Die Wiener Sängerin Violetta Parisini legt ihr neues Album „Open Secrets“ vor, mit dem sie sich wieder mal sympathisch zwischen alle Stühle setzt. Erstmals auffällig wurde sie vor ein paar Jahren als singende DJ-Entertainerin. Auf ihrem Debütalbum „Giving You My Heart to Mend“ (2010) überraschte sie dann mit eingängigen, gefühlsintensiven Popsongs, die ihre Wurzeln im Blues und Jazz haben – und deren Einflüsse von Radiohead bis Billie Holiday reichten. Die 31-Jährige ist ein gutes Beispiel für Popmusik aus Österreich, der man im besten Sinne nicht anhört, wo sie entstanden ist. Das Interview führte Sebastian Fasthuber.
Über dein erstes Album hast du gesagt, du würdest beim Songschreiben noch üben. Wo stehst du jetzt?
Violetta Parisini: Ich habe inzwischen mehr Erfahrung und Kompetenz und habe die neuen Songs größtenteils allein geschrieben. Die Leute, mit denen ich arbeite, nehmen mich jetzt als Musikerin ernster – und zwar, weil ich mich selber ernster nehme. Vor drei Jahren hätte ich nicht gesagt: Ich bin Musikerin.
Sondern?
Violetta Parisini: Vermutlich hätte ich rumgeeiert und gesagt: Ich schreibe halt irgendwie Lieder. Es ist allerdings immer noch so, dass ich den Prozess des Songschreibens überhaupt nicht verstehe. Es passiert mir. Der Unterschied ist, dass ich inzwischen weiß, was ich von einem Song will und wie ich es umsetzten kann. Vielleicht bin ich ein bisschen strukturierter geworden.
Ein Song sticht besonders heraus: „Memoirs of a Pleasant Child“. Es gibt viele Geburtstagslieder. Deines zeichnet sich dadurch aus, dass du dir selbst zum 30. ein Ständchen singst.
Violetta Parisini: Mit dem Song hab ich viel Zeit verbracht. Da geht es eigentlich um meine Kindheit und die Muster, die ich daraus davongetragen habe. Ich wurde wie viele damals so erzogen, dass ich höflich, brav und lieb sein soll. Und ich hab es einfach übertrieben. Ich habe immer perfekt funktioniert. Gut und schön, aber wenn man erwachsen wird und seinen eigenen Weg finden will, steht einem das im Weg. Dieser Song ist für mich die Katharsis schlechthin.
Auch im Musikgeschäft muss man funktionieren. Wie gehst du mit der Aufmerksamkeit um?
Violetta Parisini: Mich wundert es immer noch, dass mich die Leute komisch anschauen, wenn ich nach einem Konzert durch den Zuschauerraum gehe. Wahrscheinlich ist es schon ein bisschen ein anderes Ich, das auf der Bühne und in der Öffentlichkeit steht. Gewisse Umgebungen oder Medien versuche ich halt zu meiden. Aber ich bin eh nicht der Typ, der auf ein Zeitschriftencover kommt.
War dein erstes Album eigentlich ein Erfolg?
Violetta Parisini: Ein Achtungserfolg, würde ich sagen. Es kommt immer darauf an, wie man Erfolg definiert. Ich habe inzwischen sehr viel Publikum.
Wie sieht dein Publikum aus?
Violetta Parisini: Florian Cojocaru, mein Produzent, sagt immer: „Das sind weibliche Mittzwanziger, die ein bisschen intellektuell und auf der Suche nach der besseren Welt sind.“ Mir kommt vor, viele Leute aus meinem Stammpublikum sind mir sehr verwandt. Die Frauen sind definitiv in der Überzahl. Es kommen aber auch Männer zu meinen Konzerten, so ist es nicht. Manche Männer sind Mädchen, und das ist auch gut so.
Du veröffentlichst deine Musik beim einem Majorlabel, auf der anderen Seite kauft fast niemand mehr CDs…
Violetta Parisini: Mein erstes Album ist in eine zweite Pressung gegangen, was mich sehr froh gemacht hat. Es hat also die Erwartungen der Plattenfirma übertroffen. Aber wie es weitergeht? Ich bin nicht sehr optimistisch. Die großen Plattenfirmen kämpfen ums Überleben. Das Überleben besteht in Volksmusik und sicher nicht in mir.
Die neuen Songs hätte man bestimmt mehr in Richtung Ö3-Airplaytauglichkeit produzieren können. Stattdessen regieren die Zwischentöne. Ein Statement?
Violetta Parisini: Schon auch. Vor allem aber Notwendigkeit. Mir ist klar, dass ein Song wie „See“ wahrscheinlich nie im Radio laufen wird, weil zu viele Pausen drin sind. Aber ich wollte den Song nicht verbiegen, indem ich mich irgendeinem Format anbiedere. Ich will ja in erster Linie mich glücklich machen mit meiner Musik.
Wie geht sich das finanziell aus?
Violetta Parisini: Ich gebe Gesangsstunden und lege auch noch manchmal auf, bei Vernissagen oder auf Premierenfeiern. Es gibt kein besseres Publikum als betrunkene Schauspieler.
In Clubs legst du nicht mehr auf?
Violetta Parisini: Dafür bin ich momentan nicht mehr zu haben. Ich habe das viele Jahre sehr intensiv betrieben. Vielleicht kommt das wieder. Aber diese Härte, die in Clubs im Spiel ist, und eine gewisse Erkältug des sozialen Zusammenhangs, die man dort auch spürt – darauf habe ich gerade gar keine Lust. Mir geht es bei meiner Musik und meinen Songs schon sehr viel um Dialog. Das ist das, was mir am Musikmachen am meisten Freude bereitet. Es ist schön, wenn die Leute auf die Platte, die man auflegt, reagieren. Noch viel schöner istes, wenn sie auf meine Songs emotional reagieren.
In deinem Pressetext steht: Du forderst differenziertes Denken und vielschichtiges Fühlen. Was meint das?
Violetta Parisini: (Lacht) Das hat Samir Köck geschrieben, aber wahrscheinlich ist es sogar ein wörtliches Zitat von mir. Ich fürchte nichts mehr als die Verflachung der Kultur und der Medien. Ich finde es schrecklich, dass man Informationen so lang auf wenige Sätze reduziert, bis sie ihren Wahrheitsgehalt verloren haben. Das hat oft nichts mehr mit der Realität zu tun. In meiner idealen Welt legen die Leute darauf Wert, differenziert zu denken, das Für und Wider abzuwägen und nicht in Kategorien von Gut und Böse zu denken. Dieses ständige Schuldzuweisen macht mir Angst. Es machen ja alle, besonders schlimm ist es aber natürlich bei den Rechten. Da stellt’s mir die Haare auf, wie unverfroren da gelogen wird.
Es gibt diesmal aber auch eine sehr klare Stelle, wo du einfach „I love you“ singst. Eine Premiere?
Violetta Parisini: Ja, da musste ich mich auch voll überwinden. Das ist aus „See“, meinem Liebeslied schlechthin. Da geht es darum, dass ich mich jeden Tag neu verlieben kann: in einen Mann, eine Frau, ein Ding. Trotzdem ist der Mensch, neben dem ich jeden Tag aufwache, genau der, den ich mir ausgesucht habe. Den liebe ich. Man kann im Herzen total treu sein, muss aber nicht stur so tun, als gäbe es nichts anderes.
Interessant finde ich auch „Portable Home“, einen ganz kurzen Song. Man glaubt zuerst, du singst über Computer. Dabei geht es darin eigentlich um einen selbst, oder?
Violetta Parisini: Absolut. Tatsache ist, dass ich nicht ständig auf der Suche sein muss nach Geborgenheit und Sicherheit, weil ich alles, was ich brauche, eh in mir habe. Das Lied existiert schon sehr lange. Ich habe überlegt, ob ich es noch ausbauen soll, habe es aber dann so belassen. Alles, was ich sagen wollte, habe ich darin schon gesagt. Ich finde es stimmig so.
Darf man eigentlich gratulieren? Unter dein Pullover zeichnet sich ein Babybäuchlein ab.
Violetta Parisini: Ja, langsam lässt es sich nicht mehr verstecken.
Relativiert das die Bedeutung, die das neue Album für dich hat?
Violetta Parisini: Das Album ist dadurch nicht weniger wichtig, aber es rückt sich schon manches in ein neues Licht. Ich bin gerade nicht sehr ehrgeizig. Die Albumveröffentlichung und die Konzerte ziehe ich aber natürlich noch durch. Ich habe sehr lang darauf hingearbeitet. Außerdem ist es für mich psychologisch wichtig, dass diese Songs erscheinen.
Inwiefern?
Violetta Parisini: Die Songs thematisieren Dinge, die mich mein ganzes Leben begleiten und die ich in den letzten Jahren aufgearbeitet habe. Somit stellt die Veröffentlichung für mich einen Abschluss dar.