mica-Interview mit Volkmar Klien

Wo liegt der Unterschied zwischen Musik und Klangkunst? Und inwiefern hängt die erklingende Musik mit ihrer Theoretisierung zusammen? Fragen, mit denen sich der Musikschaffende, der dem Begriff “Komponist” für sein breites Tätigkeitsfeld skeptisch gegenübersteht, ebenso beschäftigt wie mit dem Schaffen von Musik und Klangkunst wie auch mit dem Kuratieren etwa der Reihe “Stromschiene” in der Alten Schmiede in Wien. Seinen Ansichten darüber gab der “große Freund von “Schlamm und Schmutz”, wie er sich selbst nennt, Lena Dražić preis.

Du bist in vielen verschiedenen Bereichen tätig – du machst einerseits elektronische Musik, arbeitest aber auch häufig spartenübergreifend und intermedial. Definierst du dich als Komponist? Wie definierst du dich?

Gar nicht.

Aber wenn jemand kommt und so blöd fragt?

Ich bin an sich Komponist, bewege mich aber eher in einem Bereich, den man normalerweise als bildender Künstler beackert. „Bildende Kunst“ ist ein viel weiterer Begriff, der reicht von performativer Kunst über Medienkunst bis zur Druckgrafik. „Komponist“ ist ja im Normalfall nicht einmal mehr ein Songwriter, sondern nur jemand, der „ordentliche“ Musik schreibt.

Diese Definitionen haben ja eine Geschichte: „Kunst“ hat irgendwann auch nur bedeutet, dass man mit Ölfarbe auf Leinwand malt.

Genau, aber hat sich nachhaltig verändert.

Was ist da in der Musik eigentlich schief gelaufen? Da gab es doch vor 50 Jahren auch Bestrebungen, etwas an diesen Zuschreibungen zu ändern.

In der Musik ist gar nichts schiefgelaufen, nur an der Musikakademie. Das heutige Musikgeschehen ist ja sehr breit – da gibt es Rock, Techno, die Clubmusik mit ihren Übergängen zur Sound Art. Es tut sich sehr viel, nur wird das durch den akademisch konnotierten Begriff „Komponist“ nicht abgedeckt. Andererseits habe ich das aber studiert, darum ist es auch irgendwie meine Sozialisierung. Ich kenne mehr Komponisten als Leute, die etwas anderes machen.

Hast du eigentlich Elektroakustische Komposition studiert?

Das hat es damals nicht gegeben. Ich habe bei Dieter Kaufmann Instrumentalkomposition studiert und anschließend den Lehrgang für Elektroakustische Musik gemacht.

Ich habe immer wieder gehört, dass dieser Lehrgang ein Sammelbecken für Leute war, die in das klassische Kompositionsstudium nicht so hineingepasst haben.

Genau, vor allem für Leute, die die Kompetenzen in punkto Klavierspielen, Gehörbildung oder barocke Musiktheorie nicht hatten und nicht haben wollten. Weil diese Barriere weg war, sind dann sehr viele interessante, weniger brave Leute gekommen. Die Aufnahmeprüfungen haben ja eine stark vorsortierende Wirkung.

In deinem Artikel „Neue Musik und die Verteidigung des Abendlandes“, in dem du dich sehr kritisch mit der Positionierung der Neuen Musik auseinandersetzt, thematisierst du auch die Rolle der Akademie, die quasi repressiv wirkt in Hinblick darauf, wer als Komponist akzeptiert wird.

Die Nähe zur Musikgeschichte des Abendlandes spielt in der Neuen Musik eine ganz große Rolle. Allein dadurch kannst du dich unabhängig davon, was du konkret machst, als „besser“ definieren als Leute, die sich nicht in direkter Brahms-Nachfolge sehen – und das ist gar nicht gegen Brahms gerichtet.

Trotzdem unterrichtest du auch selbst an der Universität für Musik und darstellende Kunst im Rahmen des Studienzweiges Elektroakustische Komposition. War die reglementierende Funktion in dieser Studienrichtung immer schon weniger stark ausgeprägt?

Es gibt auch in der elektronischen Musik solche Parallelwelten, z. B. die akusmatische Schule von François Bayle und Denis Smalley. Ich habe bei Denis Smalley in London das Doktorat gemacht, darum kenne ich diese Szene. Da reisen weltberühmte Leute von Universität zu Universität und von Festival zu Festival, aber das ist eine ganz schmale Schicht, und wenn du nicht zu diesem Zirkel gehörst, kennst du die nicht einmal. Es gibt in jedem Bereich die Tendenz, solche Blasen zu bilden. Aber der eigentliche Punkt ist: Der Theorie der Kunstmusik wird ja oft die Theoriefreiheit von Pop gegenübergestellt, der sich angeblich nur in der Affirmation des Hier und Jetzt erschöpft. Da wird das Abdichten des Horizonts zur Hauptaufgabe der Musik. An sich wäre ja meine Idee die einer fröhlicheren Musik, die offen ist für Verschiedenstes – also für Außermusikalisches und für das, was man außerhalb der eigenen Theoriesetzungen finden kann.

Du arbeitest sehr viel mit Elektronik. Siehst du es als Vorteil, dass die Elektronik als Medium einfach dadurch weniger traditionslastig ist, dass sie nicht auf das 19. Jahrhundert zurückgeht, oder ist sie bloß ein Klangerzeuger wie andere auch?

Ich glaube, der Lautsprecher und alles, was damit zusammenhängt, hat die musikalische Welt viel stärker verändert als jede einzelne sogenannte musikalische Entwicklung. Auch das Mikrofon: Wenn du plötzlich nicht mehr Belcanto singen musst, um von 1.000 Leuten gehört zu werden, ändert sich dein Gesang. Diese Mediatisierung hat ja auch die Instrumentalmusik grundsätzlich verändert. Früher war Musik ein ephemeres Gut: Sie war nur da, wenn sie gespielt wurde. Jetzt ist Musik allgegenwärtig, alle tragen ihre Musik im Kopfhörer mit sich herum. Die elektronischen Medien haben also nicht nur die Klangerzeugung verändert, sondern überhaupt die Rolle von Musik in der Welt. Es reicht schon, wenn du E-Gitarre oder Drumset spielst und nicht mehr Große und Kleine Trommel: Plötzlich sind diese Lasten einfach weg. Aber das ist nicht nur medial bedingt, sondern auch dadurch, dass die meiste Musik im 20. Jahrhundert auf den afroamerikanischen blues-basierten Formen aufbaut.

Vielleicht wirst du mir widersprechen, aber das, was du machst, ist doch eher Neue Musik als Popmusik.

Von außen schaue ich eh aus wie einer von denen. Aus einer gewissen Distanz betrachtet bin ich ganz klar näher an Rihm als an DJ Ötzi oder den Zillertaler Schürzenjägern, wobei ich mich durchaus in einem Kontinuum verstehe.

Kommen wir auf konkrete Projekte von dir zu sprechen: Kommenden Sonntag (02. 12.) wird beispielsweise deine Arbeit „Má vlast“ im Ö1-Kunstradio gesendet.

Das war ein Projekt, wo ich versucht habe, einfach mal rauszukommen aus dem Studio. Ich bin ja sehr gerne alleine – ich finde es großartig, einen Beruf zu haben, der eigentlich nur darin besteht, allein wo zu sitzen, wo’s ruhig ist. „Má vlast – mein Vaterland“ war auch eine Übung für mich, um die Angst vor Leuten zu verlieren. Dabei beziehe ich mich auf die romantische Tradition der musikalischen Heimatliebe. Es hat so funktioniert, dass ich per Autostopp durch Österreich unterwegs war und die Leute gebeten habe, mich dorthin zu führen, wo Österreich ihrer Meinung nach am schönsten klingt. Am Land haben die Leute gesagt: „Da bist bei uns falsch, da is’ ja nix, da is’ nur ruhig!“, und die Leute in der Stadt haben gemeint, „Da musst rausfahren, bei der einen Hütte im Toten Gebirge, da is’ ganz ruhig.“ Es ging darum, dieses Gespräch überhaupt zu beginnen und die Frage zu provozieren, was das soll – dieses Nachdenken über Klang. Die Arbeit besteht viel mehr aus diesen Interviews als aus irgendwelchen Klangaufnahmen. „Má vlast“ ist vor drei Jahren entstanden,  momentan arbeite ich an einem Stück für Rhodes und aufgenommene Klänge. Wahrscheinlich wird es heißen: „Rettung naht“. Außerdem wird demnächst in den USA eine CD mit dem Titel „Nahen – Weiten“ erscheinen. Das wird vielleicht meine letzte CD sein, weil es mit diesem Medium ja auch vorbei ist.

Inwiefern eignet sich die CD überhaupt zur Präsentation dessen, was du machst?

Na ja, wenn du Journalistinnen und Journalisten schreibst, „Ich habe ein neues Lied auf meine Website geladen“, ist das was anderes, als wenn du sagst, „Es gibt eine neue CD“. Es ist ein reines Promotion-Tool. Ein weiteres Projekt, an dem ich momentan arbeite, heißt „Beiträge zur Klangtopographie der Heimat“. Das ist eine audiovisuelle Installation, die nächsten Sommer realisiert wird und die ich in ähnlicher Form schon für das Transitio_MX Festival in Mexiko umgesetzt habe. Da schnalle ich Lautsprecher ans Autodach, die weißes Rauschen rausblasen, und nehme die Reflexionen auf, die zurückkommen. Daraus entsteht eine Art Rausch-Radar: Du hörst die Oberfläche der Dinge, an denen du vorbeifährst, du hörst sogar, ob es Ziegelmauern oder Betonmauern sind. Das hat eigentlich gar nichts mit Musik zu tun, das ist reine – im Deutschen ist es schwierig, das Wort „Klangkunst“ zu verwenden, weil das schon etwas belegt ist.

Was wäre für dich der Unterschied zwischen Musik und Klangkunst?

An der Klärung dieser Frage arbeite ich gerade gemeinsam mit Leuten von der University of the Arts London. Unser Thema ist eben, wie so eine Theoretisierung stattfinden kann. Ich glaube, dass Musik immer ein gemeinschaftlicher Akt ist. Sie ist nichts, dem du gegenüberstehst, sondern immer Angelegenheit einer Gruppe. Darin liegt ja auch der Unterschied zwischen Sprache und Geräusch: Sprache hat eine Bedeutung, und so ist auch die Musik etwas, was du nicht frei erfinden kannst. Du kannst dir keine private Musiksprache ausdenken.

Aber machen das nicht gerade zeitgenössische Komponisten dauernd?

Ja, und ich glaube, das ist auch oft ein Problem. Viel von dem, was „zeitgenössische Musik“ genannt wird, ist eigentlich Klangkunst. Trotzdem übernimmt die zeitgenössische Musik ja ganz viel von der Musikgeschichte. Gerade, wenn du für Orchester schreibst, klingt das meistens mehr nach Orchester als nach dem Komponisten oder der Komponistin.

Das heißt, man trägt die Traditionen mit sich herum.

Ja, aber auch dein eigenes Musikdenken. Deswegen funktioniert für ganz viele Leute keine Musik ohne Rhythmus, Puls oder tonale Bezüge. Es ist ja auch psychoakustisch nachweisbar, dass wir so etwas wie eine musikalische Muttersprache haben.

Da würde doch die gesamte Musik seit der Atonalität aus dem Musikbegriff rausfallen, weil sie eben nicht über diese Codes funktioniert.

Aber wie viel wirklich atonale Musik kennst du? Ich höre da schon immer wieder tonale Zentren heraus. Ich habe einmal versucht, in der Musikgeschichte anhand von theoretischen Äußerungen und Partituren wirklich serielle Musik zu finden – die hat es fast nicht gegeben.

Soviel zur Musik – was wäre dann im Gegensatz dazu die Klangkunst?

Die ermöglicht einfach ein anderes Zuhören – eines, das kein gemeinschaftliches Musizieren als Grundlage hat. „Musik“ ist für mich eben nicht nur Neue Musik. Das, was mich interessiert, ist die Wirklichkeit – also das, was man so vorfindet. Und da ist die Neue Musik ein totaler Sonderfall: 99,9 Prozent der Musik hat einen Rhythmus. Natürlich mache das auch ich in meinen Arbeiten, dass ich den Rhythmus nicht als durchgehenden Puls einsetze. Da hörst du gleich ganz anders zu. Aber das hat auch damit zu tun, dass du Wahrnehmung von Bewegung trennst und durch die Situationen, in denen Musik passiert, diese passive Rezeption erst schaffst.

Du meinst Konzertrituale.

Genau, auch die Asymmetrie zwischen totaler Virtuosität auf der Bühne und einem Publikum, wo niemand mehr weiß, was passiert.

Wobei viele dann doch unabsichtlich mit dem Fuß den Rhythmus klopfen.

Aber das darf dann eben auch nicht sein in diesen Präsentationsformen, die ich andererseits wieder großartig finde: Endlich sind die Leute einmal ruhig und hören zu. Mich interessieren aber in letzter Zeit ganz stark verschiedene Formen von Musikmachen und verschiedene Formen von Klanggemeinschaften – also menschlichen Gemeinschaften, die sich durch Klang ausdrücken.

Zum Beispiel?

Ich arbeite momentan auch an Happenings oder Environments, wo es eben keine definierten Rezeptionshaltungen mehr gibt und wo die Rollen auch nicht so klar umrissen sind. Im Sommer habe ich z. B. eine Installation gemacht mit dem Titel: „Prinzessin, lass es tscheppern“. Das hat natürlich gar nichts mit „ordentlicher“ Musik zu tun: Leuten Bälle in die Hand geben und sie damit auf hängenden Metallschrott schießen lassen. Du gibst ihnen einfach die Möglichkeit, aktiv zu werden.

So funktioniert doch musikalische Früherziehung: Man gibt Kindern irgendwelche Holzklötze und sagt, macht was damit. Da geht es auch erst einmal nicht darum, wie das dann klingt.

Es muss keine Kunst werden. Das ist ja im Musikunterricht das Hauptproblem: Dass es gleich um so viel geht. Man ist ja mit diesem virtuellen Museum konfrontiert.

Verstehe ich dich richtig, dass du dich eigentlich vom Musikbegriff an sich eher abgrenzt?

Nein, gar nicht! Ich bin auch ein großer Freund des Musikvereins geworden. „Die große Symphonie“ und so: Das hat schon etwas von einer weltlichen Messe, wo alle zusammenkommen und gemeinsam schön sind. Das sehe ich als die Stärke von Musik, dass sie die Möglichkeit schafft, Situationen zu affirmieren. Das ist eine weltliche Kommunion.

Was aber im Normalfall nicht reflektiert wird.

Das ist oft das Problem. Viele Komponistinnen und Komponisten meiner Generation versuchen nur, da reinzukommen und sich unter die Büsten dieser großen Meister selbst einzureihen. Und das muss schiefgehen! Das ist auch ein ganz großes Missverständnis dessen, was die Leute damals gemacht haben. Die haben einfach die Musik geschrieben, die angesagt war.

Deswegen habe ich vorhin auch gefragt, was falsch gelaufen ist. Es gab doch einmal eine Generation, die die Opernhäuser sprengen wollte.

Boulez hat das gesagt, und das Nächste, was er gemacht hat, war in Bayreuth den „Ring“ zu dirigieren. Und die Fluxus-Leute, die da eben nicht rein wollten – Tony Conrad etc. – die kommen eben in der Neuen Musik nicht vor.

Wenn du dich aus der klassischen Konzertsituation hinausbegibst, stehst du ja vor dem Problem, wie du die Leute erreichst. Wo wird deine Klangkunst gehört – ist das der öffentliche Raum, das Radio, sind das Festivals?

Zum einen gibt es Konzertreihen mit elektronischer Musik, kleinere Veranstaltungsräume, zum Beispiel den Echoraum. In der Alten Schmiede kuratiere ich mit der „Stromschiene“ eine Reihe elektronischer Konzerte. Dann gibt es auch große Institutionen, die dich einladen – gleichzeitig finde ich es aber überhaupt nicht richtig, das Abonnentenpublikum des Konzerthauses auszuborgen, das meine Sachen gar nicht hören will. Ich finde es wirklich abstrus, dass Neue Musik, die ja gewagt sein will und vorgibt, Neues auszuloten, sich ausgerechnet im klassischen Musikbereich abspielen soll. Dort ist sie mit demjenigen Publikum konfrontiert, das am allerwenigsten offen ist, sondern genau weiß, wie Musik funktioniert. Ein Schlagerpublikum weiß das natürlich auch ganz genau, aber im Bereich von visueller Kunst gibt es beispielsweise eine große Offenheit.

Du sagst, dich interessiert das, was es gibt – also die 99,9 Prozent Musik, die nicht atonal sind. Gehört nicht das, was du schaffst, wieder zu diesem kleinen Prozentsatz, der nicht von der breiten Masse gehört wird?

Na ja, dass ich nicht am Markt bestehen kann, wo Wertschätzung durch Geld ausgedrückt wird, habe ich schon vor einigen Jahren gemerkt. Aber nur, weil ich keine massenkompatible Musik schreibe, halte ich mich nicht für etwas Besseres als ZZ Top, und ich muss sagen, dass ich AC/DC um einiges beneide. Die machen großartige Sachen! Zwar ganz andere als ich, aber ich sehe mich trotzdem nicht in einer anderen Liga spielen. Ich würde dieser Einteilung in E- und U-Musik durchaus vorwerfen, dass sie de facto immer eine Wertung impliziert. Ich nehme auch in der persönlichen Kommunikation mit Komponistinnen und Komponisten wahr, dass der Standesdünkel wirklich allgegenwärtig ist. Wenn populäre Musikformen überhaupt Eingang in die E-Musik finden, dann nur in ironischer Form, sonst macht man sich ja schmutzig. Aber gerade das finde ich gut, ich bin nämlich ein großer Freund von Schlamm und Schmutz.

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