mica-Interview Wolfgang Mitterer

Er nähert sich Schubert und der Popmusik an, nimmt Beethoven auseinander und setzt ihn wieder zusammen, produziert Musik fürs Email-Checking und komponiert für Kinder- und Puppentheater. Wolfgang Mitterers Schaffen ist vielfältig und bleibt dabei immer überraschend und herausfordernd. Im Interview mit Sabine Reiter spricht er über seine aktuellen Produktionen.

SR: Heuer ist bei col legno Ihre CD Im Sturm.” dein! dein ist mein herz!” für Bariton, präpariertes Klavier und Elektronik erschienen, mit Georg Nigl als Sänger und mit Ihnen selbst am Klavier. Wie kam es zu diesem Projekt und welchen Anteil hat Schuberts Musik dabei?
WM:
Das war ein Auftrag der Klangspuren Schwaz, die explizit einen Liederzyklus zum Thema Schubert haben wollten. Auf Schuberts Musik bezieht sich allerdings zitierend nur das Lied Nummer 6, und auch das nur zum Teil, die restlichen Melodien sind alle von mir. Auf Schubert beziehen sich aber 70% der Texte. Es ist ein Potpourri aus sämtlichen Schubert-Liedtexten.

SR: Es klingt sehr Schubert-mäßig…
WM:
Es soll diesen Geist fühlbar machen. Es ist mir vor allem um diese Sturm und Drang-Geschichte gegangen: dass ein Mensch von den Frauen so angezogen wird, dass er fast schon verrückt wird. Das ist der Grundtenor von diesem Liederzyklus.

SR: War auch von Anfang an Georg Nigl als Sänger vorgesehen?
WM: Ja. Der Veranstalter Peter Paul Kainrath hat Georg Nigl damals in meiner Oper Massacre bei den Wiener Festwochen gehört, und wollte dann gemeinsam mit ihm einen Zyklus haben. Georg Nigl ist natürlich ein toller Sänger und außerdem guter Freund von mir, es war eine sehr gute Zusammenarbeit.

SR: Mit col legno haben sie auch die CD Sopop gemacht, mit Birgit Minichmayr. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der Burgschauspielerin?
WM:
Wir haben lange danach gesucht, wen wir da nehmen könnten. Natürlich hätte ich zuerst gerne eine 25-jährige schwarze amerikanische Soul-Sängerin gehabt, aber die laufen in Wien nicht wirklich herum. Dann hat Sven-Erich Bechtolf, ein guter Freund von Label-Mitbesitzer Andreas Schett, uns auf Birgit Minichmayr aufmerksam gemacht. Sie war gleich von dem Projekt  begeistert, und es hat sich dann herausgestellt, dass sie eine gute Wahl war, weil sie eine ganz eigene, nicht alltägliche Farbe in ihrer Stimme hat.

SR: Col legno müsste quasi für eine neue Zielgruppe produzieren.
WM:
Das glaube ich auch nicht unbedingt. Das ist ein Label für neue Musik, das sich jetzt öffnet. Die CD ist sicher kein Produkt, das man auf den Markt bringt, und dann verkauft man davon eine Million Stück, wie bei den Gregorianischen Chorälen von Heiligenkreuz. Das ist völlig utopisch. Die CD präsentiert nicht eine auf dem Markt völlig neue Marke. Außerdem besteht sie aus 17 verschiedenen Nummern. Egal welche Nummer man nimmt, sie sind alle so gedacht, dass man sie in verschiedenen Situationen einsetzen könnte. Die eine passt gut im Autoradio, die andere passt besser in der Wohnung, wenn man ganz allein ist, die übernächste kann man als Rausschmeißer in einer Diskothek spielen und noch eine andere würde da und dort auch zum Tanzen funktionieren. Das sind eher exemplarische Stücke und weniger der Versuch, eine bestimmte Sprachlichkeit von vorn bis hinten durchzuziehen. Wenn man nur vom Gedanken an den Verkauf motiviert ist, müsste man ein anderes Produkt gestalten. Die CD spielt eben nur mit dem Gedanken, deswegen heißt sie auch Sopop und nicht Pop.

SR: Sie haben ja schon einige Dinge gemacht, die nichts mit neuer Musik zu tun haben, vor langer Zeit zum Beispiel Hirn mit Ei.
WM: Hirn mit Ei ging eher Richtung Underground. Auch so etwas wie Pat Brothers mit Linda Sharrock und Wolfgang Puschnig war quasi ein Versuch, etwas hipperen Jazz zu machen. Nur neue Musik zu machen, dazu ist der Markt zu klein, das hat mich nie interessiert. Ich bin ja auch Kirchenorganist, deswegen verbringe ich aber auch nicht mein restliches Leben mit der Kirchenorgel. Es macht einfach Spaß, in verschiedenste Situationen hineingeworfen zu werden, oder sich damit auseinander zu setzen.

 

 

SR: Das war ja überhaupt der musikalische Ausgangspunkt, die Kirchenorgel in Assling?
WM:
Ich habe mit sechs Jahren die erste Messe gespielt, also war es wohl der Ausgangspunkt. Aber Kirchenlieder sind ja auch Sopop. Das Händel- Halleluja ist barocke Popmusik. In der Barockmusik wurde sehr auf Wirkung abgezielt. Es ist schade, dass in der neuen Musik die Wirkung so verpönt ist. Alles spielt sich im Elfenbeinturm ab und im Prinzip werden kaum mehr neue Klänge zu Gehör gebracht.

SR: Bei der CD Coloured noise, die bei kairos music erschienen ist, spielt das Klangforum über einem elektronischen Untergrund, dessen Bausteine aus Ihrem Aufnahmen-Fundus von Improvisationsprojekten stammen. Spielen die Musiker nach einer genauen Vorgabe, oder gibt es hier ebenfalls einen großen Anteil an Improvisation?
WM:
Ich gebe den Musikern Freiheiten in kleinen Portiönchen, um zu Klängen zu kommen, die man in dieser Art und Weise gar nicht notieren kann. Ich habe es ganz gern, wenn die Musiker nicht dauernd damit beschäftigt sind, Dinge zu denken wie: jetzt muss ich warten, jetzt habe ich Pause, jetzt muss ich ein C spielen und jetzt muss ich das und jetzt muss ich das .
Mir ist es lieber, wenn sie viel öfter denken können: ah, jetzt darf ich!, das ist dann ein völlig anderer musikalischer Zugang. Der fehlt natürlich in der klassischen Musik fast vollkommen.

SR: Kommen wir zum tapferen Schneiderlein, das bei den Tiroler Festspielen Erl gespielt werden wird. Das war Ihre erste Kinderoper und sie war gleich ein sehr großer Erfolg und ist seit der Uraufführung 2006 schon an einigen anderen Orten wiederaufgeführt worden.
WM:
Wir haben in Utrecht gespielt und in Dortmund damit ein Kinderopernhaus eröffnet, außerdem haben wir es in Wien gespielt und jetzt kommt das Stück eben in Tirol. Ich habe keine Rücksicht auf irgendwelche Klischees und Traditionen von Musik für Kinder genommen, sondern einfach versucht, ein schnelles, wendiges Werkchen zu machen, in dem die Sänger gefordert sind. Außerdem habe ich darauf vertraut, dass Kinder, wenn das Stück lustig inszeniert ist, und es auch etwas zum Schauen gibt, auf keinen Fall aussteigen werden. Dann hat sich gezeigt, dass sogar die achtzigjährigen Omis darüber lachen können. Insofern funktioniert das “Schneiderlein” ganz gut!

SR: Wie kommen Sie überhaupt auf ein Märchen?
WM: Das Märchen ist eigentlich eine Idee von Georg Dienstbier von der Wiener Taschenoper. Er wollte etwas für Kinder machen und das Thema Kinderoper ist ja nicht uninteressant, vor allem, weil auf diesem Sektor soviel Müll produziert wird. So ein Thema aufzugreifen und dann etwas experimentellere Leute zu beauftragen, finde ich im Prinzip eine sehr gute Idee. Grimms Märchen sind eine Fundgrube, und es hilft ja auch beim Verständnis, wenn die Kinder das Stück schon aus den Erzählungen ihrer Eltern kennen. Also ich persönlich habe das tapfere Schneiderlein als Kind schon sehr geliebt!

SR: Das haben sie ausgesucht?
WM:
Ja, aus mehreren Märchen, die zur Auswahl standen. Darunter auch “die zertanzten Schuhe”.

SR: Gibt die CD die Originalversion wieder?
WM: Für die Aufnahme habe ich beschlossen, doch einen Sprecher einzuführen. Diese neue Musik-Oper ist live in einer Inszenierung natürlich viel leichter konsumierbar und verstehbar als auf einer CD. Aus diesem Grund leitet auf der CD ein Erzähler durch das Stück.

SR: Eine andere Art von Theaterarbeit ist die Kooperation mit dem Kabinetttheater, mit dem sie schon sehr lange zusammenwirken. Wie kommen sie zum Puppentheater?
WM:
Der Leiter des Kabinetttheaters, Christoph Widauer hat einen starken musikalischen Bezug, kennt viele Komponisten, und kennt sich musikalisch gut aus. Dadurch konnten wir uns gleich auf einer Ebene verständigen.

SR: Er ist an sie herangetreten?
WM:
Ich war ein paar Mal im Kabinetttheater in der Porzellangasse, das ja wie ein verlängertes Wohnzimmer ist und wo man immer wieder hinreißende Stücke mit Witz und Humor sehen kann. Das Lustige am Puppentheater ist aus meiner Sicht, dass man diesen halbtoten Gesichtern, diesen Puppen, viel mehr abnimmt als einem richtigen Schauspieler. Das ist eine ganz eigene Art der Faszination.

SR: Haben Sie bei der musikalischen Gestaltung freie Hand, wie sehr geht es hier um angewandte Musik?
WM:
Das ist unterschiedlich, teilweise ist es nur angewandte Theatermusik, wenn man beispielsweise eine Atmosphäre braucht, damit ein bisschen Ruhe erzeugt wird, und der Text zur Geltung kommt. Oder es  kommt ein romantisches Orchesterstück von Korsakow vor, weil es zu dem Text passt. Das hängt sehr von den ausgewählten Texten ab. Unser erstes Projekt war die Ursonate von Kurt Schwitters, die nur aus einer Art lautmalerischen Aneinanderreihung von Silben besteht. Das war ein sehr spektakuläres Werk, bei dem ich meinen Part völlig frei gestalten konnte.

 

 

SR: Ab Ende Juli wird die Kabinetttheater-Produktion Nachtflug mit Puppen im Semperdepot aufgeführt. Worum geht es in dem Stück?
WM:
Wir spielen ein Stück noch einmal, das wir voriges Jahr schon gemacht haben, die Luftreise von H.C.Artmann, wo die Puppe in einem kleinen Köfferchen ein Logbuch findet, daraus vorliest und gleichzeitig einen Ballon steigen lässt. Die Räume im Semperdepot sind ja ziemlich hoch. Der Ballon steigt dann ganz langsam hinauf, während die Puppe  erzählt. Ich geselle mich mit dem präparierten Klavier und der Elektronik dazu.

SR: Ihre nächste col legno-Produktion ist gerade in Arbeit, Beethoven all in one. Wird das so, wie es klingt?
WM:
Das wird genau so, wie es klingt. Es ist eigentlich eine sehr einfache Idee. Ich wollte so etwas schon länger machen, aber es ist nicht so einfach, die mechanischen Rechte der Aufnahmen von Beethovens Symphonien zur Weiterverarbeitung zu bekommen. Aber das Schöne bei col legno ist, dass Teilhaber Gustav Kuhn auch ein guter Dirigent ist. Er hat alle neun Symphonien mit demselben Orchester eingespielt. Es ist immer dieselbe Stimmung, es ist immer der gleiche Oboist, immer der gleiche Trompeter. Die Sache ist ganz einfach: ich lege einfach alle ersten Sätze übereinander, alle zweiten, dritten und vierten. Dann mache ich aus allen ersten Sätzen einen ersten Satz und so weiter. Dabei kommt eine neue Symphonie heraus.

SR: Das heißt, Sie legen alle Werke übereinander und nehmen sich dann ein Stück von dort und ein Stück von da, und das Ganze passiert nur im Computer, ohne Live-Anteil?
WM:
Ja, es ist eine reine Computerarbeit. Es gibt ja auch Projekte, bei denen alle neun Symphonien einfach gleichzeitig abgespielt werden, ohne irgendeine Gestaltung. Das ist natürlich vollkommen langweilig, so eine ungestaltete Kakophonie. Oder es gibt ein Stück, in dem Beethovens 9. Symphonie auf 24 Stunden gestretcht werden. Was dabei herauskommt, ist ein sehr inhomogener, nicht gestalteter, nicht durchgehörter Schlauch von eher einheitlichem Klang. Aber wenn man die Ausschnitte ineinander wachsen lässt, und man hört plötzlich fünf Takte im Original aus der dritten Symphonie und dann kommt ein Schlag aus der Neunten und dann kommen zwanzig Sekunden aus der Achten, da entsteht sozusagen eine neue Symphonie.

SR: Alle neun liegen auf dem Computer untereinander, sie können anhören was da gleichzeitig kommt, und dann auswählen?
WM:
Ich kann es natürlich schieben, das Tempo ändern und durch Filter und Hallfahnen in einen elektronischen Raum bringen. Das ist ein lustiges Projekt. Ich war nie ein besonderer Beethoven-Symphonie-Fan, aber wenn man sich die besten Sachen aus den verschiedenen Symphonien rausholt, dann wird es nicht unlustig. Das wird im August fertig komponiert sein.

SR: Sind schon weitere Sachen in Planung?
WM:
Es gibt eine CD, die ich schon fast fertig habe. Das wird ein Produkt, das aus fast nichts außer ganz zarten Atmosphären besteht. Der Ausgangspunkt war, eine Art Music for Email-Checking zu machen, oder etwas, das man hinter dem Aquarium rennen hat, oder wenn man Ruhe haben will. So ähnlich wie Morton Feldman, aber eben am Computer generiert. Das möchte ich noch machen, und dann schauen wir weiter.

SR: Gibt es eine Art Traumprojekt, das auf den ersten Blick eigentlich total unrealisierbar erscheint, und das sie trotzdem gerne einmal machen möchten?
WM:
Ja, im Rahmen der Euro 2017 die Wiener Philharmoniker, die Symphoniker und die Staatsoper im Atlantik versenken und die Ministerin schaut bei einem Glas Sekt dabei zu!

CD Im Sturm.” dein! dein ist mein herz!” Georg Nigl, Bariton, Wolfgang Mitterer, präpariertes Klavier, Electronics
CD Sopop, featuring Birgit Minichmayr
CD Das tapfere Schneiderlein, Das tapfere Schneiderlein,
Kleine Oper nach den Brüdern Grimm, Musik: Wolfgang Mitterer, Libretto: Helga Utz
www.col-legno.com

CD Coloured noise; brachialsymphonie für 23 musiker und electronics
Klangforum Wien, Peter Rundel, Dirigent, Wolfgang Mitterer; Orgel
www.kairos-music.com

Tiroler Festspiele Erl
Das tapfere Schneiderlein
4.7., 5.7.
www.tiroler-festspiele.at

theater an der wien im semperdepot wien:
mit dem wiener kabinetttheater
Nachtflug mit Puppen
30.07, 31.07, 03.08., 06.08., 07.08.
www.theater-wien.at

Weitere Aufführungen:

Wolfgang Mitterer, Patrik Pulsinger, Paul Lovems, Wien Zacherlfabrik, 7.9.
massacre, porto Teatro Nacional Sao Joao, Porto, 20. 09., 21. 09.
massacre, box blocks, Orgelkonzert, “go next”, Festival Musica Strasbourg, 26.-28.9.
massacre, Scène Nationale d’Orléans, 3.10., 4.10.
massacre, box blocks, Paris,Théâtre de Saint Quentin en Yvelines, 9.10.
Kantaten von J.S.Bach, Wiener Konzerthaus, 5.11.
Wolfgang Mitterer, Wolfgang Reisinger, Raphael Preuschl, Grabenfesttage Wien, 27.11.