mica-Serie: Parlamentarische Enquete Musik Positionspaiere der Teilnehmer: ÖBJ (Österreichische Blasmusikjugend)Auf Antrag aller im Parlament vertretenden Parteien findet am 3. Juni 2008 im Nationalrats-Sitzungssaal des Parlamentsgebäudes eine parlamentarische Enquete mit dem Thema “ZukunftsMusik Aktuelle Herausforderungen und musikalische Entwicklungsperspektiven in Österreich” statt. Für die Präsidentenkonferenz, eine auf Initiative von mica-music austria gegründete regelmäßige Zusammenkunft von Organisationen des österreichischen Musiklebens, ist damit ein lange vorbereiteter Wunsch in Erfüllung gegangen. Durch die im Vorfeld von mica – music austria koordinierten Vorbereitungen ist ein historisch einmaliger Themenkatalog im Konsens mit allen am österreichischen Musikleben beteiligten Organisationen von KomponistInnen, MusikerInnen und VertreterInnen der Wirtschaft entstanden. Ein Themenkatalog, der auch über die Enquete hinaus ein Arbeitsprogramm darstellt. mica – music austria präsentiert im Rahmen dieser Artikelserie die Positionspapiere der teilnehmenden Organisationen. Stellungnahme der ÖBJ (Österreichische Blasmusikjugend)
1. Steckbrief
Die ÖBJ ist eine Unterorganisation des Österreichischen Blasmusikverbandes und zählt mit 89.281 aktiv in Österreich musizierenden jungen Menschen zu einer der größten Jugendorganisationen Österreichs.
Diese üben ihr Hobby in 2149 Musikvereinen aus und absolvieren jährlich 75.346 öffentliche Auftritte und die dafür notwendigen Proben.
Die ÖBJ unterstützt die Musikvereine in ihrem Bestreben, Jugendliche
. für das Musizieren zu begeistern
. zum Besuch der Musikschulen zu animieren (Instrumentalunterricht)
. in Jugendorchestern altersgemäß vorzubilden
Dies geschieht durch:
. flächendeckende Ausbildung von Jugendreferenten
. Ensemblewettbewerbe auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene
. Jugendorchesterwettbewerbe auf Landes- und Bundesebene
. Nationales Jugendblasorchester
. Weiterbildung für (Jugend)funktionäre
Darüber hinaus ist der demokratiepolitische Aspekt hervorzuheben. In Musikvereinen hat der 16-jährige Notenwartstellvertreter die gleiche Stimme wie der Obmann. Dadurch sind Jugendliche in demokratische Prozesse miteingebunden und lernen früh, Verantwortung zu übernehmen.
2. Ausgangszenario
Die Zusammenarbeit mit den tausenden Musikschulen in der Ausbildung bringt Synergieeffekte (oft in Personalunion: beruflich engagierter Musikschullehrer und musikalische- künstlerischer Leiter im Musikverein) sowohl in der Breitenwirkung als auch in der Spitzenförderung (80% der Bläser in den österreichischen Orchestern haben ihr Wurzeln in der Blasmusik), die sich vor 15 Jahren niemand erwartet hätte.
In diesem System wird der Einsatz von öffentlichen Mitteln (Musikschulen) und privatem ehrenamtlichen bürgerlichen Engagement (Musikvereine) in unnachahmlicher Weise gepaart.
Hier ist – neben dem Chorwesen – die Basis des “Musiklandes Österreich” zu finden.
Derzeit ist dieses System im Umbruch begriffen:
Fünftagewoche in den Schulen
Einen ersten Einbruch brachte die flächendeckende Einführung der Fünftagewoche in den allgemein bildenden Schulen.
1. Durch verstärkten Nachmittagsunterricht bleiben die regelmäßig durchzuführenden Instrumentalübungen (oft sogar weitgehend) auf der Strecke. Wenn die Qualität trotzdem erhalten werden konnte, dann deshalb, weil die Kinder mit der Instrumentalausbildung heute um drei bis vier Jahre früher beginnen als noch vor 20 Jahren und die Ausbildungsgänge sich um dieses Ausmaß verlängern. Die Steigerungen bei den Schülerzahlen sind zu einem guten Teil darauf zurückzuführen.
Ein weiterer Grund für die bis heute beibehaltene musikalische Qualität: Die Formen des instrumentalen Zusammenspiels (Kammermusik, Jugendblasorchester etc.) wurden ausgebaut, wodurch die Schüler auch mehr Spielpraxis bekommen.
Insgesamt wurde das System also wesentlich kostspieliger. Durch die verlängerte Ausbildungszeit am Instrument und die zusätzlichen Angebote des Zusammenspiels sollte man sich eine deutlichere Steigerung des musikalischen Niveaus erwarten. Jedoch haben Kinder und Jugendliche heute aufgrund der längeren Schulzeiten viel weniger Zeit zum Üben. Das musikalische Niveau kann nur aufgrund der Bemühungen der Musikschulen, der Musikvereine und des Blasmusikverbandes am derzeitigen Niveau beibehalten, jedoch schwer gesteigert werden. Selbst sehr begrüßenswerte Initiativen in der Begabtenförderung (z.B. finanziert das Land Kärnten hochbegabten Schülern eine kostenlose
zweite Unterrichtstunde in der Musikschule) werden dadurch konterkariert.
2. Das Zeitfenster für Vereins- und auch Musikschulaktivitäten wurde somit kleiner und konkurriert dort auch noch mit anderen Bereichen – z. B. Aktivitäten der Sportvereine. Konnte man vor zehn Jahren noch an jedem Abend in der Woche eine Musikvereinsprobe abhalten, ist das heute bei den meisten Vereinen fast nur mehr am Freitagabend möglich.
Ganztagsschule
1. Die Ganztagsschule wird bisher von den Vereinen ehrenamtlich abgedeckte Aktivitäten in die Schulen verlagern, dort also Ressourcen binden, die beim Ziel gleich bleibender Qualität gar nicht bereit gestellt werden können. Wir prognostizieren, dass (Ganztags-)schulen aus Kostengründen verstärkt fakultative musische und kulturelle Angebote zum Einsatz bringen werden, z.B. Band, Bläserklasse, Chor, etc., die nach amerikanischen oder skandinavischen Mustern im Kurssystem (also im Falle des Instrumentalunterrichts ohne speziellen instrumentalen Fachunterricht, sondern alle Instrumente im Orchesterverband = Klassenmusizieren) durchgeführt werden. Dies könnte einerseits zu einer Verbreiterung des Angebotes führen, andererseits droht aber die Gefahr der massiven Qualitätseinbuße.
2. Wenn junge Menschen zweimal wöchentlich in einer solchen Bläserklasse oder in einem Schulorchester spielen, werden sie sich fragen, wieso sie am Freitagabend noch in einem Musikverein mitwirken sollten, der zirka das gleiche Angebot beinhaltet.
Dies könnte die Vereine in arge Bedrängnis bringen, denn:
3. Wenn Musik allzu sehr “verschult” wird, könnte ihr das gleiche Schicksal drohen wie dem Zirkel in dem Fach “Geometrisches Zeichnen”: Es wird auf der Querflöte maturiert und nach der Matura wird sie weggelegt. Das Ideal des lebenslangen Musizierens wird konterkariert. (Bill Clinton in den USA ist ein prominentes Beispiel dafür – der hat sein Saxophon später allerdings aus Marketinggründen hervorgeholt – deshalb wissen wir davon).
3. Perspektiven
1. Für den Musikunterricht in den Volksschulen regen wir an, dass er analog zu “Religion” oder “Werken” von eigens dafür ausgebildeten Fachkräften unterrichtet wird bzw. dass die Erteilung von Musikunterricht durch Volksschullehrer von einer Zusatzausbildung abhängig gemacht wird.
2. Es wird erforderlich, dass der Instrumentalunterricht in der Ganztagsschule/Gesamtschule in der bisher gewohnten Qualität im Fächerkanon fakultativ angeboten wird. Hierfür ist eine Zusammenarbeit mit den Musikschulen notwendig, die die notwendigen Instrumentallehrer bereitstellt.
Weiters muss sichergestellt sein, dass die Schüler im Rahmen der Nachmittagsbetreuung ausreichend Zeit zum Üben haben und dass die räumlichen Ressourcen dafür geschaffen werden.
3. Dualität im Musikschulbereich: Musikschulen werden also neben ihrem angestammten Bereich in der Musikschule verstärkt ins allgemeine Schulwesen integriert werden müssen. Die dafür erforderlichen Gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen derart gestaltet sein, dass sie regionalen Gegebenheiten Raum geben und individuelle Lösungen zulassen.
4. Um die organisatorischen Vorraussetzungen für derartige Kooperationen sicherstellen zu können, wäre die Vereinheitlichung des Musikschulwesens – (Übernahme in Bundeskompetenz) anzustreben. Föderalismus in Ehren, aber die Zersplitterung auf Landes-, Gemeinde- und Vereinszuständigkeiten bringt größte Probleme bei der Zusammenarbeit, auch bei der Kooperation im fachlichen Bereich. Die Konferenz der Österreichischen Musikschulen (KOMU) ist als informelles Gremium ausschließlich auf den “Good Will” der Musikschulerhalter angewiesen. Jede Lehrplanänderung muss auf 10 (inkl. Südtirol) unterschiedliche Organisatorische Besonderheiten Bezug nehmen. Eine gewisse Vereinheitlichung wäre wünschenswert.
5. Darüber hinaus muss eine Kontinuität der Musikausübung durch Kooperationsprojekte mit örtlichen Vereinen gewährleistet werden. Es muss zu einer Mitwirkung in den Vereinen bereits während der Schulausbildung motiviert werden.
4. Conclusio
Somit ersuchen wir, dass die Vertreter der Musikschulen, der Musikerzieher und der Musik ausübenden Vereine und Verbände – insbesondere die Österreichische Blasmusikjugend – weitgehender in die Entscheidungsprozesse der Schulentwicklung im Bereich Ganztagsschule/Gesamtschule eingebunden werden.
Für die Österreichisch Blasmusikjugend:
Mag. Hans Brunner
Bundesjugendreferent