mica-Serie: Parlamentarische Enquete Musik Positionspaiere der Teilnehmer: Universität Mozarteum Salzburg

Auf Antrag aller im Parlament vertretenden Parteien findet am 3. Juni 2008 im Nationalrats-Sitzungssaal des Parlamentsgebäudes eine parlamentarische Enquete mit dem Thema “ZukunftsMusik Aktuelle Herausforderungen und musikalische Entwicklungsperspektiven in Österreich” statt. Für die Präsidentenkonferenz, eine auf Initiative von mica-music austria gegründete regelmäßige Zusammenkunft von Organisationen des österreichischen Musiklebens, ist damit ein lange vorbereiteter Wunsch in Erfüllung gegangen. Durch die im Vorfeld von mica – music austria koordinierten Vorbereitungen ist ein historisch einmaliger Themenkatalog im Konsens mit allen am österreichischen Musikleben beteiligten Organisationen von KomponistInnen, MusikerInnen und VertreterInnen der Wirtschaft entstanden. Ein Themenkatalog, der auch über die Enquete hinaus ein Arbeitsprogramm darstellt. mica – music austria präsentiert im Rahmen dieser Artikelserie die Positionspapiere der teilnehmenden Organisationen.

Musikpädagogik – Tradition und Herausforderung

Vor 10 Jahren hat die UNESCO in Stockholm einen Aktionsplan verabschiedet, in dessen Mittelpunkt die Rechte aller Menschen auf Bildung, Kunst und Kultur stehen.  Die Entfaltung kultureller Identität wurde damit in den Rang eines Menschenrechtes erhoben. Das Recht auf musikalische Bildung wird damit als Grundrecht jedes Bürgers, jeder Bürgerin anerkannt und eingefordert.
Zehn Jahre später widmet sich hier in Österreich eine von allen fünf Parteien unterstützte parlamentarische Enquete dem Thema “Zukunftsmusik”. Das macht Mut, denn es lässt hoffen, dass in Österreich das Grundrecht auf musikalische Bildung und aktive Teilhabe aller Bürger und Bürgerinnen am Musikleben Thema ist und dass der politische Auftrag zur Schaffung entsprechender  Rahmenbedingungen angenommen wird.
Tatsächlich kann Österreich im internationalen Vergleich (noch) gut bestehen: Noch haben alle Kinder in der Schule Musikunterricht; eine beachtliche Zahl von Schulen mit musikalischem Schwerpunkt sind bundesweit eingerichtet und arbeiten  auf hohem Niveau; Die Möglichkeiten zur Erlernung eines Instrumentes sind in Österreich zumindest in einigen Bundesländern  hervorragend. Der soeben in Innsbruck zu Ende gegangene Wettbewerb prima la musica hat künstlerische Leistungen von jungen Österreicher/Innen auf höchster Ebene gezeigt und gibt Zeugnis von ausgezeichneter Arbeit von Musiklehrenden in Österreich.
Musikpädagogik hat Tradition in Österreich. Dennoch, oder gerade deswegen muss sich Österreich auch der Herausforderung Musikpädagogik stellen, um seinen Bürgern und Bürgerinnen auch in Zukunft für eine selbstbestimmte und erfüllende Lebensgestaltung Musik zur Disposition zu stellen.

Herausforderung: Musikunterricht für alle

Zahlreiche und inzwischen auch schon allgemein bekannte Forschungsergebnisse aus interdisziplinären Untersuchungen belegen die positiven Wirkungen des Musizierens und anderer musikbezogener Tätigkeiten mit harten Fakten aus der empirischen Forschung. Selbst bei aller kritischen Distanz zu einer einseitigen Wirkungseuphorie lässt sich nicht mehr wegreden, welch pädagogisches Potenzial in einem reflektierten und kompetenten Umgang mit musikalischen Lernfeldern liegt: Erhöhte Konzentrationsfähigkeit, Teamfähigkeit, kommunikative Kompetenzen wie z.B. bewusstes Hinhören oder seine Stimme differenziert einsetzen können, Steigerung der Erlebnis- und Ausdrucksfähigkeit und somit auch der Lebensqualität,  ja sogar gesundheitliche Transfereffekte wie Steigerung der Immunkräfte durch Singen oder das Wissen um die entspannenden Wirkung der Musik sind einige  “outputs” musikalischer Bildung. Diese muss allen Kindern und Jugendlichen zugänglich sein.

In vielen Ländern stellen Große Orchester hauptamtlich (Musik-)Pädagogen und Pädagoginnen an um gezielte Kinder- und Jugendarbeit zu leisten. Konzertpädagogik – eine Entwicklung, die innovative Strategien erfordert und große Chancen für die Vermittlung von Musik in neuer Verortung in sich birgt. Auch in Österreich wird diese Herausforderung vermehrt realisiert, denn: Publikum tut Not. Keinesfalls darf diese Entwicklung aber dazu führen, dass sich Musikerziehung in rein logistischer Funktion eines Zulieferers für musikalische Events genügt oder gar verliert, in perfekt inszenierten Momenten der Begegnung mit Musik, die das Ziel haben ein verfügbares Konzertpublikum heran zu ziehen. Konzertpädagogik , Konzertangebote für Kinder und Jugendliche können mit dem Polieren einer Spitze verglichen werden, während  die Grundsteine nach wie vor im schulischen Musikunterricht gelegt werden müssen.. Begegnungen im Konzertsaal und im Opernhaus, die in der außerschulischen Konzertpädagogik zunehmend ermöglicht und gefördert werden, sind schöne und wichtige Begegnungen. Entscheidend für eine lebenslange Beschäftigung mit Musik sind aber vor allem die Begegnungen mit der eigenen Stimme, mit dem eigenen Rhythmus, mit  dem eigenen Körperausdruck und mit dem bewussten Hören und Wahrnehmen. Diese andauernden und nachhaltigen Begegnungen mit Musik müssen auch weiterhin in der Schule Raum finden. Es muss vorrangiges Ziel sein  intelligente und nachhaltige Strukturen bestmöglich zu fördern. Ihnen ist stets den Vorzug gegenüber eventbezogenen, ständigem Innovationsdruck folgenden Projektförderungen einzuräumen.

Musikunterricht darf auch nicht zum Luxusgut von Schulen mit schulnaher Elternschaft und entsprechender finanzieller Ausstattung werden und bei aller Profilierung einzelner Schulen darf Musikunterricht nicht zum Zierbild der Selbstdefinition einiger weniger Schulen herabgestuft werden. Musikunterricht muss integrativer Bestandteil des Bildungsangebotes aller Schulen bleiben.

 

 

Herausforderung: Musiklehrer und – lehrerinnen

Musiklehrer und Musiklehrerinnen bestimmen entscheidend die Qualität schulischen Musikunterrichts. Die Bedeutung  ihrer Aus- und  Fortbildung ist nicht hoch genug einzuschätzen. Zukünftige Musiklehrer und – lehrerinnen müssen während ihrer Ausbildung nicht nur die eigene Musikalisierung erweitern und vertiefen können, sondern sie müssen auch ihre zukünftige Rolle als Mittler zwischen jungen Menschen und Musik erlernen und einüben können. Dies kann nicht in einer  doppelschienigen Aus- und Fortbildungsstrategie erreicht werden: hier das Fach Musik und dort Pädagogik. Die Aus- und Fortbildung der Musiklehrer und -lehrerinnen muss in seiner inneren Struktur eine ausgewogene Vernetzung dieser beiden Bereiche absichern. Nur so kann gewährleistet werden, dass zukünftige Musiklehrer und -lehrerinnen die berufliche Herausforderung einer an den jeweiligen Schülern und an sich schnell ändernden musikalischen Landschaften interessierten und offenen Musikvermittlung annimmt und als spannenden Auftrag  für eine bis  zu 40 jährigen Berufslaufbahn  wahrnimmt. Dies bedeutet auch, dass sich jede/r Musiklehrer/in in seiner Ausbildungszeit als Lernender eines Aufgabenfeldes erfahren muss, das ein lebenslanges Lernen erfordert. Herausforderung der Gesellschaft muss es sein, entsprechende Rahmenbedingungen dafür zur Verfügung zu stellen.

Besonderes Augenmerk muss auf die Ausbildung der Volksschullehrer und – lehrerinnen gelegt werden. Ihre Arbeit ist entscheidend für die musikalische Bildung: Was Volksschullehrer//innen gut machen, kann nicht mehr verloren gehen, was Volksschullehrer/innen versäumen bzw. auch zerstören kann in der späteren Schullaufbahn oft nicht mehr wieder gut gemacht bzw. aufgeholt werden. Musikalische Bildung muss als Unterrichtsprinzip im Unterricht für die 6 – 10 Jährigen stets präsent sein und  kann nicht in einer einzigen Stunde in der Woche abgehakt werden. Lehrende, die nicht singen wollen und können, können auch  Kinder nicht in ihrer stimmlichen Ausdrucksfähigkeit fördern und motivieren. Lehrende, die keinen Bezug zu ihrer eigenen Musikwahrnehmung aufgebaut haben, können auch bei Kindern keine differenzierte und bewusste Wahrnehmung schulen. Daher muss Musik für alle zukünftigen Volksschullehrer und -lehrerinnen verpflichtendes Ausbildungspflichtfach mit entsprechenden Eignungsüberprüfungen am Beginn des Studiums sein. Die derzeitige Entwicklung im Bereich der Pädagogischen Hochschulen ist unbefriedigend und es besteht akuter und dringender Handlungsbedarf politisch Verantwortlicher zur Absicherung einer musikalischen Grundausbildung zukünftiger Volksschullehrer und -lehrerinnen.

Herausforderung: Außerschulische Musikvermittlung

Nicht zuletzt stellt die Bereitstellung innovativer  Modelle zur Musikvermittlung im außerschulischen Bereich und deren Vernetzung mit dem schulischen Musikunterricht eine große Herausforderung dar. Musikschulen, Konzertpädagogik, frühmusikalische Erziehung, musikalische Bildung im Feld der Erwachsenen- und Seniorenbildung sowie therapienahe Sequenzen in Präventionsarbeit und Patientenbetreuung (z.B. Alzheimerpatienten) sind nur einige Felder musikpädagogischer Herausforderung. Gut ausgebildete Musikpädagogen und – pädagoginnen sind auch hier Voraussetzung.

Zusammenfassung

Die Tradition gibt uns in Österreich grundlegende Strukturen und auch – wie an der parlamentarischen  Enquete erkennbar wird, die Sicherheit, dass es in Österreich ein tief verankertes Wissen um die Wichtigkeit des musikbezogenen Lernens gibt. Die Herausforderung besteht darin, dass Musikunterricht heute im Grundangebot des Bildungsspektrums für alle Kinder in bestmöglicher Weise abgesichert wird. Wertsicherung (kulturelle Werte), Nachhaltigkeit (für die gesamte Lebensspanne andauernd) und Umwegrentabilität (Schlüsselkompetenzen, Gesundheit, bewusste und erweiterte Lebensgestaltung, Musik als Wirtschafttsfaktor .) sind mögliche Begründung und Legitimierung für die Annahme dieser Herausforderung.
Diese Herausforderung  anzunehmen bedeutet aber für diesen Staat Aufwand:  finanzielle und personelle Ressourcen, konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Musiklehrerausbildung, breite Bewusstseinbildung und vieles mehr. Zuerst aber das Interesse und den Einsatz der politischen Kräfte dieses Landes.

O. Univ. Prof. Dr. Monika Oebelsberger
Leiterin der Abteilung Musikpädagogik Salzburg
Universität Mozarteum Salzburg