Lenny Kravitz ist eigentlich eine Frau, blond und kommt aus Wels/Oberösterreich. Tatsächlich klingt Saint Lu als hätten Janis Joplin und Mick Jagger ein lautes uneheliches Kind. International erfolgreichen Rock´n´Roll made in Austria – kann es das überhaupt geben? Mit dem mica sprach die Newcomerin über Songs, die ins Ohr gehen, Major-Verträge und Musik aus den Siebzigern. Das Interview führte Markus Deisenberger.
Ich erreich Dich im Berliner Studio. Was genau machst du dort? Das letzte Album liegt doch erst ein paar Monate zurück. Wird etwa schon am nächsten Release gebastelt?
Nein, nein. Wir arbeiten noch immer an diesem Album, das ja noch sehr frisch ist. Da muss noch einiges aufgebaut werden – vor allem für die Live-Umsetzung. Klar schreib ich an dem einen oder anderen neuen Song, aber das passiert sowieso immer.
Wels, die Stadt aus der Du kommst, ist nicht gerade bekannt als optimaler Einstieg ins internationale Musik-Biz. Kannst Du kurz Deinen Weg zu Major-Vertrag und Album-Release beschreiben?
Ich würde gar nicht sagen, dass Wels ein schlechter Ort ist, wenn man Musik machen will. Dort gibt es viele Musiker, mit denen ich auch viel herumprobieren konnte. Mein weiterer Weg hat mich dann aber für mehr als zwei Jahre in die USA geführt…
Wie das?
Zuerst als klassisches Au Pair, wobei sich meine Gastfamilie als Glücksfall erwies, weil sie eigentlich gar kein Au Pair brauchte. Dadurch konnte ich ziemlich viel herumreisen, was sehr wichtig für mich war, weil ich viele Leute kennen kernte und dann auch noch einige Zeit in New York verbringen konnte, wo ich mehr oder weniger in einer Künstlerkommune lebte. Interessant und super war das. Amerika hat mich auch insofern geprägt, als Englisch zunächst einmal die Sprache ist, in der ich singe. Das, was man bei uns in der Schule lernt, was man da an mehr oder weniger gelungenen Sätzen zusammensetzt, ist ja nicht unbedingt das, was dort gesprochen wird. Englisch ist eine sehr phrasenreiche Sprache und das will wirklich gelernt sein. Außerdem war es wichtig für mich zu sehen, wie dort Musiker drauf sind, wie sie kompromisslos kämpfen und ihr Ding durchziehen, was sich von der Art bei uns doch enorm unterscheidet, wo du meistens zu hören kriegst: Naja, jetzt probier ich´s halt mal und wenn es beim ersten Mal nicht klappt, dann hör ich halt wieder auf und probier was anderes. Diese Ausdauer, das Verharren im eigenen Tun – das sind Dinge, die ich mir von dort mitgenommen habe.
Darum geht´s ja auch in der ersten Single Deines Albums „Don´t miss your own life“ – eine Entscheidung zu fällen und dann auch voll und ganz dazu zu stehen… Gehst Du trotzdem Kompromisse ein bzw. musst Du in Deiner jetzigen Situation welche eingehen?
Ich hoffe schon, dass ich das tue, dass ich kompromissbereit bin. Andererseits: Bevor ich bei Warner unterschrieb, hatte ich schon zwei Mal die Möglichkeit, einen Plattenvertrag zu unterschreiben und entschied mich dann jedes Mal im letzten Moment dagegen, weil ich einfach das Gefühl hatte, dass da irgendetwas nicht ganz koscher ist. Ich vermutete, dass ich mich in irgendeiner Art und Weise verändern hätte müssen, um irgendwelchen Ansprüchen zu genügen. Bei diesem Vertrag nun war es zum ersten Mal so, dass ich mich musikalisch nicht verbiegen muss, sondern es so ist, wie ich es immer wollte. Da wird auch nichts verändert, kein Refrain verlängert, kein Vers abgeändert, sondern alles so belassen, wie ich das will. Ich hab schon auch Zeiten erlebt, als ich nicht das tun konnte, was ich will. Das hat mich abschreckend geprägt.
Inwiefern? Wer hat Dir da etwas vorgeschrieben? Ex-Labels?
Nein, gar nicht. Reden wir lieber nicht drüber. Heute kann ich in kreativer Hinsicht frei arbeiten und das ist gut so.
Was man bei einem Major-Label nicht unbedingt automatisch voraussetzen würde…
Gar nicht, nein. Ich war auch sehr überrascht, dass das so funktioniert. Sonst aber hätte ich mich auch dagegen entschieden. Die Leute, die uns gesignt haben, sind selber Fans und ich bin sehr froh, dass wir in dem, was wir tun, so unterstützt werden. Warner Deutschland ist aber ganz allgemein bekannt dafür, dass sie ihre Zöglinge so belassen, wie sie sind.
Und wie wurde Warner Deutschland auf Dich aufmerksam?
Ich hab ganz einfach und klassisch Demos ausgesendet. Nachdem ich aus den USA zurückgekommen bin, hab ich zunächst in Linz Schauspiel studiert und bin während des Studiums drauf gekommen, dass ich mich immer weiter weg von der Musik bewege und ins Schauspiel rein gezogen werde. Das war ja eigentlich sehr schön, aber wenn man sich so stark zu etwas hingezogen fühlt wie ich zur Musik, dann kann das nichts anderes so richtig ersetzen. Und dann hab ich mich irgendwann sehr plötzlich und sehr hart dafür entschieden wieder live zu spielen, Demos aufzunehmen und auszuschicken. In Österreich hat sich nur leider niemand gemeldet, in Deutschland gleich mehrere. Ja, und so wurde ich von Warner nach Berlin eingeladen und Patrick Majer (unter anderem Produzent von Wir sind Helden, Anm.) gab mir eigentlich von Anfang an das Gefühl, dass er versteht, was ich meine, was sehr wichtig für mich war, denn wenn man alles erst übersetzen und analysieren muss, dann kommt man ja nie von der Rederei weg. Ja, und dann haben wir neue Demos gemacht und die Plattefirmen haben uns letztlich gottlob mit offenen Armen begrüßt.
Gehen wir zum Sound, der für die Art von Musik, wie Du sie machst, enorm wichtig ist. Einerseits muss der authentisch rüber kommen, andererseits ist Radiotauglichkeit wohl auch kein Fehler. Selbst ein Kaliber wie Lenny Kravitz hat das nicht auf jedem seiner Alben hingekriegt. Wie gelingt Dir dieser Drahtseilakt zwischen Kunst und Kommerz?
Schwierige Frage. Keine Ahnung. Das vorrangige Ziel war, das zu machen, was man auch wirklich aussagen will. Dass es dann im Radio gespielt war, war für uns bei der Entstehung völlig nachrangig. Aber ich stehe nun mal auf Songs und nicht auf dreiminütige Jam-Sessions. Obwohl ich persönlich auch sehr „jammige“ Künstler höre, sind meine Lieblingslieder selbst solcher Künstler dennoch immer jene, die auch ins Ohr gehen. Und diese Vorliebe ist es wohl, die alles ein wenig zusammenhält und den Takt vorgibt.
Woher kommt Deine ganz eindeutige Siebzigerjahre-Affinität?
Ich habe zwei Schwestern, die um einiges älter sind als ich. So war das erste, was ich jemals bewusst gehört habe, Musik aus den Siebzigern. Und in Oberösterreich, wo ich aufgewachsen bin, gab es damals und gibt es noch immer sehr viele Rock-Discotheken. Ich hab auch noch viele andere Dinge ausprobiert, also viele verschiedene Musikrichtungen, aber diese Musik war es dann aber immer wieder, bei der ich das Gefühl hatte, dass ich mich als Sängerin am besten in sie hineinfühlen und mich in ihr verwirklichen kann. Musik und Stimme stehen auf einer Ebene und sind gleichwertig, wohingegen es bei anderer Musik oft einmal so ist, dass die Stimme brutal im Vordergrund steht und der Rest dazu schrummelt. Das ist einfach nicht meines. Es kann einfach viel mehr entstehen, vor allem live, wenn diese Gleichwertigkeit zwischen Musik und Stimme besteht.
Dafür braucht man natürlich auch die entsprechenden Musiker…
Da hatte ich sehr viel Glück, indem ich zum Patrick kam, der ja alles andere als ein unbeschriebenes Blatt in Deutschland ist und der mich wiederum Leuten vorstellte, die alle Lust hatten: unter anderem Peter Weihe, eine wahre Studio-Koriphäe, dem New Yorker Marlon Browden, der schon mit Norah Jones gespielt hat, und Christian Lohr aus Joss Stones´ Band. Solche Leute spielen aber auch nur dann mit dir, wenn ihnen deine Musik gefällt. Da nützt auch die dickste Kohle nichts.
Aber auf Deinen Demos waren andere Leute zu hören oder hast Du das in diesem Stadium ganz alleine gelöst?
Nein, da waren Musikerfreunde zu hören, denen ich mehr oder weniger vermitteln konnte, wie ich’s gerne hätte. Da merkt man dann schon, was ein Produzent alles bewirken kann, denn ich hab das damals noch nicht wirklich auf den Punkt gebracht, um ehrlich zu sein.
Du sagtest, Du hast ziemlich viel herumprobiert. In welche Richtung gingen diese Versuche?
Ich war sehr viel auf Jam-Sessions, hab in einer Jazz-Band, einer Bigband und sogar in einer Nu-Metal-Band gespielt, die nach Guano-Apes klang, bis ich merkte, dass das Meiste einfach nicht funktioniert. Das heißt, das Feld hat sich ganz automatisch verengt.
Du sagtest, Du wolltest immer schon Musik machen. Wann hast Du gemerkt, dass Du auch über eine außergewöhnliche Stimme verfügst?
Über das denke ich nicht allzu viel nach. Ich arbeite sehr stark mit meiner Stimme und es gefällt mir auch, mich da reinzuhängen und hart an mir zu arbeiten, aber der Moment, in dem ich mir gedacht hätte, dass meine Stimme wirklich toll ist, gab es noch nie. Überhaupt nicht. Eher im Gegenteil: Ich glaube ja auch, dass jeder singen kann. Definitiv. Das ist nur eine Frage des Vertrauens. Schreien kann ja auch jeder. Und Singen ist ja eine Form des Schreiens – zumindest das, was ich mache (lacht)
Man könnte sagen: Singen ist Schreien mit Stimme.
Ihr habt auch in den berühmten Abbey Road Studios aufgenommen. Wie kam es dazu?
Wir haben das ganze Album sehr pur mit Bandmaschine und Original-Equipment aus den Siebzigern aufgenommen. Wenn man den direkten Vergleich hat, klingt das Equipment aus dieser Zeit einfach viel runder. Bei dem einen oder anderen Stück wollten wir dann einfach ein paar Streicher dabei haben, um einen gewissen Motown-Effekt zu erzielen. Die Synthie-Streicher, mit denen wir herumprobiert haben, gefielen uns aber überhaupt nicht. Das wirkte alles extrem anorganisch. Der ganze Sound war sehr warm und dann kamen plötzlich diese Synthie-Streicher wie Schneidbrenner daher. Artifiziell und unsexy. Da haben wir geschaut, ob sich das in den Abbey Road Studios budgetär noch irgendwie ausgeht. Und dann bekamen wir die Chance über Peter Weihe, der schon öfters dort aufgenommen hat. Und es hat sich enorm gelohnt, weil es den Nummern einen sehr warmen, runden Touch gab. Und die Musiker waren unfassbar. Die spielen das einmal, dann gibt man kleine Änderungen vor und beim zweiten Mal sitzt das. Egal, was da gespielt werden soll.
Ein großer Release bei einem deutschen Major, Streicher in den Abbey Road Studios – da ist schon einiges investiert worden. Spürt man da nicht einen gewissen Druck, die investierten Summen auch wieder einspielen zu müssen? Und überkommen einen da nicht oftmals Zweifel, ob man dem Ganzen überhaupt gewachsen ist?
Ich mach mir da keine Sorgen. Erst mal finde ich es klasse, dass ich die Möglichkeit habe, etwas derartiges auf die Beine zu stellen. Das baut mich enorm auf, ist eine mehr als nur gute Basis, um weiter zu arbeiten. Meine Plattenfirma – das weiß ich – steht voll hinter mir. Und es war auch von Anfang an klar, dass das ein Aufbauthema wird und kein typisches Pop-Projekt, bei dem eine Single rausgeklatscht wird und mit der muss das investierte Geld gleich wieder zurück fließen. Mit so einer Band- bzw. Live-Musik würde das auch gar nicht funktionieren. An diese Art Musik ist der Radiohörer doch auch gar nicht mehr gewöhnt
Vor allem nicht in einer Zeit, in der Gitarren-Soli einen so genannten Ausschaltimpuls darstellen und daher vom Formatradio nicht unbedingt geschätzt werden.
Genau und darum bin ich auch froh, dass das anders abgesteckt wurde. Und ich fühle mich sehr sicher.
Wie lange bist Du nun schon in Berlin?
Zweieinhalb Jahre. Das ergab sich mit den Demos. Als die positiven Reaktionen kamen, wusste ich, dass ich die Chance ergreifen muss.
Was sind die nächsten Ziele?
Jetzt auf jeden Fall mal die Tour bis Mitte Mai. Am 9.5. spiele ich auch in Wien im Chelsea. In Ungarn und Polen werde ich im Radio rauf und runtergespielt. Und in Schweden gibt es schon ein Ja zur Veröffentlichung des Albums. Ich bin guter Dinge, dass sich meine Musik schön langsam gut verbreitet.
Das sind jetzt die näheren Ziele, Gibt es ein Fernziel – auch vor dem Hintergrund gefragt, dass die meisten Musiker, die ich das frage, sehr zurückhaltend reagieren und meist meinen, es wäre ihnen schon genug Musik zu machen.
So zurückhaltend bin ich nicht. Ich will die Welt erobern.
Ehrlich?
Ganz ehrlich. Oder sagen wir so: Ich bleibe auf jeden Fall sehr lange dran, damit es vielleicht irgendwann wahr wird.
Vielen Dank für das Gespräch
Saint Lu: am 9.5. live im Wiener Chelsea