mica-Interview mit Shy

Sieben Jahre nach ihrem letzten Album „Zurück am Start“ hat kaum noch jemand mit neuen Tönen von der Linzer Band Shy gerechnet. Doch jetzt überrascht sie mit „Zwei“, einem neuen und ihrem womöglich besten Album. Indiepop ist das nur mehr bedingt, was Sänger Andreas Kump, Hans Riener, Peter Lang und die neuen Kollegen Phil Sicko (Bass, Produktion), Stefan Messner (Elektronik) und Armin Lehner (Gitarre) da machen. Oder besser: Es ist gereifter Indiepop von Musikern, die nicht so tun wollen, als wären sie immer noch 25. Andreas Kump hat mit Sebastian Fasthuber über die neue Platte und die Geschichte der Band gesprochen.

Das Album heißt „Zwei“ und kommt wie ein Konzeptalbum zur Zahl daher. Wenn man sich die Songs anhört, fällt das aber gar so nicht stark auf.


Andreas Kump:
Drängt es sich nicht so auf? Auch okay. Es waren einmal ein paar Texte da, die unabhängig voneinander mit der Zahl gespielt haben. In „Bruder“ gibt es dieses Doppelgänger-Motiv und „Spiegelbild“ geht auch in die Richtung. Später kam noch „Zwielicht“ dazu. Und dann versucht man halt, aus den anderen Songs ebenfalls Entsprechendes herauszulesen. „Zwei“ trifft auch auf die Band ganz gut zu. Wir hatten zwar sicher schon mehr als zwei Phasen, aber zwischen dem letzten und diesem Album war wieder mal ein Cut. Auch weil nach dem letzten Album ein bisschen die Lust weg war.

Einige Leute waren verwundert, dass es die Band überhaupt noch gibt.

Andreas Kump: Wir haben uns nie aufgelöst und nicht einmal wirklich eine Bandpause gemacht. Wir sind nach dem letzten Album, das 2006 erschienen ist, aber einmal von den Regelmäßigkeiten weggegangen. Lange Zeit waren wir ja eine Stammtischrunde. Wir haben uns jeden Donnerstag um 19.30 Uhr getroffen und stur vor uns hin musiziert. Das wurde aber anders, als andere Leute in die Bands kamen, die nicht so geregelte Arbeitszeiten haben. Phil ist Tontechniker, Stefan Filmvorführer. Die müssen dann arbeiten, wann sie gebraucht werden. Deshalb haben wir das anders organisiert. Silvester 2009 haben wir ein relativ großes Konzert am Linzer Hauptplatz gespielt, wo wir schon fast die ganzen Songs aufgeführt haben.

Die Songs gibt es schon jahrelang? Warum hat das Album so lang gebraucht?

Andreas Kump:
Ich bin 2010 nach Deutschland gegangen und war im Ruhrgebiet, weil meine Freundin für die Kulturhauptstadt gearbeitet hat. Eigentlich wollten die anderen die Platte in der Zwischenzeit fertig machen. Aber wenn es nicht einen gibt, der mit der Pistole in der Hand sagt: Jetzt erkläre ich euch mal, was eine Deadline ist – dann passiert nichts. Und derjenige bin bei uns ich. Meine musikalischen Fähigkeiten sind total limitiert, aber so was kann ich bewerkstelligen.

Ich war sehr positiv überrascht von dem Album. Die Musik klingt sehr eurem Alter entsprechend. Nichts ist schlimmer als 40-Jährige, die wie 25-jährige Indiepopper klingen wollen.

Andreas Kump: Ja, das kann man natürlich rauslesen. Die Musik hat jetzt schon eher was von Wall of Sound. Wir merken das gerade beim Proben, dass sich unsere alten Songs und die neuen schon ziemlich eklatant unterscheiden. Entstanden ist das wahrscheinlich auch, weil wir unsere alte Arbeitsweise über Bord geworfen haben. Normalerweise war es so: Ich habe einen Text geschrieben und ihn dem Hansi oder dem Peter gegeben. Die haben einen Song draus gemacht, dann sind wir in den Proberaum gegangen und haben ihn gemeinsam arrangiert. Beim Großteil der neuen Songs war es überhaupt nicht so. Bei Songs wie „Tage“ oder „Manchmal“ ist einfach dahingespielt worden. Man ist vielleicht von einem Bass-Riff ausgegangen und hat darauf aufgebaut, ohne sich um ein Songformat von dreieinhalb Minuten zu kümmern. Ich bin oft im Proberaum einfach dagesessen und hab mir die Musik angehört. Und wenn die Musik gestanden ist, habe ich erst einen Text dazu geschrieben. Nur bei „Tiere“ sind wir wieder in das alte Schema zurückgefallen, das ist ein klassischer Popsong. Wir haben ihn aber draufgelassen, weil wir finden, dass ein ausgesprochen guter klassischer Popsong ist.

Es ist auch viel Elektronik zu hören in den Songs.

Andreas Kump: Wir wollten immer schon einen Elektroniker dazutun. An denen gibt es in Linz Gott sei Dank keinen Mangel. Wir mussten halt entscheiden, ob wir uns einen Radikalinski dazu nehmen, der uns fette Beats drunter legt. Dazu wären die Leute vom A.G. Trio die richtigen gewesen. Aber die hatten dann eh keine Zeit. Und so ist es der Stefan Messner geworden, der schon lange ein Freund von uns ist. Er ist eher der subtile Elektroniker, arbeitet sehr flächig und cineastisch. Das passt ganz gut, nachdem wir mit Phil jetzt gewissermaßen einen Rocker am Bass haben.

Das Resultat klingt anders als die alten Shy-Sachen.

Andreas Kump:
Ich kann dazu nichts sagen, weil ich echt schon die Urteilsfähigkeit darüber verloren habe. Aber es wird von vielen so wahrgenommen. Wir haben vor einem Jahr im Chelsea und im Posthof gespielt. Damals war uns überhaupt nicht klar, wie die neuen Songs angenommen worden. Denn sie haben eben nicht mehr viel mit dem typischen Indiepop zu tun, in dem man sich früher als Referenzrahmen bewegt hat. Da hat man gewusst: Im Prinzip kann man nicht viel falsch machen. Mit den neuen Songs verhält es sich anders, insofern wussten wir nicht, ob sie überhaupt jemand interessieren. Tatsächlich kamen viele Leute nach dem Posthof-Konzert zu uns, die uns früher nicht so mochten, aber die neuen Songs super fanden. Wir sind mit dem Lied „Zwei“, das ziemlich Mogwai-mäßig klingt, auf die Bühne gegangen. Das hat die Leute erst einmal sehr verwundert. Für Verwunderung zu sorgen ist ein gutes Gefühl.

Als Sänger und Texter nimmst du dich sehr zurück. Es gibt sogar ein Instrumental auf dem Album. Hat die Musik nicht mehr Gesang vertragen?

Andreas Kump: Stimme als Instrument ist da eigentlich das Stichwort. Es sind diesmal auch bewusst die Texte nicht am Album abgedruckt. Ich wollte das wie englische Bands sehen, wo der Text einfach Teil der Tapete ist.

Aber dir sind die Texte normalerweise doch sehr wichtig.

Andreas Kump: Schon, aber ich habe nicht groß herumgefeilt und mich darum bemüht, einfache Wörter zu verwenden. Oft stehen Wörter nur um des Reimes willen da. Der Text von „Manchmal“ klingt total banal. Man hätte das noch ausfeilen können, aber das habe ich bewusst nicht gemacht. „Tage“ habe ich auch ganz schnell geschrieben, da geht es nur um die Melodie und um den Reim. Außerdem nervt mich diese Konstellation, wo es immer einen Erzähler gibt. Ich halte Erzählpop nur mehr aus, wenn er richtig gut ist: wenn ein guter Typ da steht und eine gute Geschichte zu erzählen hat, möglichst auf eine einmalige Art und Weise. Aber das findet man halt sehr selten. Und wir haben das auch schon sehr oft gemacht, dass ich mir gedacht habe, die Instrumente sollen ruhig im Vordergrund stehen.

Aber es bleiben schon auch Sätze hängen. Etwa: „Nicht alles, was verschwindet, geht weg.“ Du bist 45 und demnach eigentlich Kandidat für ein Midlife-Crisis-Album.

Andreas Kump: Es sind ein paar Sätze dabei, die ich sehr gern habe und über die ich oft nachdenke. „Nicht alles, was verschwindet, geht weg“, ist einer davon. Das schreibt man oft so hin, aber manches davon bleibt hängen. Das mit Halbzeit des Lebens stimmt natürlich auch. „Zwei“ kann ja auch für die zwei Halbzeiten des Lebens stehen. Die Midlife Crisis gibt es, weil man weiß, dass man mit 45 Jahren nicht mehr Fußballprofi oder Popstar wird. Die große Zukunft liegt für 90 Prozent der Menschen mit 45 hinter ihnen. Es gibt nur sehr wenige Ausnahmen: Helmut Fischer ist sehr spät entdeckt worden und auch Christoph Waltz hat sein jetzige Karriere spät gestartet. Es ist sehr leicht, wenn man studiert: Man macht mit seinen Freunden die Nacht zum Tag. Am nächsten Tag steht man auf, der Staub der Nacht fällt sofort von einem ab und man fühlt sich wieder wie ein junges Katzerl. Irgendwann ist es aber nicht mehr so. Und das gibt einem natürlich zu denken. Gleichzeitig interessiert einen das alles nicht mehr so rasend. Ich denke mir oft: Muss ich jetzt zu diesem Konzert gehen oder in ein Lokal gehen? Muss ich dann nicht.

Wo kommen heute die Einflüsse her? Nicht mehr so stark von anderer Musik?

Andreas Kump:
Schon noch. Der Hansi und der Peter arbeiten unter dem Namen The Laming Hips immer noch sehr viel als DJs und kaufen auch dementsprechend viele Platten. Wenn ich in Linz bin und Zeit habe, gehe ich hin und höre mir an, was sie auflegen. So kriege ich mit, was sich tut. Was für mich eine ganz große Offenbarung war in den letzten Jahren, war Jonathan Richman endlich live zu sehen. Zu meinem 40. Geburtstag habe ich eine Reise nach Dublin zu einem Konzert von ihm geschenkt bekommen. Bei ihm kommt dieses Erzählerhafte, was ich vorher erwähnt habe, gut rüber. Wobei er auch ein Ganzkörper-Performer ist und manchmal nur vollkommen irre tanzt. Gleichzeitig erzählt er aber immer Geschichten. So was gibt mir viel mehr auf, als wenn ich mir die 40.000 Gitarrenband anhöre.

Shy gibt es seit über 20 Jahren. Mit welcher Idee hat das 1991 begonnen?

Andreas Kump: Ich war damals schon jahrelang in der Musikszene unterwegs und wollte unbedingt selbst etwas machen. Wir waren damals total anglophil. Der auslösende Moment war einerseits die Manchester-Raveszene, gleichzeitig war uns bewusst, dass es drunter noch etwas gibt – diese Anorak- oder Wimp-Popszene. Wir wollten in diese Nische rein und uns in diese kleine globale Bewegung einklinken.

Kein Angst gehabt, Wimps zu sein?

Andreas Kump:
Nie. Wobei wir uns wahrscheinlich einen anderen Namen überlegt hätten, wenn wir gewusst hätten, dass es die Band mehr als 20 Jahre lang geben wird. Ich war damals auch in der Zentrale dieser Bewegung, bei Sarah Records in Bristol, und habe denen unsere Musik vorgespielt. Die haben die eh ganz gut gefunden, aber auch gesagt: Warum ihr am Kontinent immer Englisch singen müsst, das müsst ihr uns einmal erklären. Danach habe ich angefangen, auf Deutsch zu singen. Dann gab es auch einmal einen ersten Personalwechsel und wir sind ziemlich auf dieses Easy-Listening-Zeugs abgefahren.

Es gab immer wieder personelle Veränderungen. Inwieweit seid ihr euch treu geblieben?

Andreas Kump:
Die stabile Kernbesetzung aus Hansi, Peter und mir funktioniert erstaunlich gut. Wobei wir am besten sind, wenn wir uns nicht so gut vertragen und viel diskutieren. Wir haben immer wieder unsere Kämpfe, aber streiten selten länger als eine Woche. Insofern, glaube ich, sind wir uns sehr treu geblieben. Und wir haben auch immer einen sehr reflektierten Blick auf das gehabt, was wir da tun. Als wir um 2000 einmal bei der Industrie waren, war das eine ganz schwierige Phase. Vielleicht war das schon die vorweggenommene Midlife Crisis der Band. Im Zuge einer CD-Reise waren wir damals in Ebensee. Da hat einer zu mir gesagt: Wenn ihr es jetzt nicht schafft, dann schafft ihr es nie. Daran hatte ich davor nie gedacht, aber er hatte natürlich recht damit. Dass wir es nie wirklich geschafft haben, tut mir heute weniger für uns leid als für die Leute, die große Sympathien für uns gehabt haben. Aber es war eine sehr gute Lektion im Leben. Du glaubst, es geht immer nur in eine Richtung, aber so läuft es nicht. Irgendwann ruft halt keiner mehr an und fragt, ob du bei ihm spielen willst. Dann beginnt der Abstiegskampf. Den kannst du entweder annehmen oder so damit umgehen wie wir.

Wie würdest du heute Erfolg für Shy definieren?

Andreas Kump: Es ist ein Erfolg, dass wir diese Platte so gemacht haben. Organisatorisch sind wir wirklich nicht gut aufgestellt. Es überwiegt die Freude am Tun, aber es gibt keinen Masterplan. Wir nehmen diesmal alles mit, was wir kriegen können, und freuen uns über jede Kleinigkeit. Das ist die unausgesprochene Devise bei allen. Im Endeffekt geht es aber darum, dass ich mich auf die Bühne stelle und nachher sagen kann: Es hat Spaß gemacht. Dann ist es ein Erfolg.

Habt ihr jemals Geld verdient mit der Band?

Andreas Kump: Wenn, dann haben wir es mit einen Hand eingenommen und mit der anderen wieder ausgegeben. Wir würden im Nachhinein vieles anders machen. Ein Knackpunkt war diese Platte bei der Industrie [„Auf Reisen“, 2001 bei EMI erschienen, Anm.]. Wir hätten damals mit der Kohle von der Industrie für ein Jahr jemand anstellen sollen, der nur für uns arbeitet, uns pusht und lästig ist. Das hätte viel gebracht. Manchmal gab es auch Situationen, die heute absurd klingen. Wir spielten irgendwo ein Konzert. An dem Abend spielten vier Bands und wir waren die letzte, weil die Platte gerade gut lief. Aber einer von uns war frisch verliebt und wollte gerne um halb eins schon wieder zu Hause sein. Wir haben dann halt als zweite Band von vier gespielt. Es gab ein paar solcher Situationen, wo wir vollkommen unlogisch gehandelt haben. Das ergibt im Nachhinein eine gute Anekdote, aber ökonomisch war es ein Wahnsinn.

Tatsächlich ist das nun das erste Mal, dass ihr bei einem Label ein zweites Album veröffentlicht.

Andreas Kump: Stimmt, wir haben immer nach jedem Album die Plattenfirma gewechselt. Außer zwischen „Shy retten die Welt“ und „Pullover“, da waren wir unser eigenes Label. Wir haben uns gefreut, dass Wohnzimmer uns nach „Zurück am Start“ auch jetzt wieder wollte. Es ist super, dass wir da langsam eine Kontinuität reinbringen. (Lacht)

Du hast lange mit deiner Stimme gehadert. Wie geht’s jetzt?

Andreas Kump: Meine Stimme werde ich leider nicht los. Ich finde sie eigentlich nicht besonders geeignet für das aktuelle Programm. Es ist schwer zu akzeptieren, wenn man so eine weiche Stimme hat. Mir fällt es schwer. Beim letzten Album habe ich aber ein bisschen damit Frieden geschlossen. Man muss eh mit dem, was man hat, auskommen. Lange Zeit habe ich versucht, mich zu verstellen und mir eine andere Stimme zuzulegen. Damit habe ich aufgehört. Wenn die Stimme weich klingt, dann soll sie eben weich klingen.

 

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