mica-Interview mit Yukiko Watanabe

Die Auseinandersetzung mit Klängen des Alltags und ihrer Interpretation stehen im Zentrum des Schaffens von Yukiko Watanabe. Die in Tokio geborene Komponistin studiert seit 2008 in Graz bei Beat Furrer und hat – nicht erst seitdem – zahlreiche Auszeichnungen und Kompositionsaufträge erhalten. Auf den Preist der Ö1-Talantebörse folgte u. a. ein Kompositionsauftrag des musikprotokolls im steirischen herbst, das im Oktober zur Uraufführung gelangt. Woher Watanabe ihre Inspirationen nimmt und wie sich japanisches und hiesiges Hören unterscheiden, davon erzählte sie Lena Dražić.

Beim musikprotokoll im steirischen herbst wird heuer bereits zum zweiten Mal ein Werk von Ihnen uraufgeführt.  2010 waren Sie dort mit „Loch für Violoncello“ vertreten, dieses Jahr gelangt ein Auftragswerk des Festivals – in der Besetzung für Kammerorchester – zur Uraufführung. Welche Idee liegt dieser Komposition zugrunde?

Als ich das Stück „Loch für Violoncello“ für den steirischen herbst 2010 schrieb, stellte ich mir die Frage, wie man die Perspektive des Publikums verändern kann. Ich bin generell der Ansicht, dass Musik mehr als nur eine Dimension hat. Je nachdem, von welchem „Blickwinkel“ aus man sie hört, nimmt man unterschiedliche Aspekte daran wahr. Damals versuchte ich, die Distanz zwischen Spieler und Publikum zu verringern und dadurch die Beziehung zwischen beiden zu verändern. Das Stück, das ich gerade für das musikprotokoll 2012 schreibe – es trägt den Titel „blinzelnd …“ – hat einen ähnlichen Ausgangspunkt, nämlich: Wie kann ich meine eigene Perspektive verändern?

Wie kommt diese Veränderung Ihrer Perspektive in der Komposition zum Ausdruck?

Dieser Perspektivenwechsel entspricht meiner täglichen Erfahrung. Das Stück „blinzelnd …“ basiert zum Beispiel auf meinen Spaziergängen in Tokio. Wenn ich in dieser Stadt spazieren gehe, richtet sich das Interesse meines Ohrs ständig auf verschiedene Klänge – z. B. Sprechstimme, Geräusche, Wind, Musik usw. In der Komposition versuche ich, solche Klänge mithilfe von Instrumenten zu imitieren bzw. zu kombinieren und dabei die unterschiedlichen Schichten so gut wie möglich im Gleichgewicht zu halten, um meine eigene wechselnde Perspektive den Klängen gegenüber auszudrücken.

Was fasziniert Sie an solchen Alltagsklängen?

Sie interessieren mich, weil sie immer mehr als nur eine einzige Dimension oder Klangfarbe haben – sie setzen sich aus verschiedenen Geräuschen zusammen und stehen in unterschiedlichen Beziehungen zueinander. Ich bin es gewöhnt, Klänge als absolute Tonhöhen wahrzunehmen. Als Kind bin ich jedes Wochenende in die Musikschule gegangen, und um das absolute Gehör zu trainieren. Ich glaube, in Europa ist die Ausbildung ganz anders. In Japan mussten wir lernen, Töne nicht als Intervallbeziehungen, sondern nur als absolute Tonhöhe zu verstehen. Deswegen höre ich jetzt Klänge – und auch Geräusche – unwillkürlich als absolute Tonhöhen. Im Alltag gibt es für mich viele musikalische Momente. Manchmal ergibt sich z. B. eine schöne Harmonie zwischen dem Klang des Kühlschranks und dem Klang anderer elektronischer Geräte, oder zwischen dem Geräusch eines Motors und dem Rauschen des Windes. Es macht mir Spaß, solche Klänge zu hören, zu analysieren und neu zu verbinden. Mein Stück für den steirischen herbst basiert auf meiner Erfahrung solcher Klänge.

Können Sie genauer erklären, in welcher Form Sie diese Klänge in Ihre musikalische Sprache übersetzen?

Ich benutze sie auf unterschiedliche Weise. Manchmal verwende ich sie direkt, z. B. weißes Rauschen aus dem Radio. Manchmal benutze ich nur einzelne Elemente – in meiner neuen Oper „Weiche Möndin”, die 2014 in Graz uraufgeführt wird, verwende ich beispielsweise den Klang des Schreibens mit dem Bleistift.  Manchmal setze ich bei der Analyse der Klänge den Computer ein, aber meistens gehe ich nur vom Höreindruck aus. Dabei geht es mir weniger um die exakte Tonhöhe oder das Spektrum, sondern darum, wie ich den Klang verstehe und wie der Klang inm meinem Kopf funktioniert. Wenn zwei Leute den gleichen Klang hören, werden sie ihn nie völlig gleich verstehen. Deswegen ist es mir wichtig zu wissen, wie ich selbst einen Klang höre und verstehe, und wie ich diesen Höreindruck dem Publikum vermitteln kann.

Sie haben vor „Weiche Möndin“ schon ein anderes Musiktheaterwerk komponiert, nämlich die Nō-Oper „ASAGAO“. Im Schaffen Ihres Lehrers Beat Furrer spielt das Musiktheater ebenfalls eine zentrale Rolle. Sehr wichtig ist bei ihm auch das Verhältnis zwischen dem Klang der Instrumente und dem Klang der Sprache. Welche Bedeutung hat Sprache für Ihr Komponieren?

Die Sprache enthält selbst schon musikalische Merkmale, z. B. Intonation, Rhythmus, Tonhöhe … Für mich ist auch die Sprache eine Art Alltagsklang. Deutsch ist nicht meine Muttersprache, deswegen nehme ich Deutsch manchmal ganz ohne Bedeutung nur als Klang wahr. Momentan ist es auch interessant für mich, die Grenze des Verstehens von Sprache zu suchen. Ich möchte in meinem nächsten Stück versuchen, einen komplexen Klang auf verschiedene Grenzen hin auszuloten – konkret und abstrakt, bedeutungsvoll und bedeutungslos … Generell versuche ich, den Klang der Sprache mit anderen Alltagsklängen und dem Klang der Instrumente zu verbinden.

Würden Sie sagen, dass der Stil von Beat Furrer die Entwicklung Ihrer eigenen kompositorischen Ausdrucksweise beeinflusst hat?

Ja, ich glaube schon. Aber was ich von ihm gelernt habe, betrifft nicht nur seine musikalische Sprache. Wir unterhalten uns auch gerne ganz allgemein über Kunst, z. B. über Film, Ausstellungen, Literatur usw. Darum achte ich ihn generell als Künstler. Natürlich habe ich auch viel darüber gelernt, wie ich Proben besser organisieren kann!

Sie haben vor Ihrem Kompositionsstudium bei Beat Furrer an der Kunstuniversität Graz bereits in Tokio Komposition studiert. Wo liegen die Unterschiede zwischen Ihrem Studium in Graz und der Ausbildung, die Sie in Japan genossen haben?

Natürlich ist es unterschiedlich, weil wir einen anderen kulturellen Hintergrund haben. Für mich ist es sehr wichtig, dass ich nicht nur eine bestimmte Musik, sondern auch den dazugehörigen kulturellen Kontext kennen und verstehen lerne. Dann erst kann ich herausfinden, worin der Unterschied zwischen mir und anderen Leuten besteht, und worin meine Originalität liegt.

In Ihre Werke fließen auch Elemente der japanischen Musikkultur ein – ob das nun Instrumente wie Koto oder Shō sind oder die Tradition des Nō-Theaters. Welche Rolle spielt für Sie die Tatsache, dass Sie in zwei verschiedenen Musikkulturen aufgewachsen sind?

Als ich in Japan war, hatte ich viel Gelegenheit, mit traditionellen japanischen KünstlerInnen und MusikerInnen zusammenzuarbeiten. Aber gleichzeitig hatte ich Schwierigkeiten, weil ich eigentlich beide Kulturen – die japanische und die europäische – nicht richtig verstand und nicht wusste, wie ich auf ihrer Grundlage meine eigene Musik schreiben soll. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich diese beiden Kulturen besser verstehe. In meine Musik fließen Elemente beider Kulturen ein. Derzeit beschäftige ich mich z. B. mit Sadō, der japanischen Teezeremonie. Was mich daran interessiert, ist die Beschränkung der Bewegungen. Es gibt tausend Regeln, wie man sich beim Servieren des Tees zu bewegen hat! Im Nō-Theater und anderen japanischen Künsten wird die Bewegung reduziert und über viele Jahre hinweg immer weiter verfeinert. Diese raffinierte Bewegung heißt „Kata“, und KünstlerInnen verwenden ihre ganze Lebenszeit darauf, „Kata“ zu lernen. Auch ich komponiere zurzeit mit beschränkter Bewegung, um auf diese Weise zu neuen Klängen zu gelangen. Ich glaube, dass die Idee, neue klangliche Möglichkeiten für die Instrumente zu finden, aus der europäischen Tradition stammt – z. B. von Lachenmann. Aber was ich mit dieser Bewegung ausdrücken möchte, ist eine gewisse gespannte Atmosphäre, die ich in der japanischern Kunst gefunden habe.

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