mica-Interview Richard Dünser

Vom 10. bis 14. September 2008 findet in Mürzzuschlag das Internationale Brahmsfest zum 175. Geburtstag von Johannes Brahms statt. Als Composer in Residence ist Richard Dünser eingeladen. Sabine Reiter hat ihn im folgenden mica-Interview zu den Werken, die beim Brahmsfest aufgeführt werden, befragt.

SR: Beim Brahmsfest werden die von dir für Sopran und Ensemble bearbeiteten Volkslieder von Brahms aufgeführt. Wie sieht deine Verbindung zu Johannes Brahms aus?
RD: Also bei diesem Liederzyklus – den Namen habe ich ja einem der deutschen Volkslieder von Brahms entlehnt, Da unten im Tale, das übrigens, glaube ich, sogar ein österreichisches Volkslied ist. Es steht ja so halb im Dialekt “Da unten im Tale läufts Wasser so trüb, ich kann dir’s nit sagen, i hob di so liab”, ich glaube das ist ein Kärntnerlied. Diese deutschen Volkslieder verfolgen mich eigentlich seit zwanzig Jahren, die habe ich immer schon wahnsinnig gern gehabt, ich habe sie sehr oft begleitet, manchmal sogar selber gesungen. Ich wollte eigentlich immer etwas damit machen und zwar aus dem Grund, weil Brahms etwas unglaublich Geniales gemacht hat. Er hat aus diesen Volksliedmelodien, die er übrigens manchmal ein bisschen verfälscht und umgeändert hat – er hat zum Beispiel durch kleine Kniffe und Änderungen aus einem Dur-Lied ein Moll-Lied gemacht – er hat aus diesen Volksliedern absolute Kunstlieder gemacht. Er hat sie in seine Musik hereingeholt und das ist eine unglaublich große Leistung, denn normalerweise erfindet man ja die Melodie mit der Begleitung zusammen, aber er hat nachträglich die Begleitung dazu komponieren können, so, als wäre sie immer da gewesen. Er hat eine unglaubliche Kompositionstechnik gehabt. Diese Lieder sind voll mit unglaublich schönen satztechnischen Kniffen und kompositionstechnischen Reichtümern, und das hat mich immer daran fasziniert.

Ich habe mich mit diesem Liederzyklus bemüht, diese Dinge in einem besonderen Maß und von einem subjektiven Standpunkt aus hörbar zu machen. Mit der Vollendung von Schuberts letzter Oper, Der Graf von Gleichen, die 1996 in meiner Vollendung und Version bei der styriarte uraufgeführt worden ist, habe ich mich schon einmal auf so schwieriges Terrain gewagt. Damals habe ich mich sehr genau mit Zenders Winterrreise befasst, und das hat mir ein paar Ideen für die Brahmsschen Volkslieder gegeben. Ich habe sie so instrumentiert, wie ein Komponist des 21. Jahrhunderts sie instrumentieren würde, obwohl es den Leuten, da das gewohnte tonale Idiom vorhanden ist, gar nicht so auffällt, dass es eigentlich wie Webern instrumentiert ist. Das war für mich spannend, weil die Dichte und Tiefe, die in diesen Liedern, die ich mir ausgewählt habe, drinnen sind, es erlauben, in so einer Feinheit zu instrumentieren. Ich habe vieles gemacht, was ich mich nicht getraut hätte, bevor ich den Schubert gemacht habe. Die Schubert-Oper war in der Hinsicht für mich natürlich eine Befreiung. Es gibt da verschiedene Dinge, vom Tonalen bis zum Atonalen, von der Übermalung bis zur Ergänzung – bis zur Fälschung, wie Schnittke gesagt hat. Er hat ja einmal zu einem Stück gesagt: “Alle altmodischen Dinge in diesem Stück sind von mir persönlich gefälscht worden”. Beim Schubert habe ich schon ein bisschen angefangen zu fälschen und beim Brahms habe ich mir auch einige Sachen erlaubt, die deswegen nötig waren, weil ich komplett vom Klavieridiom weggegangen bin, zu einer Besetzung von fünf Bläsern, fünf Streichern und einer Gitarre. Ich habe ganz schlimme Sachen gemacht, die man nicht machen würde, wenn man nur instrumentiert, aber ich habe einen vierstimmigen Bläsersatz herausdestilliert und meine subjektive Empfindung hineingebracht. Beispielsweise bei Es steht ein Lind in jenem Tal habe ich, obwohl mit kleinem Instrumentarium, doch in der Atmosphäre, in der Stimmung so komponiert, als wäre es aus dem deutschen Requiem von Brahms, ein Requiem auf eine Liebe.

Stofflich und von der Dramaturgie her, habe ich das so angelegt, dass dieser Zyklus eigentlich alle Arten von Liebe in sich schließt. Es fängt an mit Schöner Augen schönes Strahlen. Eigentlich beginnt es schon mit Eifersucht, da kommt eine tolle Textstelle, die mich fasziniert hat, “denn du bist vom Flandern, liebst ein um den andern” – er hat schon tolle Volksliedtexte ausgewählt. Es ist von Eifersucht, Hass, Enttäuschung die Rede, wie eben in Es steht ein Lind in jenem Tal, ein Abgesang auf eine Liebe. Da unten im Tale ist natürlich traurig, eine Besingung des Abschieds. Da kommen alle Facetten von Liebe vor, und der Schluss ist natürlich das Highlight, Der Fiedler: Es wohnet ein Fiedler zu Frankfurt am Main. Das handelt von einem buckligen Fiedler, der durch die Kunst erlöst wird, er muss für die Hexen spielen. Da kommen übrigens die leeren Violinsaiten im Klavier vor, e a, a d, d g, das darf man deswegen nicht transponieren, nur in a-moll spielen. Ich habe das natürlich wieder in die Violine zurückgeholt, wenn der Fiedler seine Geige stimmt. Dieser Fiedler spielt für die Hexen, er macht für sie Kunst, und dafür wird ihm der Buckel abgenommen und also sozusagen die Erlösung durch die Kunst, das ist dann der Schlusspunkt von dem Ganzen.

SR: Beim Brahmsfest werden von Rafael Catalá auch deine “Quatre Tombeaux”  für Gitarre aufgeführt. Tombeaux sind mit der französischen Lautenmusik des 17. und 18. Jahrhunderts verknüpft. Sind diese vier  “Grabsteine” für jemand Bestimmten geschrieben?
RD:
Das ist für niemand besonderen. Es ist eigentlich eine abstrakte Trauermusik. Ich bin durch altfranzösische Gambenmusik dazu inspiriert worden. Es gibt unglaubliche Gambenstücke, da spielen zwei Gamben unglaublich depressiv, ganz schwarz und melancholisch. Es ereignet sich gar nichts, die spielen dahin und es geht eigentlich ziemlich direkt rein ins Herz. Das hat mich wahnsinnig fasziniert. Außerdem habe ich diese Stücke in einer Zeit geschrieben, während der ich nach der Schubert-Oper unsäglich  erschöpft und total müde war, und gar nicht die Kraft für ausbrechende und wilde Stücke gehabt hätte. Da habe ich mir das Extrem erlaubt, vier ähnliche, langsame Stücke zu schreiben, so wie in Schostakowitschs letztem Streichquartett, in dem es nur langsame Sätze gibt. Das ist eigentlich etwas, von dem man jedem Kompositionsstudenten natürlich dringend abraten würde, da man sich total des Kontrasts enthebt. Genau dieses Tabu hat mich aber gereizt, das zu machen. Wahrscheinlich hat genau das auch Schostakowitsch gereizt – etwas Verbotenes zu tun. Das ist immer wieder spannend, und ich mache das auch immer wieder gerne in allen Stücken. Das waren eben Stücke, die mit wenigen Klängen auskommen und nur nach innen hören, die quasi ereignislos sind, entmaterialisiert. Die gehen mehr auf die Stimmung, Spielfiguren fehlen. Die Stücke sind dann auch von vielen Leuten gespielt worden, beispielsweise von den Stargitarristen Rafael Català, der mir den Auftrag gegeben hat, und Alexander Swete. Man muss sich beim Komponieren immer wieder der Herausforderung stellen, ein paar Schikanen einbauen, sonst würde es ja zu langweilig werden.

SR: Hast du auch typische formale Elemente bzw. Formen verwendet, wie  Allemande, Pavane, absteigende und aufsteigende Skalen?
RD: Überhaupt nicht. Ich habe mir damals ein Gitarrengriffbrett aufgezeichnet, das habe ich mir aufs Klavier gelegt und bei jedem Akkord ausgerechnet, ob man das auf der Gitarre spielen kann. Es gibt Grundstrukturen, aber nicht so sehr geplant, wie in vielen meiner anderen Stücke, sondern ich habe da einfach nach innen gehört, aufs Griffbrett geschaut und die Klänge geschrieben.

SR: Mürztal-Brass wird beim Brahmsfest Caravallium zu Gehör bringen: Was meint der Titel?
RD: Das muss man ein paar Mal aussprechen, Caravallium, Caravallium, Cravallium, Cravall, dann entdeckt man das, was fünf Blechbläser auch gerne machen, dadurch bin ich auf den Titel gekommen. Übrigens ist es auch einmal im spanischen Kulturinstitut in Wien gespielt worden, und da hat der Botschafter gesagt, ein sehr schöner Titel, Cara Valium! Dann habe ich ihm aber den Titel erklärt und da war er nicht mehr so begeistert von der Titelfindung, er hat scheinbar etwas anderes damit assoziiert. Von der Struktur her ist es eines meiner am strengsten gebauten Stücke, denn es hat so eine Brückenform, eine symmetrische Sonatenform, die in der Mitte dann wieder rückwärts läuft, mit Themen, die wiederkehren. Das ist ziemlich schwer, eine große Herausforderung für die Spieler. Das war eine ganz wichtige Auseinandersetzung mit der Sonatenform. Ich habe es noch während des Studiums geschrieben.

SR: Tonal oder atonal?
RD: Das kann man eigentlich schwer sagen. In meiner Studienzeit, vor etwas mehr als dreißig Jahren, war das immer das Hauptthema. Heute ist das  eigentlich auch für die jungen Komponisten gar nicht mehr so sehr das Thema. Es gibt eigentlich alles, man darf alles machen und man sieht es auch gar nicht mehr so ideologisch. Es ist manches tonal, was atonal geglaubt wurde und manche tonale Musik ist eigentlich fast atonal, wenn man sich jetzt manches von Wagner oder Mahler und so weiter, anhört.

SR: Du beschäftigst dich gerne mit Klassikern, hast auch die Fantasie in f-moll von Schubert bearbeitet.
RD: Ja, und gerade Schubert war besonders wichtig für mich. Diese Fantasie von Schubert war dann auch der Anlass, dass damals Dirigent Andreas Stöhr und die styriarte an mich herangetreten sind mit der Schubert-Oper. Und die Oper hat dann den Brahms nachgezogen, von mir aus gesehen. Wobei ich sagen muss, die Schubert-Oper, hat für mein Komponieren sehr viel bewirkt. Ich habe ja das Autograph von Schubert in einer Faksimile-Ausgabe vorliegen gehabt, und dass ich da so nah bei ihm dran war, und gesehen habe, wie er geschrieben hat, mit welcher Schnelligkeit, das hat viel für mein eigenes Komponieren verändert und auch für die Instrumentation. Gerade dieser romantische Klang und dann auch Zender haben für mich total viel verändert, auch in der Herangehensweise an Dinge. Beim Finale II vom Graf von Gleichen war ja keine einzige Note von Schubert, das habe ich selbständig komponiert und teils gefälscht. Der Schubertsche Klang kippt immer dann um, wenn die Handlung skurril wird. Das handelt ja davon, dass der Graf von Gleichen am Schluss der Oper mit Erlaubnis des Papstes eine zweite Frau in katholischer Ehe heiraten darf, und die heiraten dann zu dritt. Dort, wo das umkippt, dort kippt auch die Musik um, und da habe ich auch Übermalungen gemacht. Solche Dinge kommen auch in meiner Oper Radek vor. Dort hat mir der Librettist Thomas Höft “Schikanen” reingehaut, nämlich die Internationale und das Horst Wessel-Lied, Jiddische Lieder und alles Mögliche. Das alles einzubauen hätte ich ohne die Erfahrung mit dem Finale II der Schubert-Oper wahrscheinlich nicht gepackt. So war ich schon irgendwie vorbereitet auf diese Dinge, fremde Einschmelzungen und fremde Einsprengsel.

SR: Erinnerung – Monument – Nachtgesang: Das Nacht-Triptychon für Klavier und Kammerensemble ist ein Monument für Schönberg.
RD:
Damals hat mich das sehr beeinflusst, da ich ja in Wien studiert habe, die Wiener Wurzeln meines Komponierens.
Das war auch die Zeit, wo ich gerade in die Steiermark gekommen bin. Ich habe den zweiten Satz des Nachttriptychons in Trahütten komponiert, gegenüber der Alban Berg-Villa, wo er Teile des Wozzeck geschrieben hat. Das war damals eine sehr intensive Befassung mit der Wiener Schule und das spiegelt sich in diesem zweiten Satz, der allerdings nicht Berg gewidmet ist, sondern Schönberg. Vom Namen Schönbergs habe ich die Reihe a-es-c-h-e-b-g abgeleitet. Das war für mich eine Art Abrechnung, eine Art Bestimmung des Ufers, von dem aus ich aufgebrochen bin, eine Landschaft, die von mir verlassen werden musste. Ich habe dann verschiedene ganz andere Dinge in mein Komponieren integriert, besonders im ersten Stück, in der Erinnerung. Da ist überhaupt keine Reihe vorhanden, und auch diese Zwölftonreihe im Monument, die Schönberg gewidmet ist, wird nicht in orthodoxer Zwölftontechnik verarbeitet, weil das für mich heute ein Anachronismus wäre, aber es gibt Anklänge daran. Wenn ich jetzt zurückblicke, habe ich mich eigentlich bemüht, einen Weg zu finden zu meiner eigenen kompositorischen und auch zu meiner eigenen harmonischen Sprache.

Das war für mich ganz wichtig, ein Gedanke, den mein Lehrer Henze immer geäußert hat – dass er immer auf der Suche war nach seiner eigenen persönlichen Kompositionstechnik und Sprache. Diesen Weg muss ein Komponist gehen und auf diesem Weg war natürlich das Triptychon ganz wichtig. Ausgehend von der Erinnerung an die Wiener Schule bin ich aber zu harmonisch ganz anderen Dingen und anderen Prozessen gekommen. Ich habe auch Elemente der französischen Moderne einbezogen, gerade auf rhythmischem Gebiet, wo ja die Wiener Schule immer ein bisschen in Gefahr des Verkümmerns war, wenn man es jetzt böse sagt. Das darf man natürlich nicht so sagen, aber das Rhythmische war dadurch, dass es aus diesem Romantischen herausgekommen ist, nicht gerade die Stärke der Wiener Schule. Schönberg ist, wie er dann die Zwölftontechnik verwendet hat, immer so halb am Neoklassizismus entlang geschrammt, den er ja Strawinsky vorgeworfen hat.

Für mich waren die rhythmische Seite und auch das Klangliche der französischen Musik ganz wichtig, auch die Musique spectrale.
Ein wichtiger Komponist war für mich auch Schnittke, nämlich in der Vielfalt der Dinge, die da vorhanden sind, und in diesen Brüchen, die ich mir allerdings im Triptychon noch nicht erlaubt habe.

 

SR: Du möchtest, dass das Triptychon im Rahmen der Weiterentwicklung deiner musikalischen Sprache über die Hauptstationen Sinfonietta concertante für Klarinette und Streichorchester, 1984, Der Wanderer – Hymne für Orchester, 1986/87 und Tage- und Nachtbücher für Klarinette, Violoncello und Klavier und das 2. Streichquartett gehört wird.
RD: Die Sinfonietta war eines der ersten wichtigen Stücke für mich, fast wie ein Op.1, auch in der Klanglichkeit, die ich mir da vorgestellt habe, und in der Bewältigung einer längeren dramaturgischen Form. Heute finde ich, dass das ein kurzes Stück ist, ungefähr elf Minuten, aber damals war es für mich wahnsinnig lang, so ein Stück zu schreiben. Man merkt erst, wie kurz es ist, wenn man eine Oper mit 75 Minuten schreibt. Im 2. Streichquartett habe ich dann einige Ideen aufgegriffen, die ich bei meinem Aufenthalt in Tanglewood in Amerika hatte. Da habe ich auch viele Personen der Musikgeschichte kennen lernen dürfen.

SR: Auch Bernstein.
RD:
Bernstein hat sich ja zwei Abende von den Kompositionsstudenten, angehört und diskutiert. Die Proben und den Dirigierunterricht mit ihm zu hören war sehr spannend. Er hat keine Schlagtechnik unterrichtet, sondern er hat gefragt: Wie beginnt Mozarts g-moll-Symphonie? Und hat dann über Interpretation gesprochen. Ich habe Glück gehabt, mit den verschiedenen Lehrern, die zu mir über Musik gesprochen haben. Einer der ersten wichtigen war natürlich Francis Burt in Wien, dann Bernstein, und dann natürlich auch Henze. Das waren Leute, die derartig essentiell über Musik sprechen konnten, dass es mir auch heute noch ein Vorbild ist, das ich mich auch zu erreichen bemühe.

Tanglewood war ja eigentlich auch wieder so eine Art back to the roots, weil da die die Wiener Connections total wichtig waren. Die Aufführung meines ersten Streichquartetts hat betreut – kaum zu fassen  – Louis Krasner, jener Mann, der 1935 das Violinkonzert von Alban Berg in Auftrag gegeben und uraufgeführt hat. Das war 1987, da war er schon 90 Jahre alt. Derjenige, der die Komponisten betreut hat, war George Perle, der natürlich durch seine Forschungen über die Wiener Schule sehr bekannt geworden ist. Er hat viel mit uns über Symmetrien und ähnliches gesprochen, die er aus allen möglichen Werken herausdestilliert hat. Diese Symmetrien haben mich in diesem 2. Streichquartett ein bisschen beeinflusst. Das 2. Streichquartett bricht schon auf zu einer pluralistischen Materialsichtweise, also es gibt die Symmetrien, es gibt Serielles, es gibt aber genauso Tonales.

SR: Im Juni war die Uraufführung deiner Opheliamusik II, ein Auftrag des Ensembles “die reihe”. Du hast die Figur der Ophelia auch in breeding lilacs out of the dead land aufgegriffen? Haben die beiden Werke auch musikalisch miteinander zu tun?
RD: Nein, die zwei haben überhaupt nichts miteinander zu tun, denn das sind auch zwei verschiedene Ophelias. Die in breeding lilacs ist die Ophelia von Rimbaud, die Ophelie. Das ist ein wunderschönes Gedicht. Breeding lilacs basiert eigentlich auf zwei Gedichten, nämlich einerseits auf waste land von T.S. Eliot, und die zweite Hälfte basiert auf der Ophelie von Rimbaud. Diese Ophelie von Rimbaud ist ein unglaublich faszinierendes Gedicht. Er schildert, wie die Leiche der Ophelia einer Lilie gleich auf dem Wasser schwebt und aufgebauscht wird, und das Halali der Jäger, ein wahnsinniges Gedicht, natürlich auch ein bisschen grausig, aber die Figur hat mich fasziniert, und deswegen habe ich mich dann auch mit der Urfigur ein bisschen beschäftigt, mit Ophelia aus Hamlet. Diese war dann die Vorlage für die Opheliamusik II und dort kommen verschiedene Szenen und Assoziationen zu Ophelia von Hamlet nicht in chronologischer und nicht vordergründig dramaturgischer Reihenfolge, sondern eigentlich alle auf den Tod der Ophelia hin projiziert vor. Im Moment des Todes am Schluss des Stücks, mit einem es-moll-Dreiklang übrigens, in diesem Moment des Todes sieht sie ganz verschiedene Szenen ihres Lebens vor sich ablaufen: Die unglückliche Liebe zu Hamlet, Polonius, der hinter dem Vorhang erstochen wird, und der Hass von Hamlet zu seiner Mutter und so weiter. Das kippt immer um, wie im Traum eigentlich, diese Traumatmosphäre ist in diesem Stück ganz wichtig. Es ist nie geradlinig, es kann immer umkippen und man ist immer in Gefahr, dass plötzlich hinter einer Ecke eine ganz grausliche Grimasse herausschaut, wie in einem Alptraum, aber auch schöne Momente kommen vor. 

SR: Da sind wir bei den dunklen Seiten des Lebens angelangt, den  Nachtseiten. Das Thema kommt bei dir sehr oft vor, im Nachtgesang, oder in den Tage- und Nachtbücher. Beim Brahmsfest wird es auch ein Gespräch mit Alfred Solder unter dem Titel “Ich bin ein Nachtkomponist” geben. Warum bis du ein Nachtkomponist?
RD: Warum, ist schwer zu beantworten. Das ist eigenlich diese Seite in mir, die immer klingt, die immer da ist, ein Teil von mir, der arbeitet immer, und den arbeite ich auch immer ab mit meiner Musik. Das ist irgendwie psychologisch, psychoanalytisch, glaube ich. Es ist wahrscheinlich meine Psychoanalyse, das ich immer diese Stücke schreibe, das ist mein Ausgleich, dass ich immer die dunklen, die schweren, die teilweise grauenvollen Stoffe verwende. Radek war ja auch so ein schlimmer Stoff. Das sind die Stoffe, die mir besonders liegen. Das ist irgendwie so eine Veranlagung, glaube ich.
Irgendwann würde ich gerne einmal eine Komödie schreiben, aber weil es so schwer ist, habe ich es bis jetzt nicht gemacht!

SR: Vielen Dank für das Interview!

Foto 1: Sissi Furgler
Foto 2: PK Breg

 

 

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