mica-Symposium: New Music and Media: Radio and Web 2.0. (I) – Vortrag: Heikki Valsta

mica-Symposium: New Music and Media: Radio and Web 2.0. (I) – Vortrag: Heikki ValstaIm Rahmen der mica focus – Reihe “Kunstmusik & Öffentlichkeit veranstaltete das mica – music austria am 17. Juni das Symposium “New Music and Media: Radio and Web 2.0”. Unter der Leitung von Wolfgang Seierl, dem Präsidenten des mica-music austria, erläuterten Heikki Valsta (Rostrum of Composers, Senior Producer Yleisradio, Finnland) und Winfried Ritsch (Institut für Elektronische Musik und Akustik – IEM, Kunstuniversität Graz) in ihren Vorträgen das Verhältnis von Neuer Musik und dem Internet im Zeitalter des Web 2.0.

Demokratische Medien

Komponist_innen und Musiker_innen der zeitgenössischen Musik entscheiden sich oftmals aus Gründen der Klangqualität für “herkömmliche” Veröffentlichungsformen wie die CD. Ihre Werke und sind darauf angewiesen im Radio gespielt zu werden. Doch gab es in den letzten Jahren gerade auch auf diesem Sektor einschneidende Veränderungen. In seinem Eingangsstatement sprach mica-music austria Präsident Wolfgang Seierl über diese Entwicklungen und brachte eine kurzen Einführung zur Entwicklung des Radios. Bereits im Jahr 1932, kurz nachdem die ersten Radiostationen in Europa gegründet wurden, veröffentlichte Bertolt Brecht seine Medientheorie zum Thema Radio. In dieser verlangt Brecht eine aktive Kooperation und Integration des Hörers und der Hörerin sowie eine demokratische Struktur für dieses Medium, so dass Radio nicht nur “Botschaften” übermitteln sondern auch empfangen kann. So kann auch der oder die Zuhörende  als Sender fungieren und das Radio als ein Instrument der Kommunikation. Es sollte durch seine Vielzahl von Kanälen den Empfänger und die Empfängerin nicht isolieren, sondern ihr oder ihm eine Stimme verleihen. So sah Bertolt Brecht die Rolle des Anbieters nicht bei den Radiomacher_innen, sondern bei den Hörer_innen. Dies ist allerdings erst heute durch das Internet und Blogs realisiert, denn auch zum jetzigen Zeitpunkt sind Massenmedien (TV, Radio und Printmedien) weit von einem dialogischen Prinzip entfernt, was sowohl gesellschaftliche als auch politische Konsequenzen mit sich bringt. Der Philosoph Vilém Flusser sprach vom Internet als erstem demokratischem Medium. Davis Jennings, welcher im Rahmen der DMET-Konferenz 2007 einen Vortrag zum Thema Blogs und Web 2.0 hielt, sieht das Internet als eine mögliche Plattform für Vielfältigkeit, welche in traditionellen Medienformaten nicht gegeben ist. So können sich Musikinteressierte z.B. in Blogs auf eine Art austauschen, wie es an anderen Orten nicht möglich wäre. Dennoch entscheiden sich nach wie vor viele Vertreter_innen der zeitgenössischen Musik dagegen sich in diesem Medium zu präsentieren, unter anderem aus Gründen der mangelnden Klangqualität. Dies führt jedoch zu einem Konflikt zwischen den technischen Erneuerungen und der Präsenz der Musikschaffenden in diesem Bereich.

Zeitgenössische Musik und Radio aus internationaler Sicht – ein Vortrag von Heikki Valsta

Das Rostrum of Composers (IRC) wird seit 1953 jährlich vom International Music Council (IMC) in Paris organisiert. Es ermöglicht Komponist_innen der zeitgenössischen Musik sich Vertreter_innen internationaler öffentlich-rechtlicher Radiostationen zu präsentieren. So wird jährlich eine Vielfalt von unterschiedlichen Arbeiten aus den unterschiedlichsten Subgenres der zeitgenössischen Musik eingereicht. Die Jury, welche sich aus internationalen Vertreter_innen zusammensetzt, wählt unter den eingereichten Arbeiten in den Kategorien “General” und “Composers under 30” aus. Diese werden nach dem IRC in Sendungen der teilnehmenden Radiostationen aber auch von anderen Interessierten gespielt. Der Unterschied zu anderen Wettbewerben dieser Art ist, dass alle Teilnehmenden Arbeiten einbringen und aus einer großen Vielfalt die besten internationalen Arbeiten zusammengetragen werden, aus denen ausgewählt wird. Außerdem gibt es keinen hohen Geldpreis für die Teilnehmer_innen, denn der tatsächliche und einzigartige Gewinn ist die hohe Anzahl von Ausstrahlungen der Stücke in internationalen Radios. So wurden Arbeiten des letztjährigen IRC über 400 Mal in der European Broadcasting Union (EBU) ausgestrahlt. Im Jahr 2009 haben 299 Radiostationen aus vier Kontinenten am IRC teilgenommen.

Unter den ausgewählten Werken sind zwei österreichische Komponist_innen vertreten: Eva Reiter mit “Alle Verbindungen gelten nur jetzt” und Thomas Larchers “Konzert für Violine und Orchester”.  Der Gewinner der Kategorie “General” ist Martijn Padding mit “First Harmonium Concert” und in der Kategorie “Composers under 30” gewann Justé Janulyte mit “Aquarelle”.

Neben dem Wettbewerb finden auch Diskussionen über aktuelle Themen der zeitgenössischen Musik statt, so auch über das Verhältnis von zeitgenössischer Musik und Radio in Hinblick auf die unterschiedlichen Konzepte und die Vielfältigkeit des Begriffs Zeitgenössischer Musik.

So wurde festgestellt, dass der Begriff auf Grund seines Pluralismus neu definiert werden muss. Auch sehen sich die Radiostationen vor neue Herausforderungen gestellt, da sie sich mit einer vielfältigen Hörer_innenschaft und vielen unterschiedlichen Auffassungen von zeitgenössischer Musik konfrontiert sehen. Radios bzw. öffentlich-rechtliche Radiostationen müssen sich mit ihren Inhalten den Interessen des Publikums über mehrere Plattformen und unterschiedliche Medien annähern. Denn die Zuhörer_innenschaft der zeitgenössichen Musik ist bereits stark unterteilt, so dass man nicht nur eine Zielgruppe durch eine Plattform bedienen kann. So wird auch in diesem Genre – mit seinen Subgenres – das Internet immer mehr an Wichtigkeit gewinnen. So wurde vom Preußischen Kulturbesitz Berlin vor einem Jahrzehnt eine Studie durchgeführt, zur Frage wie gut  die Audioqualität für unterschiedliche Musiken sein muss, so dass der Inhalt, die Aussage das Spezifische wiedergegeben bzw. verstanden werden kann. Die Ergebnisse zeigten, dass  für die zeitgenössische Musik die höchste Audioqualität notwendig ist. Aber auch diese Ergebnisse sind mittlerweile überholt, da gerade das jüngere Publikum sowohl im Radio als auch im Internet eine schlechtere Klangqualität in Kauf nimmt, wenn dadurch die Inhalte einfacher zu bekommen sind. Somit ist dieser Wechsel auch für traditionell orientierte Sender eine schwere Entscheidung.

Auf der finnischen Radiosstation Yleisradio gibt es eine sehr populäre wöchtliche 15 minütige Sendung für zeitgenössische Musik: “Contemporary Music Classic”. Diese wird am Donnerstag um 14.45 ausgestrahlt und am selben Abend um 21.40 wiederholt. Ebenso wird das vorgestellte Werk in voller Länge später am Abend gespielt. Die 15 minütigen Sendungen können auch als On Demand Streams im Internet nachgehört werden, und auf einer eigenen Seite werden Zusammenfassungen und zusätzliche Informationen zu den Stücken angeboten. Dies ist ein Beispiel wie traditionelle Radioformate und das Internet zusammenwirken können.

Auch sollte auch im Radio Platz für die Geschichte des Radios selbst sein, denn die meisten Europäischen Radiostationen haben eine Vielzahl von Schätzen in ihren Archiven gelagert ohne diese je zu spielen. Oftmals ist es eine Frage des Copyrights, aber dieser Streitpunkt wird wohl in näherer Zukunft nicht gelöst werden können, so dass diese besonderen, einzigartigen Aufnahmen von zeitgenössischer Musik, gerade von nationalen Komponist_innen, oft nicht gespielt werden. Aber wenn dieses Problem mit Verleger_innen, Autor_innen und Komponist_innen geklärt wäre, könnten diese Aufnahmen im Internet gesammelt werden und nicht nur als eine Bibliothek der Geschichte des Radios sondern auch für Journalist_innen zugänglich zu sein. Und obwohl für die Hörer_innen mittlerweile sehr viel über das Internet abrufbar ist, sind sie nach wie vor an Radiosendungen interessiert, da hier von den Sendungsmacher_innen aus der Vielzahl der Stücke eine Auswahl getroffen wird und Zusatzinformationen vermittelt werden. Hörer_innen bekommen vermittelt, warum sie gerade dieses Musikstück hören. Aber was können Radiostationen für Komponist_innen tun, außer neue Stücke auf Sendung zu bringen, außer sie von ihren eigenen Symphonieorchester spielen zu lassen, außer Aufnahmen, Ausstrahlungen und Dokumentionen von Konzerten, Festivals und Studioproduktionen von und mit zeitgenössischen Komponist_innen zu bringen? Dies ist ja bereits eine erstaunliche Leistung, die  die Radios hier bieten. Und ist das nicht auch eine Herausforderung für jede Insitution, welche für die Öffentlichkeit gegründet wurde? Denn für eine Vielzahl von Hörer_innen ist das Radio nach wie vor die einzige Möglichkeit Musik zuhören und an der musikalischen Kulturlandschaft teilzunehmen, welche auch den Bereich der Neuen Musik inkludiert. In Finnland erreicht ein Braodcast ungefähr 100.000 Hörer_innen. Im Gegensatz dazu hat die Finlandia-Hall 1.000 Sitzplätze. Selbstverständlich gibt es Unterschiede zwischen einem Live-Konzert und der Aufnahme, aber auch dies ist eine Herausforderung für die Sender, diese Gefühle und auch die Illusion zu transportieren, die Erwartung der Hörer_innen zu schüren.

Yleisradio hat zwei Programmschienen für Konzerte entwickelt. Am Konzerttag wird am Nachmittag um 14:45 die Sendung “Before tonights concert” ausgestrahlt. Dies ist auch im Internet als Podcast abrufbar. Nach dem Konzert gibt es eine 15- bis 20-minütige Live-Diskussion mit Kritiker_innen unter dem Namen (in deutscher Übersetzung) “Bluthunde”.

Diese Programme haben die Ausstrahlung von Live-Konzerten um einiges erleichtert. Auch werden die finnischen Komponist_innen gerne in ihrem Schaffen begleitet. Dies hat auch dazu geführt, dass finnische Orchester versuchen ein bis zweimal jährlich Auftragswerke zu bekommen, da es dadurch für die Radiostationen einfacher wird eine Live-Übertragung des Konzerts zu machen. Und auf Grund dieser Ausstrahlungen werden die Orchester in der lokalen und nationalen Kulturlandschaft sichtbarer.

Ein bekannter finnischer Komponist sagte, dass in die Deklaration der Menschenrechte auch aufgenommen werden sollte, dass jede und jeder das Recht bekommen soll mit der Kunst ihrer oder seiner Zeit in Kontakt zu kommen. Dies könnte im Bereich der Musik einfach durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkstationen realisiert werden. (as)