Der ORF will die AKM-Tantiemen um 30% kürzen. Musikschaffende befürchten dadurch massive finanzielle Einbußen und eine Bedrohung ihrer Existenz. In einer Pressekonferenz am 19. Oktober 2022 nahmen der AKM-Präsident Peter Vieweger und geladene MusikerInnen (Viriginia Ernst, Hubert von Goisern, Thomas Lacher und Christopher Seiler) zur derzeitigen Situation Stellung.
Soviel vorweg: Die Lage ist ernst. Die Regelung über die Abgeltung der Senderechte (ein zehnjähriger Vertrag) zwischen ORF und AKM ist bereits Ende des Jahres 2021 ausgelaufen. Seither wurden Verhandlungen geführt, jedoch ohne ein Ergebnis, da der ORF eine 30-prozentige Reduktion des Entgelts fordert.
Viele Musikschaffende verliehen daraufhin ihrem Unmut darüber in einem offenen Brief an Roland Weißmann (ORF-Generaldirektor), Lothar Lockl (Vorsitzender des Stiftungsrats) und Franz Medwenitsch (stv. Vorsitzender des Stiftungsrats) Ausdruck: Die wirtschaftlichen Argumente des ORF seien in keiner Weise nachvollziehbar, heißt es darin. Die Sendeanstalt habe in den vergangenen Jahren immer stabile Ergebnisse einfahren können, während es bei den Tantiemen der Musikschaffenden – u.a. Pandemie-bedingt – einen Rückgang von bis zu 35 Prozent (Vergleich 2021 zu 2019) gegeben habe. Die Aussage, dass sich der ORF in einer finanziell angespannten Situation befinde, höre man seit dreißig Jahren. Aktuell unterlägen viele Unternehmen – und viele MusikerInnen sind UnternehmerInnen [Anm. des Verfassers] – einem enormen Kostendruck, trotzdem würden zugelieferte Waren und Dienstleistungen nicht billiger, sondern teurer wie etwa Sportrechte. „Auch KomponistInnen, TextautorInnen und Musikverlage müssen ihre Kosten decken und dafür sind Einnahmen notwendig.”
Anzumerken ist an dieser Stelle, dass die Abgeltung der Senderechte zwischen ORF und AKM nie pauschal erfolgte, sondern stets durch eine prozentuelle Beteiligung an Werbeeinnahmen und Gebühren. Nimmt der ORF – durch welche Gründe auch immer – weniger ein, zahlt er daher auch weniger an die AKM.
Doppelte Bestrafung
Die UnterzeichnerInnen des offenen Briefes – darunter viele prominente MusikerInnen, aber wichtiger noch, MusikerInnen aller Sparten und Genres, von Bilderbuch bis Andre Heller, von Olga Neuwirth über die Gebrüder Muthspiel bis Klaus Eberhartinger – orten in der angedachten Reduktion nun eine doppelte Bestrafung. Denn falls sich die Prognose des ORF von künftig geringeren Werbeeinnahmen bewahrheiten sollte, verringert sich der Tarifanteil an den Werbeinnahmen, und hinzu kommt dann noch einmal die geforderte Reduktion von 30 Prozent. Doppelt schlecht für Bezugsberechtigte!
Der ORF vergesse aber auch seine soziale Verantwortung gegenüber dem Kultursektor und den GebührenzahlerInnen, die sich kreative Leistungen von kreativen Menschen erwarten. Die Kultur sei die DNA des ORF, wie es ein früherer Genrealdirektor des ORF einmal formulierte, und der ORF habe als öffentlich-rechtlicher Rundfunk einen Kulturauftrag zu erfüllen. Der wertschätzende Umgang mit den Kunstschaffenden sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Durch die angedachte Reduktion der Tantiemen trete das genaue Gegenteil dessen ein: „Der ORF nimmt den Kulturschaffenden das gesicherte Umfeld, das für kreative Leistungen notwendig ist.”
Die österreichischen Musikschaffenden, vertreten durch die UnterzeichnerInnen, fordern daher, der ORF möge seine künstlerfeindliche, existenzbedrohende Haltung aufgeben und
- seinen gesetzlichen Kulturauftrag umfassend zu erfüllen,
- heimischen Musikschaffenden in seinen Programmen einen entsprechenden Stellenwert zu verschaffen, und
- die KomponistInnen, TextautorInnen und Musikverlage, ohne deren Leistungen die Programme des ORF gar nicht möglich wären, angemessen zu entlohnen.
Verheerende Konsequenzen
Die aufgrund der jüngsten Geschehnisse eilig einberufene Pressekonferenz am 19. Oktober setzte nun auf diesem Brief auf, vertiefte die Ausführungen aber um wichtige Details:
AKM-Präsident Vieweger bezeichnete eine 30-prozentige Reduktion der Tantiemen angesichts der derzeitigen Inflation als geradezu absurd. In anderen Bereichen, bei Angestellten etwa und Metallern, werde gerade intensiv um eine Erhöhung der Entgelte verhandelt. „Und hier, bei den MusikerInnen überlegt man eine Reduktion…”
Die Konsequenzen einer solchen Reduktion beschrieb er als verheerend und zwar nicht nur für all jene, die von Tantiemen leben müssten, denn die AKM müsse dann auch ihre Förderungen reduzieren, von der Einrichtungen wie die Musikergilde und der Musikfonds unterstützt und Veranstaltungen finanziert werden. Die Folge ist, dass die Einrichtungen ihren Arbeitseinsatz reduzieren und viele Veranstaltungen nicht mehr stattfinden können. Dieser Aspekt finde in den Überlegungen des ORF aber keine Berücksichtigung. Die Singer-Songwriterin Virginia Ernst springt ihm zur Seite: „Die AKM kümmert sich ja nicht nur um unsere Tantiemen, sie ist auch ein großer Förderer von Konzertveranstaltungen in ganz Österreich.” „Ohne die Fördermittel der AKM – beispielsweise für den Österreichischen Musikfonds – würde vielen jungen KünstlerInnen eine Starthilfe verwehrt bleiben”, so Ernst.
Faire Abgeltung für erbrachte Leistung
Es sei unglaublich, dass das [ein fairer Vertrag, Anm.] in Zeiten wie diesen nicht verhandelbar sei und dass es nicht mehr Wertschätzung für Kunst und KünstlerInnen gebe, sagte Hubert von Goisern in seinem Statement. Gerade jetzt, wo ein Mehr nötig sei, werde über Kürzungen, also über ein Weniger, nachgedacht. Die AKM stehe für ihn seit jeher dafür, dass ein Künstlerleben nicht auf ein Bettlerdasein reduziert wird, dass also keine milden Gaben verteilt werden, sondern eine faire Abgeltung für erbrachte Leistung erfolgt, aber auch dafür, dass KünstlerInnen überhaupt einen Fuß in die Tür kriegen. In Zeiten, in denen die Tonträgerverkäufe weggebrochen sind und die Erlöse aus Streaming – wie in vielen Medienberichten ausführlich dargelegt wurde – vernachlässigbar sind, sei das wichtiger denn je.
Christopher Seiler betonte, dass die jetzige Diskussion KomponistInnen und TextautorInnen aller Musikgenres angehe, und bemühte den Vergleich mit einem Auto: Ein Auto von einem Tag auf den anderen um 30% billiger zu produzieren, sei unmöglich. Ebenso unmöglich sei es aber auch, nach einer angedachten Reduzierung der Tantiemen von den KünstlerInnen danach die gleichen Leistungen zu erwarten.
Kulturauftrag und Einigkeit
Der Komponist Thomas Larcher stellte in Aussicht, dass durch die Reduktion, sollte sie tatsächlich kommen, ein neues Prekariat geschaffen werde. Neben all den wirtschaftlichen Aspekten gehe es, so Larcher, aber auch um den Kulturauftrag des ORF, und das, gerade jetzt, da auch anderweitig, etwa bei Ö1, Kürzungen angedacht sind, mehr denn je.
Der ORF, rief er in Erinnerung, sei unabhängig – eine Unabhängigkeit, die man sich durch ein Volksbegehren erkämpft habe. Man sei daher den MitarbeiterInnen den Content-LieferantInnen sprich KünstlerInnen und dem Publikum verpflichtet. „Durch den Bildungs- und Kulturauftrag ist der öffentlich- rechtliche Status des ORF bedingt. Der Kulturauftrag aber darf nicht nur eine Worthülse sein. Der ORF muss kulturelle Vielfalt vermitteln und fördern. Aktuell sehen wir diesen Auftrag nicht ausreichend erfüllt“, schloss Larcher.
Auch viele bei der Pressekonferenz nicht anwesende KünstlerInnen erklärten ihre Unterstützung und gaben Statements ab: Marcus Füreder (Parov Stelar) etwa meinte, eine Verringerung der Abgeltung der Senderechte sei für ihn nicht nachvollziehbar und werde weder dem ORF noch dem Musikland Österreich gerecht. Sie wäre für viele KünstlerInnen existenzbedrohend und stelle eine Abwertung aller Musikschaffenden und ihrer kreativen Leistungen dar und führe in weiterer Folge zu einer markanten Ausdünnung der musikalischen Vielfalt dieses Landes. Ähnlich Paul Pizzera, der darauf hinwies, dass die heimische Musiklandschaft von seiner Diversität lebe und auch gleichermaßen präsentiert werden solle. Mira Lu Kovacs hält es für skandalös, dass in einer derartig vielfältigen, innovativen und extrem blühenden Musiklandschaft, die auch unternational Aufmerksamkeit bekommt, Reduktionen vorgenommen werden sollen.
Wie geht es weiter?
Die AKM wird nun beim Urheberrechtssenat – einem Gremium aus qualifizierten Richtern beim Obersten Gerichtshof – einen Satzungsantrag einbringen. Dieser Urheberrechtssenat setzt dann die Bedingungen und die Höhe des Entgelts fest. Beide Parteien – AKM und ORF – sind dann an die Verordnung gebunden. Das sei „unangenehm”, so AKM-Präsident Peter Vieweger, handle es sich doch „um einen ziemlich harten Vorgang, bei dem es lange dauern kann, bis es zu einem Ergebnis kommt”. Für den ORF bedeutet das aber auch, dass sich die bislang eingeschlagene Taktik als kontraproduktiv erweisen könnte, denn der Senat könnte durchaus – auch in Anbetracht der inflationären Entwicklung – nicht die gewünschte Reduktion, sondern vielleicht sogar eine Erhöhung beschließen.
Genau die wolle man erzielen, gab Vieweger am Ende der Pressekonferenz die Losung aus: „Wir fordern – ganz im Sinne der von der österreichischen Bundesregierung gestarteten ‚Fair Pay’-Initiative für KünstlerInnen – vom ORF eine Erhöhung unserer Honorare und Tantiemen, denn: Tantiemen sind kein Taschengeld! Zudem wünschen wir uns für die GIS-ZahlerInnen, dass der ORF seiner Verantwortung nachkommt und musikalische Qualität anbietet. Wir als AKM stellen dafür das musikalische Weltrepertoire zur Verfügung – unter den genannten Bedingungen.”
Gibt es ein Résumé? Vielleicht das, dass die derzeitige Diskussion ein Gutes habe, das Zusammenrücken nämlich, darin waren sich alle anwesenden MusikerInnen und KomponistInnen einig. Wie gesagt wurde die Petition von vielen MusikerInnen ganz unterschiedlicher Genres unterzeichnet und wird auch weiterhin unterzeichnet. Die Namensliste wird laufend aktualisiert und ist auf www.akm.at abrufbar. Man demonstriert über alle Unterschiede hinweg eine selten dagewesene Einigkeit. „Wir ziehen an einem Strang”, so Seiler. „Solidarität ist in Zeiten wie diesen das Allerwichtigste”, bestätigte Larcher.
Markus Deisenberger