“Life in Loops” gilt als das erste Remixprojekt der Filmgeschichte. Timo Novotny verarbeitete dabei 40 Stunden Rohmaterial von Michael Glawoggers Megacities, kreuzte es mit dem Soundtrack der Sofa Surfers und schuf damit ein spannendes und überraschendes Kunstwerk. Mehr dazu im folgenden Interview, welches Christa Benzer mit Novotny geführt hat.
Christa Benzer: Ich finde die Idee einen Dokumentarfilm zu remixen sehr spannend. Hat Dich der Film “Megacities” von Michael Glawogger dazu inspiriert oder hast Du schon vorher mit der Idee gespielt, von einer Doku einen Remix zu machen?
Timo Novotny: Das Projekt ist mir eigentlich passiert. Der Film “Megacities” hat mich extrem fasziniert. Ich war damals 24 und fand ihn superschön und beeindruckend und 2003 wurde ich dann zu einem VJ-Programm nach Brüssel eingeladen; ein Festival, bei dem man einen österreichischen Film inkludieren musste. Nachdem ich sehr viel verreise und diese Bilder auch mit mir trage, habe ich dann Michael (Glawogger) angerufen und ihm davon erzählt. Er war begeistert, dass ich mit seinem Film arbeiten will, und meinte: “Ja, mach das! Nimm meinen Film und mach damit, was du willst.” Ich durfte den Film natürlich nicht verändern, aber ich durfte ihn nehmen und inkludieren in mein eigenes Set. Zurück in Wien haben wir, Markus Kienzl von den Sofa Surfers und ich, die Bilder wieder in diverse Visual-Projekte reingespielt und auf diese Weise entstand eigentlich die Idee zu dem 80 Minuten Remix des Films. Ich wollte das ganze Material von Michael, um noch einmal von vorne anzufangen. Er sprang sofort auf und so hat dann das Ganze eigentlich begonnen.
CB: Das heißt, Du musstest ihn gar nicht davon überzeugen, dass Du keine Kopie seines Films machen wirst?
TN: Nein. Michael vermittelte mich an lotus-Film und dort kam auch schon der erste Frust, weil die uns zwar das Material geben wollten, aber kein Geld. Zu dem Zeitpunkt waren wir allerdings schon so euphorisiert, dass wir das Geld selbst aufstellen wollten. Michael hat uns ebenfalls motiviert, obwohl er von seinen Kollegen auch gehört hatte, dass es verrückt wäre, die eigenen Sachen herzugeben. Aber er steht nach wie vor dazu und er findet sogar, dass die Geschichte mit dem Junkie in New York in meinem Film besser aufgeht. Im Prinzip geht es aber nicht um besser oder schlechter, sondern es geht darum, dass ich was Neues gemacht habe.
CB: Du hattest dann also mehr als 40 Stunden Bildmaterial. Wie wählt man aus einer solchen Menge die “richtigen” Bilder aus?
TN: Das war irre. Ich musste erstmal drei Monate lang Bild und Ton synchronisieren, weil das getrennt gelagert war. Und dann sichtet man stundenlang. Ich wusste allerdings schon ungefähr, was ich haben will. Ich wusste beispielsweise, dass ich den Junkie unbedingt haben muss. Bei einem Remix will man ja immer das haben, was man nicht vergessen hat. Eine gewisse Baseline und eine gewisse Voice braucht man immer und dann versucht man noch ein “Mehr” zu kreieren. Etwas, was nicht da war oder was man noch dazu geben könnte. Ich hab quasi audiotechnisch funktioniert, den visuellen Remix zunächst so behandelt als wäre es reines Audiomaterial.
CB: Haben die Sofa Surfers, mit denen Du ja seit langem zusammenarbeitest bei der Bildauswahl mitgeredet oder wie muss man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
TN: Ich hab die ganzen Sachen ausgewählt, aber die Sofa Surfers haben mich schon beeinflusst. Also beispielsweise beim Junkie, da sind Ton und Bild am wichtigsten. Ich hab dem Markus das Filmmaterial zum Vertonen gegeben und er hat es dann umgeschnitten. Ich musste dann wieder den Bildschnitt zur Musik schneiden und das ging eben so lange hin und her bis Bild und Ton zusammen gingen. Insofern haben wir die Szene also wirklich gemeinsam geschnitten. Markus Kienzl auf der Tonebene und ich auf der Bildebene.
CB: Die jeweiligen Geschichten in New York, Bombay, Moskau und Tokyo wurden also unterschiedlich geschnitten?
TN: Ja. Das macht es auch so spannend, weil sonst wäre der Film ja “nur” ein Musikvideo. Wenn ich 80 Minuten Track hätte und dazu die Schnitte mache oder eben auch umgekehrt: wenn zuerst die Schnitte da wären und die Sofa Surfers machen dazu den Soundtrack, dann wäre es ja eine sehr klassische Sache geworden. Der Wechsel zwischen den verschiedenen Zugängen macht es spannend. Das Parallelarbeiten dauert dabei zwar am längsten, ist aber auch am stärksten, wie man bei der Geschichte mit dem Junkie sieht.
CB: Die Aufnahmen in Tokyo kommen von Dir. Du filmst einen jungen Manga-Freak, bei dem es nicht mehr wirklich um Armut geht. Wieso waren Dir diese Aufnahmen wichtig?
TN: Mir ging es darum in Japan einen Kontrapunkt zu Michaels Film zu finden. Erst als ich die etwa 60 Minuten aus seinem Film geschnitten hatte, ging ich nach Japan und überlegte mir, was ich noch brauche. Entscheidend war, dass Wolfgang Thaler, der Kameramann von “Megacities”, von dem Projekt ebenfalls begeistert war und mit mir mitgekommen ist, obwohl ich ihn gar nicht bezahlen konnte. Wir haben auf 16 mm gedreht, also das gleiche Material, der gleiche Kameramann, das ergibt schon mal eine ähnliche Bildsprache. Das hätte ich alleine nicht leisten können. Inhaltlich bin ich nun sehr froh über den Manga-Typen. Er lebt in einer tollen Stadt und hätte alle Möglichkeiten, aber er hat keinen Lebenstraum mehr. Alle anderen haben einen Traum, aber er, der alles tun könnte, sagt, er braucht nichts mehr.
CB: Welche Rolle spielt für Dich die Musik. Ich hatte den Eindruck, sie macht das ganze teilweise verdaulicher. Wolltest Du den Bildern auch ein bisschen die Härte nehmen?
TN: Einerseits macht die Musik die Bilder verdaulicher, andererseits aber auch nicht. Wenn ich beispielsweise an die Szene mit der Prostituierten Kassandra denke, da wird das ganze fast provokant. Die Bilder von ihr auf der Bühne, wo sie sich betatschen lassen muss, die sind so kitschig und schön vertont. Ich selbst habe beim Schneiden der Szene – der Vorgang war hier einem Musikvideo übrigens am ähnlichsten – fast gespieen, auch weil ich die Musik und damit natürlich auch die Bilder nicht mehr aus meinem Kopf gekriegt habe. Ich finde, die Musik macht es zwar leichter, die Bilder anzuschauen, aber dann fährt die Musik auch wieder extrem ein.
CB: Willst du mit dieser experimentellen Form auch eine “neue” Öffentlichkeit erreichen?
TN: Ja, ich möchte beispielsweise auch Jugendliche ansprechen, die möglicherweise noch nie einen Dokumentarfilm gesehen haben, rein gehen in den Film und dann vielleicht mehr sehen wollen. Mein Remix soll erweitern, aber natürlich auch den ursprünglichen politischen Content transportieren. Deswegen gefällt mir auch der Junkie, der sagt: “Fuck you, fuck everyone, all i want is the money!”. Das sind für mich die starken politischen Statements.
CB: Was sind Deine Überlebensstrategien?
TN: Ich versuche schon seit Jahren Dokumentar- und Spielfilme zu machen, aber nachdem ich nicht Film studiert habe, sondern Visuelle Mediengestaltung bei Peter Weibel kriege ich oft Ablehnungen. Auch bei “Life in Loops” habe ich zunächst zwei Ablehnungen gekriegt. Jetzt hoffe ich, dass ich mit diesem Film, der mittlerweile auf 30 Festivals gespielt wird, genug Erfolg haben werde, damit ich in Zukunft leichter zu Förderungen komme. Ich schreib seit einem halben Jahr an zwei drei Büchern, die gerne produzieren möchte. Aber noch ist das ein Traum.
Interview und Text: Christa Benzer