„Mir ist es auch wichtig, dass die anderen Ideen einbringen“ – MARTIN LISTABARTH im mica-Interview

Bislang ist der Wiener Jazzpianist MARTIN LISTABARTH mit zwei hochgelobten Soloalben in Erscheinung getreten. Mit „Postcards“ (Listabarth Records; VÖ: 2.6.) veröffentlicht er nun sein erstes in Bandbesetzung. Gemeinsam mit seinem langjährigen musikalischen Weggefährten GIDI KALCHHAUSER (Kontrabass) und ALEX RIEPL (Schlagzeug) begibt sich LISTABARTH auf eine wunderbar stimmungsvolle musikalische Entdeckungsreise und besucht in seinen Stücken Orte, die ihn beeindruckt und nachhaltig inspiriert haben. Im Interview mit Michael Ternai erzählte MARTIN LISTABARTH über das dem Album zugrundeliegende Konzept, den Unterschied zwischen Solo und Trio und darüber, von welcher Musik außerhalb des Jazz er sich inspirieren lässt.

Nach zwei Soloalben erscheint mit „Postcards“ nun dein erstes Album in Trio-Besetzung. Und wie schon auf deinen vorangegangenen Veröffentlichungen hast du auch diesem Album ein Thema gegeben. Waren es auf deinem letzten Album Persönlichkeiten, die du aus unterschiedlichen Gründen schätzt, die dich zur Musik inspiriert haben, so sind es jetzt Postkarten verschiedener Orte. Du besuchst in deinen Stücken unter anderem eine Metro-Station in Madrid, das mitternächtliche Istanbul oder einem Friedhof in Paris. Sind das Orte, an denen du tatsächlich einmal warst.

Martin Listabarth: Das ist ganz unterschiedlich. Es sind Orte dabei, die ich tatsächlich besucht habe und die mich so sehr inspiriert haben, dass ich unbedingt Stücke über sie schreiben wollte. Es sind aber auch Stücke über Orte vertreten, die mich schon lange faszinieren, zu denen ich bislang aber nur in meinem Kopf gereist bin. Zu diesen haben mich Bücher, Landkarten und auch Erzählungen anderer, die diese Orte schon bereist haben, inspiriert.

„Postcard“ ist auch dein erstes Album in Trio-Besetzung. Deine bisherigen zwei Veröffentlichungen waren Soloalben. Wie anders war es für dich, erstmals mit einer Band aufzunehmen?

Martin Listabarth: Ich spiele mit meinen beiden Kollegen Gidi Kalchhauser und Alex Riepl schon viele Jahre zusammen. Ich empfand einfach, dass für mich jetzt wirklich die Zeit gekommen war, Stücke explizit nur für dieses Trio zu schreiben. Der größte Unterschied zu den Alben davor war, dass ich im Kompositionsprozess viel mehr Dinge als sonst mitdenken musste. Die anderen Instrumente, die Persönlichkeiten meiner Mitmusiker, was meinen beiden Kollegen gut liegen könnte, wo unsere gemeinsamen Stärken liegen und wie wir diese am besten miteinander zu Geltung bringen können. Gleichzeitig ging es auch darum, alles gemeinsam weiterzuentwickeln. Es ist ja nicht so, dass ich mit fertigen Stücken komme. Es sind eher grobe Konzepte, die wir dann gemeinsam weiterentwickeln und verfeinern. Ich empfinde diese Art der Zusammenarbeit einfach sehr bereichernd.

Das heißt, du verstehst das Trio als ein Gemeinschaftsprojekt und nicht nur als ein Projekt von dir.

Martin Listabarth: Es ist sicher nicht so, dass ich der Hauptakteur bin und die anderen begleiten mich einfach. Bei uns läuft alles sehr ausgewogen ab. Mir ist es auch wichtig, dass die anderen Ideen einbringen und musikalisch genauso hinter den Stücken stehen wie ich.

Bild Martin Listabarth
Martin Listabarth (c) Theresa Pewal

Hört man sich die Stücke an, merkt man, dass ihr drei schon lange zusammenspielt.

Martin Listabarth: Dabei helfen diese Bilder wirklich sehr. Sie leiten und sind die Inspiration für die Kompositionen. Das ist auch das, worauf ich am meisten achte, wenn wir im Studio sind und ich mir von den unterschiedlichen Takes, die wir gemacht haben, die Aufnahmen anhöre. Ich suche dann immer nach den Takes, die die Stimmung, die ich haben will, am besten transportieren. Und da fällt die Auswahl in den seltensten Fällen auf Takes, in denen es die spektakulärsten Soli gibt. Es geht darum, wo auf den Punkt gebracht wird, welche Stimmung eingefangen werden soll.

Was ich an deinen Stücken wirklich schön finde, ist, dass sie sich niemals in ihrer Komplexität verlieren. Das Herausfordernde ist hörbar, aber nicht spürbar. Dir bzw. in diesem Fall euch gelingt es wirklich eindrucksvoll, Schwieriges zugänglich zu gestalten.

Martin Listabarth: Das freut mich, dass du das so empfindest. Und es ist mir beim Schreiben wie auch beim Spielen tatsächlich wichtig, zum Punkt zu kommen und Aussagen zu treffen. Daher, so finde ich, sind Postkarten für dieses Album auch eine sehr schöne Metapher. Die Postkarte ist der vorgegebene Rahmen, der schon von sich aus eine bestimmte Stimmung transportiert. Und dieser Rahmen wird dann durch die Improvisation, durch das, was man tatsächlich handschriftlich draufschreibt, im Moment neu befüllt. Letztlich bleibt die Postkarte aber weiterhin dieselbe Postkarte.

Auch wenn die Basis deiner Musik der Jazz ist, klingen auch viele andere Genres durch. Aus welchen musikalischen Ecken lässt du dich sonst noch inspirieren?

Cover Postcards
Cover “Postcards”

Martin Listabarth: Ich bin jemand, der permanent auf der Suche nach Musik ist, die mich begeistert und fasziniert. Im Jazz sind es vor allem Musiker:innen, die sehr starke Melodien in ihren Stücken haben. Das sind auch oft Musiker:innen, die Elemente aus ihren Volkmusiken in ihre eigene Musik einfließen lassen. Da fällt mir zum Beispiel der Pianist Tigran Hamasyan ein, der sehr stark geprägt ist von seiner armenischen Herkunft und immer wieder auf die Melodien, die er seit seiner Kindheit kennt, zurückgreift. Er ist für mich ein super Beispiel dafür, wie man hohe Komplexität mit klaren Melodien, die einen Bezug herstellen, verbindet.


In dieselbe Kategorie fallen für mich auch die zwei israelischen Pianisten Shai Maestro und Omer Klein.Was ich auch viel höre, ist klassische Musik. Und hier sind es vor allem impressionistische Komponisten wie etwa Claude Debussy und Maurice Ravel, die mich begeistern.
Im Pop sind es Bands wie Radiohead, die ich sehr gern höre. Und das schon seit meiner Jugend. Ich finde die Harmonien, die sie in ihren Stücken verwenden, sehr spannend, und auch die Art, wie sie ihre Songs strukturieren.

„Ich glaube, für meine musikalische Entwicklung waren die beiden Soloalben auf jeden Fall wichtig.“

Du hast über deine Alben hinweg deine ganz eigene musikalische Sprache entwickelt. Und diese funktioniert im Solokontext genauso wie in einer Band.

Martin Listabarth: Ich glaube, für meine musikalische Entwicklung waren die beiden Soloalben auf jeden Fall wichtig. Da ich mich nur auf mich und mein Instrument fokussieren konnte, habe ich mir leichter getan, meine eigene Sprache zu finden. Jetzt, da diese schon definierter ist, fällt es mir auch leichter, diesen Stil mit meinen Mitmusikern, die diesen ihrerseits mit ihrem Input bereichern, weiterzuverfolgen.

Deine Musik transportiert in der Tat sehr viel Stimmung. Sie benötigt keine Worte, um verstanden zu werden. Wie nimmt das Publikum sie auf?

Martin Listabarth: Ich habe das Gefühl, dass die Musik deshalb gut aufgenommen wird, weil sie Bilder vermittelt, die alle von uns kennen. Dadurch fällt es dem Publikum auch leichter, einen Zugang zu finden. Ich finde es immer spannend, welche Rückmeldungen ich nach einem Konzert erhalte. Ich finde es super, wenn die Leute sagen, dass sie das und das rausgehört haben, und wenn das, was sie rausgehört haben, die Sachen sind, an die ich beim Schreiben und Spielen der Stücke gedacht habe. Aber ich finde es genauso spannend, wenn es genau umgekehrt ist und sie etwas ganz anderes reininterpretieren. Ich finde es einfach schön, wenn Musik ein Sprungbrett in eine andere Welt sein kann.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Dein Debütalbum ist 2019 erschienen. Mittlerweile spielst du Konzerte in ganz Europa und erhältst viel Zuspruch vom Publikum. Du hast dir in der Szene einen Namen gemacht. Es scheint, als wäre es bei dir recht schnell steil bergauf gegangen. Hast du dir diese Entwicklung damals vorstellen können?

Martin Listabarth: Nein, natürlich nicht. Als ich mein erstes Album aufgenommen habe, habe ich mir noch nicht viele Gedanken darüber gemacht, wo das Ganze eigentlich hinführen soll. Es war eher so, dass ich mich damals zum ersten Mal bereit dafür gefühlt habe, meine eigene Musik aufzunehmen. Ich wollte einfach etwas in der Hand haben, das ich teilen kann. Aber ohne jede Überlegung, was damit passieren soll. Aus dem heraus haben sich mit der Zeit ganz schöne Sachen entwickelt, die mich wiederum motiviert haben, dranzubleiben und mich weiterzuentwickeln. Nicht nur musikalisch, sondern auch in Bezug auf das Ausschauhalten nach Chancen und Gelegenheiten, meine Musik auch live zu spielen.

Das Album erscheint am 2. Juni. Präsentiert wird es am 16. Juni im RadioKulturhaus. Sind auch weitere Konzerte geplant?

Martin Listabarth: Da bin ich erst in der Booking-Phase. Viele konkrete Termine kann ich noch nicht präsentieren, aber ich habe schon vor, für Herbst einige Konzerte aufzustellen. Und ich bin auch zuversichtlich, dass wir da einiges auf die Beine werden stellen können.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Ternai

++++

Martin Listabarth Trio live
13.06. Radiokulturhaus, Wien, Albumrelease-Show

23.09.Village Jazz Festival, Stattegg
14.10. Emailwerk, Seekirchen

++++

Links:
Martin Listabarth
Martin Listabarth (Facebook)
Martin Listabarth (Instagram)