Stockwerk seines turmartigen Hauses in Dornbirn-Hatlerdorf so seltsam anmutende Dinge wie ein „übermaltes Quartett“, das am 25. November bei Dornbirn Klassik uraufgeführt wird. So hat er sich für sein neues Werk folgerichtig auch keinen Geringeren als den Kollegen Franz Schubert ins Boot geholt, dessen berühmtes d-Moll-Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ zum Klavierquintett gemacht und mit „schwarzen Tönen“ übermalt, aus dem das Original immer wieder durchschimmert. Und zwar alle Sätze, nicht nur den Kernsatz mit den Liedvariationen. Thurnher lacht: „Jetzt wird wohl manchen das Herz bluten, weil sie glauben, ich mache ihr Lieblingsstück kaputt.“

Diese Technik aus der Bildenden Kunst, für die etwa ein Arnulf Rainer berühmt wurde oder wie sie bei der Schubertiade Feldkirch 1989 Luciano Berio mit seinem „Rendering“ über Schubert-Fragmente auf die Musik übertrug, hat Thurnher einfach fasziniert. „Aber die Umsetzung war eine gewaltige Herausforderung. Anders als in der Bildenden Kunst muss in der Musik die Vorlage sehr bekannt sein, sonst wirkt der Effekt der Übermalung nicht.“ 

Lösung in der Reduzierung

Zunächst dachte er sich, dies sei ganz einfach: „Die Streicher spielen das Original und das Klavier dröhnt alles zu. Doch diese Ausführung hat mich einfach nicht befriedigt. Denn Schubert spricht in seinem Quartett so schlüssig, dass es für mich nichts mehr zu kommentieren gab. Und deswegen lag die Lösung für mich im Reduzieren: Ich lasse Schubert einfach nicht mehr fertigreden, falle ihm ins Wort, und ab diesem Zeitpunkt hat das grandios funktioniert. Ich habe mich also gewissermaßen mit ihm an einen Tisch gesetzt und ein Gespräch geführt. Aber ich bin mit seinem meisterhaften Satz trotzdem sehr behutsam umgegangen, belasse viele Abschnitte im Original, dann kommen wieder Schubert und Thurnher gemeinsam, und irgendwo verschwindet das Original dann wieder. Aber ich habe niemals vorgehabt, Schubert zu zerstören.“

Die Uraufführung des Werkes durch das renommierte britische Brodsky-Quartett, für seine Offenheit auch in Richtung Pop bekannt, ist für Thurnher „einfach unglaublich.“ Sie gründet sich auf die Uraufführung seiner „Kinderwirklichkeiten“ vor zwei Jahren in Dornbirn durch das Henschel Quartett. Nachdem das damals nicht nur dem Publikum, sondern auch Roland Jörg ausnehmend gefallen hat, spann dieser seine Rolle als lokaler Mentor von Thomas Thurnher weiter und stellte den Kontakt zu den Brodskys her, die begeistert vom Werk waren und zusagten. Eigentlich war zunächst sogar eine Aufführung im österreichischen Kulturinstitut in London geplant, die sich aber ebenso zerschlagen hat wie Jörgs Idee, den Klavierpart dem Dornbirner Pianisten Aaron Pilsan anzuvertrauen, der aus Zeitgründen ablehnen musste. Nun wird das die japanische Pianistin Yu Kosuge übernehmen.

Arbeit an der ersten Oper

Zweites Thema unseres Gesprächs sind konkrete Opernpläne, die Thomas Thurnher bereits in der Tasche hat: „Mir hat der in Innsbruck tätige Sänger und Schauspieler  Frédéric Grager-Fontainbleu das Angebot gemacht, für ihn und sein Ensemble eine Oper zu komponieren. Sie soll genau im Stil meines früheren Flötenkonzertes sein, das ihn offenbar sehr begeistert hat. Als er mir sein Libretto brachte, hat mir bei diesem tollen Angebot das Herz bis zum Hals geklopft.“ Obwohl Thurnher seine größten Erfolge bislang mit Vokalmusik erreichte, hatte er zunächst doch Zweifel, ob er ein Werk in dieser Dimension schaffen würde.

Inzwischen ist er durchaus optimistisch und hat bereits ein Drittel der Oper komponiert. Thematisch geht es dabei um eine lose Aneinanderreihung von tiefgründiger, filigraner Lyrik des Kärntner Arbeiterdichters Johannes Ciesciutti, der in seiner Heimat kaum beachtet wurde und völlig verkannt vor 20 Jahren verstorben ist. Dementsprechend wird es als schlanke Besetzung auch nur Sängerquintett, Sprecher und Kammerorchester geben. Bis 2017 soll das Werk stehen, 2018 sind erste Aufführungen in Innsbruck und Klagenfurt geplant.

Fritz Jurmann

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift für Gesellschaft und Kultur, im November 2015 erschienen.


Konzert der Reihe „Dornbirn Klassik“

Mi, 25. November, 19.30 Uhr, Kulturhaus Dornbirn
Thomas Thurnher: Übermaltes Quartett (Schubert erfährt Arnulf Rainer) für Streichquartett und Klavier
(Yu Kosuge, Klavier, Brodsky Quartet)