Die Haydn Festspiele feiern heuer ihr 25-jähriges Jubiläum. 1989 erstmals über die Bühne gegangen, hat sich die Veranstaltung inzwischen längst auch über die heimischen Grenzen hinaus als ein bedeutendes Musikfestival etabliert, das jährlich viele BesucherInnen aus dem In- und Ausland nach Eisenstadt lockt. Prof. Dr. Walter Reicher, der Intendant der Haydn Festspiele, im Interview mit Michael Ternai.
Herr Reicher, heuer ist das 25-jährige Jubiläum der Haydn Festspiele. Wenn sie zurückblicken – Sie waren ab der ersten Stunde beteiligt – wie haben sich die Festspiele entwickelt? Hat es zu Beginn Widerstände gegeben oder hat man vielleicht gar nicht daran geglaubt, dass es sich so erfolgreich entwickeln wird?
Walter Reicher: Es hat zu Beginn Gott sei Dank Menschen gegeben, die gemeint haben, dass man diese Sache in Eisenstadt richtig angehen muss, um sie auch verfestigen zu können. Es hat ja immer wieder Versuche gegeben – wie etwa 1947, als die Russen noch als Besatzungsmächte hier waren und das Land den Haydn-Saal gerettet haben – die Festspiele ins Leben zu rufen. Es gab in der Folge einige Privatinitiativen, die zwar von der offiziellen Seite unterstützt wurden, aber sich dennoch nie durchsetzen konnten. 1982 – im Jahre Haydns 250. Geburtstages – wurde nochmals wirklich angeregt, Haydn Festspiele in Eisenstadt auszutragen. 1986 wurde schließlich der Verein gegründet, und 1987 die Österreichisch-Ungarische Haydn-Philharmonie. Ende 1988 bin ich gekommen und im September 1989 haben die ersten Internationlen Haydntage stattgefunden.
Davor fanden die meisten Konzerte unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weil kaum jemand da war. Es war tatsächlich viel Initiative da, aber die ganze Sache nicht gut gelenkt. Damals war gerade die Landesrätin Christa Krammer für Kultur zuständig und Hans Sipötz, der zuvor als Kulturreferent gemeinsam mit dem Bürgermeister Eisenstadts Kurt Korpatits die Haydn Festspiele gegründet hatte, war Landeshauptmann geworden. Die drei haben gemeint, es bedarf einer Person, die sich professionell um die Sache kümmert. Dadurch bin ich ins Spiel gekommen und sie haben mir den Rücken freigehalten, was damals sehr wichtig war. Bis die Stadt und die Bürger darauf reagiert haben, hat es schon eine Zeit gedauert. Viele meinten, “Wien ist doch so nahe” oder “ich hab eh ein Abo in Wien.”
Im ersten Jahr waren wir dennoch schon sehr gut aufgestellt. Die Saison hat von Mai bis Oktober gedauert und es wurde jede Woche gespielt, weil es auch in der ganzen Region nicht viel gegeben hat. Von Wien bis Graz hat damals kein regelmäßiger klassischer Konzertbetrieb stattgefunden. Die Festspiele im September haben wir daher strategisch als die Internationalen Haydntage bezeichnet und auf internationale Besetzung gebaut, neben der Haydn-Philharmonie natürlich. Wir wollten die besten Haydn-Interpreten der Welt buchen, Originalschauplätze nutzen und das gesamte Werk Haydns aufführen. Wir haben glücklicherweise sehr schnell von außen Publikumszuwachs erhalten. Engländer und Deutsche sind gekommen, weil großes Interesse bestanden hat.
Das erste Festival hat auch nur fünf Tage gedauert. Unter anderem war auch das London Symphony Orchstra zu Gast, was ein unglaubliches Glücksgefühl mit sich brachte, da wir es plötzlich auf die musikalische Landkarte geschafft haben. Im Jahr darauf hat sich dadurch eine weitere Türe geöffnet. Viele Ensembles, Künstler, Dirigenten und Musiker, die mit Haydn schon etwas am Hut hatten, wussten natürlich welch Bedeutung Eisenstadt für Haydn gehabt hat, nur kannten wenige von ihnen den Haydnsaal. Wir haben allen erzählt, wie großartig dieser Saal ist und welche hervorragende Akustik dieser hat, und als sie dann gekommen sind, waren alle sofort begeistert. Der Raum ist an sich auf Grund des Fassungsvermögens ja sehr unwirtschaftlich, aber aufgrund der Akustik natürlich sehr exklusiv und ideal, um Haydn aufzuführen. Meiner Meinung nach, kann man Mozart und Haydn nirgendwo besser hören als in diesem Saal. Der Musikverein ist ja erst im 19. Jahrhundert gebaut worden. In einer Zeit, in der Säle und Orchester größer geworden sind. Der Musikverein in Wien ist für Brahms, Mahler und Bruckner perfekt, aber Haydn und Mozart sind in Eisenstadt tatsächlich sehr gut aufgehoben.
In den Jahren darauf, besonders 1993, hat es von Seiten der Bevölkerung einen merkbaren Schub gegeben, da sie erkannt hat, dass Künstler nach Eisenstadt kommen, die sonst, wenn überhaupt, nur in Wien zu hören sind. Das war auch der Zeitpunkt, in dem wir den Haydnsaal von 400 auf 660 Plätze inklusive des Balkons bestuhlt haben. Gleichzeitig haben wir auch erstmals eine Haydn-Oper aufgeführt. Mit der Zeit ist unser Anspruch gewachsen, was auch zu unserer Unternehmensphilosophie gepasst hat, das gesamte Oeuvre Haydns zu präsentieren. Zwölf Jahre lang haben wir jährlich eine vollszenische Oper von Haydn gespielt. Diese zwölf sind vollständig erhalten, obwohl er mehr komponiert hat. Ab 1993, vielleicht auch schon früher, waren wir zu 100 Prozent ausgelastet. Das hat uns dazu bewegt, auf elf Tage aufzustocken.
Als ich hier angefangen habe, hatten wir die Vision, bis zum 200. Todestag, also 20 Jahre nach Gründung der Internationalen Haydntage, alle Werke von Haydn live aufzuführen. Aus diesem Grund wurde schließlich auch Die Haydn Akademie gegründet, um eben wirklich alle Symphonien live spielen zu können. Wir haben die Dinge sehr konzeptiv angelegt, nie aber vergessen auch an das Publikum zu denken. Unsere Aufgabe ist es – das ist die Aufgabe jedes künstlerischen Leiters – für das Publikum zu programmieren. Wir treffen aus der Fülle an Kompositionen, die Haydn hinterlassen hat, eine Auswahl. Alles was hier passiert, passiert exklusiv nur in Eisenstadt. Diese Programme sind nicht auf Tournee.
Zu Beginn war dieses Konzept für viele ungewohnt, aber inzwischen wird es von den Musikern sehr geschätzt. Bei den Haydntagen glitzert und glänzt es zwar, aber es handelt sich um alles andere als um ein snobistisches Festival. Die Menschen kommen wegen der guten Musik hier her und freuen sich über die gute Gesellschaft. Es geht hier nicht um das Sehen und Gesehen werden, auch wenn das manchmal doch auch dazu gehört. Aber generell sind die Haydnfestspiele ein Publikumsfestival. Und dafür werden sie auch von den Musikern sehr geschätzt.
Sie meinten, vor 25 Jahren hat es zwischen Graz und Wien nichts gegeben. Inzwischen gibt es wirklich vieles. Worin liegt das Alleinstellungsmerkmal, das die Haydnfestspiele von den Anderen unterscheidbar macht?
Walter Reicher: Darauf müssen wir natürlich aufpassen. Es gibt sehr viele gute Festivals, und auch eben nicht so gute, was oftmals daran liegt, das vielerorts nicht viel Geld zur Verfügung steht. Die große Auswahl kann auch dazu führen, dass das Publikum in gewisser Weise verunsichert wird.
Um sich auf der Landkarte zu behaupten, muss man sich ganz klar definieren. Wenn wir anfangen jeden Star zu buchen, der irgendetwas singt, dann geht das vielleicht eine Zeit lang gut, aber es würde vermutlich nicht die Zukunft bedeuten. Außerdem macht eine solche Programmierung auch nicht wirklich Spaß. Ich mag die Netrebko wirklich sehr gerne, aber sie singt nun mal keinen Haydn, daher kann ich auch nichts mit ihr bei den Haydn Festspielen anfangen.
Das Haydnfestival muss weiterhin die besten Haydninterpreten buchen und da sind auch super Namen dabei. Wichtig ist es, die Authentizität unserer Schauplätze, Haydn, die Künstler und das Publikum Ernst zu nehmen. Wenn man das richtig zusammenführt, dann wird es hoffentlich in der Zukunft auch funktionieren.
Durch die Konkurrenz ist es natürlich schwieriger geworden. Auch sparen die Leute zum Teil und fahren zu anderen, preisgünstigeren Festivals, weshalb sie bei uns vielleicht auch hin und wieder ein Konzert weniger besuchen. Mittlerweile bemerke ich aber, dass einige Leute reumütig zurück kommen und sagen: “Es war doch ein Blödsinn. Bleiben wir dort, wo wir uns auf sicherem Terrain bewegen.” Vertrauen zu schaffen ist ausgesprochen wichtig, damit sich das Publikum eben auch dann, wenn es ein Stück nicht kennt, wieder für uns entscheidet. Auf der anderen Seite aber hat die Neugierde des Publikums abgenommen. Zumindest in den letzten zehn Jahren. Das ist natürlich sehr schade, aber ich bin davon überzeugt, dass sie wieder kommen wird. Insbesondere wenn ich mich im Ausland umschaue und sehe mit welch jungen Musikern im Vergleich zu hier programmiert wird.
Als wir begonnen haben, sind bei uns oft Musiker aufgetreten, die im Ausland schon einen Namen hatten. Ton Koopman etwa hat bei uns dirigiert, bevor er bei den Wiener Philharmonikern eingeladen war. Thomas Quasthoff hat seinen ersten Österreich-Aufritt bei uns gehabt und auch nahezu seinen letzten, bevor er aufgehört hat. Klarerweise haben sich die Leute, wenn sie eine dieser Berühmtheiten, etwa in Salzburg, gesehen haben, schon gedacht: “den hab ich doch schon in Eisenstadt gehört”. Wenn die Musikliebhaber wieder neugieriger auf Unbekanntes werden, dann entkommen wir dem Dilemma, dass, wenn man nur große Namen bucht, auch die Eintrittskarten steigen. Natürlich sind diese Stars auch ausgezeichnete Künstler, aber dennoch gilt es wieder vermehrt unbekanntere Musiker zu buchen.
Ein Festival muss sich vermutlich wie auch Musiker immer weiter entwickeln, immer wieder Neues oder auch etwas Anderes ausprobieren. Etwa die Reihe des Haydn Piano Trio. In dieser wird vermehrt auch Zeitgenössisches präsentiert. Inwieweit muss man als Veranstalter auch in diese Richtung denken, um noch breiter zu werden?
Walter Reicher: Wir haben von Anfang an gesagt, dass es um Haydn – er steht um Zentrum – geht, aber nicht ausschließlich. Wenn man Haydns Eisenstadt mit Wagners Bayreuth vergleicht, dann ist das falsch, weil bei diesem Festival ausschließlich Wagner gespielt wird. Ich bin manchmal frech und meine, dass Haydn auch andere neben sich aushalten kann, weil er einfach so gut ist. Es geht uns um die breite Palette guter Musik. Das wird auch Haydn gerecht. Er war ein Brennpunkt und ist es nach wie vor. Er war einer der größten Innovatoren in der Musikgeschichte. In dieser geballten Form findet man das bei anderen Komponisten nicht. Nicht einmal bei Mozart. Haydn wollte Gattungen schaffen. Das sieht man am Streichquartett oder an seiner Art Sinfonien zu komponieren. Insofern lassen sich zu Haydn immer Beziehungspunkte setzen. Erstens zu seinen Zeitgenossen: Mozart war sein Freund, Beethoven ein Schüler. Man könnte diese Liste fortsetzen. Ich mache ja auch immer Zyklen. Dieses Jahr betrifft dieser Zyklus Haydn und Beethoven. Wir hatten Haydn und Mozart, Haydn und Bach und sogar Haydn und die Romantik, bis hin zum frühen 20. Jhdt.
Wenn man intelligent programmiert, dann macht das Publikum auch mit. Im Haydnsaal können wir die riesengroße Mahlersinfonie einfach nicht aufführen. Dafür ist der Saal zu klein. Aber es gibt immer Werke, die dazu passen. Wir müssen uns um andere nicht kümmern. Ich muss nicht unentdeckte Werke von anderen spielen. Ich kann aus dem Vollen schöpfen und etwa die Unvollendete von Schubert spielen. Das ist eine großartige Sinfonie. Ich kann auch die Fünfte von Beethoven spielen, ohne mich genieren zu müssen.
Darüber hinaus machen wir auch immer wieder Ausflüge in die heutige Gegenwart. Wir haben schon in den 90er Jahren Komponistenporträts gemacht. Dafür muss man sich – das hat man auch bei Wien Modern gesehen – ein Publikum aufbauen. In Eisenstadt – so wie in jeder Stadt, die kein Ballungszentrum ist – muss man das Publikum erst einmal daran gewöhnen. Nachdem wir im Jahr nur einmal ein solches Programm fahren, ist es schwierig es wirklich zu erziehen. Deswegen bauen wir das nun in den Zyklus des Haydn Piano Trios ein. Darüber hinaus will ich mein Publikum nicht verstören. Ich muss die Leute dort abholen, wo sie stehen. Ich sehe mich wie ein Fremdenführer, der Touristen durch eine neue Stadt führt. Ich muss also mehr wissen als meine Gäste und vor ihnen hergehen, aber immer in Blickweite. Wenn ich zwei Mal um die Ecke biege und sie mich aus den Augen verlieren, dann haben die Gäste nichts mehr davon. So verhält es sich auch mit dem Programmieren. Auch wenn ich weiter schaue und weiter denke, darf ich selbst immer nur einen Schritt voran sein. Es muss immer im gesamten Programm Sinn ergeben. Daher macht es auch keinen Sinn, voreilig Zeitgenössisches aufzuführen.
Aufträge wurden dieses Jahr unter anderem an Johanna Doderer, Angelica Castello und Johannes Kretz vergeben. Ein auch stilistisch breit gestreutes Feld. Welche Intentionen stecken dahinter? Wie ist die Wahl auf diese drei Leute gefallen?
Walter Reicher: Manchmal gehen wir strategisch an die Sache heran, manchmal ergibt es sich zufällig. Ich fühle mich für zeitgenössische Musik nicht verantwortlich. Diesbezüglich muss ich auch keine klare Linie vertreten oder jemanden zu etwas bekehren. Das sehe ich auch im Bezug auf die gesamte Musik so. Das wurde mir zu Beginn auch vorgeworfen. Wir waren das erste Festival, dass keinen Unterschied gemacht hat, ob das Orchester mit historischen Instrumenten spielt oder mit modernen. Damals hat es wirkliche Kämpfe gegeben und ich habe gesagt: “Mir geht es um die Musik!”. Wenn ein Musiker auf einem Naturhorn besser spielt, dann soll er das tun. Es ist doch nur ein Instrumentarium. Wenn jemand allerdings Naturhörner und die historische Aufführungspraxis liebt, aber das Instrument nicht beherrscht, dann passt er auch nicht zu uns.
Ähnlich sehe ich das im Bezug auf die Komponisten. Wenn jemand ein super Komponist ist und auch eine Affinität zu Haydn hat, dann können wir etwas gemeinsam machen. Franz Hautzinger zum Beispiel habe ich privat kennen gelernt – damals war ich in der Jury für den Landeskulturpreis – und er hat mir gefallen. Ein Burgenländer, der etwas Unglaubliches macht, sollte auch den Preis bekommen. Später habe ich mich noch intensiver mit ihm auseinander gesetzt. Schließlich habe ich im vorgeschlagen einen Abend zu gestalten. Entstanden ist eine Serie, bei der wir einem Komponisten einen gesamten Abend zur Verfügung gestellt haben. Wir haben die Infrastruktur und die Musiker bezahlt und er oder sie sollte an diesem Tag machen, was er/sie auch immer will. Sozusagen eine Leistungsschau. Mit diesem Zugang waren wir unserer Zeit voraus. Leider ist es unglaublich schwierig das Publikum davon zu überzeugen, dass es Sinn macht, sich einen ganzen Abend intensiv mit dem Schaffen einer Person auseinander zu setzen, gerade auch in Eisenstadt. Ich glaube nach wie vor, dass das eine super Geschichte ist, aber mittlerweile ist es besser, wenn man die beiden Welten mischt und sie in Beziehung zueinander setzt.
Auf der einen Seite Haydn und auf der anderen Seite die Künstler.
Walter Reicher: Haydn oder auch etwas Anderes. Uns ist es wichtig, dass wir die Künstler im Zuge des Konzertes interviewen und vorstellen, damit die Leute erkennen, was das für ein Mensch ist und in welcher Gedankenwelt er sich bewegt. Es ist natürlich nicht sicher, dass die Musik deshalb gefällt, aber der Zugang, die Aufmerksamkeit und der Respekt gegenüber dem Künstler sind dann doch anders.
Man muss mit dem Publikum also kleine Schritte gehen?
Walter Reicher: Ich will weder das Publikum vergraulen, noch will ich den Künstlern – die ja viel proben müssen – einen Misserfolg bescheren. Dem Komponisten tut es viel besser, wenn sein Werk verstanden wird. Wir programmieren so, dass wir die unterschiedlichen Werke aufeinander beziehen. Das muss alles in homöopathischen Dosen passieren. Ich stehe dazu, dass ich für die zeitgenössische Musik nicht verantwortlich bin. Ich fühle mich für die Musik insgesamt verantwortlich.
Sie meinten vorher, dass die Neugierde des Publikums weniger geworden ist. Wodurch kann diese wieder entzündet oder generiert werden?
Walter Reicher: Erstens, indem man von dem Startum wegkommt. Es ist immer nur eine Hand voll Namen, die in der Presse kursieren. Natürlich auch mit Hilfe der Industrie. Die großen Festivals und die großen Orchester müssen damit beginnen, neue Leute zu holen. Die Heidelberger Symphoniker zum Beispiel. Die kennt man in Österreich zwar weniger, sind aber in Deutschland sehr bekannt. Die haben mittlerweile 60 Haydn-Sinfonien aufgenommen und auch viele Preise gewonnen. Aber warum spielen die immer den Harnoncourt, so gern ich ihn auch mag. Ich glaube, er ist genug gespielt worden und wird auch in Zukunft genug gespielt werden.
Die Sängerin, die etwa heute bei uns singt, ist noch eher unbekannt, aber wirklich fantastisch. Aber wenn wir nur sie auf das Programm schreiben würden, dann käme wahrscheinlich niemand. Daher appelliere ich an das Publikum, uns zu vertrauen. Lasst euch auf etwas Frisches ein. Es ist doch besser, es jetzt zu hören. In der Popmusik ist das ganz anders. Es gibt zwar noch immer große Namen, so wie es in den 90er Jahren war, aber eigentlich werden Künstler kurz gehypt und dann sind sie wieder weg. Das ist natürlich eine zweischneidige Angelegenheit, aber die Neugierde ist vorhanden. Wenn auch ein dreiminütiger Song etwas Anderes ist als ein Konzert.
Inwieweit blicken sie auch auf junge Leute? Indem sie junge Talente holen und ihnen eine Bühne bieten?
Walter Reicher: Mit der Rechtsanwaltskanzlei Hajek, Boss und Wagner haben wir vor einigen Jahren nun ein super Projekt gestartet. Die Kanzlei zahlt ein Stipendium, welches wir an einen jungen oder eine junge Musiker/in vergeben. Letztes Jahr war der Musiker zwölf Jahre alt, der heurige Gewinner ist sechzehn. Die Stipendiaten dürfen mit Adam Fischer auftreten, also mit der Haydnphilharmonie. Das ist nicht irgendein Konzert, bei welchem nur Amateure spielen, sondern das ist der Publikumsliebling. Natürlich muss man darauf achten, dass die Leute nicht “Wunderkinder schaun” kommen. Voriges Jahr hat Fischer mit diesem Zwölfjährigen das Violinkonzert von Paganini gespielt. Fischer hat gemeint, er brauche dafür ein Wunderkind. Damit hat er gemeint, er benötigt jemanden, der beweglich ist und in Wahrheit kann ein Kind diese Musik viel besser spielen als ein Erwachsener. Heuer spielt der Ausgewählte das Trompetenkonzert. Da konnten wir kein Kind nehmen, weil es ein Stück ist, für das man mehr benötigt als schnelle Finger.
Die Sängerin, die heute Abend singen wird, habe ich 2011 engagiert, um bei den sinfonischen Matineen zu singen. Das hat natürlich auch manchmal finanzielle Hintergründe. Wenn ich 25 Euro Eintritt verlange, kann ich keine Netrebko holen. Mir ist es lieber, ich hole junge Leute, die mit dieser Gage sehr glücklich und gewillt sind, etwas dafür zu leisten. Diese junge Sängerin arbeitet jetzt auch schon mit größeren Künstlern zusammen und das freut mich natürlich.
Ich programmiere zwar für das Publikum, aber es muss auch mir Freude bereiten. Ich habe erkannt, dass ich mich nicht wirklich von meinem Publikum entferne, wenn es mich glücklich macht. Wir haben oft den richtigen Griff gehabt und dazu kommt, dass die Künstler auch viel besser sind, wenn sie es mit Freude betreiben. Das Publikum muss ja nicht ausgebildet sein oder Musikwissenschaft studiert haben. Ganz im Gegenteil. Wenn die Leute das nicht unbedingt verstehen, dann ist das nicht so schlimm, weil sie spüren können, ob es gut und ehrlich war.
Wir sind im Live-Business. Was im Konzertsaal passiert, das ist im Nachhinein – auf einem Mitschnitt etwa – oft nicht nachzuvollziehen. In der Hitze des Gefechtes entstehen Nebengeräusche, wenn der Musiker volles Risiko nimmt, aber die Atmosphäre wiegt mehr, wenn eine Live-Stimmung in der Luft liegt. Als Riccardo Muti mit den Philharmonikern bei uns war, hat einer den Einsatz verpasst. Nach dem Konzert ist das Orchester im Saal sitzen geblieben und hat es nochmal gespielt, weil auf einer Übertragung, so etwas natürlich nicht sein darf. Wir bieten ein Live-Erlebnis. Man ist wahnsinnig nahe an der Bühne und da passiert Atmosphäre.
Deshalb ist es mir auch wichtig, dass der Haydnsaal in der Zukunft nicht modernisiert wird. Man kann eine so perfekte Akustik nur zerstören. Ideen gibt es immer wieder, aber das ist eine andere Sache. Man kann natürlich die Fresken restaurieren, aber andere Fresken zu zeigen – was hat das noch mit Haydn zu tun? Das wäre mutwillig. In der Geschichte gibt es zu viele Beispiele dafür, dass Säle ruiniert wurden. Jener in Brüssel etwa. Das war ein wunderbarer Saal, der in den 70er Jahren restauriert wurde und jetzt hässlich und eigentlich kaputt ist. Da kann keine Atmosphäre mehr aufkommen. Wir sind ein Live-Betrieb. Da geht es auch um Schönheit. Wobei Schönheit nicht mit lieblich verwechselt werden darf, denn auch etwas Furchtbares kann schön sein. Es hat doch auch eine Schönheit, wenn die Carmen zum Schluss stirbt? Erhaben ist es jedenfalls.
Vielen Dank für das Gesprach.
Foto Prof. Dr. Walter Reicher: Carlos de Mello
http://www.haydnfestival.at/