„Mir hat Musik immer gefallen, aber außer in der Dusche zu singen habe ich dahingehend nicht viel gemacht“ – MICA-INTERVIEW MIT GINA DISOBEY

Aktivismus kann vielseitig betrieben werden – GINA DISOBEY entschied sich für Musik. 2019 wirkt sie bei einer Initiative mit, um das Asyl-Rückkehrzentrum im Tiroler Ort Bürglkopf schließen zu lassen. Abgeschieden vom Rest der Bevölkerung sind dort auf 1.300 Metern Höhe Menschen untergebracht, die auf die Rückreise in ihr Herkunftsland oder auf einen Asylbescheid warten. GINA protestiert gegen diese menschenunwürdige Isolation und versucht, der Situation Aufmerksamkeit zu beschaffen, indem sie – musikalisch komplett unerfahren – einen Song über das Thema schreibt und 2021 beim Protestsongcontest einreicht. Er heißt „Seeking for Asylum is not a crime“, sie erreicht damit Platz 1. Mittlerweile hat sie Gefallen am Singen gefunden und eine eigene Band gegründet. Katharina Reiffenstuhl hat mit GINA DISOBEY über ihren allerersten Auftritt als Musikerin, die Geschichte hinter dem Song und über das Leben in Innsbruck als Person of Color gesprochen.

Dein Weg in die Musik hat mit dem Protestsongcontest begonnen, den du 2021 gewonnen hast. Was ist seitdem alles passiert in deinem Leben?

Gina Disobey: Dieser Gewinn war sehr unerwartet, nachdem ich davor gar nicht gesungen habe. Ich war auch nicht wirklich vorbereitet. Ich habe einfach einen Text geschrieben mit Zitaten aus Interviews, die ich in Bürglkopf geführt habe und wollte damit mehr Aufmerksamkeit auf das Thema lenken – auf die Schließung des Rückkehrzentrums, den Hungerstreik, aber auch einfach die Menschen, die da involviert waren. Mit dem Gewinn und den ganzen Einladungen danach habe ich eben nicht gerechnet. Aber ich habe mich sehr gefreut, weil dadurch das Thema immer wieder aufgegriffen wurde. Ich hatte damals nur diesen einen Song, den haben wir in 4 Tagen fertig gemacht und ich habe ihn 3 Minuten vor der Frist eingereicht. Mir ist aufgefallen, dass ich mich alleine auf der Bühne sehr unwohl fühle und nicht nur diese elektronische Musik haben wollte, deshalb habe ich dann eine Band gegründet. Jetzt sind wir zu viert, Bass, Gitarre, Schlagzeug und ich. Ich plane auch, in Zukunft eine Trompete dabei zu haben. Außerdem habe ich eine Sounddesignausbildung angefangen und Gesangunterricht und Gitarrenunterricht genommen. Mir hat Musik immer gefallen, aber außer in der Dusche zu singen habe ich dahingehend nicht viel gemacht.

Würdest du Musik heute als deinen Beruf ansehen?

Gina Disobey: Nein. Also wenn ich davon leben könnte und meine aktivistische Arbeit dadurch unterstützen könnte, wäre das schon so, aber das geht nicht ganz. 

Das heißt, was ist für dich dein Beruf?

Gina Disobey: Ich bin freischaffende Künstlerin. Ich habe in Italien eine Kunstakademie besucht, bin dann nach Innsbruck gezogen und habe dort Architektur studiert, aber ohne den Abschluss zu machen, weil ich nach sechs Jahren Studium herausgefunden habe, dass das nicht wirklich das ist, was ich machen möchte. Ich interessiere mich schon für Design, aber das habe ich nicht als meinen Beruf gesehen. Ich bin dann in den Sozialbereich umgestiegen und bin jetzt selbstständig. Ich biete in Jugendzentren und anderen Einrichtungen Workshops an, die mit politischer Arbeit verbunden sind, Anti-Diskriminierungs-Arbeit. Mein jetziger Hauptberuf sind Kulturprojekte, die ich leite. Ich arbeite gerade an zwei verschiedenen Projekten, eines ist die “Black Community Innsbruck” und das zweite ist die “Schwarze Frauen Community”. Dafür habe ich drei verschiedene Förderungen bekommen, von der Stadt Innsbruck und vom Land Tirol. Da geht es darum, die Black Community in Innsbruck aufzubauen. Es gibt verschiedene Gruppen, verschiedene Vereine, und ich möchte die alle zusammenbringen und gemeinsam am Thema Anti-Rassismus arbeiten. Beim zweiten handelt es sich um ein Theaterprojekt, über den Tag, an dem das Ibiza-Video rauskam, wo die “Schwarze Frauen Community” teilgenommen hat. 

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Wie bist du damals überhaupt auf die Idee gekommen, bei diesem Contest anzutreten?

Gina Disobey: Ich bin 2019 nach Bürglkopf gefahren, nachdem ich in einem Zeitungsartikel gelesen habe, dass es da einen Hungerstreik gibt, 17 Menschen sind in den Hungerstreik getreten. Wir haben dann eine Woche lang in der Museumsstraße vorm Landesmuseum in Innsbruck geschlafen und Unterschriften für die Schließung des Rückkehrzentrums gesammelt. Daraufhin sind mehrere Artikel darüber geschrieben worden, aber dabei ist es dann auch geblieben. Viele Menschen haben keine Ahnung gehabt, dass es wenige Kilometer von Innsbruck weg dieses Rückkehrzentrum gibt. Daher haben wir ein bisschen überlegt, wie dieses Thema mehr Aufmerksamkeit bekommen könnte. Dann ist Covid da gewesen, da ist nicht wirklich viel passiert, während der Zeit ist die Situation einfach nur viel schlimmer geworden, weil die Menschen dadurch noch mehr isoliert wurden. Durch die Interviews, die ich da geführt habe, habe ich mir gedacht: “Diese Texte könnte ich doch zu einem Song machen”. Eine Freundin hat mir den Protestsongcontest-Link geschickt und mich gefragt, ob ich diesen Song dort nicht einreichen möchte. Ich war damals in Italien und bin dann Ende Dezember nach Innsbruck, die Einreichfrist war der 5. Januar, wenn ich mich richtig erinnere. In diesen drei, vier Tagen haben wir einen Teil der Vocals aufgenommen und Baiba und Christoph Holzknecht haben mir geholfen, den Song zu produzieren. Dann haben wir ihn eingereicht. Die Leute waren dann so “Gina, wenn du dann weiterkommst, dann musst du den Song performen!”, aber ich dachte mir halt “Ja, aber so weit kommt es ja eh nicht”

„ES GEHT NICHT UM MEINE PERFORMANCE, ES GEHT UM DEN TEXT UND DIE GESCHICHTE DAHINTER“

So weit kam es dann doch. Wie war das für dich, dann auf der Bühne zu stehen und aufzutreten?

Gina Disobey: Ich war sehr unentspannt. Ich finde auch, dass meine Performance nicht die beste war, ich bin da sehr kritisch mit mir selbst. Aber darum ging es ja auch nicht. Es geht nicht um meine Performance, es geht um den Text und die Geschichte dahinter. Das Thema war mir so wichtig, da hat alles um mich herum weniger Rolle gespielt. 

Der Song besteht ja – wie du sagst – aus Zitaten von Geflüchteten, die du dort selbst interviewt hast. Welches Zitat, welche Line hat dich persönlich am meisten bewegt?

Gina Disobey: 
Ich denke alle irgendwo. Am meisten vielleicht den Teil “I love my life so much that I’m ready to die, tell me why I still have to fight, what is life without human rights“. Die Person, die am längsten gestreikt hat, war 43 Tage im Hungerstreik und hat über 15 Kilo abgenommen. Hungerstreik ist eine riskante Art des Widerstands. Das haben die Menschen dort in Kauf genommen, weil sie ja auch nicht so viele Möglichkeiten haben. Das war einfach ein starkes Zitat.

Bild Gina Disobey
Gina Disobey (c) Florian Scheible

„DIE SITUATION WIRD SICH VERMUTLICH AUCH NICHT VERBESSERN, SOLANGE SICH DIE LAGE IN DER GESELLSCHAFT MIT DEM THEMA RASSISMUS UND DISKRIMINIERUNG NICHT VERBESSERT“

Wie ist es mit dem Rückkehrzentrum weitergegangen, hat sich die Lage seitdem verbessert?

Gina Disobey: Das Rückkehrzentrum ist leider immer noch dort. Die Lage hat sich nicht verbessert, sondern – im Gegenteil – verschlimmert. Vor dem Sommer, als ich beim Popfest aufgetreten bin, gab es ein paar Wochen davor erneut einen Hungerstreik. Also ist leider nichts wirklich besser geworden. Ich glaube, es ist oft so, dass Themen Aufmerksamkeit bekommen und darüber geredet wird, und irgendwann wird es weniger oder verschwindet ganz. Die Situation wird sich vermutlich auch nicht verbessern, solange sich die Lage in der Gesellschaft mit dem Thema Rassismus und Diskriminierung nicht verbessert. Das ist alles verbunden.

Du schreibst weiterhin Songs, auf den öffentlichen Musikplattformen sind allerdings zurzeit keine zu finden. Warum?

Gina Disobey: Es ist alles noch im Entstehen. Musik machen ist ja auch nicht mein einziger Beruf. Aber wir sind gerade dabei, wir haben 10 Songs über unterschiedliche Themen, die wir jetzt im Herbst aufnehmen und veröffentlichen wollen. Leider findet man jetzt nur das Protestsongcontest-Video auf YouTube. Aber das wird sich bald ändern.

Wovon handeln die Songs?

Gina Disobey: Es gibt ein paar Songs über Liebesbeziehungen, aber auch Gewalt oder Rassismus. Ich habe auch einen Song, der sich auf meine Geschichte bezieht. In bin in einer Stadt geboren und aufgewachsen, die zwischen Rom und Neapel liegt. Es ist eine Gegend, die sehr von Faschismus geprägt ist, wo Mussolini damals wie heute immer noch geehrt wird, wo seit einigen Jahren ausschließlich rechte Parteien regieren. Es war damals nicht einfach, so wie es heute nicht einfach ist. Ich mache immer Witze darüber, wie ich von einer faschistischen Stadt in eine Nazi-Stadt gewechselt bin, in Innsbruck ist das Leben für eine schwarze Person oder eine Person im Asylverfahren auch nicht wirklich einfach. 

Was hast du in Innsbruck erlebt?

Gina Disobey: Alles Mögliche. Ich war letztes Jahr vor Gericht, weil mein Nachbar ein Rassist ist. Ich habe Morddrohungen bekommen, ich wurde als Affe beschimpft. Rassismus bringt alles Mögliche mit sich, ich habe sehr oft Jobs nicht bekommen. Da gibt’s alles, vom Alltagsrassismus bis zum institutionellen Rassismus.

Und trotzdem möchtest du weiterhin in Innsbruck bleiben?

Gina Disobey: Ich habe diese “Black Community”-Projekte, die mir sehr am Herzen liegen. Es gibt bis heute viele aktivistische Gruppen, aber nicht wirklich viele von Betroffenen. Das macht für mich einen großen Unterschied. Ich möchte keine weiße Person, die für mich spricht, ohne den Kontakt zu Betroffenen zu haben. Ich wohne jetzt seit 16 Jahren in Innsbruck und hatte oft das Gefühl, das für mich gesprochen wird, anstatt dass ich für mich selbst sprechen kann. Meine Erfahrung in der Jugendarbeit hat mir auch gezeigt, dass es zu wenige nicht-weiße Menschen gibt, die in der Jugendarbeit tätig sind und Jugendliche unterstützen. Deswegen ist es mir sehr wichtig, diese Projekte abzuschließen. Das ist leider eigentlich gar nicht möglich, weil das ein Thema ist, das man nicht in ein paar Jahren abschließen kann. Aber ich möchte es zumindest ins Rollen zu bringen.

Vielen Dank für das Interview!

Katharina Reiffenstuhl

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Links:
Gina Disobey (Instagram)
Initiative Bürglkopf schließen (Instagram)