Am 6. Mai startet das erstmals stattfindende Popfest in Wien. Drei Tage lang präsentiert sich nahezu alles was in der Wiener Popszene Rang und Namen hat auf dem Karlsplatz und den umliegenden Kulturinstitutionen. Für die Programmierung des Festivals verantwortlich zeigt sich der in London lebende Musiker und Journalist Robert Rotifer. Das folgende Interview führte Michael Ternai.
Wie ist man eigentlich auf dich gekommen?
Gute Frage. Und auch eine längere Geschichte. Ich habe einmal im Falter einmal eine ganz kleine dreispaltige Enthusiasmus-Kolumne zum Thema „die beste Popstadt der Welt“ geschrieben. Das war natürlich etwas überzogen. Mein eigener Titel wäre gewesen „Alles, nur keine Szene“, wobei ich den eh noch irgendwo anders untergebracht habe. Auf jeden Fall stellt man beim Falter immer die Frage, wer denn ein Thema für die Enthusiasmus-Kolumne hätte, ob über dies und das schon einmal geschrieben worden ist. Darüber, dass es in Wien unglaublich viele gute Musik gibt, was seit einiger Zeit doch schon recht augenfällig war, wurde eben noch nichts berichtet. Und dann habe ich eben darüber geschrieben, worauf Leute gesagt haben, endlich dass das jemand feststellt.
Den Christoph Möderndorfer kenne ich ja schon sehr lange. Er hat gemeinsam mit dem Alexander Spreitzer, den ich noch aus der Soul 60s- und Ska-Szene gekannt habe, ja in den neunziger Jahren eine Reihe von Soulparties veranstaltet. Die haben eine Veranstaltungsnacht gehabt, die Heartbeart geheißen hat. Jedenfalls wurden Christoph Möderndorfer und ich von Alexander Spreitzer einander vorgestellt. 2008 habe ich Christoph auf der Kunstzone am Karlsplatz wiedergetroffen, wo ich während der EM ja auch ein Konzert gespielt habe. Dort sind wir eben zusammengesessen und haben uns unterhalten. Auf jeden Fall ist dann kurz nachdem die Kolumne veröffentlicht worden ist, wie aus dem Blauen heraus der Anruf aus Wien gekommen, ob ich nicht Interesse hätte, ein Festival mit diesen Wiener Bands zu machen. Ich habe mir dann schon gedacht, eigentlich gehört so etwas schon einmal gemacht.
Außerdem erinnerte ich mich an einen regen Myspace-Mail-Verkehr zwischen mir und dem Trojanischen Pferd vor ein paar Jahren, indem ich einmal gemeint habe, dass ich es nicht verstehe, dass sich österreichische Bands immer noch mit der Rolle der Vorband zufrieden geben müssen. Du spielst entweder im B72, im Chelsea oder du bist eben Vorband. Warum mietet man sich doch nicht einmal gemeinsam mit anderen Bands die Arena, meinte ich. So haben wir das früher ja auch gemacht. Wie auch damals als sich meine Ur-Uralt-Band die Losers aufgelöst hat. Kurz darauf wollte der Sänger sein neues Projekt The Ballyhoo vorstellen und bat mich doch als Vorgruppe zu spielen. Wir haben uns kurz gefragt, wo wir das machen könnten. Naja, in der Arena eben. Das war 1990. Es war irgendwie kein Problem. Dem trojanischen Pferd hab ich geraten, sie sollten doch auch einmal selbst etwas aufstellen und nicht immer nur darauf warten, bis irgendetwas passiert. Da ist es dann einige Zeit ein Hin und Her gegangen, um zu klären, wie man so etwas machen könnte. Daraus ist zwar nie etwas geworden, aber wie ich von Christoph Möderndorfer kontaktiert worden bin, habe ich natürlich sofort an diesen Mailverkehr denken müssen. Ich habe mir gedacht, das wäre doch die Möglichkeit, so etwas wirklich einmal zu machen.
Er erklärte mir, dass sich über karlsplatz.org so ein Projekt realisieren lassen ließe. Zudem sich die Stadt Wien sich ja bereit erklärt hat, so etwas eventuell zu finanzieren. Da hat es eben geklingelt. Diese Gelegenheit sollte man auf keinen Fall vorübergehen lassen. Wenn du jetzt nein sagst, ärgerst du dich die ganze Zeit. Ich musste also irgendwie ja sagen, obwohl ich es ja nicht automatisch als meine Aufgabe verstanden habe. Dann ist es losgegangen, wobei wir versucht haben, sehr seriös zu sein und mit konkreten Angeboten so lange zu warten, bis die Finanzierung tatsächlich gesichert ist.
Der Beginn der Planungen reicht also schon länger zurück.
Die haben im November, oder sogar schon im Oktober begonnen.
Du bist ja schon seit vielen Jahren in London. Trotz deiner engen Verbindung zur österreichischen Popszene, warst du überrascht davon, wie viel sich in Wien auf diesem Sektor tut?
Ich war sehr überrascht. Ich muss ganz ehrlich sagen, es hat auch mit meiner Radiosendung zu tun. Ich bekomme natürlich viele Dinge zugeschickt. Und jahrelang habe ich Sachen zugeschickt bekommen, bei denen ich mir gedacht habe, okay, das ist jetzt alles gut gemeint, aber es geht sich nicht ganz aus. Gott sei Dank ist es jetzt nicht meine Hauptaufgabe ausschließlich österreichische Musik zu spielen, aber in den letzten Jahren war es dann doch auffällig, dass so viel wirklich Gutes reingekommen ist, was ich unbedingt in der Sendung spielen wollte. Zudem beginnt man in Folge zu recherchieren, weil man ja wissen will, wer diese Band wirklich ist. Und über die findet man in Myspace wiederum andere Bands, von denen man über diese Distanz nie vorher gehört hat. Und man denkt sich, eigentlich sind die auch gut. Wobei man dazu sagen muss, das hat sich über die Jahre hinweg entwickelt. Zum Beispiel Velojet, die ich vorher nicht gekannt habe. Beim Anhören ihres ersten Albums habe ich mir gedacht, unglaublich, dass es so einen Popband in Österreich gibt. Eine so unbeschwerte Popband wäre in den 90er Jahren schlicht und einfach nicht erlaubt gewesen. Es war schon so eine graduelle Annäherung. Obwohl es für mich vielleicht wirklich spannender war als für die Leute hier, weil ich diese Bands und die Szene ja nicht mehr so gekannt habe. Der einzige Bezugspunkt das Wien, das ich verlassen habe.
Wie erklärst du dir diese Entwicklung, diesen offensichtlich hohen Professionalisierungsgrad?
Als Musiker muss ich sagen, sie spielen einfach besser. Das ist einfach wahr. Ich finde es ja immer lustig, wenn Leute sagen der Nino aus Wien spiele dilettantisch. Der weiß ja ganz genau, was er macht. Und die Leute, die mit ihm in der Band sind, sind ja auch unglaublich. Ich kann mich sehr gut an das Niveau erinnern, dass wir so in den achtziger und neunziger Jahren gehabt haben. Es ist zwar unter Musikjournalisten irgendwie unschicklich darüber zu sprechen, weil man ja in der Punktradition aufgewachsen ist – drei Akkorde und „form a band“. Das klingt ja romantisch, aber es hilft schon, wenn eine Band spielen kann.
Oft meint man ja hierzulande, dass man als Band und Musiker zuerst im Ausland erfolgreich sein muss, bevor man in Österreich anerkannt wird. Ist eines der Ziele des Popfests mit dieser Regel einmal zu brechen?
Ich habe mir schon einmal überlegt, woran das liegen kann. Auf eine richtige Weise spielt der Gedanke an einen internationalen Erfolg im Moment eine untergeordnete Rolle. So kommt es mir zumindest vor. Auf eine andere Weise ist der Gedanke natürlich schon da, wobei nicht mehr so ausgeprägt wie früher. Die Leute hier haben schon das Gefühl, dass was sie jetzt tun, ist schon das wohin sie hin wollen. Sie hätten ganz gern, ich spreche jetzt für andere, internationale Anerkennung und sie sind auch bereit sehr viel dafür zu tun. Aber es ist nicht mehr so wie früher, dass, wenn jemand in Berlin oder London sagt, er findet das gut, man das sofort in seine Info schreibt, als hätte man einen Verdienstorden umgehängt bekommen. Und so war das dann schon in Österreich. Es wurde vieles überhaupt nicht ernst genommen. Und es gab einen groß entwickelten Zynismus. Ich glaube mein Wegziehen hat mir sehr geholfen, diesen Zynismus abzulegen. Ich habe über Jahrzehnte jetzt schon mitbekommen, wie Bands etwa in Großbritannien aufgebaut werden, auch wenn sie noch nicht weit sind. Auf jeden Fall wird dieser Prozess in Kontinentaleuropa und natürlich in Österreich auf die Art reflektiert, als hätten die dort einen Zugang zu magischen Ingredienzen, die den Bands hier versagt bleiben. Diese Einstellung scheint jetzt irgendwie weg zu sein. Ich habe englischen Freunden den Nino aus Wien vorgespielt und es ist dann eigentlich relativ egal, ob die verstehen, was er singt. Die können das schon ausmachen, dass da etwas ist.
Meinst du, dass in Österreich etwas wirklich Spezifisches entstanden ist?
Das Schöne ist, wir unterhalten uns die ganze Zeit in Allgemeinplätzen. Aus gutem Grund, weil die Sachen ja so verschiedenartig sind. Gott sei Dank gibt es jetzt kein gemeinsames Gurkenglas für alle. Das Schöne am Popfestprogrammieren war, dass ich versucht habe, Bands, die sich schon irgendwo an einem Punkt treffen, stilistisch aber ganz, ganz weit voneinander entfernt sind, zusammenzubringen. Früher war das so, dass man sich auf ein Ding geeinigt hat, von dem man geglaubt hat, dort läge die Zukunft. Dann sind plötzlich alle Gitarrenbands Elektroniker geworden oder alle Elektroniker haben von heut auf morgen wieder den Song für sich entdeckt. Jetzt scheint es mir so, als würden unglaublich viele Sachen auf einmal passieren. Deshalb kann ich jetzt nicht einmal eine allgemeine Aussage darüber treffen, ob das nun wien- oder österreichspezifisch ist, ob nun ein bestimmtes charakteristisches Merkmal zu erkennen ist. Das wäre ja ein Widerspruch, weil ja alles verschieden ist. Natürlich höre ich in Tanz Baby burgenländische Volksmusik raus. Natürlich kann man bei Hören von Ernst Molden, die Wiener Gruppe nicht wegdenken, wenn man sich anschaut, wie er die Texte transkripiert. Aber ich könnte nicht behaupten Dorian Concept hätte etwas von der Wiener Gruppe aufgeschnappt. Bunny Lake zum Beispiel ist komplett Globalpop-Projekt.
Es lässt sich, und das ist die gute Sache, kein spezifisch Wiener oder Österreichischer Sound ableiten. Umgekehrt aber tauchen MusikerInnen, wie etwa Hans Wagner vom Trojanischen Pferd, in so vielen anderen Sachen auf, die nicht viel mit dem zu tun haben, was sie sonst machen. Die MusikerInnen haben die Reife, das anzuerkennen. Da können Velojet in ihren Songs Streicher einbauen, ohne Angst haben zu müssen, Leute könnten das uncool finden. Da war das Dünkldenken früher schon sehr viel stärker.
Ich war vor kurzem bei der Präsentation des achtziger Jahre Samplers „Neonbeats“. Es war ganz lustig, fast wie eine Art Klassentreffen. Ich habe das Gefühl gehabt, wobei ich hier nicht für alle spreche, als würde man sich sehen und sich freuen die alten Gesichter zu sehen. Nach ein, zwei Stunden waren dann plötzlich die alten Ressentiments doch wieder hochgekommen. Es wurde dann schon ziemlich viel übereinander gemotzt. Da erinnert man sich dann schon an die Verhältnisse, die noch vor Jahren vorgeherrscht haben, die Abgrenzung voneinander. Da habe ich heute schon das Gefühl, dass auf eine gesunde Art dieser Abgrenzungsbedarf eigentlich kaum mehr vorhanden ist.
Bei der Programmierung des Popfests hat sich auch niemand in dieser Richtung geäußert. Affine Rec. zum Beispiel haben gemeint, das Popfest sei zwar ein Singer/Songwriterfestival – was es nicht ist – aber sie fänden es cool dort etwas zu machen. Der Punkt ist, dass sie kein Problem damit gehabt haben. Dass sie keine Sekunde gedacht haben, das Popfest könnte uncool für sie sein. Insgesamt herrscht das mehr Bedürfnis, sich mit anderen zusammenzutun, als sich voneinander abzugrenzen. Das finde ich sehr gesund. Das war eine der positiven Überraschungen für mich.
Wirft man einen Blick auf das Programm, sieht man, dass wirklich nahezu alles dabei ist was Rang und Namen hat. Dennoch, wen hättest du dir vielleicht noch gewünscht?
Ich habe überhaupt kein Problem, dir das ganz genau zu sagen. Wir haben Gustav angesprochen, die Sofa Surfers, wir haben Ja, Panik angesprochen, wir haben Kreisky angesprochen und Soap&Skin. Für jeden einzelnen dieser Acts gibt es mehr oder weniger interessante Geschichten, warum es dann doch nicht geklappt. Die Sofa Surfers sind nichtgegangen, weil der Schlagzeuger an diesem Wochenende weg ist, ganz banal. Bei Ja, Panic ist einer der Musiker auf einer Hochzeit. Aber der Andreas Spechtl spielt ja ohnehin bei Songs of Claire Madison mit. Bei Soap&Skin haben wir viel gemacht, um ihren Anforderungen gerecht zu werden. Solche Sachen wie etwa die drei Backstageräume, die verschließbar sein sollten, die 180 Soundcheck und 180 Minuten Lichtcheck wären ja durchgegangen. Im Vertrag ist dann aber auch ein Passus dringestanden, dass sie bei Schlechtwetter nicht spielt und es wäre die Sache des Managements zu bestimmen, was Schlechtwetter ist. Und das wäre meines Wissens, auch bei voller Gage gewesen. So etwas kann man nicht unterschreiben. Was ist, wenn es tröpfelt oder ein bisschen regnet. Außerdem muss man sagen, dass wir eine Schlechtwetterlocation haben, den Prechtl-Saal. Nur wollte ihr Booker auch nicht, dass sie dort spielt. Da sage ich schon, das sind öffentliche Gelder, mit denen man seriös umgehen muss. Ist zwar schade, aber da kann man jetzt auch nichts tun. Mit Gustav haben wir lange Zeit hin und her gemailt, es sich eben nicht ausgegangen. Aber sie hat uns viel Spaß und gutes Gelingen gewünscht. Kreisky wiederum sind bei der Eröffnung der Wiener Bezirkswochen dran, und die finden auch am Karlsplatz statt.
Was aber immer mitschwingt und was ich von manchen Seiten höre, ist die Sache mit dem Donaufestival. Wie ich das zum ersten Mal gemerkt habe, hat es mich natürlich auch nicht gefreut. Wir sind aber zum Schluss gekommen, dass wir es an diesem Wochenende machen müssen. Eine Woche davor ist der erste Mai, und an dem Tag kannst du in Wien an öffentlichen Plätzen nichts machen. Die Woche danach ist die Eröffnung der Festwochen. Wiederum eine danach ist das Stadtfest. Und dann bist du wieder beim Donauinselfest angekommen. Und vor Mai in Österreich ein Open Air zu machen, ist einfach zu riskant. Es ist also nicht anders gegangen. Und im Endeffekt war dann auch der Gedanke, dass das Donaufestival ja eine andere Richtung geht. Es kommen in Krems zwar auch österreichische Acts auch vor, aber nicht in erster Linie. Außerdem denke ich mir, wenn man ein gewisses Selbstbewusstsein als Musikstadt hat, muss man auch mit solchen Dingen leben können. Unser Herz ist jetzt groß genug diese zwei Sachen aufzunehmen.
Inwieweit siehst du das Popfest als Pilotprojekt an. Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath Pokorny hat ja im Rahmen der Pressekonferenz ja durchblicken lassen, dass eine längerfristige Sache daraus werden könnte.
Es ist ja kein Geheimnis, dass in Wien gewählt wird. Wir haben ganz klar gemacht, dass das Festival auf keinen Fall Teil einer Wahlkampagne sein kann. Was aber schon klar ist, ist das niemand weiß, was nach der Wahl passieren wird. Und wer immer dann das Kulturressort haben wird, wird hoffentlich Interesse zeigen, das Festival, sollte es ein großer Erfolg werden, wieder zu veranstalten. Es ist ein subventionsabhängiges Festival, weil es ein Gratisfestival ist. Ich würde es mir wünschen. Tex Rubinowitz hat, wie ich zum ersten Mal das Plakat gepostet habe, geschrieben, dass die Mäuse, die Parasiten den Festivaltiger in 16 Jahren von innen auffressen werden. Ich habe ihm zurückgeschrieben, dass ich sehr, sehr glücklich wäre, wenn der Tiger so lange lebt.
Wärst du offen dafür, auch im kommenden Jahr mitzumachen?
Das ist die Frage. Das können natürlich auch andere machen. Die Sache ist die, wie ich begonnen habe die Leute zu kontaktieren, habe ich mit dem Hannes Tschürtz geredet. Er meinte, er hätte so etwas Ähnliches auch schon vor gehabt. Nur war die Frage, wie man so ein Projekt finanzieren und machen sollte. Da sieht man erst, was Christoph Möderndorfer alles geleistet hat. Und wer könnte das machen, bei dem es nicht so wirkt, als würde er seine eigenen Leute promoten. Ich bin zwar auch in die Sache involviert, stehe aber doch etwas draußen. Er hat gesagt, und da zitieren ich ihn: „Da bist du ja ideal dafür.“ Das heißt aber nicht, dass, wenn das Festival nächstes Jahr nochmals stattfindet, ich es machen wieder muss. Ich weiß es noch nicht. Ich schaue mir das jetzt einmal, wie es für mich ist. Weil es war schon sehr harte Arbeit. Viel mehr als ich mir gedacht habe. Christoph hat mich gewarnt. Das Schwierigste ist das Banalste, die Koordination von Terminen und ähnliches. Wir werden sehen, ob ich am Ende noch Lust habe. Aber ich habe jetzt das schon Gefühl, denn es schaut so aus, dass es eine Menge Spaß wird.