„Mir fehlte dieser künstlerische Schaffensaspekt […]“ – MARIE SPAEMANN im mica-Interview

Ursprünglich aus der Klassik kommend hat sich die Cellistin MARIE SPAEMANN in den vergangenen Jahren zu einer sehr vielseitigen und gefragten Musikerin entwickelt. Neben Konzerten mit zahlreichen renommierten Orchestern u. a. im Rahmen der Show „The World of Hans Zimmer“ spielte sie bei der Elektroswing-Formation [DUNKELBUNT] sowie in gemeinsamen Projekten mit dem Jazzmusiker CHRISTOPH PEPE AUER und dem Akkordeonisten CHRISTIAN BAKANIC. Im September dieses Jahres veröffentlichte die 31-jährige Wienerin mit „GAP“ (Anthropoet) ihr viel beachtetes Solodebüt. MARIE SPAEMANN sprach mit Michael Ternai über ihre Entwicklung hin zu einer Liedermacherin mit ganz eigenem Stil, über die Wichtigkeit, die eigene Stimme zu finden, und ihren Drang, kreativ tätig zu sein.

Du kommst eigentlich aus der Klassik. Warum ein Soloprogramm, das mit klassischer Musik eigentlich recht wenig zu tun hat? So ein Wechsel ist ja nicht wirklich alltäglich.

Marie Spaemann: Ich bin vor vielen Jahren, nachdem ich mein Studium 2011 beendet hatte, an einen Punkt gekommen, an dem ich feststellte, dass mir musikalisch etwas fehlte. Mir taugte es zwar, und das tut es immer noch, ein klassisches Konzert bis zur Perfektion zu üben, aber dennoch war mir das dann irgendwann nicht mehr genug. Mir fehlte dieser künstlerische Schaffensaspekt. Den habe ich auch im Studium etwas vermisst. Ich war immer schon auch mit einigen Jazzmusikerinnen und -musikern befreundet und habe auch viele Jazzplatten gehört. Das hat mich dazu gebracht, Jazzcello zu lernen, was sehr spannend war, weil ich auch gemerkt habe, dass ich eigentlich überhaupt keine Jazzcellistin werden will.

Dennoch hat mich dieser kleine Tropfen von diesem riesigen Jazz-Meer, den ich erhaschen konnte, dazu inspiriert, selbst Songs zu schreiben. Aufgrund des Jazzstudiums besorgte ich mir auch eine Loop-Station, um ein bisschen über Standards jammen zu können. Durch die Arbeit mit dieser Loop-Station kam ich dann drauf, wie vielseitig das Cello eigentlich ist und wie viel man aus diesem Instrument herausholen kann. So bin ich zum Loopen gekommen. Daneben habe ich dann immer wieder auch Gesangsunterricht genommen. Und so hat das eine zum anderen geführt. In dieser Phase wusste ich lange Zeit nicht, was aus meinem klassischen Cellospiel werden sollte. Ich war von den neuen Möglichkeiten, Musik zu machen, zwar fasziniert, dennoch konnte ich mir nie vorstellen, die Klassik ganz sein zu lassen. Mit der Zeit merkte ich aber, wie wichtig mir beides ist, wie sehr mich beides ausfüllt und glücklich macht.

Das heißt, die Loop-Station war der Grund für dein Soloprojekt. 

Marie Spaemann: Ein bisschen, ja. Mittlerweile ist die Loop-Station aber etwas in den Hintergrund gerückt. Speziell bei diesem Album, bei dem ich den Fokus vor allem auf meine Stimme und das Cello gelegt habe. Vielleicht auch, weil ich jetzt schon doch einige Jahre länger singe und sich meine Stimme zu einem Instrument ausgeprägt hat.

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„Es war plötzlich dieser große Wunsch da, meiner Kreativität auch den Raum zu geben.“

Dich zeichnet eine große musikalische Offenheit aus. Du spielst Klassik in großen Orchestern, hast aber auch Projekte in anderen Genres laufen, wie unter anderem mit dem Akkordeonisten Christian Bakanic. Warst du neben der Klassik eigentlich immer schon auch an anderen Musikstilen interessiert? 

Marie Spaemann: Ich muss gestehen, dass ich eigentlich weder während meiner Schulzeit noch während meines Studiums wirklich viel klassische Musik gehört habe. Ich habe damals eher Jazz gehört, Leute wie Wolfgang Muthspiel und Richard Bona. Ich habe meine Liebe zum Jazz aber nie wirklich in direkten Zusammenhang mit meinem Musikmachen gebracht. Für mich war eigentlich lange klar, dass ich meinen Weg in der klassischen Musik gehe. Etwas anderes war für mich abwegig. Es war dann eine längere Reise nach Ghana, die mein Denken verändert hat. Ich war vier, fünf Wochen ohne mein Cello unterwegs und als ich zurückkam, merkte ich, dass irgendetwas anders war, dass ich mich nicht mehr so wirklich in diesen vorgezeichneten Weg einfügen konnte. Es war plötzlich dieser große Wunsch da, meiner Kreativität auch Raum zu geben. So begann ich mit dem Songschreiben.

„Ich war wirklich fasziniert davon, welche Klänge man aus dem Instrument herausholen kann.“

Diese Entwicklung führte dich bis hin zu deiner CD. Was auffällt, ist, wie reduziert und zurückhaltend du an die Sache herangegangen bist. Nur deine Stimme und der Klang des Cellos, mehr ist fast eigentlich nicht zu hören. War für dich klar, dass es in diese Richtung gehen soll?  

Marie Spaemann: Ja, das war eigentlich schon die Grundidee. Absolut. Ich liebe es, wenn etwas authentisch klingt, wenn Leute, die einem Konzert von mir lauschen, auch etwas mitnehmen. Dieses Gefühl wollte ich einfangen. Bei meinem ersten Versuch bin ich aber zu weit gegangen. Man kann im Studio einfach sehr viel ausprobieren, was auf der einen Seite zwar großen Spaß macht, einen auf der anderen Seite aber den Blick auf das Wesentliche verlieren lässt. Ich war wirklich fasziniert davon, welche Klänge man aus dem Instrument herausholen kann.

Als die Songs dann fertig waren, erkannte ich, dass ich da coole Popsongs aufgenommen hatte, die aber mit mir eigentlich gar nichts zutun hatten. Die Songs waren nicht ich. Ich sagte mir dann: „Okay. Alles wieder auf null.“ Ich ging dann wieder zu meinen Soloversionen zurück und versuchte, diese zu etwas zu machen, was ich hundertprozentig bin. Das war ein Lernprozess, der mich auch einiges gekostet hat. Ich habe zwar eine Förderung bekommen, aber natürlich nicht für zwei Aufnahmen. Aber ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Das Album fühlt sich jetzt sehr stimmig an.

Bild Marie Spaemann
Marie Spaemann (c) Andrej Grilc

„Wenn du nicht genau weißt, wie etwas klingen soll, dann versucht dir irgendjemand anderer zu sagen, wie es klingen soll.“

In einem Orchester musst du dich – weil du ja mit anderen zusammenspielst – an Vorgaben halten, du spielst Stücke und Werke eines bzw. einer anderen. Im deinem Soloprojekt genießt du die Freiheit, das zu tun, was du willst. Macht das den großen Unterschied für dich aus? 

Marie Spaemann: Ja, absolut. Aber nicht nur das. Ich habe ich im Laufe der Jahre gemerkt, dass es wirklich notwendig ist, die eigene Stimme zu finden. In der Zeit der Entstehung des Albums haben ein-, zweimal größere Labels angeklopft, nur passte es mir zu diesem Zeitpunkt nicht. Wenn du nicht genau weißt, wie etwas klingen soll, dann versucht dir irgendjemand anderer zu sagen, wie es klingen soll. Das war dann auch noch einmal der Ansporn für mich, das Album wirklich allein zu machen. Vielleicht kommt es ja später einmal zu einer Kooperation, zunächst aber muss ich selbst dem Ganzen einmal eine Identität geben.

Wann hast du deine Stimme entdeckt? Wann hast du entdeckt, dass du sehr gut singen kannst?

Marie Spaemann: Ich habe entdeckt, dass ich singen möchte. Das war 2012/2013. Und es war etwas komisch, denn fängt man mit Anfang 20 damit an, fühlt sich das dann doch etwas spät an. Aber ich denke, seitdem hat sich meine Stimme sehr entwickelt. Was mir vielleicht geholfen hat, war die Tatsache, dass ich – obwohl ich nur relativ wenig Gesangsunterricht hatte – schon einmal ein Instrument gelernt habe, dass ich schon wusste, was es heißt, an etwas dranzubleiben und zu üben. Nicht, dass ich das jetzt täglich machen würde, aber es hat mir geholfen.

Bild Marie Spaemann
Marie Spaemann (c) Andrej Grilc

„Eine Zeit lang habe ich mir gedacht: ‚Wieso braucht die Welt jetzt noch ein Liebeslied, wen interessiert das?‘“

Was sind die Inhalte deiner Lieder? Geht es um persönliche Geschichten und Erlebnisse? Oder geht es um Dinge, die du beobachtest, und Themen, die dich beschäftigen?  

Marie Spaemann:  Beides eigentlich. Ich habe für mein Album „GAP” im Endeffekt die Lieder ausgewählt, die für mich den Aspekt der Kluft zwischen den Dingen aufzeigen. Es geht einerseits um persönliche Zustände. Es geht einem so, wie es einem in diesem einen Moment gerade geht, und man möchte gerne schon zwei Schritte weiter stehen. Nur steht diese scheinbar unüberwindbare Kluft dazwischen. Andererseits haben manche Lieder auch einen gesellschaftskritischen Inhalt. Wie zum Beispiel der Song „Metamorphosis“, der diese Utopie der Göttin Europa thematisiert, die dem Kontinent sagt, was er braucht. In „Hybris“ geht es um Maßlosigkeit. Es sind also auch soziologische Phänomene, die mich interessieren. Ich finde den Menschen einfach so spannend.

Eine Zeit lang habe ich mir gedacht: „Wieso braucht die Welt jetzt noch ein Liebeslied, wen interessiert das?“ Letztens war ich jedoch in einem Konzert und habe gemerkt, dass das eigentlich vollkommen egal ist. Die Leute wollen berührt werden. Und wenn du eine Story ehrlich erzählst, dann schwingt das einfach mit. Das kann Musik.

Du bist sehr beschäftigt und viel unterwegs. Ist diese CD als ein einmaliges Projekt gedacht oder willst auch in Zukunft als Solokünstlerin weitermachen?  

Marie Spaemann: Ich habe das Gefühl, dass das Entstehen, das Fertigwerden und das Rauskommen des Albums schon auch dafür stehen, dass das Soloprojekt in meinem Leben mehr Raum und Liebe bekommen darf. Weil ich, wie du gesagt hast, nebenbei schon sehr viel gemacht habe. Und das war auch wichtig und bereichernd. Aber irgendwann ist es wichtig, sich ein bisschen einzuschränken. Das macht frei. Mein zweites absolutes Herzensprojekt ist mein Duo, dass ich mit Christian Bakanic habe. Und da haben wir auch schon begonnen, ein Album aufzunehmen. Es ist auf jeden Fall zum ersten Mal so, dass ich im folgenden Jahr wirklich fast nur solo oder im Duo auftrete – abgesehen von zwei World-of-Hans-Zimmer-Shows, die aber zeitlich sehr kompakt sind.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Ternai

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Marie Spaemann Solo live
09.12. Schubert Theater, Wien
10.12. Stiftung Mozarteum, Salzburg

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