mica-Serie "Urheberrecht": Interview mit Peter Jenner

Peter Jenner, der ehemalige Manager von vielen britischen Rock-Bands wie Pink Floyd und The Clash, heute Manager von Billy Bragg und anderen KünstlerInnen, als auch Gründer von Sincere Management und einer der vorausdenkendsten und zukunftsorientiertesten Menschen im Musikbusiness, sprach mit mica – music austria über Urheberrecht als abgeschlossene Angelegenheit, über die Befreiung der jungen InnovatorInnen und wie man die Musikindustrie helfen kann sich selbst zu retten. Das Interview führte Markus Deisenberger.

Vor etwa zwei Jahren ging ich zur Premiere des Films “RIP – The Remix Manifesto” – ein interessanter Film über die aktuellen Probleme des Urheberrechts in der modernen Remix-Kultur. Der Kinosaal war halbleer, wobei ich mir denke vor fünf Jahren wäre er überfüllt gewesen. Ist das Thema des Urheberrechts, das Kämpfen mit einigen neuen Musik-Modellen, nicht mehr aktuell, oder ist es – noch schlimmer – vielleicht überhaupt zu spät für das Urheberrecht?
Ich bin 68 Jahre alt, also was weiß ich schon über die Jugend, aber ich vermute, es wird vielleicht als eine Schlacht angesehen, die bereits verloren ist. Für die Jugend ist das Thema irrelevant, da sie realisieren, dass die Kräfte, die versuchen Urheberrechte auf den neuesten Stand zu bringen, verloren haben. Und in gewissem Sinne denke ich, dass sie recht haben: Das Urheberrecht als solches ist irrelevant. Ich glaube nicht, dass wir in einer digitalen Welt unsere Geschäfte auf der Kontrolle von Kopien basieren können und dabei versuchen können, für jede Kopie, die an irgendeinem Punkt des Systems gemacht wurde, Geld zu verlangen.

Wenn wir die Grundlagen betrachten, also die Gründe warum Gesellschaften sich zum Urheberrecht verpflichten, da es kreativen Menschen ihren Lebensunterhalt ermöglicht, und anderen ermöglicht in kreative Menschen zu investieren, so scheint es mir, als war das ursprünglich abgedeckt durch die Kontrolle von Kopien. Wenn Sie ein Buch in einer Buchhandlung gekauft haben, ist ein Großteil des Geldes bei dem Verleger eingeflossen, der hat das Urheberrecht geregelt und einen Teil dieses Geldes, geregelt durch einen Vertrag, an den Schriftsteller bezahlt und hat es ihm damit ermöglicht, in andere Projekte investieren – einige Projekte haben Geld eingebracht, und einige nicht. Und das ist die ganze Basis, auf der ein großer Teil unserer Kultur errichtet wurde. Es ist ein sehr wichtiger Faktor dessen, wie Westeuropa, den USA und einige andere Länder einen Weg gefunden haben um Menschen für ihre Kreativität zu belohnen. In ähnlicher Weise haben sie es mit Gemälden gemacht. Nun, wenn wir aber in einem Umfeld sind, wo diese Kontrolle praktisch unmöglich ist, … Um noch einmal auf Ihre Frage zurück zu kommen, ich denke diese Kontrollen sind äusserst irrelevant. Der Versuch Urheberrecht als Kontroll-Mechanismus zurück zu bringen ist ein abgeschlossenes Thema. In diesem Sinne lautet die Antwort auf Ihre Frage: Ja, es ist zu spät. Aber auf der anderen Seite denke ich, dass es eine sehr entscheidende Frage ist, wie wir den Umsatz für kreative Arbeiten aller Art generieren sollen. Und ich denke da ist ein Umdenken gefragt. In einer digitalen Welt können wir nicht von einem System ausgehen, der das Kopieren kontrolliert. Das ist einfach nicht möglich. Wir sollten vielmehr in Richtung anspruchsvoller Innovation blicken.

Mit anderen Worten: Wenn die Menschen anfangen die Variablen der kreativen Inhalte zu verlagern, müssen wir einen Weg finden, wie ein Teil des Geldes zu den SchöpferInnen, als auch zu den Menschen, die sie unterstützt, in die kreative Arbeit investiert und beim Marketing und Werbung deren Arbeit mitgeholfen haben, gelangt. Diese sind weiterhin Themen die wir angehen müssen. Und wenn wir diese Themen nur in Hinblick auf Urheberrechte betrachten, werden wir nur dumme Lösungen finden.

Das ist die perfekte Überleitung zu meiner nächsten Frage: Die Verlängerung für Tonaufnahmen. Was ist Ihre Meinung dazu? War das nicht ein völlig falsches Zeichen für die ganze Musik-Szene, so großen Wert auf die Wiederbelebung alter Märkte zu legen?
Rückschritt ist ganz und gar nicht zu rechtfertigen, und hat wahrscheinlich einen negativen Einfluss auf Innovation und Kreativität. Es ist eine schrecklicher Schritt, die ich total mißbillige. Aber ich spreche hier nur für mich selbst. Es gibt absolut keine wirtschaftliche oder soziale Rechtfertigung für das, was sie gerade getan haben. Vielleicht ist es bei neuen Werken gerechtfertigt, aber für alte Werke ist es völlig absurd.

Warum werden diese Argumente immer zwischen Extremen so polarisiert, wie zwischen Cliff Richard und die Piraten, zwischen Metallica und David Byrne, zwischen Urheberrecht und freie Lizenzen? Gibt es nicht viel mehr Graustufen als dieses Schwarz-Weiß-Denken?
Ja, aber das ist wie in der Politik. Wäre ich ein Politiker der Linken, dann ist alles was ein  Politiker der Rechten sagt automatisch falsch.

Wenn ich jedoch ein Moralist, Soziologe oder sozialer Analyst wäre, könnte ich zu einem Ergebnis kommen, dass keinem von beiden passen würde, obwohl Teile von beiden enthalten wäre. Meiner Ansicht nach, gibt es ein sehr gutes Argument für die Förderung von Innovation. Es gibt ein sehr gutes Argument dafür den Menschen das Lizenzieren, das Verwenden von urheberrechtlich geschütztes Material und das Fabrizieren von Mash-ups zu vereinfachen. Ich denke es gibt da genügend gute Argumente. Es gibt aber ein paar Stellen wo ich gerne die Grenze ziehen würde und auch darüber argumentieren und diskutieren würde.

In gewissem Sinne sind die Leute der freien Lizenzen, so wie ihre Leitfigur Lawrence Lessig, dem Urheberrecht nicht abgeneigt, aber das beinhaltet das Recht der AutorInnen ihre Werke zur Verfügung zu stellen und zu sagen: “Du darfst es benutzen”. Ich verstehe ihren Standpunkt, aber ich verstehe auch, dass es nicht erlaubt sein sollte, ihre Rechte für eine zu lange Zeit abzutreten und dass es den Menschen nicht erlaubt sein sollte auf einer nicht verhandelbaren Basis kreative Werke zu kaufen und davon zu profitieren. In anderen Worten, wir sollten über  neue Strukturen und neue Verwaltungsmöglichkeiten von kreativen Arbeiten nachdenken, so dass wir einen neuen Markt entwickeln, der Dienstleistungen entwickelt, die im Internet angeboten werden und die das Publikum will, genießt und gerne dafür direkt oder indirekt zahlt, ob wissentlich oder unwissentlich. Wissen Sie, wir zahlen für viele Dinge, wie zum Beispiel Wasser oder Strom. Wasser ist nicht kostenlos. Wenn ich mein Licht oder mein Computer einschalte, muss ich nicht sofort bezahlen, aber am Ende des Monats. Und vielleicht blicke ich dann auf meine Strom-Rechnung und denke mir, oh mein Gott, ich sollte lieber etwas sparsamer sein. Sie berechnen meine Kosten auf einer gewissen Basis, und das ist der Schlüssel für die alte Art und Weise der Bereitstellung und Verteilung. Wir haben auch Bibliotheken, TV und Werbung. All diese Dinge haben Möglichkeiten gefunden, dass dafür auch bezahlt wird.

Würden Sie sagen, der beste Kompromiss zwischen – wie Sie gesagt haben – der Vereinfachung von Lizenzierungen, Mash-ups oder anderen neuen Arten von Produkten auf der einen Seite, und die Belohnung der SchöpferInnen für ihren Lebensunterhalt auf der anderen, wäre eine Pauschale?

Grundsätzlich gibt es Probleme mit Pauschalen, aber ich denke es ist keine Frage, dass eine Art Flatrate als Basis wirklich wünschenswert wäre. Es muss aber so niedrig sein, dass im gewissen Sinne die Menschen, die mehr Geld als die Pauschale vergeben wollen, da sie bestimmte Bedürfnisse haben, dies auch tun können. Die Pauschale, zum Beispiel, bietet Ihnen eine Standard-mp3-Datei oder was auch immer gerade der aktuelle Standard ist, und wenn Sie eine bessere Qualität wollen, zahlen Sie ein bisschen mehr. Oder vielleicht, wenn Sie die Inhalte für sich kuratiert, programmiert, in Wiedergabelisten gereiht und alle solche Sachen haben wollen, sind diese mit zusätzlichen Gebühren verbunden, und die Menschen, die ihr Geschäft rund um die Nutzung von diesen Inhalten bauen, sollten dafür auch etwas von ihrem Geld vergeben.

Mit dieser Situation, diese Pauschale, soll eine Basis geschaffen werden, etwa wie Brot und Butter, während die Mehrwertdienste Marmelade, Schinken und Käse oder Salami anbieten, und jeder seinen persönlichen Sandwich belegen kann. Und es könnte auch Dienstleistungen geben, die Sie mit Kuchen oder sogar Champagner versorgen, vorausgesetzt jemand möchte dafür zahlen.

Glauben Sie, es ist realistisch über eine bevorstehende Pauschale zu sprechen, wenn gleichzeitig die Europäischen Union sich nur um die Wiederbelebung alter Märkte für Major-Labels zu kümmern scheint?
Es ist reine Schizophrenie. Auf der einen Seite tun die PolitikerInnen im Moment alles um bestehende Märkte wieder zu beleben, aber auf der anderen Seite gibt es ein wachsendes verzweifeltes Bewußtsein für die Notwendigkeit in neue Technologien einzubrechen und die Entwicklung von Dienstleistungen, die mit Google, Pandora und iTunes mithalten können. In dieser Angelegenheit müssen wir auch über die Befreiung der InnovatorInnen denken – neue, junge, geistreiche und begabte Personen, die mit neuen Ideen und Möglichkeiten der Nutzung, des Zugangs, des Sammelns und Schaffens von Musik oder Produkten die Musik enthalten,  kommen, und den Aufbau von Geschäftsmodellen vereinfachen.
In den Vereinigten Staaten ist es innerhalb des Fair-Use viel einfacher ein eigenes Unternehmen zu gründen. Betrachten wir zum Beispiel Netflix in Amerika: Netflix war ein System, mit dem Sie im Zuge eines Abonnements DVDs in der Post erhielten. Also haben sie Menschen mit DVDs per Post versorgt, basierend auf ein Gesetz, dass den KäuferInnen eines Films erlaubt, alles mit dem Film zu machen was sie wollen, es zu verleihen etc. Und sie haben nicht je nach Gebrauch bezahlt, sondern danach, wie viele Filme sie brauchten. Netflix hat dazu eigene Regeln erfunden, wie sie mit ihren KundInnen umgehen. Alles war in Ordnung, bis die Portokosten stiegen und die Leute sowieso lieber Streamings wollten. So hat sich Netflix zu einem reinen digitalen Service entwickelt, ist aber zur Katastrophe geworden, als sie plötzlich die Lizenzen von allen Filmstudios mit allen möglichen Bedingungen und Einschränkungen zahlen mussten. Diese innovative Dienstleistung, die Netflix erfunden hat, wurde damit zerstört. Und jetzt findet in diesem Bereich nichts mehr statt.

Also gab es plötzlich ein ganz anderes Lizenzmodell für die eigentlich gleiche Wirkung der Verwendung von Material mit Urheberrechten.

Genau. Und die Folge ist: Die Studios haben nicht nur Netflix aussortiert, sondern sich selbst auch ein Eigentor geschossen, denn das ganze Geld, dass sie einst für den Verkauf von DVDs bekommen haben ist auch weg. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese Einnahmen ersetzt  werden, denn die Menschen werden sich lieber illegalen Diensten wie Torrents zuwenden, als einen anderen vergleichbaren Dienst zu suchen. Also müssen wir Wege finden, die mit dem Verhalten der VerbraucherInnen übereinstimmen, die mit der heutigen Technologie funktioniert, und den Menschen eine faire Art der Lizenzierung für ihre angebotenen Inhalte vereinfacht. Nun, wenn es eine Pauschale gibt, werden die Menschen womöglich sagen, dass diejenigen, die die Inhalte anbieten, nicht für den Dienst berechnet werden müssen. Sobald sie anfangen, Gebühren für diesen Dienst einzuheben, denke ich, ist es nur fair, dass ein wenig Geld zu denen gelangt, die diese Inhalte erstellen. Meine Ansichten sind jedoch in dieser Thematik noch nicht völlig ausgereift, da die Technologien sich jährlich verändern. Es ist aber wichtig, dass wir ein neues und flexibles System entwickeln und ich denke, eine Pauschale als Basis wäre ein guter Start. Werden die PolitikerInnen eine Pauschale genehmigen und einsetzen? Nein. Also, muss Folgendes passieren: Die Musikindustrie muss sich mit den KundInnen und Unternehmen  befassen, um sicherzustellen, dass sie irgendeine Form von Bezahlung von ihnen bekommen. Ich denke, die AnbieterInnen von Inhalten müssen es schneller, leichter und einfacher gestalten zu lizenzieren, was für mich bedeutet, wir müssen uns auf Zwangslizenzen zu bewegen.
Wir müssen die Industrien dazu zwingen in dem 21. Jahrhundert anzukommen und ihnen helfen, sich selbst retten. Man denke nur daran, wie die Plattenindustrie einmal das Radio stoppen wollte, da sie meinte es wäre schlecht für sie, oder wie die Filmindustrie Videos stoppen wollte, oder wie die Verlage Aufnahmen stoppen wollte und so weiter. Es ist leicht zu erkennen, welchen Schaden eine neue Technologie dem Unternehmen bringen kann, wobei es schwer zu erkennen ist, wie es dem Unternehmen in Zukunft helfen könnte. Und es ist schwer für Menschen, die noch an den alten Formen des Geschäfts hängen, zu erkennen, dass sie ihre Vorgehensweisen ändern müssen.

Sind Sie optimistisch, dass ein solch flexibles System in die Realität umgesetzt wird?
Ja, es wird sowieso so kommen. Die Frage ist, ob wir es schaffen werden, dass die Kreativen auch für ihre Arbeit bezahlt werden. Wir könnten alle problemlos in einer Welt voller Amateure landen. Nichts gegen Amateure, aber ich denke, dass Professionalität und die Platten, die in den 60er, 70er gemacht wurden, die spezifische Art wie sie entstanden sind, von einzigartiger Arbeit ohne viel Geld zeugt. Wenn viel Geld nötig wäre, hätten wir keine Werke von Michelangelo und von vielen anderen einzigartigen KünstlerInnen. Also müssen wir einen Weg finden, wo sie für ihr Handwerk wie auch für ihre Kunst entlohnt werden. Ich glaube sehr stark an den Wert eines Handwerks. Wenn Pink Floyd nicht so viele Platten aufgenommen hätten, hätte niemand auf ihre Arbeit bauen können.

Glauben Sie, dass in diesem flexiblen System die Verwertungsgesellschaften, so wie wir sie alle kennen, eine Rolle spielen werden?
Diese müssen radikal reformiert werden, sie müssen ehrlich und transparent werden, und müssen über die Grenzen hinweg zahlen. Wenn sie die lokale Kultur unterstützen, muss es geradeheraus und klar sein. Wenn sie sich nicht ändern, werden sich Verlage zurückziehen und das ist ein Desaster für die AutorInnen, die Radiostationen und alle Beteiligten. Jetzt sind sie selbst ihre eigenen schlimmsten Feinde. Das gleiche gilt für Plattenfirmen: Sie sind ihre eigenen schlimmsten Feinde. Man kann sich nicht nur auf dem eigenen alten Geschäftsmodell festhalten. Man muss sich neue Geschäftsmodelle ansehen und versuchen einen Weg durch den schwierigen Übergang zu finden. Vielleicht nicht zu meinen Lebzeiten, aber eines Tages wird es neue nationale Verwertungsgesellschaften geben, die in der Lage sind, weltweit Lizenzen auf fairer Art und Weise zu behandeln, weil auch irgendwann der EU bewusst wird, dass es im Interesse aller ist.

Vor sechs Jahren sagten Sie in einem Interview die Zukunft sei ziemlich aussichtsreich für Indie-Labels, MusikerInnen, SongwriterInnen, UnternehmerInnen sowie NetzbetreiberInnen. Würden Sie heute noch das gleiche sagen?
Ja, aber die Independents sind heute nicht mehr so schlecht dran und diejenigen KünstlerInnen, die in der Lage sind sich auf neue Technologien einzustellen, werden auf lange Sicht besser dran sein. Auf lange Sicht werden sie Wege finden mit Gleichgesinnten zu kommunizieren.