OLIVER JOHNSON aka DORIAN CONCEPT zählt seit einer guten Dekade zu einem der erfolgreichsten Elektroniker des Landes. Dass seine internationale Bekanntheit nicht nur den legendären Live-Shows geschuldet ist, stellt er mit seinem jüngsten Album erneut unter Beweis. „The Nature of Imitation“ (Brainfeeder) offenbart die kompositorische Stärke eines Musikers, dessen musikalische Vorlieben von Funk, über Jazz, Hip Hop bis zu den UK Bass-Genres, IDM und hybrider Clubkultur reichen. Seine facettenreichen Arrangements setzen sich aus vielschichtigen Texturen, labyrinthischen Rhythmen und polyphonen Melodien zusammen, die eklektisch durch die Genres wandern. Hier tanzen neon-farbene Synkopen quer durch die Instrumentenbank und addieren sich zu Tracks von orchestraler Opulenz. OLIVER JOHNSONs unfassbare Liebe zum Detail und seine Affinität für die unterschiedlichen Timbres synthetisch nachgebauter Instrumentenklänge eröffnen ihm neue Möglichkeiten und präsentieren ihn als elektronische one-man-band. Shilla Strelka traf den Musiker zu einem Gespräch in seinem Studio.
Wie sind Sie zur elektronischen Musik gekommen? Sie waren noch ziemlich jung, als Sie angefangen haben, oder?
Oliver Johnson: Ja, genau. Das erste Programm, mit dem ich gearbeitet habe, war „The Magix Music Maker“. Statt in einem teuren Studio mit „Cubase“ zu arbeiten, habe ich diese gecrackte Software auf einen Rohling runtergeladen. Damals war ich fünfzehn.
Sie haben es dann ziemlich schnell zu Bekanntheit gebracht. Endlich gab es jemanden in Österreich, der diesen IDM- und UK-Bass-Sound produzierte, den man von Labels wie „Warp“, „Rephlex“ und „Ninja Tune“ kannte. War das Interesse für diese Labels der Grundstein für Sie?
Oliver Johnson: Ja, die waren in der Zeit sehr wichtig für mich. Davor war ich auf Hip-Hop gepolt. Ich habe 2001 begonnen, zu einem Zeitpunkt, zu dem diese Labels schon die ersten kommerziellen Erfolge gefeiert haben. Ich habe mich also schon als zweite Generation empfunden. Es waren die Künstlerinnen und Künstler dieser Labels, mit denen ich mich sehr stark identifizieren konnte, wie The Cinematic Orchestra, Kid Koala, Jimmy Edgar und Boards of Canada. Jungle Breaks und diese verspielte Art, damit umzugehen, war damals noch sehr nischig. Die Szene hatte etwas Intimes.
Haben Sie sich damals auch überlegt, gleich nach England zu ziehen?
Oliver Johnson: Ja, habe ich. Aber ich habe Wien als Stadt so gern, dass ich dann doch geblieben bin. Auch als ich intensiv getourt bin, habe ich gemerkt, dass ich es brauche, nach Hause zu kommen. Und London hat sich rapide verändert. Anfangs hat sich in der hybriden Clubkultur viel getan, aber das hat sich geändert. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass Amsterdam die Musikhauptstadt Europas ist.
„Ich wollte weg von mir.“
Sie lassen sich viel Zeit zwischen den Releases. Im August ist Ihr neues Album erschienen. „The Nature of Imitation“ beinhaltet Tracks, an denen Sie zum Teil jahrelang feilten. Das Resultat klingt allerdings unwahrscheinlich organisch, wie aus einem Guss.
Oliver Johnson: Ja. Wenn ich einmal eine Nummer habe, bei der sich eine Richtung zeigt, dann baue ich alles um diese Nummer herum auf. Deswegen fühlt es sich so an, als wäre das aus einem Guss. Es gab schon auch Nummern, die noch mehr von der Ästhetik des letzten Albums aufgriffen, aber ich habe mich bewusst gegen diese entschieden. Mich interessieren der ästhetische Bruch und die Neuerfindung viel mehr. Die Zeit vergeht aber auch so schnell …
Wenn man so viel unterwegs ist wie Sie, vergeht die Zeit aber auch einfach schneller.
Oliver Johnson: Genau. Nach dem letzten Album kam eine sehr tourintensive Zeit und ich hatte es ein bisschen übersehen, zeitgleich an neuen Nummern zu arbeiten. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass ich Abstand dazu brauchte. Ich wollte weg von mir. Den Gedanken hatte ich auch schon beim Album „Joined Ends“. Das hat mir im künstlerischen Prozess gutgetan. Auf der anderen Seite bin ich auch zu Ansätzen zurückgekommen, aber aus einem ganz anderen Blickwinkel. Es dauert einfach auch, von sich selbst wegzukommen.
Wie schafft man das überhaupt? Ich schätze mal, da spielen die Maschinen und Tools die größte Rolle? Ich weiß auch gar nicht, welche Synths Sie auf dem Album verwenden.
Oliver Johnson: Ja, ich bin auch nicht der Typ, der das Technische so groß mitpräsentiert. Es gibt zwar die Videos mit den Synthesizern, aber die gehe ich eher performativ an. Ich weihe Leute normalerweise nicht in den Prozess ein. Andere Gear zu verwenden, ist aber auf jeden Fall ein Weg, sich in ein neues Szenario zu begeben. Dann landet man nicht so schnell bei den üblichen Sounds. Zur gleichen Zeit kann man auch in der Software nach Überraschungsmomenten suchen und den Dingen nachgehen, die einem eigenartig vorkommen. Sich zu fragen, warum man bestimmte Entscheidungen trifft, um bewusst mit diesen Mustern zu brechen. Sich auch die Frage zu stellen, welche Erwartungshaltungen daran gekoppelt sind. Das Album klingt so brüchig und sprunghaft, weil ich viel gegen mich gearbeitet habe, um woanders hinzukommen.
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Und wenn Sie sagen, dass Sie einen Track heranziehen, um den Sie das Album arrangieren, war das in diesem Fall „J Buyers“?
Oliver Johnson: Ja, „J Buyers“ stimmt. Das war das Herzstück, bei dem ich diesen Aha-Moment hatte. Es ist aber nicht so, dass ich die anderen Nummern, der einen unterordne – ich sehe das mehr als einen Raum. Der Track hat aber etwas vorgegeben, woran ich mich beim restlichen Album orientieren konnte. Er hat mir den Mut gegeben, in eine Richtung weiterzugehen.
Das Album klingt für mich sehr maximalistisch, auf eine gewisse Art sehr überladen. Es ist vielstimmig und wirkt schon fast orchestral in seiner Dichte. Dabei kombiniert es die unterschiedlichsten Klangfarben und entfaltet dadurch eine sehr spezielle Dynamik. Mich erinnert das an Hudson Mohawke, der ja auch ein Freund und Kollaborateur von Ihnen ist.
Oliver Johnson: Ja, das ist ja auch das Interessante bei jemandem wie Hudson Mohawke. Der kommt einerseits aus der Hardcore-Musik, die auch diese Euphorie und das maximalistische Moment drinnen hat, hat aber andererseits zur gleichen Zeit Timbaland-Beats gehört, wo man dieses Genaue und Raffinierte drinnen hat. Einerseits gibt es dieses Triumphale, andererseits auch dieses fast schon klischeehafte Sportliche.
„‚The Nature of Imitation‘ ist ein Album, bei dem Ernsthaftigkeit und Humor ineinander übergehen.“
Hymnisch.
Oliver Johnson: Ja, genau. Und mit einer overbearing positivity, die daran gekoppelt ist. Das ist schon eine Energie, die ich versucht habe zu referenzieren. Ich wollte das aber auch ins Absurde führen. „The Nature of Imitation“ ist ein Album, bei dem Ernsthaftigkeit und Humor ineinander übergehen.
Das kommt auch rüber. Ich wusste nur nicht, dass das beabsichtigt war.
Oliver Johnson: Ja, auf jeden Fall! Von dem her ist es ein sehr persönliches Album, weil ich mich selbst auch als Menschen sehe, der zwischen diesen zwei Polen pendelt. Ich denke viel darüber nach, wie man ernsthafte Musik machen und gleichzeitig mit dem Vorurteil brechen kann, dass man dabei nicht Spaß haben kann. Es ist oft so, dass man sich denkt, die Musik sei nicht anspruchsvoll, weil Humor oder Spaß drinnen ist. Mich interessiert schon auch, wie sich Leute inszenieren, und ich finde es auch interessant, wie sehr Leute sich selbst an ihre Inhalte koppeln – diese Vorstellung, dass ernste Leute ernste Musik machen. Ich stelle das infrage, weil ich das Produzieren schon mit einem hohen künstlerischen Anspruch verbinde. Aber ich bin froh, wenn das übersehen wird, weil ich es schade finde, wenn Selbstinszenierung und Leichtigkeit nicht Hand in Hand gehen können.
Das ist aber auch etwas, was Sie speziell macht – die Art und Weise, wie Sie sich präsentieren. Ich glaube, es vermittelt sich allen, dass Sie ziemlich am Boden geblieben sind. Woher kommt diese Bescheidenheit?
Oliver Johnson: Man hat seine Vorbilder. In den späten 1990ern haben sich die Musikerinnen und Musiker, denen ich Aufmerksamkeit geschenkt habe, nicht so stark selbst inszeniert. Ich habe es eigentlich immer sehr sympathisch gefunden, dass es um nur die Musik geht und Eigenverantwortung vom Publikum eingefordert wird. Man musste nicht so sehr verteidigen und rechtfertigen, was man warum tut. Die Musik ist einfach für sich gestanden.
Aber der Erfolg macht ja was mit einem.
Oliver Johnson: Vielleicht sehe ich mich auch einfach nicht als so erfolgreich. Das könnte auch helfen.
Das ist aber sehr undankbar.
Oliver Johnson [lacht]: Ja, kann man auch wieder sagen. Ich habe Leute kennengelernt, die Probleme hatten, auf die Straße zu gehen. Da habe ich gemerkt, dass Erfolg auch so aussehen kann – borderline stardom. Das levelt mich dann wieder. Da merke ich, dass das einfach noch mal etwas anderes ist und dass ich mir darauf nicht so viel einbilden muss. Andererseits kommt die Dankbarkeit dann wieder bei jedem Auftritt, wenn ich merke, dass es Menschen gibt, die das freut. Da bin ich jedes Mal aufs Neue überrascht. Und vielleicht habe ich auch einfach einen naiveren Zugang. Ich versuche, mich nicht zu sehr damit zu beschäftigen, was andere Leute über mich sagen und denken. Aber es kann schon auch damit zu tun haben, dass ich sehr selbstkritisch bin. Und mir auch eher denke, dass niemand mitbekommt, was ich tue. Es ist sicher eine Art von Selbstschutz, aber auch eine Flucht nach vorne.
Wenn Sie so selbstkritisch sind, wie ist es dann für Sie, live aufzutreten? Sie sind ja bekannt für Ihre virtuosen Live-Shows. Üben Sie noch viel?
Oliver Johnson: Ich habe als Teenager einfach wahnsinnig viel geübt.
„Ich habe so viel Energie in die Musik gesteckt, dass ich noch immer davon zehre.“
Auf den Synths?
Oliver Johnson: Nein, den „microKORG“ habe ich erst Anfang 20 bekommen. Ich habe lange nach meinem Instrument gesucht und bin beim Klavier gelandet. Aber als Teenager habe ich E-Bass und Sopransaxofon gespielt. Ich habe die Instrumente gelernt, bis ich die Technik beherrscht habe. Als mich mein Saxofon-Lehrer beeinflussen wollte, habe ich aufgehört. Ich glaube, es geht darum, das Instrument zu verstehen, bis man merkt, dass das Rad läuft. Das heißt, dass man nur so weit Hilfe bekommt, bis man von selbst gehen kann. Das war bei allen Instrumenten, die ich gelernt habe, so. Ich habe so viel Energie in die Musik gesteckt, dass ich noch immer davon zehre. Ich übe derzeit recht wenig. Wenn ich eine neue Live-Show vor mir habe, bereite ich mich schon vor. Dann kann ich auch konzentriert meine sechs Stunden damit verbringen. Aber dann sitzt das auch und ich muss es nur wieder aufwärmen. Das heißt, ich habe schon meinen Weg gefunden, wie ich damit umgehe. Ich habe auch das Glück, dass ich bei diesen Dingen immer das Tempo und nie Angst vorm Stolpern hatte. Deshalb kann ich auch mit den Fehlern, die live passieren, umgehen, weil ich mir sehr bewusst bin, dass Kritik am Ehesten von jemandem kommt, der selbst so gut spielt, dass es fast ein Insiderwitz ist.
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Passiert das denn?
Wenn Musikerkolleginnen und -kollegen zu einem Auftritt kommen und unter sich sind, dann kann das teilweise sehr hart sein, weil man auf die falschen Dinge achtet. Warum ich jetzt lieber zu Auftritten gehe, ist, weil ich mit mir selbst weniger kritisch geworden bin. Ich bin barmherziger mit mir geworden. Wenn man zu sich selbst weniger streng ist beim Live-Spielen, kann man andere Dinge mehr genießen.
Trotzdem finde ich es mutig, dass Sie sich dieser fordernden Live-Situation aussetzen, wenn Sie sich – wie andere elektronische Acts das ja gerne machen – auch hinter einem Laptop verschanzen könnten.
Oliver Johnson: Es ist interessant. Ich habe noch nie daran gedacht, das mit Mut zu assoziieren. Vor tausend Leuten zu spielen ist für mich weniger anstrengend, als vor 20 Leuten zu spielen. Weil das schon eine so absurde Situation ist und etwas ganz anderes als die Nähe, die ein kleinerer Gig mit sich bringt. Das schüchtert mich viel mehr ein.
Dieser performative Live-Ansatz ist aber auch etwas, was Sie auszeichnet.
Oliver Johnson: Ja, aber das ist eher passiert. Das hat sich so natürlich entwickelt. Das performative Element und das Produzieren haben sich hybridisiert. Eigentlich bin ich ein großer Fan von Musikerinnen und Musikern, die einfach ihre Nummern spielen. Schon allein die Musik anders zu erleben und über eine gute PA zu hören, finde ich gut. In vielen Fällen ist elektronische Musik etwas, was in einem intimen Rahmen und komplett entkoppelt von einem performativen Gedanken entsteht. Viele Leute sind da einfach taktisch und überlegen sich genau, wo was hingehört, oder können auch gar nicht so genau replizieren, wie sie etwas gemacht haben. Deswegen finde ich, es ist ein etwas unfairer Anspruch, dass das auch live spannend sein muss. Das ist für uns Musikerinnen und Musiker einfach die doppelte Arbeit. Ich finde es eher problematisch, wenn Leute eine Performance erzwingen.
Gehen Sie denn auf Konzerte?
Oliver Johnson: Ja, jetzt wieder. Es gab eine Zeit, da hatte ich nicht die Geduld, mich dem hinzugeben. In meinen 20ern habe ich mich immer gefragt, wie ich selbst das machen würde. Ich habe alles sehr schnell auf mich bezogen, mich gemessen und verglichen. Seitdem ich das nicht mehr tue, kann ich mir die Konzerte auch anschauen. Reiner Zuhörer zu sein ist einfach besser.
„Wenn man einen synthetischen Klaviersound nimmt, dann hat der so viel Euphorie drinnen, das kann man mit einem echten Klavier gar nicht nachmachen.“
Sie haben einmal gesagt, dass es Dorian Concept gebe, weil es nicht zum Jazzmusiker gereicht habe?
Oliver Johnson: Ja, das ist eher eine lustige Anekdote. Ich hatte viele Leute in meinem Umfeld, die mich bekräftigt haben, Musik zu studieren. Also habe ich versucht, an der Kunstuni in Graz eine Aufnahmeprüfung für Jazz oder zumindest etwas in der Art zu machen und habe vor einem der Lehrer am Klavier improvisiert. Ich glaube auch, dass es ihm gut gefallen hat, also er war wirklich überrascht, aber ich konnte einfach keine Noten lesen. Da ging sich dann kein Studium aus.
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Aber das heißt ja noch nichts.
Oliver Johnson: Ja, stimmt. Aber studieren kann man halt nicht, ohne vom Blatt lesen zu können.
Haben Sie das Klavier als Klangkörper nie vermisst?
Oliver Johnson: Ja, es ist schräg. Man kann Klavier so gut auf Geräten nachmachen. Ich weiß auch nicht ganz, was ich vom Klavier halten soll. Einerseits ist es so schön und das unglaublichste Instrument der Welt, andererseits finde ich, dass es schwierig ist, etwas Interessantes damit zu machen. Es wird zu sehr ästhetisiert. Wenn man einen billigeren Midi-Piano-Sound hernimmt, sind alle immer gleich beleidigt. Viele mögen den Klang nicht. Ich finde es fast interessanter, die Frage zu stellen, warum das so ist. Wenn man einen synthetischen Klaviersound nimmt, dann hat der so viel Euphorie drinnen, das kann man mit einem echten Klavier gar nicht nachmachen. Ich mag diesen synthetischen Sound, der versucht, das nachzuahmen. Und ich finde es lustig, wie beleidigt Leute sind, die aus der high culture kommen. Diese Idee der Reinheit und des sensiblen Spiels, damit kann ich wenig anfangen. Ich würde enorm gern einmal ein Klavieralbum machen, aber es muss eines sein, bei dem der Zugang ein anderer ist.
Und Saxofon spielen Sie auch nicht mehr, oder?
Oliver Johnson: Nein. Zurzeit leider nicht, aber auf dem „Korg Kronos“ – einer großen Workstation – findet man auch Fake-Saxofone.
„Ich finde es wichtig, Sounds von ihrer negativen Assoziation zu entkoppeln und etwas Schönes aus diesen trashigen Midi-Sounds zu machen […]“
Die finden sich ja auch auf dem Album.
Oliver Johnson: Ja, die kommen von dieser Workstation. Ich finde es wichtig, Sounds von ihrer negativen Assoziation zu entkoppeln und etwas Schönes aus diesen trashigen Midi-Sounds zu machen, die sonst nur als Referenzpunkt herangezogen werden, z. B. bei „Sibelius“, wo diese Sounds nur zu Probezwecken verwendet werden – immer mit dem Hintergedanken, diese dann „schön aufzunehmen“. Nein! Lassen wir das doch einfach so.
Als minderwertig abgestempelte Sounds nicht als Ersatz zu verstehen, sondern ihre speziellen Klangfarben ernst zu nehmen, um sie anders zu konnotieren – das ist ja auch ein Statement, oder?
Oliver Johnson: Ja, das ist auch eine Art von Befreiung. Dieses Klischee, dass das minderwertig ist – da geht es ja auch um eine Art von Hierarchie. So eine Wertigkeit in Musik einzubringen und zu sagen, Sounds seien „billig“, das sehe ich als sehr problematisch. Man kann sagen, dass es politisch ist, solche Sounds zu verwenden. Ich arbeite so gerne mit Presets, weil es sich ähnlich anfühlt, wie beim Hofer einkaufen zu gehen. Man arbeitet mit der Palette und dem Werkzeug, zu dem ein Großteil der Bevölkerung Zugang hat. Es gab bei mir auch dieses Schuldgefühl oder gewisse Zweifel, dass das, womit ich arbeite, nicht professionell ist, oder das, was man tut, nicht gut genug ist. Und Intuition wird immer als problematisch abgetan.
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Das Album heißt „The Nature of Imitation“. Darf ich so direkt fragen, worauf sich die Nachahmung bezieht?
Oliver Johnson: Es ist interessant: Kaum verwendet man das Wort „Imitation“, glauben die Leute, dass man etwas bewusst nachahmen möchte. Aber ich beschreibe damit eher die Art, wie die Nummern konstruiert sind. Bei „Joined Ends“ war die Fragestellung, wie lang ich einen Loop laufen lassen kann, bis er langweilig wird. Diesmal habe ich mich gefragt – auch weil ich es selbst noch nie gehört habe –, was passiert, wenn man mit einem Loop in der vollen Instrumentierung, d. h. Rhythmus, Melodie, Akkorde, Bass, anfängt. Dann hat man eine Phrase, ein Motiv. Diese Struktur loopt man dann, aber jeweils mit einer anderen Instrumentierung. Dabei entstehen ganz unterschiedliche Räume. Ich war einfach neugierig. Die Aufgabe für das Album war es also, einen spielerischen Umgang damit zu finden und es homogen klingen zu lassen. Und wie es so oft bei mir ist, kam der Titel am Ende. Ich habe darüber nachgedacht, was ich da eigentlich gemacht habe. Anfangs wollte ich das Album nur „Imitations“ nennen, aber das ist scheinbar das Unwort schlechthin in der Musik.
Ich habe den Titel eher auf die vielen Referenzen, die ich höre, zurückgeführt. Fast so, als wäre es ein Rückblick auf die Sounds, die sie in der Vergangenheit begleitet haben. Das Album ist auf seine Art sehr eklektisch.
Oliver Johnson: Ja, das stimmt. Es gab schon ganz klar einen postmodernen Ansatz. In kreativen Feldern gesteht man sich nicht gerne ein, dass man Sachen nachmacht, ob bewusst oder unbewusst. Man findet immer Wege, sich durchzuschummeln. Der Titel hat mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, was Nachahmung bedeutet. Wie viel ist okay und ab wann wird es zu viel?
„Meine Musik ist sehr subjektiv und entsteht bis zu einem gewissen Grad instinktiv.“
Inwiefern reflektieren Ihre Sounds die Gegenwart und die Gesellschaft?
Oliver Johnson: Meine Musik ist sehr subjektiv ist und entsteht bis zu einem gewissen Grad instinktiv, deshalb ist dann immer dieser Stempel der Zeit da. Aber das ist nicht vordergründig. Bei Musik, die gut gealtert ist, haben die Musikerinnen und Musiker auf ein eigenes Statement gepocht und die Sounds sind einer starken Vorstellungskraft entsprungen. Das ist für mich auch weiterhin der Antrieb. Dass ich weiß, dass ich später auch noch zufrieden damit sein kann. Das klappt von Album zu Album besser.
Das Album ist ja verhältnismäßig euphorisch geworden. Da schwingt für mich schon so ein Eskapismus mit, wenn wir uns die Zeit, in der wir leben, ansehen. Es fungiert vielleicht am Ehesten als eine emotionale Insel, auf die man sich retten kann.
Oliver Johnson: Ich glaube, die Insel oder die Abkapslung, von der Sie sprechen, das stimmt wahrscheinlich. In meiner Musik geht es sehr viel um ein In-sich-Gehen. Das ist dann oft entkoppelt von der Außenwelt. Weil meine Musik sehr introspektiv ist, halte ich mich aber mit direkt aufs Album bezogenen Themen zurück. Man kann sich so stark mit der Außenwelt beschäftigen, dass man sich selbst vernachlässigt. Ich versuche, den Leuten dabei zu helfen, wieder in sich zu gehen. Das sehe ich am Ehesten als meine Aufgabe. Ich stelle mir aber auch die Frage, wie sehr Positivität nicht auch mit Kritik verbunden sein kann. Wie sehr kann man ein politischer Mensch sein, ohne dass man es direkt adressiert?
Sie gelten als eines der lokalen Aushängeschilder der Red Bull Music Academy. Wie war das für Sie, als die Debatte dieses Jahr so richtig entflammt ist? Setzen Sie sich mit so etwas auseinander?
Oliver Johnson: Ja, ich habe mich damit auseinandergesetzt und finde es auch wichtig, dass man in dem Ganzen nicht den Mut verliert, darüber zu reden, und die Problematik von so vielen Seiten wie möglich betrachtet. Einerseits werden von Einzelpersonen in dem Unternehmen klar Meinungen vertreten, die im Gegensatz zu meinen Überzeugungen stehen, aber andererseits unterstützen sie in der Musiklandschaft Projekte, die ich als sehr wichtig erachte. Da entsteht natürlich ein innerer Konflikt. Ich glaube, viele Musikerinnen und Musiker sind gerade dabei, herauszufinden, wie sie damit umgehen sollen. Aber speziell die Leistungen der Academy, von den Lectures bis hin zu einer lang anhaltenden Unterstützung von Künstlerinnen und Künstlern, die teils noch nie außerhalb der eigenen Ländergrenzen spielen konnten, reichen, erachte ich als etwas sehr Positives.
„In meiner Musik geht es sehr viel um ein In-sich-Gehen.“
Jammen Sie eigentlich noch oft?
Oliver Johnson: Kaum. Ich bin musikalisch zu sehr mit mir selbst beschäftigt [lacht]. Aber ich tue es sehr gern. Letztens fand im Rahmen der JazzWerkstatt der „Fluxuskompensator“ statt, eine Konzertreihe von mir, Cid Rim und The Clonious. Da haben wir eine Jamsession mit Musikern der JazzWerkstatt im Porgy gespielt. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Es ist eine klassische Situation: Leute, die am Meer leben, aber nie schwimmen gehen. Es gibt so viele Musikerinnen und Musiker, denen man schreiben könnte, aber dann tut man es doch nicht..
Der US-amerikanische Musiker Flying Lotus ist jemand, mit dem Sie öfter gejammt haben. Dass Sie damals so viel Unterstützung von ihm bekommen haben, er hatte Sie ja im Internet entdeckt, war damals eine große Sache.
Oliver Johnson: Ja, das stimmt. Das muss ich mir auch immer wieder vorhalten, dass das eine Ausnahme war. Ich habe oft das Gefühl, dass es für Europäerinnen und Europäer schwieriger ist, Leute in Amerika zu erreichen, als umgekehrt. Ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Social Media gab es damals so noch nicht. Es gab Myspace, da haben sich die Leute leichter gefunden und schneller vernetzt. Es ist auch seltsam, weil ich in Wien erst Aufmerksamkeit bekommen habe, nachdem ich schon fünf Jahre im Ausland unterwegs war. Davor habe ich vielleicht ein paar Gigs gespielt, aber früher hat man die Bestätigung von außen gebraucht, damit sich die Leute eingestehen konnten, dass der Sound gut ist. Das ist in kleineren Ländern vielleicht so.
Wobei mir vorkommt, dass gerade Musikerinnen und Musiker, die im Ausland erfolgreich sind, im Inland seltener gebucht werden. Vielleicht aber auch, weil die Promoterinnen und Promoter denken, dass diese Acts in einer anderen Liga unterwegs sind und das Risiko zu hoch ist.
Oliver Johnson: Ja, das ist interessant. Man muss einen hohen Bekanntheitsgrad haben oder sehr spezialisiert sein, um konstant gebucht zu werden, oder das Glück einer sehr loyalen Fanbase haben.
Haben Sie die?
Oliver Johnson: Ja. Ich bin zufrieden. Ich finde es schön, dass mich Leute seit 2009 begleiten und schätzen, was ich tue. Ich finde es aber auch lustig, wie sich die Hörerschaft ändert. Mit dem Label „Brainfeeder“ kommt eine Welle anderer Leute. Ich habe das auch schon oft erlebt. Als „Trilingual Dance Sexperience“ erschienen ist, wurde ich mit der Clubwelt und Post-Dubstep assoziiert. Der Release auf „Joined Ends“ hat mir wegen „Ninja Tune“ viele neue Fans aus Frankreich gebracht. Ich habe das Gefühl, dass ich da auf unterschiedlichen Wellen surfe. Wenn ich auf Reisen bin, dann hab ich nicht die eine typische Crowd. Aber es begleiten mich schon einige Zeit lang die gleichen Leute. Das ist schön.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Shilla Strelka
Termin:
7. Dezember, 22:30, Gartenbaukino – 10 Jahre Affine Records feat. Dorian Concept & Wandl
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